Baurecht

Pferdehaltung im Innenbereich, Gebot der Rücksichtnahme gegenüber Wohnbebauung, Schädlichkeit von Lärm- und Geruchsimmissionen (verneint)

Aktenzeichen  AN 3 S 22.01039

Datum:
3.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10777
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34
BImSchG § 3 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten im Wege einstweiligen Rechtsschutzes über die Rechtmäßigkeit einer der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung für eine geänderte Betriebsweise einer bereits errichteten und genehmigten Pferdekoppel auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung … (… ) in … Die Beigeladene ist Eigentümerin des eingangs genannten Grundstücks. Die Beigeladene betreibt auf dem Grundstück, welches mit einem Wohnhaus bebaut ist, eine Tierarztpraxis. Mit bestandskräftiger Baugenehmigung vom 7. September 2016 wurde der Beigeladenen die Genehmigung zur Errichtung einer Pferdekoppel mit Unterstand und Heulager erteilt, welche in der Folge auch errichtet wurde. Der Bescheid von 2016 erlaubt die Haltung von drei Pferden, wobei eine dauerhafte Unterbringung nur von November bis Februar zulässig ist und im Übrigen fünf Stunden nicht übersteigen darf. Die Pferdekoppel ist „verpachtet“, wird jedoch teilweise auch von der Beigeladenen zur Einstellung und Beobachtung von Pferdepatienten genutzt.
Ein Bebauungsplan für den Vorhabenstandort existiert nicht. In der näheren Umgebung des Vorhabengrundstücks befinden sich neben Wohnhäusern auch eine Tankstelle, ein Fahrradgeschäft, eine Fahrschule und die Reithalle eines Reitvereins.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … (…). Dieses Grundstück liegt östlich des Vorhabengrundstücks auf der gegenüberliegenden Straßenseite und ist mit einem Wohnhaus bebaut. Die Entfernung zwischen dem Pferdeunterstand der Beigeladenen und dem Wohnhaus der Antragstellerin beträgt ca. 40 m. Die Entfernung zwischen den Grundstücksgrenzen beträgt ca. 15 m. Das Grundstück der Antragstellerin liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplan Nr. 12, welcher für das Antragstellergrundstück als Art der baulichen Nutzung ein allgemeines Wohngebiet festlegt.
Mit formlosen Schreiben vom 10. September 2021 und 9. Oktober 2021 wandte sich die Beigeladene an das Landratsamt und beantragte im Ergebnis eine Nutzungsänderung im Sinne einer Änderung der Betriebsweise. Die engmaschigen Vorgaben im Bescheid von 2016 seien praktisch nur schwer umsetzbar. Aufgrund der Notwendigkeit der tierärztlichen Tätigkeit sei eine Unterbringung von nur fünf Stunden außerhalb der Wintersaison nicht praktikabel. Da der „Pächter“ mehrere Koppeln habe, stünden seine Pferde nur tageweise auf der Koppel der Beigeladenen. Die Einstellung und Beobachtung von Pferdepatienten durch die Beigeladene selbst dauere nur wenige Tage. Eine Beschränkung auf fünf Stunden sei aber nicht einhaltbar. Der anfallende Mist werde täglich in die befestigte Mistlege des nahegelegenen (25 m) Reitstalls verbracht.
Mit Bescheid vom 23. November 2021 wurde die Baugenehmigung als „Änderungsgenehmigung zum Bescheid vom 7. September 2016“ erteilt. In der streitgegenständlichen Baugenehmigung ist in expliziter Ersetzung der immissionsschutzrechtlichen Regelungen aus dem Bescheid von 2016 festgesetzt, dass die Pferdekoppel im Rahmen der tierärztlichen Tätigkeit zur Einstellung und Beobachtung von Pferdepatienten genutzt werden darf. Die Nutzung als Wechselkoppel für Dritte ist zulässig. Auf der Koppel dürfen maximal fünf Pferde gehalten werden. Der auf der Pferdekoppel anfallende Mist ist täglich zu entfernen und ordnungsgemäß zu entsorgen. Der An- und Abtransport von Pferden mit Kraftfahrzeugen und Anhängern ist nur tagsüber und außerhalb der Ruhezeiten zulässig.
Mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2021 ließ die Antragstellerin Klage gegen den Bescheid vom 23. November 2021 erheben, über die bis heute noch nicht entschieden ist. Mit Schriftsatz vom 5. April 2022 ließ die Antragstellerin auch Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz einreichen. In tatsächlicher Hinsicht wird ausgeführt, dass die Antragstellerin aufgrund der vorherrschenden West-Wetterlagen den Geruchsemissionen des Pferde-Urins und des Pferdemists ungehindert ausgesetzt sei. Der Ammoniak-Geruch sei sehr schädlich für Menschen mit Lungenkrankheiten wie der Antragstellerin, die an COPD erkrankt sei und deshalb eine Schwerbehinderung mit einem Grad von 80 habe. Vor allem in der Sommerzeit sei die Geruchsbelastung unerträglich und oft stünden die Mist-Schubkarren tagelang am Straßenrand und verstärkten den Gestank. Die Pferdekoppel sei unstreitig seit Jahrzehnten genutzt worden, jedoch plötzlich im Jahr 2015 von der Beigeladenen erheblich vergrößert und auf die „volle Grundstücksbreite“ ohne erforderliche Baugenehmigung erweitert worden. Diese Erweiterung sei bauaufsichtlich mit Bescheid vom 7. September 2016 genehmigt worden. Der Genehmigung sei offensichtlich ein verwaltungsgerichtliches Verfahren vorausgegangen. Internen Vermerken des Landratsamts sei zu entnehmen, dass eine Prüfung der Genehmigungsfähigkeit des Bauvorhabens nicht stattgefunden habe (wird weiter ausgeführt). Die Auflagen des Ausgangsbescheids seien auch seitens des Pächters nicht eingehalten worden.
In rechtlicher Hinsicht wird ausgeführt, dass dem Antrag auf einstweiligen Rechtschutz stattzugeben sei, da die hier streitgegenständliche Baugenehmigung rechtswidrig sei und die Antragstellerin in ihren Rechten verletze. Die Realisierung verstoße gegen den sogenannten Gebietserhaltungsanspruch, da das Grundstück im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liege, der sowohl das Baugrundstück als auch die Umgebungsbebauung als allgemeines Wohngebiet ausweise (wird weiter ausgeführt). Die Baugenehmigung sei auch rechtswidrig, da ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vorliege. Die Geruchs- und insbesondere Geräuschimmissionen, die vom Betrieb der Pferdekoppel ausgingen, belästigten die Antragstellerin. Die Mindestentfernung von 25 m, die das Landratsamt als maßgeblich zu Grunde gelegt habe, werde vorliegend unterschritten. Tatsächlich betrage die Entfernung zwischen Pferdekoppel und Grundstück der Antragstellerin lediglich 18 m. Damit sei vorliegend eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots gegeben.
Mit Schriftsatz vom 5. April 2022 beantragt die Antragstellerin (sinngemäß):
1. Die aufschiebende Wirkung der eingereichten Klage gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung wird angeordnet.
2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Beizuladenden aufzugeben, die Bauarbeiten sofort einzustellen und alle Maßnahmen zum Ausführen des Bauvorhabens zu unterlassen.
Mit Schriftsatz vom 19. April 2022 beantragt der Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs schon deswegen nicht vorliegen könne, weil sich das Wohnhaus der Antragstellerin und das streitgegenständliche Vorhaben der Beigeladenen nicht im selben Baugebiet befänden. Das Vorhabensgrundstück liege nicht im Geltungsbereich des hier maßgeblichen Bebauungsplans. Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme liege nicht vor, da von dem genehmigten Vorhaben keine unzumutbaren Belästigungen oder Störungen ausgingen. Gemäß des Kapitels 3.3.2 der Abstandsregelung für Rinder- und Pferdehaltungen des Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ seien bei kleineren Bestandsgrößen (unter 50 GV Pferde) nur im Nahbereich unterhalb von 25 m gegenüber Wohngebieten erhebliche Geruchsbelästigungen zu vermuten. Als relevante Emissionsquellen seien bei einer Pferdehaltung neben dem Pferdestall auch eine eventuell vorhandene Dungstätte zu berücksichtigen. Die streitgegenständliche Pferdehaltung der Beigeladenen bewege sich mit bis zu fünf Pferden und damit maximal 5,5 GV eher im unteren Bereich der Anwendungsregel. Zudem sei entgegen der Ansicht der Vertreterin der Antragstellerin nicht auf den Abstand der Pferdekoppel, sondern auf den des Pferdestalls zum Wohnhaus abzustellen. Dieser Abstand betrage 40 m. Eine Dungstätte bestehe nicht. Hinsichtlich des Lärmschutzes sei eine fachliche Beurteilung durch den Umweltingenieur vorgenommen worden, welche am 27. Juli 2015 abgefasst worden sei. Unter Berücksichtigung der dort vorgeschlagenen Auflagen, welche Teil des Genehmigungsbescheides seien, sei nicht mit erheblichen Lärmbelästigungen zu rechnen. Anzumerken sei, dass hierbei der strengere Lärmgrenzwert für ein allgemeines Wohngebiet zu Grunde gelegt worden sei, die Antragstellerin jedoch aufgrund der Lage ihres Grundstücks am Rand des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans wohl gar nicht einen solchen Schutz für sich in Anspruch nehmen könne.
Die Beigeladene äußerte sich nicht im Rahmen dieses Verfahrens.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid ist zulässig, aber unbegründet.
Nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen, soweit der Klage – wie im vorliegenden Fall – aufgrund § 80 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 212a BauGB keine aufschiebende Wirkung zukommt. Hierbei trifft das Gericht eine originäre Ermessensentscheidung, welche sich in erster Linie an den Erfolgsaussichten der Hauptsache (BayVGH, B. v. 26.4.2021 – 15 CS 21.1081 – juris Rn. 22) orientiert. Dem Charakter des vorläufigen Rechtsschutzes entspricht es, dass diese Prüfung grundsätzlich nur summarisch erfolgt, da für eine Beweisaufnahme grundsätzlich bei diesen Verfahren kein Raum bleibt. Bei offenen Erfolgsaussichten wird die Ermessensentscheidung anhand einer Interessenabwägung getroffen (BayVGH a.a.O.).
1. Die Anfechtungsklage hat nach summarischer Prüfung wohl keine Aussicht auf Erfolg, da die angegriffene Baugenehmigung rechtmäßig ist und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Einem Kläger kommt im Rahmen einer Drittanfechtungsklage gegen eine an einen Dritten gerichtete Baugenehmigung kein Vollüberprüfungsanspruch zu. Vielmehr kann der Kläger als Nachbar nur solche Rechtsverletzungen ins Feld führen, die auf Normen beruhen, die in qualifizierter und individualisierter Weise gerade auch dem Schutz des Klägers dienen (BayVGH, B. v. 26.5.2020 – 15 ZB 19.2231 – juris Rn. 8). Soweit ein Vorhaben im Innenbereich in Streit steht, sind solche (bauplanungsrechtlich) drittschützenden Rechte regelmäßig nur aus dem Gebot der Rücksichtnahme oder aus einem im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 2 BauGB denkbaren Gebietserhaltungsanspruch ableitbar.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung im Rahmen einer Drittanfechtungsklage ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung. Eine davon abweichende Verlagerung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kommt allerdings dann in Betracht, wenn sich die Sach- und Rechtslage zugunsten des Genehmigungsinhaber verändert hat, da kein Grund besteht, eine in der Vergangenheit rechtswidrig erteilte Genehmigung aufzuheben, wenn sie mittlerweile sofort wieder erteilt werden müsste (BVerwG, B. v. 23.4.1998 – 4 B 40/98 – juris Rn. 3 m.w.N. = NVwZ 1998, 1179).
1.1 Der Gebietserhaltungsanspruch gibt Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet einen Abwehranspruch gegen nach der Art der baulichen Nutzung unzulässige Vorhaben, um sich gegen eine schleichende Umwandlung des Baugebiets zu wehren. Der Anspruch beruht auf dem Gedanken einer bodenrechtlichen Schicksalsgemeinschaft aller Eigentümer von Grundstücken innerhalb eines Baugebiets und ist deswegen von einer konkreten Betroffenheit durch das in Frage stehende Vorhaben unabhängig. Er gilt grundsätzlich wesensgleich im Anwendungsbereich von § 34 Abs. 2 BauGB (zum Ganzen BVerwG, B.v. 22.12.2011 – 4 B 32/11 – juris Rn. 5 m.w.N. = ZfBR 2012, 378, BayVGH, B.v. 23.2.2021 – 15 CS 21.403 – juris Rn. 62 m.w.N.).
Der Gebietserhaltungsanspruch ist dabei räumlich grundsätzlich auf diejenigen Grundstückseigentümer begrenzt, deren Grundstücke im gleichen Baugebiet liegen, wobei nicht der Geltungsbereich des Bebauungsplans, sondern die konkrete Baugebietsgrenze maßgeblich ist (BVerwG, B.v. 10.1.2013 – 4 B 48/12 – juris Rn. 4 m.w.N. = BauR 2013, 934; BayVGH, B.v. 18.2.2020 – 15 CS 20.57 – juris Rn. 18 = NVwZ-RR 2020, 671).
Ein Verstoß gegen den Gebietserhaltungsanspruch scheidet hier aus, da das Grundstück der Beigeladenen im unbeplanten Innenbereich liegt, der wohl einem Misch- oder Dorfgebiet entspricht (§ 34 Abs. 2 BauGB), wohingegen das Grundstück der Antragstellerin im Geltungsbereich des Bebauungsplan Nr. 12 liegt, welcher ein allgemeines Wohngebiet festlegt. Ein „gebietsübergreifender“ Abwehranspruch ist nur in Ausnahmefällen denkbar, jedoch im Anwendungsbereich von § 34 Abs. 2 BauGB systematisch ausgeschlossen (BVerwG, B.v. 10.1.2013 – 4 B 48/12 – juris Rn. 5 m.w.N. = BauR 2013, 934).
1.2 Das Gebot der Rücksichtnahme ist kein generelles Rechtsprinzip des öffentlichen Baurechts und verkörpert auch keine allgemeine Härteregelung, die über den speziellen Vorschriften des Städtebaurechts oder gar des gesamten öffentlichen Baurechts steht. Es ist vielmehr Bestandteil einzelner gesetzlicher Vorschriften des Baurechts (BVerwG, U.v. 30.9.1983 – 4 C 74.78 – BVerwGE 68, 58, 60) und als solches in den Tatbestandsmerkmalen der §§ 30 bis 35 BauGB und des § 15 Abs. 1 BauNVO enthalten (BVerwG, U.v. 30.9.1983 a.a.O.). Es ist gegenüber anderen (ausdrücklich und von vornherein) nachbarschützenden Vorschriften subsidiär (BVerwG, U.v. 27.6.2017 – 4 C 3.16 – juris Rn. 10).
Im unbeplanten Innenbereich ergibt sich das Gebot der Rücksichtnahme aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V. m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (im Falle eines sog. „faktischen Baugebiets“) oder über den Begriff des „Einfügens“ in § 34 Abs. 1 BauGB (im Falle einer sog. „Gemengelage“) (vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 25).
Nach gefestigter Rechtsprechung hängen die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen (BayVGH, B.v. 30.7.2021 – 1 CS 21.1506 – juris Rn. 10). Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris Rn. 11).
1.2.1 Soweit ein Rücksichtnahmeverstoß aufgrund von Immissionsbelastungen geltend gemacht wird, wird zur Konturierung der Zumutbarkeitsschwelle des Rücksichtnahmegebots auf die materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts, also auf die Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen i.S. von § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 BImSchG zurückgegriffen (BVerwG, U. v. 23.9.1999 – 4 C 6/98 – juris Rn. 22 = BVerwGE 109, 314, vgl. BayVGH, B. v. 16.7.2019 – 15 ZB 17.2529 – juris Rn. 15 m.w.N.). Für die Frage, ob die in § 3 Abs. 1 BImSchG geregelte „Schädlichkeitsgrenze“ im Sinne einer Gefahr, eines erheblichen Nachteils oder erheblichen Belästigung vorliegt, ist auf das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen abzustellen, da das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot die Beziehungen zwischen Grundstückseigentümern und nicht den konkret betroffenen Personen regelt (BVerwG, U. v. 23.9.1999 – 4 C 6/98 – juris Rn. 29 = BVerwGE 109, 314, BayVGH, U. v. 6.5.2013 – 22 B 12.1967 – juris Rn. 37 = UPR 2014, 151).
Bei der Beurteilung einer Lärmbelastung kommt der TA Lärm als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift eine im gerichtlichen Verfahren grundsätzlich zu beachtende Bindungswirkung zu, soweit diese für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2019 – 15 CE 18.2652 – juris Rn. 26 m.w.N.). Für die Einhaltung der aus §§ 3, 22 BImSchG folgenden Verpflichtung, das Vorhaben so zu errichten und zu betreiben, dass von ihm keine das zulässige Maß überschreitenden schädlichen Umwelteinwirkungen ausgehen, hat die Baugenehmigungsbehörde im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens zu sorgen. Dabei können auch Auflagen in einer Baugenehmigung, die für den Betrieb der genehmigten Anlage die Einhaltung bestimmter Immissionsrichtwerte anordnen, ausreichend sicherstellen, dass die zugelassene Nutzung keine für die Nachbarschaft unzumutbaren und damit gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßenden Lärmimmissionen hervorruft (BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris Rn. 11).
Eine Anpassung dieser Grenzwerte ist jedoch immer dann möglich und eventuell auch nötig, wenn das den Immissionen ausgesetzte Grundstück bereits situativ vorbelastet ist, denn das Gebot der Rücksichtnahme wirkt wechselseitig (BVerwG, U. v. 23.5.1991 – 7 C 19/90 – juris Rn. 10 ff. = BVerwGE 88, 210, BayVGH, B.v. 18.3.2021 – 9 CS 21.119 – juris Rn. 15 m.w.N.). Die Grenze einer schutzmindernden Vorbelastung ist jedoch dort anzunehmen, wo diese bereits eine Gesundheitsgefahr darstellt (BVerwG a.a.O.). Eine solch situationsbedingte Vorbelastung kann etwa im Grenzbereich zwischen zwei verschiedenen Baugebietstypen anzunehmen sein, da dort aufgrund der Grenzlage nicht der gleiche Schutzanspruch gelten kann, wie „inmitten“ des Baugebiets (BayVGH, B.v. 16.1.2014 – 9 B 10.1979 – juris Rn. 21, BayVGH, U.v. 14.7.2006 – 1 BV 03.2179 u.a. – juris Rn. 41 f. = BayVBl 2007, 334). Gleiches gilt etwa, wenn Wohnbebauung in Randlage zum Außenbereich realisiert wird, da auch hier mit der Errichtung von privilegierten Vorhaben gerechnet werden muss (BayVGH, B. v. 3.2.2017 – 9 CS 16.2477 – juris Rn. 19). Die Vorbelastung kann durch die Anpassung der Grenzwerte auf einen „Mittelwert“ oder „Zwischenwert“ berücksichtigt werden (vgl. auch Ziffer 6.7 TA Lärm), wobei dieser jedoch nicht einem arithmetischen Mittel entspricht (BVerwG, B.v. 5.3.1984 – 4 B 171/83 – juris Rn. 3 = NVwZ 1984, 646, B.v. 28.9.1993 – 4 B 151/93 – juris Rn. 11 ff. = NVwZ-RR 1994, 139)
1.2.2 Das Gebot der Rücksichtnahme ist voraussichtlich nicht durch das Hervorrufen von Lärmimmissionen verletzt.
Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die TA Lärm auf den vorliegenden Fall mit Bindungswirkung oder aufgrund Ziffer 1 Abs. 2 lit. c) TA Lärm nur als sog. Orientierungshilfe angewendet werden kann (BayVGH, B. v. 3.5.2016 – 15 CS 15.1576 – juris Rn. 23 f. m.w.N.). Zwar ist grundsätzlich fraglich, ob zumindest bei landwirtschaftlichen Tierhaltungen die primär auf Gewerbelärm zugeschnittene TA-Lärm Anwendung findet, jedoch ist im Mindestmaß ihre Geltung als Orientierungshilfe anerkannt (BayVGH a.a.O.).
Anhaltspunkte dafür, dass eventuell die Lärmgrenzwerte eines allgemeinen Wohngebiets bei der Antragstellerin überschritten sein könnten, sind nicht ersichtlich. Es erfolgte auch kein substantiierter Vortrag, woraus sich diese Überschreitung ergeben könnte. Insofern wäre für das Gericht zu berücksichtigen, dass Pferde als lärmscheue Tiere selber kaum Geräusche verursachen. Des Weiteren sind die eventuell zurechenbaren Geräusche durch An- und Abfahrtverkehr bei einem anzunehmenden Verbringen auf oder von der Koppel schon aufgrund der geringen Zahl der Pferde (maximal 5, Auflage Ziffer 3) wohl nicht weiter relevant. Insofern ist zu beachten, dass es sich bei den Lärmgrenzwerten um Mittelungspegel (vgl. Ziffer 2.10 TA Lärm) handelt, die durch die punktuellen Ereignisse von An- und Abfahrt wenig beeinflusst werden dürften. Im Übrigen ist ein solcher An- und Abfahrtsverkehr in der Nacht durch die Auflage Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids nicht erlaubt. Schließlich kann auf obige Rechtsprechung zu Mittelwerten im Grenzbereich verschiedener Baugebietstypen verwiesen werden, weshalb eventuell sogar eine Anpassung der Grenzwerte in Betracht käme, was hier jedoch nicht vertieft werden muss.
Soweit das Spitzenpegelkriterium aus Ziffer 6.1 Satz 2 TA Lärm angesprochen ist, darf auf die aktenkundige Stellungnahme der Fachkraft Immissionsschutz des Landratsamts vom 27. Juli 2015 hingewiesen werden, wonach auch das eventuell zu erwartende Wiehern von Pferden in der Nacht und selbst bei Aufenthalt im Koppelbereich die Grenzwerte einhält. Zu Recht weist der Antragsgegner hierbei darauf hin, dass dies unter Berücksichtigung des Grenzwerts für ein allgemeines Wohngebiet gilt, welcher hier womöglich gar nicht beansprucht werden kann.
1.2.3 Soweit das Gebot der Rücksichtnahme durch Schutz vor Geruchsimmissionen betroffen ist, gelten grundsätzlich obige Ausführungen entsprechend. Allerdings fehlen hierzu – jedenfalls zum hier noch maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses – verbindliche und abschließende Regelwerke zur Bemessung der „Schädlichkeitsgrenze“. Vielmehr liegen hier nur Orientierungshilfen vor, die im Gegensatz zu normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften nicht rechtssatzartig und schematisch angewendet werden dürfen, sondern den Umständen des Einzelfalls im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung angepasst werden können (BVerwG, U. v. 27.6.2017 – 4 C 3/16 – juris Rn. 12 ff. m.w.N. = BVerwGE 159, 187). Für Geruchsbelästigungen durch Tierhaltungen kann die Genehmigungsbehörde aus einer Reihe von anerkannten Orientierungshilfen wählen, um sich der Frage der Zumutbarkeit zu nähern (BayVGH, B. v. 4.12.2019 – 15 CS 19.2048 – juris Rn. 24 m.w.N.). Dazu gehört auch die Ausarbeitung des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“.
1.2.4 Das Gebot der Rücksichtnahme ist voraussichtlich auch nicht durch das Hervorrufen von unzumutbaren Geruchsimmissionen verletzt.
Zunächst ist anzumerken, dass Bezugspunkt für die in der Ausarbeitung genannten Abstände immissionsseitig der zum regelmäßigen Aufenthalt bestimmte Bereich des Grundstücks und nicht etwa die Grundstücksgrenze ist (vgl. dortiges Kapitel 3.3.1). Dies ist auch obergerichtlich anerkannt (BayVGH, B.v. 23.2.2021 – 15 CS 21.403 – juris Rn. 89 m.w.N.). Auf der Emissionsseite ist ein Abstellen auf einen Emissionsschwerpunkt korrekt, welchen sowohl die Stallung als auch eventuelle Mistlagerstätten darstellen können. Insofern ist nicht zu beanstanden, dass das Landratsamt auf den Abstand zwischen Stall und Wohnhaus abgestellt und diesen mit ca. 40 m beziffert hat. Das Gericht kommt nach überschlägiger Sachverhaltsprüfung auf einen vergleichbaren Wert.
Zwar ist zu betonen, dass die neuere Ausarbeitung des Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ (Stand 12/2015) nicht mehr einen „pauschalen“ Abstand von 25 m als Regel für die Zumutbarkeit von „kleinen Tierhaltungsanlagen bis 50 GV Pferde“ aufstellt. Vielmehr wird mittlerweile auf eine proportionale Abstandsregelung bezogen auf die GV-Zahl abgestellt. Jedoch ist nach überschlägiger Prüfung auch nach der neueren Ausarbeitung nicht anzunehmen, dass schädliche Geruchsimmissionen hervorgerufen werden.
Bei Zugrundelegung von 5,5 GV Pferde stellt die aktuelle Ausarbeitung „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ auf einen Abstand von mehr als 40 m ab, um erhebliche Geruchsbelästigungen im Sinne einer Vermutung auszuschließen. Bei einem Abstand von unter ca. 20 m sind solche Geruchsbelästigungen wiederum zu vermuten. Im Zwischenbereich verlangt die Ausarbeitung eine Einzelfallprüfung. Das bedeutet im Ergebnis, dass sich die hier konkrete Pferdehaltung im Grenzbereich zur Vermutung der Unerheblichkeit bewegt. Hier wäre für die Einzelfallwürdigung zu beachten, dass es faktisch kaum einen „messbaren Unterschied“ zwischen dem Abstandsbereich kurz vor der Vermutung der Unerheblichkeit und dem Abstandsbereich der Vermutung der Unerheblichkeit gibt. Es kann damit hier jedenfalls dahingestellt bleiben, ob der Abstand bereits so groß ist, dass belästigende Geruchsimmissionen vermutlich auszuschließen sind oder doch (gerade noch) eine Einzelfallprüfung erfolgen muss. In beiden Fällen müssten für das Gericht absolute Besonderheiten des Einzelfalls greifbar sein, die das Hervorrufen von erheblichen Geruchsbelästigung plausibel erscheinen ließen. Solche sind indes nicht ersichtlich.
Soweit die Antragstellerin auf eine angebliche Schwerbehinderung und Erkrankung mit COPD hinweist, gilt, dass gesundheitliche Besonderheiten einzelner Bewohner nicht zu berücksichtigen sind (BVerwG, B. v. 14.2.1994 – 4 B 152/93 – juris Rn. 20 ff. = GewArch 1994, 250, BayVGH, B. v. 2.3.2015 – 9 ZB 12.1377 – juris Rn. 23). Vielmehr ist auf das Empfinden eines „Durchschnittsmenschen“ abzustellen (s.o.).
Im Hinblick auf die vorgetragene Lage des Grundstücks (östlich des Beigeladenengrundstücks in einer Westwindzone) ist damit sicherlich eine vermehrte Wahrnehmung des Pferdegeruchs verbunden. Andererseits ist mit Blick auf die soeben aufgezeigten Abstände, die fast das Doppelte des Notwendigen erreichen, wohl keine Annahme von erheblichen Geruchsimmissionen gerechtfertigt. Hier ist zu berücksichtigen, dass Pferdehaltungen (vgl. Kapitel 3.3.2 der Ausarbeitung) grundsätzlich positiv bezüglich Sauberkeit zu bewerten sind. Ebenso ist positiv, dass eine Mistlagerung auf dem Grundstück selbst nicht zulässig ist und der Mist täglich in die ca. 25 m weiter südlich liegende Pferdehaltung verbracht werden muss. Schließlich gilt auch hier – ohne dass dies vertieft werden müsste -, dass eventuell sogar eine Vorbelastung mit der Pferdehaltung der nahegelegenen Reithalle eine Verminderung der Schutzwürdigkeit der Antragstellerin bedingen könnte (vgl. BVerwG, B.v. 28.9.1993 – 4 B 151/93 – juris Rn. 11 ff. = NVwZ-RR 1994, 139).
Soweit schließlich die Antragstellerin vortragen lässt, dass der Mist nicht ordnungsgemäß verbracht werden würde, wäre dieses Argument nicht erheblich, da es nicht mehr die Baugenehmigung als solches betrifft, sondern den Verstoß gegen diese (bzw. deren Auflagen) rügt. Gleiches gilt für angebliche Verstöße des Pächters der Beigeladenen.
Nach alledem wird die Anfechtungsklage wohl keinen Erfolg haben.
2. Im Hinblick auf die von der Antragstellerin beantragte „Einstellung der Bauarbeiten“ war diese im Hinblick auf einen eventuellen Hängebeschluss nicht notwendig, da nach bisheriger Aktenlage keine Baumaßnahmen Gegenstand des Verfahrens waren. Soweit damit eventuell § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO angesprochen sein sollte, kann keine Vollzugsbeseitigung verlangt werden, wenn schon – wie hier – der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz als solches abgelehnt (s.o. 1.) wird.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich die Beigeladene mangels Antragstellung keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es auch nicht der Billigkeit gemäß § 162 Abs. 3 VwGO, ihr einen Kostenerstattungsanspruch zuzusprechen.
Die Entscheidung zum Streitwert fußt auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs.


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