Baurecht

Privilegierung eines landwirtschaftlichen Altenteilerhauses und Verkehrsüblichkeit der Wohnfläche

Aktenzeichen  M 9 K 16.4267

Datum:
9.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 11452
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 1
BayBO Art. 54 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Ein Altenteilerhaus (Austragshaus) dient im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB einem landwirtschaftlichen Betrieb nur, wenn es in unmittelbarem Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Hofstelle steht, auf Dauer dem Generationenwechsel zur Verfügung steht und nach Größe, innerer und äußerer Ausstattung unter Berücksichtigung der Personenzahl verkehrsüblich ist. Darunter fällt auch eine angemessene Größe bezogen auf die Personenzahl. Für zwei Personen ist bei einer Wohnfläche von bis zu 100 m² von der Verkehrsüblichkeit auszugehen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid vom 16. August 2016 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 2. Februar 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO. Die Voraussetzungen für eine Anordnung zur Herstellung des genehmigten Zustands liegen vor, da die vom Kläger planabweichend vorgenommene Änderung des Innenausbaus und der damit verbundenen Nutzung formell und materiell rechtswidrig ist. Wegen des Verstoßes gegen Bauplanungsrecht ist eine Genehmigungsfähigkeit ausgeschlossen.
Zweifelsfrei und unstrittig ist der Innenausbau der im Erdgeschoss genehmigten Garage zu einem Wohnraum und des landwirtschaftlichen Lagers im Obergeschoss zu einem Bad und einem Kinderzimmer sowie einem Gang formell rechtswidrig, da dies sowohl als Nutzung als auch als Ausbau (Änderung) der Baugenehmigung vom 9. August 2011 widerspricht und keine Verfahrensfreiheit vorliegt. Nach der Baugenehmigung vom 9. August 2011 wurde südlich des Wohnhauses auf FlNr. … und zu einem kleineren Teil auf FlNr. … als einheitliches Gebäude der Neubau eines Austragshauses und einer Maschinenhalle nach Abbruch eines landwirtschaftlichen Nebengebäudes genehmigt. Ausweislich des genehmigten Plans (Grundriss, Schnitte, Ansichten, Erdgeschoss und Obergeschoss) wurde im Erdgeschoss zwischen dem östlichen Wohnteil und der westlich angrenzenden Maschinenhalle eine Garage (31,63 m²) genehmigt und darüber im Obergeschoss ein landwirtschaftliches Lager (31,63 m²). Ausweislich der Baukontrollen und bestätigt durch den Augenschein wurden statt dieser genehmigten Planung bereits mit dem Bau des Gebäudes stattdessen Wohn- und Nebenräume geschaffen und damit die Wohnfläche auf ca. 170 m² vergrößert.
Die Voraussetzungen des Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO für eine Anordnung, das Gebäude zur Herstellung des rechtmäßigen, genehmigten Zustands zu ändern, liegen vor, da die vorgenommenen Änderungen der Bauweise und der Nutzung gegen Bauplanungsrecht verstoßen und nicht genehmigungsfähig sind. Nach Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO sind die Bauaufsichtsbehörden befugt, in Wahrnehmung ihrer Aufgaben zur Bauüberwachung die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtet dabei dazu, nur Maßnahmen anzuordnen, die zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sind und dafür Sorge zu tragen, dass dabei die Belastung des Betroffenen in einem angemessenen Verhältnis zu den mit der Maßnahme verfolgten Interessen steht. Die Bauaufsichtsbehörde macht von ihrem Ermessen ordnungsgemäßen Gebrauch, wenn sie gegen baurechtswidrige Zustände mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln einschreitet. Dabei gilt der Grundsatz, das persönliche und wirtschaftliche Umstände regelmäßig unerheblich sind (Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, Kommentar Art. 54 RdNr. 15 f.).
Gemessen an diesen Maßstäben ist der Bescheid vom 16. August 2016 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 2. Februar 2017 im Rahmen der durch § 114 VwGO für die gerichtliche Überprüfung bestehenden Grenzen rechtlich nicht zu beanstanden. Als Folge des von der Baugenehmigung abweichenden Neubaus hat der Kläger auf seiner Hofstelle im Außenbereich zwei Wohnhäuser mit erheblicher Wohnfläche, die beide jeweils die angemessene Größe für ein Altenteilerhaus übersteigen. Nach dem Ergebnis des Augenscheins und nach Aktenlage hat auch das bestehende Wohnhaus, in dem nach Angaben des Klägers seine Eltern weiterhin wohnen, eine Wohnfläche von über 200 m². Der Vortrag des Klägers, es bestehe eine erhebliche Renovierungsbedürftigkeit und die Räume seien klein und schlecht geschnitten, ändert an der grundsätzlich vorhandenen Wohnfläche nichts.
Als zweites Wohnhaus ist der Neubau im Außenbereich nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert, da er nicht mehr die Voraussetzungen für ein Altenteilerhaus erfüllt. Altenteilerhäuser haben ihren Rechtfertigungsgrund für eine privilegierte Zulässigkeit darin, dass sie den notwendigen Generationenwechsel in der Landwirtschaft erleichtern und damit dem landwirtschaftlichen Betrieb dienen. Dabei ist Hintergrund die Wohnraumversorgung als Bestandteil der allgemeinen Altersversorgung der Altenteiler, wenn es sich um Vollerwerbslandwirtschaften handelt. Ein Altenteilerhaus dient deshalb im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB einem landwirtschaftlichen Betrieb nur, wenn es in unmittelbarem Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Hofstelle steht, auf Dauer dem Generationenwechsel zur Verfügung steht und nach Größe, innerer und äußerer Ausstattung unter Berücksichtigung der Personenzahl verkehrsüblich ist. Darunter fällt auch eine angemessene Größe bezogen auf die Personenzahl, an der es regelmäßig dann fehlt, wenn die Wohnfläche zu groß ist. Unter Berücksichtigung angemessener Größenverhältnisse ist dabei für zwei Personen bei einer Wohnfläche von bis zu 100 m² von der Verkehrsüblichkeit auszugehen; die darüber hinausgehenden Wohnflächen nach dem nicht mehr geltenden § 39 II. WoBauG, der seit 2002 nicht mehr in Kraft ist, sind gemessen an verkehrsüblichen Verhältnissen regelmäßig zu großzügig (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: Oktober 2017, § 35, RdNr. 45 m.w.N.).
Da im vorliegenden Fall wegen der Größe der Wohnfläche die Voraussetzung der Verkehrsüblichkeit fehlt, dient das Wohnhaus nicht mehr als Altenteilerhaus dem landwirtschaftlichen Betrieb und ist deshalb nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert. Eine Genehmigungsfähigkeit als sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB ist im Außenbereich wegen der beeinträchtigten öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB ausgeschlossen. Besonderheiten, die es rechtfertigen, dass ein weiteres Wohngebäude trotz fehlender Privilegierung im Außenbereich zugelassen werden kann, sind nicht erkennbar, so dass auch eine vorübergehende Duldung rechtlich nicht veranlasst ist. Nach Aktenlage und dem Vortrag der Beteiligten hat der Kläger in Kenntnis der Unzulässigkeit planabweichend gebaut. Die Vertreter des Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass wegen der Präzedenzwirkung und der Vielzahl entsprechender Fälle bauaufsichtlich eingeschritten werde.
Sonstige Bedenken gegen den Bescheid vom 16. August 2016 in Gestalt des Ergänzungsbescheides vom 2. Februar 2017 bestehen keine. Es entspricht pflichtgemäßem Ermessen, die Änderung in den genehmigten Zustand anzuordnen, wenn wie hier ein eklatant baurechtswidriger Zustand von Anfang an mit dem Neubau geschaffen wurde und eine nachträgliche Baugenehmigung nicht erfolgen kann. Ermessenserwägungen werden nicht nachgeschoben, § 114 Satz 2 VwGO, sondern durch neuen Verwaltungsakt ergänzt. Der Ergänzungsbescheid vom 2. Februar 2017 enthält umfangreiche Ermessenserwägungen unter Berücksichtigung des Einzelfalls. Ergänzend dazu wird darauf hingewiesen, dass die Anordnung der Herstellung genehmigter Zustände nach dem Ergebnis des Augenscheins und der mündlichen Verhandlung auch deshalb verhältnismäßig und angemessen ist, da hier durch den in wesentlichen Teilen von der Baugenehmigung abweichenden Bau und unter Berücksichtigung der Einheit des Bauvorhabens insgesamt von einem ungenehmigten Gebäude auszugehen ist, für das die Baugenehmigung vom 9. August 2011 keine Gültigkeit mehr hat.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selber trägt, da sie keinen Antrag gestellt und sich keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 f. ZPO.


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