Baurecht

Prüfung Bebauungsplans – Nähe von Industrie zur Wohnbebauung

Aktenzeichen  15 N 19.389

Datum:
12.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2740
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47
BauGB § 1 Abs. 7, § 215 Abs. 1
BImSchG § 50

 

Leitsatz

Der Trennungsgrundsatz des § 50 BImSchG ist eine Abwägungsdirektive und kann im Rahmen der planerischen Abwägung durch andere Belange von hohem Gewicht überwunden werden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist unzulässig, weil es dem Antragsteller an der Antragsbefugnis fehlt.
a) Die Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO) setzt voraus, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch den streitgegenständlichen Bebauungsplan in einem subjektiven Recht verletzt wird (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 10.12.2018 – 4 BN 27.18 – juris Rn. 5 m.w.N.). Ein subjektives Recht gewährt dabei auch das in § 1 Abs. 7 BauGB normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot. Es verleiht Privaten ein subjektives Recht darauf, dass ihre Belange in der Abwägung ihrem Gewicht entsprechend „abgearbeitet“ werden. Der Antragsteller, der ein (dingliches) Nießbrauchrecht an einem außerhalb des Plangebiets gelegenen Grundstück hat, kann sich daher im Normenkontrollverfahren grundsätzlich darauf berufen, dass seine abwägungserheblichen privaten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden.
b) Im Normenkontrollverfahren hat der Antragsteller jedoch nicht hinreichend substantiiert Tatsachen vorgetragen, welche die unzureichende Beachtung eines abwägungserheblichen Belangs als möglich erscheinen lassen. Damit ist die Antragsbefugnis zu verneinen (vgl. BVerwG, B.v. 10.12.2018 – 4 BN 27.18 – juris Rn. 8 m.w.N.).
aa) Die Behauptung des Klägers, die Planung begründe „ein erhebliches Risiko von Wassereintritten in alle Keller der B…straße“, ist nicht schlüssig. Die Antragsgegnerin hat im Planaufstellungsverfahren den Umstand, dass sich das Plangebiet in einem „wassersensiblen Bereich“ befindet und von „zeitweise wasserführenden Gräben umschlossen“ wird, wodurch die „Gefahr der Überschwemmung“ (durch Niederschlagsereignisse oder Schneeschmelze) besteht, bereits im Vorfeld berücksichtigt und – um eine „Gefährdung für Unter-, Ober-, An- und Hinterlieger auszuschließen“ in Abstimmung mit dem zuständigen Wasserwirtschaftsamt eine Hydraulische Berechnung für das betroffene Gebiet durchführen lassen (vgl. Hydraulische Untersuchung der EBB Ingenieurgesellschaft mbH vom 14.12.2017, S. 2 ff.). Im Rahmen des Hydraulischen Nachweises wurden die Maßnahmen ermittelt, die erforderlich sind, damit Hochwasserabflüsse der vorhandenen Gräben schadlos durch das Baugebiet abfließen können und keine Verschlechterungen für Anlieger eintreten (vgl. Begründung mit Umweltbericht zum Bebauungsplan vom 9.4.2018, S. 5). Die Antragsgegnerin hat, weil nach dem Ergebnis einer gesonderten geotechnischen Untersuchung das Plangebiet aufgrund der vorherrschenden bindigen Böden keine Versickerung von Niederschlagswasser ermöglicht, dementsprechend im Planverfahren vorgesehen, das vorgereinigte Niederschlagswasser über Rückhaltebecken gedrosselt in den das Plangebiet durchquerenden Graben einzuleiten (vgl. Begründung mit Umweltbericht zum Bebauungsplan vom 9.4.2018, S. 7). Der Bebauungsplan enthält die hierzu nötigen Festsetzungen über die im Süden des Plangebiets zu errichtenden „Rückhaltebecken“, während die Einzelheiten der Niederschlagswasserentsorgung Gegenstand des Antragsverfahrens auf wasserrechtliche Erlaubnis (bezüglich der gedrosselten Einleitung des zu entsorgenden Wassers in den von Norden nach Süden im Plangebiet und anschließend – außerhalb des Plangebiets – nach Osten führenden Graben) sind. Das Wasserwirtschaftsamt (Stellungnahme vom 22.3.2018) hat im Vorfeld keine Zweifel an der Realisierbarkeit der Niederschlagswasserentsorgung geäußert. Die Antragsgegnerin durfte im Planaufstellungsverfahren daher dem Grundsatz der „planerischen Zurückhaltung“ folgen (vgl. hierzu z.B. BayVGH, U.v. 14.12.2016 – 15 N 15.1201 – juris Rn. 57 ff.) und davon ausgehen, dass etwaige Detailprobleme der Niederschlagswasserentsorgung im wasserrechtlichen Verfahren gelöst werden können. Sie hat nach alledem zu Recht – in der Sitzung des Gemeinderats vom 16. April 2018 bei der abschließenden Abwägung der während der öffentlichen Auslegung des Bebauungsplans vorgebrachten Anregungen und Stellungnahmen – etwaige „weitergehende Anforderungen“ des Wasserwirtschaftsamts einer Lösung im wasserrechtlichen Verfahren überlassen. Das Vorbringen des Antragstellers im Normenkontrollverfahren ist nicht geeignet, diese fachlich fundierte Einschätzung in Zweifel zu ziehen. Die vom Antragsteller in der mündlichen Verhandlung dem Gericht übergebenen Unterlagen (Schreiben an die Antragsgegnerin vom 20.2.2017 und 8.4.2017 mit fünf Fotos) beziehen sich auf den nördlich des Wohnhauses des Antragstellers gelegenen Graben, der nach den Angaben des Antragstellers bei Starkregen und Schneeschmelze überlaufe, weil die Antragsgegnerin erforderliche Maßnahmen (z.B. Ausbaggerung zur Beseitigung eines Rückstaus „unter der Brücke“) unterlasse und der Graben „nach dem Durchlass stark“ ansteige, was zum Rückstau führe. Das Vorbringen des Antragstellers beschränkt sich allerdings auf den nördlichen – außerhalb des Plangebiets gelegenen – Graben. Es hat für den streitgegenständlichen Bebauungsplan damit ersichtlich keine Bedeutung. Die weitere Behauptung des Antragstellers, der Graben im Plangebiet steige „von Norden nach Süden leicht“ an, ist ebenfalls nicht geeignet, Zweifel an den bisherigen gutachterlichen Feststellungen zu begründen, dass die im Süden des Plangebiets vorgesehene Niederschlagswasserentsorgung – ohne Gefährdung der nördlich gelegenen Wohnnutzung – technisch realisierbar ist. Abgesehen davon, dass sich nach Aktenlage die Behauptung des Antragstellers zur Höhenentwicklung des Geländes nicht bestätigen lässt, bestehen auch keine nachvollziehbaren Zweifel daran, dass etwaige Höhenunterschiede im Gelände bei Realisierung der Niederschlagswasserentsorgung in den nach Süden verlaufenden Graben durch geeignete (technische) Maßnahmen ausgeglichen werden könnten. Zwar ist es dem Gericht bei der Prüfung der Antragsbefugnis verwehrt, den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären (vgl. BVerwG, B.v. 10.12.2018 – 4 BN 27.18 – juris Rn. 8 m.w.N.), so dass es insoweit auch auf die vom Antragsteller in der mündlichen Verhandlung (bedingt) beantragte Beweiserhebung (Durchführung eines Augenscheins und Einholung eines Gutachtens zur Frage der Höhenentwicklung im Plangebiet sowie zur Frage, welche Auswirkungen insoweit die zusätzliche Versiegelung der Flächen im Plangebiet hat), nicht ankommt. Das Gericht darf jedoch die Antragsbefugnis nicht schon dann bejahen, wenn Tatsachen im gerichtlichen Verfahren schlicht behauptet werden, sondern ist berechtigt, wenn nicht gar verpflichtet, Tatsachenvortrag auf seine Schlüssigkeit und voraussichtliche Belastbarkeit zu prüfen (vgl. BVerwG, B.v. 10.12.2018 – 4 BN 27.18 – juris Rn. 8 m.w.N.). Danach hat der Antragsteller in Bezug auf den von ihm befürchteten Wassereintritt in die Kellerräume keine Tatsachen vorgetragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass seine Belange im Rahmen der Abwägung fehlerhaft behandelt worden sind.
bb) Auch hinsichtlich der vom Antragsteller erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Hinweise auf mittlerweile bereits errichtete Parkplatzleuchten, die „zu einer taghellen Beleuchtung führen“, durfte die Antragsgegnerin im Planaufstellungsverfahren dem Grundsatz der „planerischen Zurückhaltung“ folgen. Abgesehen davon, dass der genannte Einwand schon wegen der versäumten gesetzlichen Frist für die Geltendmachung eines diesbezüglichen etwaigen Abwägungsfehlers (§ 215 Abs. 1 BauGB) nicht geeignet ist, einen Abwägungsfehler zu begründen, gibt es auch keinen Grund dafür, dass die Antragsgegnerin selbst Festsetzungen im Bebauungsplan zum Schutz der benachbarten Wohnnutzung vor unzumutbaren Lichtimmissionen hätte treffen müssen. Im Planaufstellungsverfahren gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Antragsgegnerin entsprechende Detailregelungen nicht dem Baugenehmigungsverfahren (in Bezug auf das konkrete Bauvorhaben) hätte überlassen dürfen. Dieselben Erwägungen gelten auch im Hinblick auf die vom Antragsteller erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Auffassung, durch die in der Nähe zu seinem Wohnhaus errichteten großen Hallen in seiner Sicht beschränkt zu sein. Der Antragsteller hat auch hier – vom Umstand der verspätet erhobenen Einwendung abgesehen – nicht schlüssig dargelegt, dass es zumindest möglich sei, dass seine Belange im Rahmen der Abwägung fehlerhaft behandelt worden sind.
cc) Das Vorbringen des Antragstellers bezüglich des durch „die Planung ausgelösten Verkehrs“, welches „erhebliche Lärmimmissionen“ zur Folge habe und betreffend die Verletzung des Trennungsgrundsatzes (§ 50 BImSchG) und des „Entwicklungsgebots“ durch „die Nähe von Industrie zur Wohnbebauung“ ist ebenfalls nicht hinreichend substantiiert, um es zumindest als möglich erscheinen zu lassen, dass die Belange des Antragstellers im Rahmen der Abwägung fehlerhaft behandelt worden sind.
Der Trennungsgrundsatz stellt kein zwingendes Gebot dar, sondern ist eine Abwägungsdirektive und kann im Rahmen der planerischen Abwägung durch andere Belange von hohem Gewicht überwunden werden. Maßgebend ist dabei eine Bewertung der konkreten Umstände des Einzelfalles. Ausnahmen sind insbesondere dann zulässig, wenn sichergestellt werden kann, dass von der projektierten Nutzung im Plangebiet nur unerhebliche Immissionen ausgehen und wenn im Einzelfall städtebauliche Gründe von besonderem Gewicht hinzutreten, die es rechtfertigen, eine planerische Vorsorge durch räumliche Trennung zurücktreten zu lassen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 19.4.2012 – 4 CN 3.11 – juris Rn. 29 m.w.N.).
Die in diesem Zusammenhang erhobenen Einwände des Antragstellers bezüglich der „Auswirkungen auf die benachbarte Wohnnutzung durch Gewerbelärm“ sind nicht schlüssig. Weshalb es „nicht ersichtlich“ sein soll, dass sich die geplanten Schallschutzmaßnahmen (Nr. 10 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans) „zugunsten des Antragstellers auswirken könnten“, erschließt sich dem Gericht nicht. Die Berechnungen der Schalltechnischen Untersuchung vom 11. September 2017 (S. 19/20) belegen vielmehr, dass das projektierte Vorhaben die benachbarte Wohnnutzung (hinsichtlich des Antragstellers auch bereits ohne Berücksichtigung der im Bebauungsplan festgesetzten Lärmschutzwand und erst recht unter Einbeziehung dieser Lärmschutzwand) nur unerheblich beeinträchtigt. Auch der Einwand des Antragstellers bezüglich der im Plangebiet zum Schutz der benachbarten Wohnnutzung festgesetzten Emissionskontingente ist nicht nachvollziehbar. Auch ohne die Möglichkeit der Einsichtnahme in die (in Bezug genommenen) DIN-Normen ist die Kontingentierung der Lärmemissionen aus sich heraus nachvollziehbar. Die Kontingentierung stellt sicher, dass die maßgeblichen Lärmimmissionswerte für die im „Dorfgebiet“ liegende benachbarte Wohnnutzung sicher eingehalten werden können. Weshalb ferner die „zeichnerischen Festsetzungen“ (insbesondere die „Abgrenzung der Richtungssektoren“) nur „schwer nachvollziehbar“ sein sollen und Belange des Antragstellers in diesem Zusammenhang bzw. durch eine nicht näher dargelegte Verletzung des „Entwicklungsgebots“ beeinträchtigt sein könnten, hat dieser ebenso nicht schlüssig dargelegt.
Auch die weitere Kritik des Antragstellers, das Lärmschutzgutachten habe die Verkehrsbelastung in der B…straße nicht in den Blick genommen, ist nicht geeignet, die Möglichkeit eines Abwägungsfehlers darzulegen, weil nach der Konzeption des Bebauungsplans die Zufahrt zum Plangebiet ausschließlich über die Bundesstraße B 15 erfolgt und damit nicht an der (Wohn-)Bebauung der B…straße entlang führt. Es gibt auch keinen Anhaltspunkt für die Unterstellung, dass die Zufahrt gleichwohl abweichend hiervon – unter Inkaufnahme eines Umwegs – auch über die B…straße erfolgen könnte, zumal die B…straße einer Tonnagebeschränkung (3,5 t) unterliegt. Der Umstand, dass wegen eines Umbaus der Bundesstraße der Baustellenverkehr im Sommer 2019 vorübergehend (und möglicherweise verkehrsordnungswidrig) über die B…straße verlaufen ist, steht dieser Bewertung nicht entgegen, weil diese Ausnahmesituation an der von der Antragsgegnerin beschlossenen Konzeption des Bebauungsplans (mit der ausschließlichen Zufahrt zum Plangebiet über die B 15) nichts ändert.
dd) Soweit sich der Antragsteller auf eine Verletzung des „interkommunalen Abwägungsgebots“ beruft, ist schon nicht ersichtlich, inwieweit ihn dies in eigenen Rechten berühren könnte. Dies gilt auch im Hinblick auf die geltend gemachten und als unbestimmt gerügten einzelnen textlichen Festsetzungen (namentlich Nr. 2 [betreffend „Bauweise“ und der darin geregelten Einhaltung des „seitlichen Grenzabstands“] und Nr. 6 [„Stellplätze“]), für die nicht dargelegt ist, inwieweit sie eigene Belange des Antragstellers betreffen könnten.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO.
3. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).


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