Baurecht

Prüfungsmaßstab bei Entscheidung über Antrag auf Fortdauer der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage

Aktenzeichen  22 AS 17.40023

Datum:
10.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80b Abs. 2, § 124 Abs. 2, § 124a Abs. 4, Abs. 5
BayBO BayBO Art. 82 Abs. 1, Abs. 2, Art. 83 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Für die Entscheidung über einen Antrag nach § 80b Abs. 2 VwGO gelten die gleichen Grundsätze wie für eine Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO. Wurde gegen die Abweisung der Anfechtungsklage (hier gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für zwei Windkraftanlagen) bereits die Berufung zugelassen, so genügt dies allein nicht für die Anordnung der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung; vielmehr ist ungeachtet der anhängigen Berufung eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der zugelassenen Berufung vorzunehmen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ist über die Zulassung der Berufung noch nicht entschieden worden, so können die Anforderungen an einen erfolgreichen vorläufigen Rechtsschutzantrag jedenfalls nicht geringer sein. Insbesondere wäre ein während des „offenen“ Antrags auf Zulassung der Berufung gestellter Antrag nach § 80b Abs. 2 VwGO nicht geeignet, das etwaige Fehlen einer der in § 124 Abs. 2 und § 124a Abs. 4 S. 4 iVm Abs. 5 S. 2 VwGO genannten Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung zu ersetzen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt der Antragsteller.
III. Der Streitwert wird auf 7.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wehrt sich gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für zwei Windkraftanlagen (nachfolgend: WKA) auf den Grundstücken FINr. 277 und FlNr. 376 (jeweils Gemarkung G.), die das Landratsamt L. der Beigeladenen mit Bescheid vom 12. November 2015 erteilt hat.
Die streitgegenständlichen WKA haben bei einem Rotorradius von 60 m eine Gesamthöhe von 199 m. Das Anwesen des Antragstellers ist (nach der im noch anhängigen Zulassungsverfahren 22 ZB 16.1445 unstreitigen Angabe des Antragsgegners/dortigen Beklagten) von der nächst gelegenen WKA 1306 m entfernt (Schriftsatz des Antragstellers/dortigen Klägers vom 15.8.2016, S. 10, Buchst. ee).
Das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth hat die Anfechtungsklage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 12. November 2015 mit Urteil vom 31. Mai 2016 abgewiesen.
Der Antragsteller hat hiergegen die Zulassung der Berufung beantragt und macht Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2, 3 und 4 VwGO geltend. Über diesen Antrag hat der Verwaltungsgerichtshof noch nicht entschieden.
Am 17. Juli 2017 hat der Antragsteller zudem gemäß § 80b Abs. 2 i.V.m. §§ 80a, 80 Abs. 5 VwGO beantragt,
die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung seiner mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom 31. Mai 2016 abgewiesenen Anfechtungsklage anzuordnen.
Er macht geltend: Die Beigeladene habe mit dem Bau der streitigen zwei WKA begonnen, die Arbeiten seien weit fortgeschritten. Zur Vermeidung unumkehrbarer Tatsachen sei es geboten, die Bauarbeiten vorläufig einzustellen. Der Antragsteller sei klagebefugt, da die streitige Genehmigung seine subjektiven Rechte verletze. Insbesondere könne er sich auf Fehler nach dem Umweltverfahrensrecht berufen, weil er zum Kreis der „Betroffenen“ zähle. Letzteres ergebe sich daraus, dass er – entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichtshofs in dessen Hinweis vom 27. April 2017 – im Einwirkungsbereich der WKA im Sinn von Nr. 2.2 der TA Lärm liege; die Belegenheit eines Immissionsorts innerhalb dieses Einwirkungsbereichs habe der Verwaltungsgerichtshof in seinem (in dem Hinweis vom 27.4.2017 in Bezug genommenen) Beschluss vom 20. Dezember 2016 – 22 AS 16.2421 – als Maßstab dafür angesehen, ob sich die auf geltend gemachte Lärmbeeinträchtigungen gestützte Möglichkeit der Verletzung subjektiver Rechte im Sinn des § 42 Abs. 1 VwGO begründen lasse. Der vorliegend der Entscheidung des Landratsamts und des Verwaltungsgerichts zugrunde gelegte, für das Wohnhaus des Antragstellers prognostizierte Beurteilungspegel (33 dB(A)), aus dem der Verwaltungsgerichtshof einen Pegelabstand von mehr als 10 dB(A) zum maßgeblichen Immissionsrichtwert (45 dB(A)) und damit eine Lage außerhalb des Einwirkungsbereichs der WKA im Sinn von Nr. 2.2 der TA Lärm abgeleitet habe, sei allerdings fehlerhaft; in Wirklichkeit sei ein höherer Beurteilungspegel zu erwarten. Dies ergebe sich daraus, dass – entgegen der Vorgehensweise des Gutachters im Genehmigungsverfahren (Büro I. vom 17.6.2013) – nicht nur die zwei streitgegenständlichen WKA untersucht werden müssten, sondern alle geplanten elf WKA als Gesamtheit, also einschließlich der im Landkreis Bamberg genehmigten neun WKA. Es handele sich nämlich bei diesen elf WKA um eine (einheitliche) Windfarm im Sinn des Umweltverfahrensrechts (Nr. 1.6 der Anlage 1 zum UVPG und Nr. 1.6 des Anhangs zur 4. BImSchV) und um eine gemeinsame Anlage im Sinn von § 1 Abs. 3 der 4. BImSchV, so dass der Schallpegel aller (jedenfalls nicht bloß der beiden streitigen WKA im Landkreis L.) insgesamt zu ermitteln und daraufhin zu untersuchen sei, ob er mehr als 10 dB(A) unter dem maßgeblichen Immissionsrichtwert bleibe. Nach einer nunmehr vom Antragsteller veranlassten Plausibilitätsprüfung des I.-Gutachtens durch die Fa. D. … vom 13. Juli 2017 sei aber zu erwarten, dass bei Einbeziehung aller elf WKA die prognostizierten Beurteilungspegel höher seien und dass die Berechnungen nicht nachvollzogen werden könnten.
Ein umweltverfahrensrechtlicher Fehler, den zu rügen der Antragsteller – aus den genannten Gründen – berechtigt sei, liege schon deswegen vor, weil das Landratsamt rechtsfehlerhaft nur auf die zwei WKA im Landkreis L. abgestellt, die anderen neun WKA im Landkreis Bamberg dagegen nicht berücksichtigt und damit verkannt habe, dass eine Windfarm vorliege, so dass es schließlich konsequent verfahrensfehlerhaft weder eine Umweltverträglichkeitsprüfung noch eine -vorprüfung durchgeführt habe. Wäre eine solche Prüfung fehlerfrei durchgeführt worden, so hätte sie gravierende Verstöße des Vorhabens gegen Naturschutzrecht und Artenschutzrecht offenbart.
Zudem sei der Antragsteller auch in anderer Weise in seinen Rechten verletzt. Dies gelte entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts in Bezug auf die „10 H-Regelung“ nach Art. 82 Abs. 1 BayBO. Den Abstand von „10 H“ halte die nächstgelegene (WKA 11) der beiden streitigen WKA nicht ein. Das Abstandserfordernis des Art. 82 Abs. 1 BauGB sei zugunsten der Wohnanwesen innerhalb des „10 H“-Bereichs drittschützend. Der Anwendbarkeit des Art. 82 Abs. 1 BayBO stehe auch nicht die Übergangsvorschrift des Art. 83 Abs. 1 BayBO entgegen, weil der Genehmigungsantrag dem Landratsamt am Stichtag (4.2.2014) noch nicht mit allen erforderlichen Unterlagen, also nur unvollständig vorgelegen habe.
Die streitigen WKA verursachten zu Lasten des Antragstellers außerdem schädliche Umwelteinwirkungen. Die TA Lärm, nach der hier der Beurteilungspegel prognostiziert worden sei, sei für die Ermittlung des Lärms von WKA ungeeignet; insbesondere seien der von WKA ausgehende tieffrequente Schall und Infraschall, der Effekt eines an- und abschwellenden Heultons und die Impulshaltigkeit des von WKA ausgehenden Geräusches, die vor dem Hintergrund eines belastenden Dauertons besonders störend seien, nicht berücksichtigt worden. Die WKA wirkten zudem infolge der besonderen Topographie (das Gelände falle von den WKA zum Grundstück des Antragstellers ab) auf die Bewohner im Anwesen des Antragstellers optisch bedrängend. Hinzu kämen Beeinträchtigungen durch Schattenschlag und „Disko-Effekt“.
Der Antragsgegner und die Beigeladene haben jeweils beantragt, den Antrag abzulehnen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und der gewechselten umfangreichen Schriftsätze wird auf die Gerichtsakten (einschließlich derjenigen des Berufungszulassungsverfahrens und des Verwaltungsgerichts) sowie auf die Verwaltungsverfahrensakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers hat keinen Erfolg.
Es kann offen bleiben, ob der Antrag im Hinblick auf eine Antragsbefugnis des Antragstellers (§ 42 Abs. 2 VwGO analog) zulässig ist. Er erweist sich jedenfalls als unbegründet.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 19.6.2007 – 4 VR 2.07 – BVerwGE 129, 58 Rn. 14) gelten für die Entscheidung über einen Antrag nach § 80b Abs. 2 VwGO die gleichen Grundsätze wie für eine Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO. Wurde gegen die Abweisung der Anfechtungsklage bereits die Berufung zugelassen, so genügt dies allein nicht für die Anordnung der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung; vielmehr ist ungeachtet der anhängigen Berufung eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der zugelassenen Berufung vorzunehmen (BayVGH, B.v. 20.12.2016 – 22 AS 16.2421 – NuR 2017, 276, juris Rn. 24 m.w.N.). Ist – wie vorliegend – über die Zulassung der Berufung noch nicht entschieden worden, so können die Anforderungen an einen erfolgreichen vorläufigen Rechtsschutzantrag jedenfalls nicht geringer sein. Insbesondere wäre ein während des „offenen“ Antrags auf Zulassung der Berufung gestellter Antrag nach § 80b Abs. 2 VwGO nicht geeignet, das etwaige Fehlen einer der in § 124 Abs. 2 und § 124a Abs. 4 Satz 4 i.V.m. Abs. 5 Satz 2 VwGO genannten Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung zu ersetzen. Insoweit unterscheidet sich die vorliegend gegebene prozessuale Konstellation auch von derjenigen, bei der das OVG Hamburg in einem (nur) ähnlich gelagerten Fall die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage von Drittbetroffenen angeordnet hat (OVG Hamburg, B.v. 23.6.2017 – 1 Bs 14.17 – juris).
Die Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Antrags auf Zulassung der Berufung ergibt vorliegend, dass das Interesse des Antragstellers daran, dass von der erteilten immissionsschutzrechtlichen Bau- und Betriebsgenehmigung für die beiden WKA vorläufig kein Gebrauch gemacht wird, hinter dem gegenläufigen Interesse der Beigeladenen zurückzutreten hat.
1. Dem Antrag auf Zulassung der Berufung können allenfalls offene Erfolgsaussichten bescheinigt werden.
1.1. Dies gilt im Hinblick auf die Klage- und die Antragsbefugnis des Antragstellers und insofern im Hinblick auf die – nach Ansicht des Antragstellers vom Verwaltungsgericht verkannte – drittschützende Wirkung des in Art. 82 Abs. 1 und 2 BayBO festgelegten Mindestabstands („10 H-Regelung“), den eine der strittigen WKA zum Wohnanwesen des Antragstellers nicht einhält. Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 28. Juli 2017 – 22 ZB 16.2119 – Rn. 12 bis 15 ausgeführt, dass – auch nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (BayVerfGH, E.v. 9.5.2016 – Vf. 14-VII-14 u.a. – NVwZ 2016, 999 Rn. 148) – die „Abstandsregelung“ in Art. 82 Abs. 1 BayBO nur eine bauplanungsrechtliche Regelung zur Einschränkung des Privilegierungstatbestands des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB enthält, so dass das Unterschreiten des Mindestabstands nach Art. 82 Abs. 1 BayBO eine hiervon betroffene WKA nicht per se unzulässig macht, sondern nur die Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB „entfallen“ lässt und damit die WKA auf ein Anforderungsniveau zurückführt, wie es andere nicht privilegierte Vorhaben im Außenbereich – also „sonstige Vorhaben“ im Sinn des § 35 Abs. 2 BauGB – gleichfalls haben. Gegen solche Vorhaben können Nachbarn nicht schon damit erfolgreich vorgehen, dass sie das Fehlen der Privilegierung bemängeln; vielmehr bedarf es hierfür einer Verletzung des betroffenen Nachbarn in subjektiven Rechten. Dass eine derartige Rechtsverletzung vorliegen könnte, ergibt sich aus den Darlegungen des Antragstellers im Zulassungsantrag nicht zweifelsfrei.
1.2. Zweifel an der Klage- und infolgedessen auch an der Antragsbefugnis des Antragstellers bestehen auch, soweit der Antragsteller Verstöße gegen umweltverfahrensrechtliche Vorschriften geltend macht. Zwar könnte vorliegend das durchgeführte immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren fehlerhaft gewesen sein, falls die streitgegenständlichen zwei WKA im Landkreis L. zusammen mit den im Landkreis Bamberg genehmigten weiteren neun WKA als eine einheitliche Windfarm hätten betrachtet werden müssen, für die gemäß Nr. 1.6.2 der Anlage 1 zum UVPG eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3c Satz 1 UVPG (i.d.F. vom 24.2.2010) durchzuführen gewesen wäre. Der Antragsteller könnte jedoch aus einem solchen Verfahrensfehler alleine keine Klage- bzw. Antragsbefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO ableiten; es bedürfte vielmehr der Herleitung der Klagebefugnis aus einem subjektiven materiellen Recht; dies gilt auch unter Berücksichtigung des § 4 Abs. 3 UmwRG, der nur die Sachprüfung im Rahmen eines zulässigen Rechtsbehelfsverfahrens betrifft, aber keine Bedeutung für die Prüfung der Klagebefugnis hat (vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2016 – 22 ZB 16.304 – Rn. 15; BVerwG, U.v. 2.10.2013 – 9 A 23.12 – NVwZ 2014, 367 Rn. 21 und U.v. 20.12.2011 – 9 A 30.10 – DVBl 2012, 501, juris Rn. 20; OVG Hamburg, B.v. 23.6.2017 – 1 Bs 14.17 – juris).
1.3. In Bezug auf die Möglichkeit einer Verletzung subjektiver materieller Rechte durch Geräuschimmissionen hat der Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom 20. Dezember 2016 (22 AS 16.2421, a.a.O., Rn. 39) auf den Einwirkungsbereich einer WKA abgestellt. Er hat ausgeführt, dass hinsichtlich der Annahme schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinn von § 3 Abs. 1 BImSchG wegen unzumutbarer Lärmbeeinträchtigungen problematisch erscheine, dass nach den Berechnungsergebnissen eines immissionsschutzfachlichen Gutachtens das dort betroffene Anwesen in Bezug auf die strittigen Windkraftanlagen außerhalb des Einwirkungsbereichs nach der TA Lärm liege. Dies ist nach Nr. 2.2 Buchst. a der TA Lärm dann der Fall, wenn am lärmbetroffenen Immissionsort die von der Anlage ausgehenden Geräusche einen Beurteilungspegel verursachen, der 10 dB(A) oder mehr unter dem für diesen Immissionsort maßgebenden Immissionsrichtwert liegt. Liegt ein Anwesen nicht innerhalb des Einwirkungsbereichs einer Anlage nach der TA Lärm, so dürfte es nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs in Bezug auf Lärmbeeinträchtigungen schon an der Möglichkeit der Verletzung subjektiver Rechte im Sinn von § 42 Abs. 2 VwGO, mithin an der Klagebefugnis, fehlen, auf die auch unter Berücksichtigung von § 4 Abs. 1 und 3 UmwRG nicht verzichtet werden könne (BayVGH, B.v. 20.12.2016 – 22 AS 16.2421 – juris Rn. 36). Die Klagebefugnis – soweit es um Geräuschimmissionen geht – an die Belegenheit des jeweiligen Anwesens im Einwirkungsbereich der Anlage im Sinn der Nr. 2.2 der TA Lärm zu knüpfen, liegt auch deshalb nahe, weil die Anwendung der drittschützenden Vorschriften des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB und des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG im Allgemeinen erfordert, dass der sich auf den Schutz dieser Vorschriften Berufende zur Nachbarschaft im Sinn von § 3 Abs. 1 BImSchG gehört; das Bundesverwaltungsgericht verwendet auch in diesem Zusammenhang den Begriff des Einwirkungsbereichs (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.1982 – 7 C 50.78 – NJW 1983, 1507).
Vorliegend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der nach der TA Lärm für die Nachtzeit maßgebliche Immissionsrichtwert von 45 dB(A) – um die Einhaltung der Tagwerte streiten die Beteiligten nicht – mit errechneten 33 dB(A) am maßgeblichen Immissionsort des klägerischen Anwesens erheblich unterschritten werde (UA S. 10); der damit gegebene „Pegelabstand“ von 12 dB(A) würde eine Lage des Anwesens des Antragstellers außerhalb des Einwirkungsbereichs nach Nr. 2.2 Buchst. a der TA Lärm bedeuten (Geräuschspitzen nach Nr. 2.2 Buchst. b der TA Lärm kommen vorliegend nicht in Betracht). Das Landratsamt hat auf den entsprechenden Einwand des Antragstellers arithmetisch ermittelt, dass selbst unter zusätzlicher Berücksichtigung der im Nachbarlandkreis geplanten neun weiteren WKA nur ein Gesamtbeurteilungspegel von 34 dB(A) zu erwarten sei, der immer noch 11 dB(A) unter dem maßgeblichen Immissionsrichtwert (45 dB(A)) läge.
Über die Richtigkeit der diesbezüglichen Schallimmissionsprognosen streiten sich die Beteiligten zwar im Berufungszulassungsverfahren. Daraus ergeben sich jedoch allenfalls derzeit offene Erfolgsaussichten des Antrags auf Zulassung der Berufung.
1.4. Soweit der Antragsteller geltend macht, die artenschutzrechtlichen Verbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG seien entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts drittschützend (Buchst. c auf S. 11 bis 13 des Schriftsatzes vom 15.8.2016 im Berufungszulassungsverfahren), hat er im Berufungszulassungsverfahren keine schlüssigen Gegenargumente vorgetragen. Insoweit gleicht die Sach- und Rechtslage sowie auch die Begründung des Berufungszulassungsantrags denjenigen vom Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Fällen, in denen der jeweilige Rechtsuchende vom selben Bevollmächtigten vertreten wurde wie der Antragsteller (Beschlüsse vom 16.9.2016 – 22 ZB 16.304 – und vom 17.1.2017 – 22 ZB 16.95). Deshalb kann insoweit auf die Ausführungen unter Rn. 19 und 20 (Beschluss vom 16.9.2016) bzw. Rn. 33 (Beschluss vom 17.1.2017) Bezug genommen werden.
1.5. Unzumutbare Beeinträchtigungen des Anwesens des Antragstellers durch andere Lärmimmissionen (soweit sie nicht den – schon oben behandelten – nächtlichen Immissionsrichtwert nach der TA Lärm betreffen), durch Schattenwurf, Infraschall und Lichtreflexionen können nahezu ausgeschlossen werden. Jedenfalls ist nach der Einschätzung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht davon auszugehen, dass die diesbezüglichen Darlegungen des Antragstellers im Berufungszulassungsverfahren zur Zulassung der Berufung führen können. Gleiches gilt für die geltend gemachte optische Beeinträchtigung durch die – ausschließlich streitgegenständlichen – zwei WKA in einer Entfernung von mehr als 1300 m vom Anwesen des Antragstellers.
2. Ob die Berufung aufgrund der vom Antragsteller geltend gemachten weiteren Zulassungsgründe (besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO; deren grundsätzliche Bedeutung, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO; Divergenz, § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) zuzulassen ist, kann vorliegend im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes dahinstehen. Wie schon oben dargelegt wurde, wäre auch im Fall einer zugelassenen Berufung eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Berufung vorzunehmen.
2.1. In diese Interessenabwägung ist einzustellen, dass vorliegend bereits die Klage- bzw. Antragsbefugnis des Antragstellers nicht als gesichert betrachtet werden kann. Es geht um die Belegenheit des Antragstelleranwesens im Einwirkungsbereich der WKA, also – anders als im oben genannten Fall des OVG Hamburg (OVG Hamburg, B.v. 23.6.2017, a.a.O.) – nicht nur um die Frage, ob aufgrund einer im Genehmigungsverfahren möglicherweise unzutreffenden Gebietseinstufung und wegen weiterer Fehler eine Überschreitung des maßgeblichen Immissionsschutzrichtwerts nach der TA Lärm in Betracht kommt. Wäre vorliegend die Möglichkeit einer Verletzung von Rechten des Antragstellers zu bejahen, so wären jedenfalls die durch die streitgegenständlichen WKA 1 und WKA 11 verursachten Beeinträchtigungen zu Lasten des Klägers äußerst gering (weil der Antragsteller nur die Genehmigung für die WKA 1 und 11 angegriffen hat, dagegen nicht gegen die neun im Landkreis Bamberg geplanten WKA vorgegangen ist, kommt es nur auf Beeinträchtigungen durch die WKA 1 und 11 an). Diese beiden WKA verursachen nach prognostischer Einschätzung des Gutachters der Beigeladenen, der das Landratsamt aus fachlicher Sicht beigetreten ist, am Anwesen des Antragstellers voraussichtlich einen irrelevant niedrigen, jedenfalls aber beträchtlich unter dem maßgeblichen Immissionsrichtwert liegenden Beurteilungspegel. Die optische Beeinträchtigung durch die beiden WKA 1 und 11 ist – sollte sie überhaupt ein rechtserhebliches Maß erreichen können – jedenfalls vernachlässigenswert gering.
2.2. Zwar hat das OVG Hamburg in der genannten Entscheidung (OVG Hamburg, B.v. 23.6.2017, a.a.O.) dem Aussetzungsinteresse des dortigen Dritten großes Gewicht beigemessen, obgleich dieser durch den Betrieb der von ihm bekämpften Anlage voraussichtlich nicht in eigenen materiellen Rechten verletzt werde; das OVG Hamburg hat zur Begründung seiner Auffassung ausgeführt, hinter § 4 Abs. 3 UmwRG stehe das öffentliche Interesse an der wirksamen Durchsetzung umweltverfahrensrechtlicher Vorschriften (OVG Hamburg, B.v. 23.6.2017 -1 Bs 14.17 – juris Rn. 65). Vorliegend ist – im Unterschied zum dortigen Fall – allerdings zum Einen die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass – was anhand der Verfahrensakten des Landratsamts L* … nicht hinreichend beurteilt werden kann – im Nachbarlandkreis eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht nur für die dort beantragten neun WKA, sondern für alle der insgesamt elf zum Windpark gehördenden WKA rechtsfehlerfrei entsprechend den gesetzlichen Anforderungen durchgeführt wurde. Zum Anderen ist wegen der zweifelhaften Klagebefugnis des Antragstellers hier fraglich, ob die Vorschrift des § 4 Abs. 3 UmwRG überhaupt zur Anwendung kommt. Zum Weiteren könnte mit der vorliegenden Anfechtungsklage den Umweltschutzbelangen allenfalls in Bezug auf die beiden streitgegenständlichen WKA Rechnung getragen werden, wogegen für die anderen neun WKA – soweit ersichtlich – bestandskräftige Genehmigungen bestehen.
2.3. Demgegenüber steht das nachvollziehbare Interesse der Beigeladenen an einem möglichst raschen Baubeginn und einer schnellen Inbetriebnahme der WKA. Dem Verwaltungsgerichtshof ist aus zahlreichen Verfahren bekannt, dass ein Baustopp bei einer WKA regelmäßig mit erheblichen Verlusten einhergeht (vgl. BayVGH, B.v. 8.6.2015 – 22 CS 15.686 u.a. – Rn. 51). Der Vortrag der Beigeladenen, wonach dies auch in ihrem Fall so sei, ist nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass selbst für den Fall, dass sich in einem Berufungsverfahren die angefochtene immissionsschutzrechtliche Genehmigung nicht nur als objektiv rechtswidrig, sondern auch als zu Lasten des Antragstellers „rechtsverletzend“ erweisen sollte und deshalb aufzuheben wäre, dem Antragsteller in der begrenzten Zwischenzeit bis zur Rechtskraft eines Berufungsurteils aus den o.g. Gründen zumindest keine schweren irreparablen Nachteile entstehen würden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene hat sich durch ihren Antragsablehnungsantrag ihrerseits einem Kostenrisiko ausgesetzt (§ 154 Abs. 3 VwGO) und das Verfahren durch Sachvortrag gefördert; es entspricht daher der Billigkeit im Sinn von § 162 Abs. 3 VwGO, ihre außergerichtlichen Kosten dem Antragsteller aufzuerlegen.
Der Streitwert wurde gemäß § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 3 GKG festgesetzt.


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