Baurecht

Rechtmäßigkeit des Vorausleistungsbescheids der Antragsgegnerin

Aktenzeichen  M 28 S 17.3377

Datum:
20.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28825
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BayKAG Art. 5a
BauGB § 129 Abs. 1 S. 3, § 131 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Bei der Verteilung des Erschließungsaufwands ist vom bürgerlich-rechtlichen Begriff des Grundstücks im Sinne des Grundbuchrechts (formeller Grundstücksbegriff) auszugehen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die heranzuziehende Fläche eines Buchgrundstücks ist nicht deshalb zu reduzieren, weil die Erschließungswirkung der abzurechnenden Anlage ausnahmsweise auf eine Teilfläche des Buchgrundstücks beschränkt ist („begrenzte Erschließungswirkung“). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.955,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Eigentümer der Grundstücke FlNrn. 484/2 (mit einer Größe von 533 qm) und 484/29 (mit einer Größe von 570 qm, beide Grundstücke nachfolgend stets: Gemarkung I…). Ausweislich des Grundbuchs wurden diese beiden Flurstücknummern nach Zerlegung des Grundstücks FlNr. 484/2 (mit einer früheren Größe von 1.103 qm) am 12. April 2017 unter einer laufenden Nummer im Grundbuch eingetragen.
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. April 2017 wurde für das Grundstück FlNr. 484/2 eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag für die (westlich entlang des Grundstücks FlNr. 484/2 verlaufende) Erschließungsanlage „D…“ in Höhe von 15.136,00 € festgesetzt (Ziffer 1. des Bescheids) und der Antragsteller zur Zahlung dieses Erschließungsbeitrags aufgefordert (Ziffer 2. des Bescheids). Die Grundstücksfläche des abzurechnenden Grundstücks wurde dabei mit 1.103 qm angesetzt.
Mit Schreiben vom 2. Mai 2017, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 8. Mai 2017, erhob der Antragsteller Widerspruch gegen diesen Bescheid, über den – soweit ersichtlich – bislang nicht entschieden wurde.
Anträge auf Aussetzung der Vollziehung vom 2. Mai und vom 30. Mai 2017, letzterer soweit ein über 7.314,17 € hinausgehender Erschließungsbeitrag gefordert wurde, lehnt die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 11. Mai und 8. Juni 2017 ab.
Am 24. Juli 2017 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht München,
die aufschiebende Wirkung des vom Antragsteller gegen den Vorausleistungsbescheid der Antragsgegnerin vom 19. April 2017 eingelegten Widerspruch vom 2. Mai 2017 wieder herzustellen, soweit eine Erschließungsbeitragsvorausleistung mit einem anteiligen Betrag von 7.821,83 € erhoben wird.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Ansatz einer Grundstücksfläche von 1.103 qm für das Grundstück FlNr. 484/2 sei unzutreffend, da das Grundstück nur eine Grundstücksgröße von 533 qm habe. Den auf die tatsächliche Grundstücksgröße entfallenden Anteil von 7.314,17 € habe der Antragsteller bereits bezahlt. Das Grundstück FlNr. 484/29 werde nicht vom D… erschlossen, der Gegenstand der Erschließungsmaßnahme sei.
Mit Schriftsatz vom 4. August 2017 beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Die Antragsgegnerin habe die Teilung des Grundstücks FlNr. 484/2 als unbeachtlich ansehen können. Vor Erhebung der Vorausleistungen habe eine Informationsveranstaltung der Anlieger stattgefunden, bei der die beabsichtigten Maßnahmen und der Abrechnungsplan vorgestellt worden seien. Vor Bescheidserlass sei durch die Antragsgegnerin (am 12. April 2017 vormittags) nochmals eine Grundbucheinsicht erfolgt, eine Teilung des Grundstücks FlNr. 484/2 sei dabei nicht ersichtlich gewesen. Der entsprechende Eintrag sei am 12. April 2017 vermutlich erst nachmittags erfolgt. Der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt, nämlich der Ausspruch bzw. die Verkündung der Erhebung von Vorausleistungen gegenüber dem Beitragspflichtigen, liege deutlich vor diesem Zeitpunkt, nämlich in der Einladung zur Informationsveranstaltung bzw. dieser Veranstaltung selbst. Im Übrigen liege hinsichtlich der Teilung auch ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten vor. Dies nicht nur wegen der zeitlichen Nähe zu der angekündigten Vorausleistungserhebung, sondern auch wegen der mittigen Teilung des bestehenden Wohnhauses. Ohnehin seien mit der Umschreibung im Grundbuch nicht zwei neue Grundstücke gebildet worden, sondern sei lediglich eine „Zerlegung im Eigenbesitz“ vollzogen worden. Mit der Eintragung zweier Flurnummern unter einer Nummer im Bestandsverzeichnis sei ein sog. Einheitsgrundstück gebildet worden. Letztlich würden beide Flurnummern auch einheitlich genutzt.
Der Antragsteller nahm hierzu mit Schriftsatz vom 7. September 2017 nochmals ausführlich Stellung. Wenn die Erschließungsanlage gegenwärtig voll benutzbar sei, dürften keine Vorausleistungen mehr eingefordert werden. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Vorausleistungsbescheids sei die Bekanntgabe des Beitragsbescheids. In diesem Zeitpunkt habe das allein erschlossene Grundstück FlNr. 484/2 lediglich eine Fläche von 533 qm aufgewiesen. Eine rechtsmissbräuchliche Grundstücksteilung liege nicht vor, die Gebäude auf den beiden Grundstücken seien abbruchreif, der Antragsteller sei gegenwärtig mit der Planung von zwei Doppelhaushälften auf den Grundstücken befasst.
Am 6. Dezember 2017 erging gegenüber der Antragstellerseite ein gerichtliches Hinweisschreiben. Hierzu nahm der Antragsteller mit Schriftsatz vom 29. Januar 2018 Stellung. Im Grundbuch sei eine eindeutige katastermäßige Aufgliederung in zwei Grundstücke vorgenommen worden. Im Übrigen könnten im Erschließungsbeitragsrecht auch Ausnahmen vom grundbuchrechtlichen Grundstücksbegriff gegeben sein, wenn planerische Bestimmungen die Zuordnung eines Grundstücks zu einer bestimmten Anbaustraße begründeten. Vorliegend könne nur die FlNr. 484/2 der abgerechneten Erschließungsanlage zugeordnet werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
II.
Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs und einer Anfechtungsklage anordnen oder wiederherstellen, wenn sie gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO kraft Gesetzes oder durch behördliche Anordnung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ausgeschlossen ist. Nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt im vorliegenden Fall dem eingelegten Widerspruch kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zu, weil mit dem angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin eine Vorausleistung auf einen Erschließungsbeitrag, also eine öffentliche Abgabe, gefordert wird.
§ 80 Abs. 5 VwGO besagt nichts darüber, unter welchen Voraussetzungen die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2007 – 19 CS 07.400 – juris Rn. 30; B.v. 6.2.1996 – 23 CS 94.3550 – juris Rn. 17) und der ständigen Rechtsprechung der Kammer ist unter Berücksichtigung der für die Aussetzung der Vollziehung durch die Behörde in § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO enthaltenen Bestimmung bei öffentlichen Abgaben die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs dann anzuordnen, wenn die Vollziehung für den Pflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte oder wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts sind dann anzunehmen, wenn die Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids derart überwiegen, dass ein Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als sein Unterliegen. Da es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, kann und muss sich das Gericht – vor allem im Hinblick auf die Sachverhaltsermittlung – auf eine geringere Prüfungsdichte als im Klageverfahren beschränken (summarische Prüfung).
2. Gemessen hieran bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorausleistungsbescheids der Antragsgegnerin vom 19. April 2017. Dass die Vollziehung des Bescheids für den Antragsteller zu einer unbilligen Härte führen könnte, ist weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen (vgl. hinsichtlich der insoweit maßgeblichen finanziellen Situation des Antragstellers den eigenen Vortrag der Antragstellerseite im Schriftsatz vom 7. September 2017, dass der Antragsteller derzeit mit der Planung einer Neubebauung der beiden FlNrn. mit zwei Doppelhaushälften befasst sei).
a) Der Bescheid beruht auf Art. 5a BayKAG i.V.m. §§ 127 ff. BauGB i.V.m. der Erschließungsbeitragssatzung der Antragsgegnerin vom 1. Januar 2011 (EBS).
Nach diesen Vorschriften erheben die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag. Erschließungsanlagen in diesem Sinne sind u.a. die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen (§ 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB). Beiträge können gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur insoweit erhoben werden, als die Erschließungsanlagen erforderlich sind, um die Bauflächen entsprechend den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen (beitragsfähiger Erschließungsaufwand). Der ermittelte beitragsfähige Erschließungsaufwand ist nach Abzug eines Gemeindeanteils (vgl. § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB i.V.m. § 4 EBS) auf die durch die Anlage erschlossenen Grundstücke zu verteilen (§ 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Die Beitragspflicht entsteht für bebaubare Grundstücke i.S.v. § 133 Abs. 1 BauGB gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage. Für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, können Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag bis zur Höhe des voraussichtlichen endgültigen Erschließungsbeitrags verlangt werden, wenn ein Bauvorhaben auf dem Grundstück genehmigt wird oder wenn mit der Herstellung der Erschließungsanlagen begonnen worden ist und die endgültige Herstellung der Erschließungsanlagen innerhalb von vier Jahren zu erwarten ist (§ 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB i.V.m. § 9 EBS).
b) Der streitgegenständliche Bescheid steht nach der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage mit diesen rechtlichen Vorgaben in Einklang, insbesondere greift das Hauptargument der Antragstellerseite, bei der Beitragserhebung hätte nur die Grundfläche des Grundstücks FlNr. 484/2 mit einer Fläche von 533 qm berücksichtigt werden dürfen, nicht durch.
Bei der Verteilung des Erschließungsaufwands ist vom bürgerlich-rechtlichen Begriff des Grundstücks im Sinne des Grundbuchrechts (formeller Grundstücksbegriff) auszugehen (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 17 Rn. 5), d.h. maßgeblich ist das sog. Buchgrundstück. Unter einem Buchgrundstück ist der katastermäßig abgegrenzte Teil der Erdoberfläche zu verstehen, der im Bestandsverzeichnis des Grundbuchs unter einer besonderen Nummer eingetragen ist; dieses unter einer Nummer geführte Buchgrundstück kann auch aus mehreren Flurstücken bestehen (BayVGH, B.v. 5.2.2013 – 6 CS 12.2360 – juris Rn. 8; vgl. ferner: BVerwG, U.v. 2.7.1982 – 8 C 28/81 – juris Rn. 12).
Vorliegend sind ausweislich des vorgelegten Grundbuchauszugs die Grundstücke FlNrn. 484/2 und 484/29 unter einer laufenden Nummer (nämlich der Nr. 4) im Grundbuch eingetragen. Bei den Grundstücken FlNrn. 484/2 und 484/29 handelt es sich damit nicht um zwei Buchgrundstücke, sondern um ein Buchgrundstück im erschließungsbeitragsrechtlichen Sinn. Aus der „eindeutigen katastermäßigen Aufgliederung“ oder dem „Beschrieb“ der im Grundbuch aufgelisteten Flächen lässt sich insoweit entgegen der Auffassung der Antragstellerseite nichts anderes herleiten. Die von der Antragstellerseite aufgeworfene Frage einer fehlenden Erschließung der FlNr. 484/29 durch die abgerechnete Anlage stellt sich vor dem Hintergrund, dass es sich bei den FlNrn. 484/2 und 484/29 erschließungsbeitragsrechtlich um ein Grundstück handelt, nicht. Ferner ist offensichtlich und braucht nicht weiter ausgeführt zu werden, dass sich vorliegend die heranzuziehende Fläche des Buchgrundstücks auch nicht deshalb reduziert, weil die Erschließungswirkung der abzurechnenden Anlage ausnahmsweise auf eine Teilfläche des Buchgrundstücks beschränkt wäre (vgl. zu den insoweit unter dem Stichwort der „begrenzten Erschließungswirkung“ diskutierten und nur in sehr seltenen Ausnahmefällen einschlägigen Konstellationen: BayVGH, U.v. 14.11.2013 – 6 B 12.704 – juris Rn. 33; Driehaus, a.a.O., § 17 Rn. 9, 45 ff.).
Bei dieser Sachlage bestehen, gemessen an der o.g. Rechtsprechung keine Bedenken gegen die Einbeziehung der Flächen beider FlNrn. in die Verteilung es voraussichtlichen Erschließungsaufwands für die Herstellung der Erschließungsanlage „D* …“. Dass die FlNr. 484/29 im Bescheid vom 19. April 2017 – aus von der Antragsgegnerin im Übrigen plausibel dargelegten Gründen – nicht genannt wurde, vermag jedenfalls im summarischen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ernstliche Zweifel im o.g. Sinne nicht zu begründen.
Auf die zwischen den Beteiligten im anhängigen Verfahren weiter diskutierten Fragen, insbesondere die Frage eines möglichen Gestaltungsmissbrauchs durch den Antragsteller, kommt es deshalb nicht weiter an.
Nachdem Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids auch aus sonstigen Gründen nicht bestehen, war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m.
Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs (1/4 des Hauptsachestreitwerts, der vorliegend mit 7.821,83 €, dem vom Antragsteller nicht akzeptierten Beitragsanteil, anzusetzen ist).


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