Baurecht

Rechtsverstoß im Vergabeverfahren – Fehlende Unterschrift im Leistungsverzeichnis

Aktenzeichen  21.VK – 3194 – 11/17

Datum:
11.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Vergabekammer
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GWB GWB § 97 Abs. 6, § 99 Nr. 1, § 103 Abs. 3 S. 1, § 106, § 134, § 160 Abs. 2, Abs. 3
VOB/A VOB/A § 6d, § 13 Abs. 1, § 16 Abs. 1
BayNpV § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Zur Antragsbefugnis eines Bieters, dessen Angebot selbst nicht wertbar ist (sog. „zweite Chance“). (Rn. 41)
2. Zum Ausschluss eines Bieters, der nicht an allen von der VSt vorgesehenen Stellen eine Unterschrift geleistet hat. (Rn. 48)
3 Ein im Rahmen eines Vergabeverfahrens erfolgtes Angebot ist auszuschließen, wenn die Vergabestelle die Leistung einer gesonderten Unterschrift für das Leistungsverzeichnis festgelegt hat, diese aber nicht geleistet wurde. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
4 Ein Bieter kann ausnahmsweise selbst dann antragsbefugt sein, wenn er den Ausschluss seines Angebots nicht angreift, sondern sich darauf beruft, dass auch alle anderen Angebote ausgeschlossen werden müssen. Der Antragsteller macht dann einen Anspruch auf eine „zweite Chance“ geltend, die sich daraus ergibt, dass der Auftraggeber entweder das Vergabeverfahren in das Stadium vor Angebotsabgabe zurückversetzen oder nach Aufhebung neu ausschreiben muss mit der Folge, dass alle Bieter die Chance haben, mit neuen Angeboten ins Rennen zu gehen. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Durchführung des Vergabeverfahrens die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt. Die Vergabestelle wird verpflichtet, sowohl das Angebot der Antragstellerin als auch das Angebot der Beigeladenen aus der Wertung auszuschließen.
2. Die Vergabestelle trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.
4. Die Beigeladene trägt ihre Aufwendungen selbst.
5. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt …,- € Auslagen sind nicht angefallen.
6. Die Vergabestelle ist von der Zahlung der Gebühr befreit.

Gründe

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 Satz 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
b) Die Vergabestelle ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 GWB.
c) Bei der ausgeschriebenen Bauleistung für Lüftungstechnik handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 103 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB.
d) Der Auftragswert übersteigt den Schwellenwert, §§ 106 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB.
e) Die Antragstellerin ist antragsbefugt. Nach § 160 Abs. 2 GWB ist jedes Unternehmen antragsbefugt, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Dabei ist darzulegen, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.
Mindestvoraussetzung eines Interessennachweises ist, dass sich der Antragsteller am Wettbewerb mit einem Angebot beteiligt hat oder darlegt gerade daran durch den behaupteten Verstoß gegen Vorschriften des Vergaberechts gehindert gewesen zu sein.
Die Antragstellerin gab ein Angebot ab. Selbst wenn die Antragstellerin kein wertbares Angebot abgegeben haben sollte, ist dies im konkreten Fall unerheblich, da die Antragstellerin nunmehr substantiiert vorträgt, dass auch das Angebot der Beigeladenen an einem Mangel leiden könnte, der den rechtmäßigen Zuschlag an die Beigeladene als unzulässig erscheinen lassen könnte. Die Antragstellerin macht – nachdem nur zwei Angebote abgegeben wurden – ihren Anspruch auf eine „zweite Chance“ geltend. Somit hat die Antragstellerin ihre Antragsbefugnis im Rahmen der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages ausreichend dargetan.
f) Die Antragstellerin ist ihrer Rügeobliegenheit rechtzeitig nachgekommen (§ 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB). Auf das Absageschreiben vom 18.05.2017 hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 23.05.2017 gerügt, dass die Korrektur des Angebotspreises der Beigeladenen gegen Vergaberecht verstoßen würde. Soweit die Antragstellerin nunmehr vorträgt, dass auch die Beigeladene kein zuschlagsfähiges Angebot abgeben habe, ist eine Rüge entbehrlich, da dieser Vergabeverstoß erst im Nachprüfungsverfahren durch die Akteneinsicht für die Antragstellerin erkennbar war.
g) Zum Zeitpunkt der Stellung des Nachprüfungsantrags am 26.05.2017 war auch die 15-Tages-Frist gem. § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB nicht abgelaufen, die einem Antragsteller nach der Rügezurückweisung vom 24.05.2017 zur Verfügung steht.
h) Der Zuschlag wurde noch nicht erteilt, § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB.
2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die Vergabestelle wird verpflichtet, sowohl das Angebot der Antragstellerin als auch das Angebot der Beigeladenen aus der Wertung auszuschließen.
Die beabsichtigte Erteilung des Zuschlages an die Beigeladene verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB.
a) Das Angebot der Antragstellerin ist auszuschließen, weil sie durch ihr Anschreiben vom … unzulässige Änderungen an den Vergabeunterlagen gem. § 13 EU Absatz 1 Nr. 5 VOB/A vorgenommen hat. Dies stellt die Antragstellerin in ihren letzten Schriftsätzen selbst nicht mehr in Abrede.
b) Nach Gewährung der Akteneinsicht hat die Antragstellerin zu Recht beanstandet, dass auch das Angebot der Beigeladenen auszuschließen sei. Zwar hat die Beigeladene das Angebotsschreiben (Formblatt 213.H) ordnungsgemäß unterzeichnet, allerdings hat die Vergabestelle festgelegt, dass die Bieter auf Seite 3 das Leistungsverzeichnis mit Unterschrift anzuerkennen haben. Diese Unterschrift hat die Beigeladene nicht geleistet. Somit hat die Beigeladene nicht die geforderte Unterschrift geleistet. Nach § 16 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Absatz 1 Nr. 1 VOB/A war somit auch das Angebot der Beigeladenen auszuschließen. Die Vergabestelle hat sich selbst gebunden, indem sie festgelegt hat, dass auch an dieser Stelle eine Unterschrift durch den Bieter zu erfolgen hat. Es genügt eben nicht – wie die Vergabestelle nun vorträgt – dass das Leistungsverzeichnis in das Angebotsschreiben einbezogen wurde. Diese Rechtsauffassung wird durch Weyand, ibr-online-Kommentar Vergaberecht, Stand 14.09.2015, § 13 VOB/A Rn. 42 bestätigt: „Keine Festlegung enthält die VOB/A darüber, an welcher Stelle und welche Anzahl von Unterschriften zu leisten sind. Die Festlegung darüber liegt allein im Verantwortungsbereich der Vergabestelle. Keinen Unterschied macht es für die Rechtsfolge im Fall des Fehlens einer Unterschrift, ob mehrere Unterschriften oder nur eine alles umfassende Unterschrift unter das Angebot gefordert wurde. Das Fehlen führt zum Ausschluss. Im Rahmen der Verfahrenstransparenz und des Prinzips der Gleichbehandlung hat sich die Vergabestelle an die einmal getroffene Festlegung (zwingend mehrere Unterschriften unter einzelne, angegebene Angebotsteile) zu halten, während die Bieter dementsprechende Angebote einzureichen haben und den Anspruch darauf haben, dass nichtentsprechende Angebote den vergaberechtlichen Konsequenzen unterworfen werden (VK Thüringen, B. v. 05.09.2011 – Az. 250-4003.20-3317/2011 – E- 005-HBN)“.
c) Unzutreffend ist auch der Einwand der Vergabestelle, dass die Antragstellerin auch in einem weiteren Vergabeverfahren ihre Eignung nicht nachweisen könnte. Die Eignung der Antragstellerin ist bei Vorlage eines neuen Angebotes erneut zu prüfen. Zudem wird auf die Möglichkeit der Eignungsleihe gemäß § 6d EU VOB/A hingewiesen.
d) Nachdem auch das Angebot der Beigeladenen auszuschließen ist, kann sich die Antragstellerin auf eine „zweite Chance“ berufen. Der betroffene Bieter kann ausnahmsweise selbst dann antragsbefugt sein, wenn er den Ausschluss seines Angebots nicht angreift. „Voraussetzung ist die schlüssige Darlegung der Unmöglichkeit eines vergaberechtskonformen Abschlusses des Vergabeverfahrens durch Zuschlag. Diese Unmöglichkeit kann insbesondere darauf beruhen, dass auch alle anderen Angebote ausgeschlossen werden müssen. Der Antragsteller macht dann einen – letztlich auf das Gleichbehandlungsgebot zurückzuführenden – Anspruch auf eine „zweite Chance“ geltend, die sich daraus ergibt, dass der Auftraggeber entweder das Vergabeverfahren in das Stadium vor Angebotsabgabe zurückversetzen oder nach Aufhebung neu ausschreiben muss mit der Folge, dass alle Bieter – und damit auch der Antragsteller – die Chance haben, mit neuen Angeboten ins Rennen zu gehen (vgl. auch Rn. 74). Beruft sich ein Antragsteller, dessen Angebot als mangelhaft ausgeschlossen wurde, unter Hinweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz darauf, kein im Wettbewerb verbliebener Konkurrent habe ein mangelfreies Angebot abgegeben, ist es nicht notwendig, dass die im Raum stehenden Angebotsmängel identisch oder gleichartig sind. Es ist ausreichend, dass die Mängel gleichwertig sind, also auf der Rechtsfolgeseite denselben Stellenwert haben und deshalb dieselbe Konsequenz, wie etwa den zwingenden Angebotsausschluss, nach sich ziehen müssen. Die Eröffnung einer „zweiten Chance“ durch eine entsprechende Anordnung einer Vergabekammer oder eines Vergabesenats kommt nur in Betracht, wenn aufgrund der Sach- und Rechtslage am Schluss der (letzten) mündlichen Verhandlung feststeht, dass ein vergaberechtskonformer Zuschlag unmöglich ist und sich daran auch durch bloße Fortsetzung des Vergabeverfahrens nichts mehr ändern kann“ (Summa in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-VergR, 5. Aufl. 2016, § 160 GWB, Rn. 122 ff). So liegt der Fall hier. Wie oben dargelegt, müssen die beiden einzigen Angebote ausgeschlossen werden.
e) Die von der Vergabestelle als zulässig dargestellte Korrektur der Einheitspreise ist ein Verstoß gegen § 15 EU Abs. 3 VOB/A, der aber hier nicht entscheidungserheblich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
a) Die Vergabestelle trägt die Kosten des Verfahrens, weil sie mit ihren Anträgen unterlegen ist (§ 182 Abs. 3 Satz 1 GWB).
b) Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der Antragstellerin ergibt sich aus § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.
c) Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die Antragstellerin notwendig (§ 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG entspr.).
Es handelt sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall, so dass es der Antragstellerin nicht zuzumuten war, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen.
d) Die Beigeladene trägt ihre Aufwendungen selbst. Sie hat keine Sachanträge gestellt und damit kein Kostenrisiko auf sich genommen. Eine Kostenerstattung durch andere Beteiligte kommt daher im Umkehrschluss ebenfalls nicht in Betracht.
e) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 und 3 GWB festzusetzen.
Im Hinblick auf die Angebotssumme der Antragstellerin und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamtes eine Gebühr in Höhe von …- €.
Da ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, wird die Gebühr um …,- € auf …,- € reduziert.
f) Der geleistete Kostenvorschuss von 2.500,- € wird nach Bestandskraft dieses Beschlusses an die Antragstellerin zurücküberwiesen.
Die Vergabestelle ist gem. § 182 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG in der am 14.08.2013 geltenden Fassung von der Zahlung der Gebühr befreit.


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