Baurecht

Rechtswidrig ausgeübtes naturschutzrechtliches Vorkaufsrecht

Aktenzeichen  Au 2 K 16.1039

Datum:
16.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayNatSchG BayNatSchG Art. 2, Art. 39
BNatSchG BNatSchG § 1, § 66
BayVwVfG BayVwVfG Art. 28 Abs. 1, Abs. 2, Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 2
VwGO VwGO § 114 S. 2

 

Leitsatz

1. Allein die Tatsache, dass ein Grundstück die Merkmale des Art. 39 Abs. 1 BayNatSchG aufweist, reicht zur Rechtfertigung für die Ausübung eines naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts nicht aus. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sind die Voraussetzungen des Art. 39 Abs. 1 und 2 BayNatSchG erfüllt, steht die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts im Ermessen der in Art. 39 Abs. 1 BayNatSchG genannten Vorkaufsberechtigten. Ermessen ist auch dann auszuüben, wenn das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht auf Verlangen eines anderen Vorkaufsberechtigten ausgeübt wird. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Neue Gründe für einen Verwaltungsakt dürfen nachgeschoben werden, wenn sie schon bei Erlass des Verwaltungsakts vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird. Dies ist grundsätzlich auch noch nach Ablauf der Frist zur Ausübung des Vorkaufsrechts möglich. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. § 114 S. 2 VwGO schafft nur die prozessualen Voraussetzungen dafür, dass die Behörde defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann. § 114 S. 2 VwGO ermöglicht nicht, dass die Behörde ihr Ermessen erstmals ausübt. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Landratsamts * vom 15. Juni 2016 wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2016 über die Klage entscheiden, obwohl weder die Klagepartei noch die Beigeladenen erschienen sind. Die Klagepartei war über ihren Bevollmächtigten ordnungsgemäß geladen (vgl. schriftliche Bestätigung des Erhalts der Ladung zum Termin am 25.1.2017 mit Schreiben vom 1. März 2017) und auf den Umstand, dass auch bei ihrem Ausbleiben verhandelt und entschieden werden könne, hingewiesen worden (§ 102 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Dies gilt gleichermaßen für die Beigeladenen, die am 28. bzw. 31. Januar 2017 mit einem entsprechenden Hinweis ordnungsgemäß geladen wurden. Die nicht erschienenen Prozessbeteiligten haben auch keinen erheblichen Grund für die Verlegung vorgetragen und glaubhaft gemacht (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 und 2 Zivilprozessordnung – ZPO).
Die vom Kläger am 15. Juli 2016 nach Auslegung seines Rechtschutzziels (vgl. § 88 i.V.m. §§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO) erhobene Anfechtungsklage i.S.d. § 42 VwGO ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
Der Bescheid des Beklagten vom 15. Juni 2016, mit dem das Landratsamt … zugunsten der Beigeladenen zu 2 das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht betreffend die Grundstücke Fl.Nrn. …4, …5, …6, …7 und …9 Gemarkung B gegenüber dem Verkäufer, dem Kläger, ausgeübt hatte, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Ob der Bescheid des Landratsamts … bereits formell rechtswidrig ist, weil weder eine Anhörung gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG des Klägers noch der Beigeladenen zu 1 erfolgt ist, und ob von dieser nach Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG abgesehen werden konnte oder ob eine Heilung nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG erfolgt ist, kann offenbleiben. Jedenfalls ist der Bescheid in materiell-rechtlicher Hinsicht zu beanstanden.
Die Ausübung des Vorkaufsrechts ist durch Belange des Naturschutzes nicht gerechtfertigt bzw. der Beklagte hat die erforderlichen Rechtfertigungsgründe im Bescheid vom 15. Juni 2016 nicht ausreichend dargestellt Nach Art. 39 Abs. 2 Bay-NatSchG darf das Vorkaufsrecht nur ausgeübt werden, wenn dies gegenwärtig oder zukünftig die Belange des Naturschutzes oder der Landschaftspflege oder das Bedürfnis der Allgemeinheit nach Naturgenuss und Erholung in der freien Natur rechtfertigten. Die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege ergeben sich aus den in § 1 BNatSchG und Art. 2 BayNatSchG genannten Zielen sowie dem Erho 18 lungsinteresse der Allgemeinheit. Deren Tragweite ist auf den konkreten Einzelfall bezogen darzustellen. Allein die Tatsache, dass ein Grundstück die Merkmale des Art. 39 Abs. 1 BayNatSchG aufweist, reicht zur Rechtfertigung nicht aus (vgl. Engel-hardt/Brenner/Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt, Naturschutzrecht in Bayern, Stand: April 2016, Art. 39 Rn. 18 f.). Diesem Darlegungserfordernis wird der Bescheid des Landratsamts … vom 15. Juni 2016 nicht gerecht. Ihm sind die Vorstellungen der Behörde für die streitgegenständlichen Grundstücke nicht ansatzweise in generellen Zügen zu entnehmen. Angedachte Maßnahmen, Planungen oder Möglichkeiten der Verwendung der Grundstücke für den Naturschutz werden nicht genannt.
Selbst wenn vorliegend die Voraussetzungen des Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG erfüllt sein sollten, ist der Bescheid materiell rechtswidrig, weil ihm keine, nicht einmal knappe Ermessenserwägungen entnommen werden können.
Sind die Voraussetzungen des Art. 39 Abs. 1 und 2 BayNatSchG erfüllt, steht die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts im Ermessen der in Art. 39 Abs. 1 BayNatSchG genannten Vorkaufsberechtigten (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 27.1.2014 – 14 ZB 13.1552 – juris Rn. 8 ff; U.v. 11.5.1994 – 9 B 93.1514 – BayVBl 1994, 657; U.v. 15.9.2006 – 9 B 04.1233 – juris Rn. 21; Engelhardt/Brenner/Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt, a.a.O. Rn. 22). Ermessen ist auch dann auszuüben, wenn – wie vorliegend – der Beklagte das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht auf Verlangen eines anderen Vorkaufsberechtigten – hier der Beigeladenen zu 2 – ausübt. Der Beklagte, der nach Art. 39 Abs. 3 Satz 1 BayNatSchG ausschließlich zur Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts gegenüber dem Verpflichteten berechtigt ist, hat für den Fall, dass er selbst vom Vorkaufsrecht keinen Gebrauch machen möchte (vgl. Art. 39 Abs. 3 Satz 5 BayNatSchG), dieses auf Verlangen eines der anderen Vorkaufsberechtigten auszuüben (Art. 39 Abs. 3 Satz 4 BayNatSchG). Dabei muss die Kreisverwaltungsbehörde, die den Beklagten gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 1 BayNatSchG hierbei vertritt, zudem die Vorgaben der vorkaufsberechtigten Stelle beachten (vgl. Engelhardt/Brenner/Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt, a.a.O., Rn. 23). Die Regelung des Art. 39 Abs. 3 Satz 4 BayNatSchG hat nicht zur Folge, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts zu einer gebundenen Entscheidung wird (vgl. BayVGH, U.v. 9.3.1999 – 9 B 97.419 – juris Rn. 17 und 23; U.v. 15.9.2006 – 9 B 04.1233 – juris Rn. 21, beide zur insoweit gleichlautenden Vorgängervorschrift Art. 34 BayNatSchG a.F.). Art. 39 Abs. 3 BayNatSchG enthält lediglich nähere Bestimmungen über die Ausübung des Vorkaufsrechts, wobei in Satz 4 bis 6 das Verhältnis der Vorkaufsberechtigten untereinander geregelt ist (Engelhardt/Brenner/Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt, a.a.O., Rn. 4). Auf diese Weise wollte der Gesetzgeber verhindern, dass es zu Kollisionen zwischen den verschiedenen Vorkaufsberechtig-ten kommt und zugleich sicherstellen, dass die Abwicklung bei der Ausübung des Vorkaufsrechts einheitlich erfolgt (vgl. Gesetzesbegründung zum BayNatSchG a.F., LT-Drs. 7/3007 S. 33).
Vorliegend erscheint es bereits zweifelhaft, ob das Landratsamt … überhaupt erkannt hat, dass auch dann Ermessen auszuüben ist, wenn ein anderer als der Beklagte vom naturschutzrechtlichen Vorkaufsrecht Gebrauch macht. Letztlich bedarf dies aber keiner Klärung, denn jedenfalls fehlen im angefochtenen Bescheid jegliche Ausführungen, denen sich Ermessenserwägungen entnehmen lassen könnten. Denn die Ausführungen unter Nr. II der Begründung des Bescheids beziehen sich lediglich auf die Darlegung, dass die Grundstücke von der Lage und dem Zuschnitt her geeignet seien, um sie durch verschiedene Maßnahmen naturschutzfachlich aufzuwerten und künftig für die Belange des Naturschutzes zu verwenden. Eine Abwägung dieses öffentlichen Interesses am Erwerb der an den P unmittelbar angrenzenden Grundstücke mit privaten Interessen von Käufer und Verkäufer erfolgte nicht. Anhaltspunkte dafür, dass das Ermessen vorliegend auf Null reduziert gewesen wäre und daher Ermessenerwägungen entbehrlich waren, gibt es nicht.
Der Beklagte konnte den Ermessensausfall rechtswirksam auch nicht mit seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung am 16. Februar 2015 heilen. Zwar dürfen neue Gründe für einen Verwaltungsakt nach dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht (Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BayVwVfG) nachgeschoben werden, wenn sie schon bei Erlass des Verwaltungsakts vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 39.12 – juris Rn. 80 m.w.N.). Dies ist grundsätzlich auch noch nach Ablauf der Frist zur Ausübung des Vorkaufsrechts möglich (Art. 39 Abs. 7 Satz 1 BayNatSchG; BayVGH, U.v. 11.5.1994 – 9 B 93.1514 – BayVBl 1994, 657; B.v. 18.1.2000 – 9 B 95.31 – juris Rn. 36 f.; U.v. 24.2.2006 – 9 BV 03.3058 – juris Rn. 54). Ob durch ein Nachschieben einer Begründung im Ver-waltungsprozess auch eine fehlerhafte Ermessensentscheidung geheilt werden kann, richtet sich nach § 114 Satz 2 VwGO. Dieser schafft allerdings nur die pro-zessualen Voraussetzungen dafür, dass die Behörde defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann. § 114 Satz 2 VwGO ermöglicht nicht, dass die Behörde ihr Ermessen – wie vorliegend – erstmals ausübt (vgl. BVerwG, B.v. vom 14.1.1999 – 6 B 133.98 – NJW 1999, 2912; U.v. 5.5.1998 – 1 C 17.97 – BVerwGE 106, 351) und steht daher einer Heilung des Ermessensausfalls entgegen.
Nach alledem war der Klage auf Aufhebung des Bescheids des Landratsamts … vom 15. Juni 2016 mit der Kostentragungspflicht aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Es entspricht vorliegend der Billigkeit, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen, da sie keine Anträge gestellt und sich damit dem Kostenrisiko aus § 154 Abs. 3 VwGO nicht ausgesetzt haben (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe, die Berufung gemäß § 124a Abs. 1, § 124 Abs. 2 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.


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