Baurecht

Schallschutzniveau einer Stadtwohnung; Verwirkung von Gewährleistungsansprüchen

Aktenzeichen  11 O 15138/16

Datum:
9.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 149018
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 637 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Wird eine Wohnung als Stadtwohnung der Spitzenklasse angepriesen und entspricht ein eingebauter Aufzug optisch gehobenen Ansprüchen, können die Erwerber auch in Bezug auf den Schallschutz übliche Qualitäts- und Komfortstandards erwarten; diesen Standards genügt der Mindestschallschutz nach DIN 4109 nicht (Anschluss BGH BeckRS 2007, 11992). (Rn. 51 – 53) (redaktioneller Leitsatz)
2 Hat die Verwenderin einer unwirksamen Abnahmeklausel den fehlenden Ablauf der Gewährleistungsfrist mangels Abnahme selbst zu vertreten, führt insbesondere der Umstand, dass Gewährleistungsansprüche der Verwenderin gegen ihre Nachunternehmer verjährt sind, nicht zu einer Verwirkung. (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 160.157,03 € nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz
-aus 40.000,00 € seit dem 02.09.2016,
-aus weiteren 2.015,03 € seit 07.11.2016,
-aus weiteren 40.000,00 € Seit 23.11.2016
-aus weiteren 2.142,00 € seit 23.11.2016,
-aus weiteren 76.000,00 € seit 10.07.2017
sowie vorgerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 2.085,95 € nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten aus diesem Betrag seit dem 02.09.2016
zu bezahlen.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 16 %, die Beklagte 84 %.
IV. Das Urteil ist jeweils gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird wie folgt festgesetzt:
Bis 03.04.2016 auf 40.000,00 €,
vom 04.11.2016 bis 22.11.2016 auf 42.015,03 €,
vom 23.11.2016 bis 09.07.2017 auf 84.157,03 €,
ab 10.07.2017 auf 190.000,00 €.

Gründe

Die zulässige Klage ist zum Teil begründet.
A.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht München I örtlich zuständig, § 17 ZPO.
B.
Die Klage ist teilweise begründet.
I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Kostenvorschuss i.H.v. 156.000,00 € aus §§ 634, 637 Abs. 3 BGB.
1. Die streitgegenständlichen Aufzüge in den Häusern … u. … sind mangelhaft. Davon ist das Gericht nach der durchgeführten Beweisaufnahme überzeugt.
Der Sachverständige, der dem Gericht auch aus anderen Verfahren als zuverlässig und gewissenhaft bekannt ist, hat in der Dachgeschosswohnung des Hauses Nr. 12 einen Schalldruckpegel bis zu 39 Dezibel (A) gemessen. Auf Blatt 64/65 d.A. wird ergänzend Bezug genommen.
Im Haus Nr. 8 hat der Sachverständige Schalldruckpegel von 32 Dezibel (A), 38 Dezibel (A) sowie 41 Dezibel (A) gemessen.
Das Gericht hat keinen Anlass, an der Richtigkeit der Messungen des Sachverständigen zu zweifeln.
Damit ist sogar der Mindestschallschutz von 30 Dezibel (A) überschritten, ungeachtet der Tatsache, dass die Beklagte einen höheren Schallschutz schuldet (vgl. unten).
2. Der Sachverständige und sein Beirat haben in der mündlichen Verhandlung am 10.07.2017 auch nachvollziehbar erläutert (Blatt 100 d.A.), dass der Mindestschallschutz bereits dann nicht erfüllt ist, wenn man einmal über die 30 Dezibel kommt. Denn es werden verschiedene Fahrzustände gemessen und bei den streitgegenständlichen Aufzügen ist insbesondere das Einfallen der Bremse bzw. das Anfahren und das Lösen der Bremse besonders laut. Deshalb würde auch nichts nützen, die Geschwindigkeit zu reduzieren.
3. Die Beklagte schuldet keinesfalls weniger als den Mindestschallschutz von 30 Dezibel. Aus der auszugsweise vorgelegten Baubeschreibung (Anlage B3), dort Ziffer 1.6.5 ergibt sich keine Abweichung vom Mindestschallschutz in Bezug auf die streitgegenständlichen Schallemissionen. Denn es handelt sich hier schon nicht um ein Dauergeräusch.
Darauf, ob mit einer vorformulierten Baubeschreibung und ohne besonderen Hinweis eine Abweichung vom Mindestschallschutz wirksam vereinbart werden könnte, kommt es deshalb nicht an.
4. Die Klägerin hat die Beklagte unter Fristsetzung zur Mangelbeseitigung aufgefordert (Anlage K7), so dass auch die formalen Voraussetzungen eines Kostenvorschussanspruchs gegeben sind.
5. Die Klägerin hat einen Kostenvorschussanspruch i.H.v. insgesamt 156.000,– € netto (78.000,00 € je Aufzug). Das sind die Netto-Kosten, die nach den Schätzungen des Sachverständigen (Blatt 98 d.A.) für einen Komplettaustausch der Aufzüge anfallen. Auf die Sanierung der jetzt bestehenden Aufzüge, mit der der Mindestschallschutz von 30 Dezibel mit hoher Wahrscheinlichkeit erreicht werden könnte, braucht sich die Klägerin nicht verweisen zu lassen.
5.1. Die Beklagte schuldet einen über den Mindestschallschutz hinausgehenden Schallschutz:
Ausdrückliche Angaben, welcher Schallschutz geschuldet ist, enthalten die Verträge (beispielhaft Anlage K1) nicht. Der auszugsweise vorgelegten Baubeschreibung lässt sich ebenfalls nicht entnehmen, dass die Beklagte nur den Mindestschallschutz schuldet.
Vorzunehmen ist eine Gesamtabwägung, in die nicht nur der Vertragstext einzubeziehen ist, sondern auch die erläuternden und präzisierenden Erklärungen der Vertragsparteien, die sonstigen vertragsbegleitenden Umstände, die konkreten Verhältnisse des Bauwerks und seines Umfelds, der qualitative Zuschnitt, der architektonische Anspruch und die Zweckbestimmung des Gebäudes zu berücksichtigen sind (vgl. BGH Urteil v. 4.06.2009 VII ZR 54/07, Juris Rn. 12, mit Verweis auf BGH Urteil v. 14.06.2007 – VII ZR 45/06).
Können durch die vertraglich vereinbarte Bauweise bei einwandfreier, den anerkannten Regeln der Technik hinsichtlich der Bauausführung entsprechender Ausführung höhere Schallschutzwerte erreicht werden, als sie sich aus den Anforderungen der DIN 4109 ergeben, sind diese Werte unabhängig davon geschuldet, welche Bedeutung den Schalldämm-Maßen der DIN 4109 sonst zukommt. (BGH, Urteil v. 14.06.2007, VII ZR 45/06, Juris Rn. 29)
Der Besteller darf erwarten, dass der Unternehmer jedenfalls die Bauweise wählt, die den besseren Schallschutz erbringt, wenn sie ohne nennenswerten Mehraufwand möglich ist (vgl. BGH a.a.O.)
Im auszugsweise vorgelegten Verkaufsprospekt (Anlage K13) hat die Beklagte die Wohnungen als Stadtwohnung der Spitzenklasse (K13 Seite 15) angepriesen. Die Qualität der Ausstattung entspreche schon bei den Economy-Wohnungen der Qualität der Architektur (K13 Seite 23). Es wird versichert, dass auch die vier Häuser am Bavariapark den hohen Ansprüchen der Beklagten entsprechen werden (K13 Seite 25).
Auch optisch ist der jetzt verbaute Aufzug durch die Glaselemente gehoben, wie der Sachverständige ausführte (Bl. 99 d.A.) und wie sich auf dem Bild im schriftlichen Gutachten (Bl. 71 d.A.) sehen lässt.
Die Erwerber können deshalb den Umständen nach erwarten, dass die Wohnungen auch in Bezug auf den Schallschutz üblichen Qualitäts- und Komfortstandards entsprechen. Dem genügt der Mindestschallschutz hingegen nicht. Dieser soll Menschen in Aufenthaltsräumen lediglich vor unzumutbaren Belästigungen durch Schallübertragung schützen (BGH, Urteil v. 14.06.2007, VII ZR 45/06, Juris Rn. 25).
Nach den Ausführungen des Sachverständigen, ist der hier verbaute Aufzug aus schalltechnischen Gründen für den Wohnungsbau nur bedingt geeignet (Bl. 98 d.A.). Es handelt sich schon wegen dem Rucksacksystem wie auch dem verbauten Getriebe um einen einfachen Aufzug (Bl. 99 d.A.). Bei einer Sanierung durch Austausch des Getriebes könnte man lediglich den Mindestschallschutz mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichen. Ein besserer Schallschutz lässt sich nach den Ausführungen des Sachverständigen durch den Einbau eines getriebelosen Aufzugs mit zwei gegenüberliegenden Aufzugsschienen erreichen. Damit hätte man dann auch einen für den Wohnbereich üblichen gehobenen Aufzug.
Die Beklagte schuldet einen für den Wohnbereich geeigneten üblichen Aufzug, der im Hinblick auf die Anpreisung im Verkaufsprospekt auch von gehobener Qualität sein darf.
Zwar ist nicht sicher, ob mit einem solchen Aufzug ein erhöhter Schallschutz von 25 d.B. erreicht werden kann, jedoch ist das wahrscheinlicher und entspricht dem was die Käufer erwarten durften.
Die Klägerin muss sich deshalb nicht auf eine Sanierung eines Aufzugs verweisen lassen, der laut den Angaben des Sachverständigen üblicherweise nur verbaut werden würde, wenn man einen gesonderten Antriebsraum hätte, wie hier nicht (Bl. 99 d.A.).
6. Gewährleistungsansprüche der Klägerin sind nicht verjährt, weil eine wirksame Abnahme des Gemeinschaftseigentums nicht stattgefunden hat. Die Klausel in den Bauträgerkaufverträgen, wonach der Käufer den Verwalter mit der Abnahme bevollmächtigt, verstößt gegen § 307 Abs. 1 BGB, weil sie die Käufer unangemessen benachteiligt. Die Klausel sieht nämlich nicht vor, dass der Käufer selbst das Gemeinschaftseigentum abnimmt, sondern sieht lediglich eine Abnahme durch den bevollmächtigten Verwalter vor. Die Klausel sieht auch keinen Widerruf dieser Bevollmächtigung durch den Käufer vor und ist bereits deshalb unwirksam.
Darauf, ob der Verwalter dann später gewissenhaft von dieser Vollmacht Gebrauch macht, kommt es nicht an.
Eine Abnahme der Käufer durch Bezug oder Kaufpreiszahlung scheidet aus. Hierbei fehlt es schon am Abnahmewillen.
Mangels Abnahme des Gemeinschaftseigentums hat die Verjährungsfrist deshalb noch nicht zu laufen begonnen und Verjährung konnte damit nicht eintreten.
7. Der klägerische Anspruch ist auch nicht verwirkt. Weder Umstands- noch Zeitmoment sind gegeben. Insbesondere führt die Tatsache, dass Gewährleistungsansprüche der Beklagten gegen ihren Nachunternehmer längst verjährt sind, nicht zu einer Verwirkung. Die Beklagte als Verwenderin der unwirksamen Abnahmeklausel hat den fehlenden Anlauf der Gewährleistungsfrist für die Klägerin selbst zu vertreten.
8. Der von der Klägerin geltend gemachte Kostenvorschussanspruch ist auch schon vor Abnahme gegeben. Dem steht auch nicht die Entscheidung des BGH vom 19.01.2017 (Az.: VII ZR 301/13) entgegen. Denn auch, wenn Gewährleistungsansprüche und damit auch Kostenvorschussansprüche für Mangelbeseitigung grundsätzlich erst nach Abnahme geltend gemacht werden können, ist es dem Bauträger als Verwender unwirksamer Formularklauseln zur Abnahme nach Treu und Glauben verwehrt, sich darauf zu berufen, dass sich der Vertrag noch im Erfüllungsstadium befinde und deshalb ein Anspruch aus § 637 Abs. 3 BGB nicht bestehe (vgl. BGH, Urt. v. 12.05.2016, VII ZR 171/15. Darüber hinaus will die Beklagte den Mangel auch nicht beseitigen, so dass sich die Parteien ohnehin in einem Abrechnungsverhältnis befinden.
II. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der für das Privatgutachten aufgewandten Kosten i.H.v. 2.015,03 € sowie 2.142,00 €, insgesamt somit 4.157,03 € unter dem Gesichtspunkt des Mangelfolgeschadens. Gleiches gilt für den Anspruch auf Rechtsanwaltskosten.
III. Die Zinsentscheidung folgt aus Verzug.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
C.
Der Streitwert war nach § 63 Abs. 2 GKG endgültig festzusetzen und zwar gemäß § 48 Abs. 1 GKG, §§ 3, 4 ZPO in Höhe der jeweiligen Klageanträge.


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