Baurecht

Schleichende Verlagerung einer Straßen- bzw. Wegefläche, Folgenbeseitigungsanspruch

Aktenzeichen  M 2 K 18.3066

Datum:
25.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 47187
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayStrWG Art. 10 Abs. 1
BayStrWG Art. 58 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen wurde.
II. Die Beklagte wird verurteilt, den öffentlichen Weg auf FlNr. 465/1, Gemarkung … insoweit zurückzubauen, dass dieser Weg nicht auf dem klägerischen Grundstück FlNr. 444 der Gemarkung … gelegen ist.
III. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe

Das Klageverfahren ist gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Klage zurückgenommen wurde, i.e. bezogen auf den Streitgegenstand der Beseitigung von Versorgungsleitungen. Soweit die Klage aufrechterhalten wurde, i.e. bezogen auf den Streitgegenstand des teilweisen Rückbaus des Wegs, insoweit, als dieser auf dem klägerischen Grundstück FlNr. 444 der Gemarkung …, verläuft, ist sie zulässig und begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass der Straßenkörper des öffentlichen Feld- und Waldwegs (Art. 53 Nr. 1 BayStrWG) von der Beklagten beseitigt, soweit sich dieser auf seinem Grundstück FlNr. 444 der Gemarkung … befindet.
Anspruchsgrundlage für das Beseitigungsbegehren des Klägers ist der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch, der sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 26.8.1993 – 4 C 24.91 – BVerwGE 94, 100) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 5.11.2012 – 8 ZB 12.116 – BayVBl 2013, 473 Rn. 10 m.w.N.) aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten herleitet.
Die Voraussetzungen dieses gewohnheitsrechtlich anerkannten Anspruchs sind hier erfüllt. Denn der Weg, der nach dem Stand seiner Widmung (vgl. z.B. den Schriftsatzdes Beklagtenbevollmächtigten vom 24.8.2016 sowie die entsprechenden Angaben in der mündlichen Verhandlung) komplett auf der östlich an das klägerische Grundstück angrenzenden FlNr. 465/1 der Gemarkung … verlaufen müsste, nimmt nach der Überzeugung des Gerichts tatsächlich teilweise das hierfür nicht gewidmete Grundstück des Klägers in Anspruch (nachfolgend unter 1.). Als zuständige Straßenbaubehörde ist die Beklagte zur Beseitigung des somit bestehenden rechtswidrigen Zustands verantwortlich (nachfolgend unter 2.). Sonstige rechtliche Hindernisse stehen dem Anspruch nicht entgegen (nachfolgend unter 3.).
1. Zwar bestreitet die Beklagte, dass der Weg über die Grenze reicht. Das Gericht ist jedoch gleichwohl, aus mehreren unabhängig bzw. selbständig voneinander Geltung beanspruchenden Umständen, davon überzeugt, dass der Weg im Entscheidungszeitpunkt teilweise auf dem klägerischen Grundstück liegt.
Das ergibt sich zunächst aus dem der mündlichen Verhandlung zu Grunde gelegten Luftbild aus dem BayernAtlasPlus (vgl. Sitzungsprotokoll S. 2, dritter Absatz). Dabei handelt es sich um ein Alkis-Luftbild, d.h. es sind nicht nur die Grundstücksgrenzen, sondern u.a auch die Grenzpunkte auf dem Luftbild dargestellt. Aus diesen kann ausreichend abgelesen werden, dass der Weg in seinem Verlauf die Grenzpunkte (und die gemeinsame Grundstücksgrenze) nicht an jeder Stelle einhält, sondern in einem geringen, aber sichtbaren Ausmaß im Grundstück des Klägers verläuft (insbesondere in dem Bereich zwischen der Wegkreuzung zu Beginn des Waldstücks und der östlich davon gelegenen Weggabelung, insbesondere am dortigen unteren, südlich gelegenen Grenzpunkt und direkt westlich von diesem, daraus ist ersichtlich, dass der Weg nicht auf das Wegegrundstück FlNr. 465/1 der Gemarkung … beschränkt ist; noch deutlicher ist das Hinausgreifen des Wegs in das klägerische Grundstück, wenn der entsprechende Ausschnitt bei der Darstellung im BayernAtlasPlus unter Aufhebung der Nordausrichtung um etwas mehr als 90 Grad nach links gedreht wird bei gleichzeitig gesetztem Haken bei „Luftbild + Flurkarte (Alkis)“ im Menü). Dieses Ablesen aus dem Luftbild ist natürlich trotz der dargestellten Grenzpunkte nicht so genau, wie eine (erneute) Einmessung der Grenze durch die zuständige Behörde. Das hat jedoch keiner der Beteiligten veranlasst bzw. durchgeführt – nicht nur der Kläger, sondern auch die Beklagte kommt hierfür in Betracht, zumal die Beklagte nach eigener Auskunft in der mündlichen Verhandlung die Mittel hierfür hätte, selbst nachzumessen (vgl. Sitzungsprotokoll S. 4, zweiter Absatz); letztlich ist dies auch nicht erforderlich, da das Gericht aus den vorliegenden Umständen, wie soeben gezeigt bzw. wie sogleich noch weiter zu zeigen ist, die ausreichende Überzeugung gewonnen hat, dass der Weg zumindest teilweise in das klägerische Grundstück hinausgreift.
Unabhängig davon bestreitet die Beklagte diesen Umstand genaugenommen nicht. An mehreren Stellen des Beklagten-Vortrags ist zwar die Rede davon, dass „bestritten“ werde, dass der Weg über die Grenze reiche, jedoch wird dann jeweils Weiteres dazu erläutert (z.B. Schriftsatz vom 22.6.2021, S. 2, zweiter Absatz, ebenso z.B. Schriftsatz vom 5.11.2016, S. 1), aus dem folgt, dass sich die Beklagte doch bewusst ist, dass der Weg (mittlerweile wieder) in das Grundstück des Klägers „hineingeht“. Dass es sich hierbei nicht um einen bewussten Überbau seitens der Beklagten handelt, macht jedoch rechtlich keinen Unterschied für die Frage, ob bzw. dass der Weg (wieder) teilweise auf dem Grundstück des Klägers zu liegen kommt. Ebenso ist dem Vortrag der Beklagten zu entnehmen, dass ihr bewusst ist, dass Fahrzeuge auf dem Grundstück des Klägers fahren (vgl. den entsprechenden Vortrag im Schriftsatz vom 29.2.2016, Gerichtsakte S. 85 f.), weswegen nachvollziehbar ist, dass der Weg dadurch auf das klägerische Grundstück „hinausgefahren“ wird.
Schließlich und wiederum unabhängig davon reicht ein schlichtes „Bestreiten“ seitens der Beklagten hierzu in diesem Fall nicht aus. Der Kläger hat substantiiert vorgetragen, dass der Weg tatsächlich teilweise auf seinem Grundstück verläuft (z.B. Schriftsatz vom …9.2016 mit Anlagen, insbesondere Schriftsatz S. 2f. und Anlagen K9 und K10 und Schriftsatz vom …5.2021, Lichtbilder als Anlagen hierzu). Bezogen hierauf hat die Beklagte inhaltlich nichts substantiiert erwidert, obwohl beispielsweise in Bezug auf die vom Kläger vorgelegten Lichtbilder nichts dafür ersichtlich ist, dass die Darstellung des (ungefähren) Grenzverlaufs willkürlich oder gar absichtlich falsch wäre, vielmehr spricht nichts dagegen, dass oder warum sich der Kläger bei den Darstellungen auf diesen Lichtbildern nicht an den in der Natur vorhandenen Grenzzeichen orientiert hätte. Das bloße, schlichte „Bestreiten“ genügt insofern nicht bzw. dieses hindert nicht die Überzeugungsbildung des Gerichts dahingehend, dass ein Teil des Wegs im Entscheidungszeitpunkt im klägerischen Grundstück FlNr. 444 der Gemarkung … gelegen ist; auch der – genaugenommen von beiden Beteiligten – vorgetragene Umstand, dass sich der recht schmale Weg bzw. dessen Bestandteile durch das Befahren in das klägerische Grundstück hineinverlagert habe und weiter hineinverlagere, ist nachvollziehbar und plausibel. Dazu kommt auch hier noch, dass ein – wie erfolgt – allenfalls bloßes, unsubstantiiertes Bestreiten angesichts der eigenen Aussage des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung, dass die Beklagte mit eigenen Mitteln, d.h. ohne größeren Aufwand den Grenzverlauf feststellen könne (vgl. erneut Sitzungsprotokoll S. 4, zweiter Absatz), ohne das aber bislang, obwohl durch die Klage entsprechender Anlass hierzu bestand, getan zu haben, nicht statthaft ist.
2. Die Beklagte, die als zuständige Straßenbaubehörde gemäß Art. 10 Abs. 1, 58 Abs. 2 Nr. 3 BayStrWG dafür verantwortlich ist, dass die Grenzen des gewidmeten Straßengrundstücks hinsichtlich des streitgegenständlichen Wegs eingehalten werden (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 13.1.2016 – 8 B 15.522 – juris Rn. 15; U.v. 15.9.1999 – 8 B 97.1349 – juris Rn. 34f. und Rn. 41), ist zur Beseitigung dieses rechtswidrigen Zustands verpflichtet, ohne dass es darauf ankommt, ob die Straße von vorneherein auf dem Grundstück des Klägers angelegt wurde oder ob sich diese erst im Nachhinein – etwa im Zuge von Erneuerungs- und Unterhaltsmaßnahmen oder auch wie hier schleichend – verlagert hat; genauso wenig ist es relevant, ob ein mehr oder weniger bewusster Überbau vorliegt oder ob die „Wegeverschiebung“ wie hier schlicht durch Benutzung erfolgt ist. Auch der Umstand, dass sich die schleichende Verlagerung erneut, nach erfolgtem Rückbau, eingestellt hat, ändert nichts, denn die Verantwortlichkeit nach den o.g. Vorschriften ist eine dauerhafte Angelegenheit. In diesem Zusammenhang kann die Beklagte auch nicht damit durchdringen, dass der Kläger durch sein erstes Rückbauverlangen aus dem Jahr 2013, das von der Beklagten im Jahr 2014 umgesetzt wurde, die Ursache dafür gesetzt habe, dass der Verkehr auf dem Weg durch die schmale Fahrbahn den Weg (wieder) auf das klägerische Grundstück hinausgreifen lässt. Dem Umstand, dass sich das auch in Zukunft möglicherweise wiederholen könnte, ist nicht dadurch Rechnung zu tragen, den Weg so zu belassen, wie es der tatsächlichen Entwicklung entspricht oder den Kläger darauf zu verweisen, er müsse eine Grenzbefestigung erstellen, sondern zunächst dadurch, dass die Beklagte selbst – in ihrer Eigenschaft als zuständige Straßenbaubehörde, siehe dazu oben – bei entsprechenden Anhaltspunkten wie sie hier vorliegen, prüft, ob der Weg noch komplett auf dem dafür gewidmeten Grundstück verläuft, und, ist das nicht (mehr) der Fall, den Weg wieder zurückverlegt. Passiert das immer wieder, ist es ebenfalls Sache der Beklagten – was sie nach Aktenlage ja auch bereits versucht hat -, eine dauerhafte Lösung zu suchen, wofür sie, zumindest wenn der Weg als solcher erhalten werden soll, u.a. auf die Mithilfe des Klägers angewiesen ist.
3. Der Pflicht der Beklagten stehen auch keine rechtlichen Hindernisse entgegen. Namentlich ist der Anspruch nicht verjährt. Unabhängig davon, ob die Regeln zur Verjährung eines Folgenbeseitigungsanspruchs (vgl. hierzu VG München, U.v. 11.5.2021 – M 2 K 18.1809, dort Tz. 24) bei einem Fall einer schleichenden Veränderung der Wegeverhältnisse in jeder Hinsicht passen, hat der Kläger diesen nach der Baumaßnahme im Jahr 2014, mit welcher nach Auffassung zwischenzeitlich wieder der „richtige“ Wegverlauf hergestellt war, rechtzeitig durch die Erhebung der hiesigen Klage im Jahr 2016 geltend gemacht. Auch sonst steht dem Anspruch des Klägers nichts entgegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 155 Abs. 2 VwGO. Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit, von der lediglich der Kostenausspruch betroffen wäre (auch im Falle der hier einschlägigen Klageart der Leistungsklage, vgl. z.B. VG Regensburg, U.v. 3.12.2020 – RO 2 K 17.782 – juris Rn. 49 m.w.N.), erübrigt sich im Falle der hier gewählten Kostenaufhebung. Soweit das Verfahren eingestellt wurde, ist die Entscheidung, die auch im Urteil erfolgen kann, unanfechtbar, § 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO. Im Übrigen gilt die umseitige Rechtsmittelbelehrung.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben