Baurecht

Sicherung der ausreichenden verkehrlichen Erschließung

Aktenzeichen  1 B 19.1616

Datum:
18.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 946
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBauO Art. 71
BauGB § 30, § 34

 

Leitsatz

1. Eine Genehmigung, auf die „an sich“ ein Anspruch besteht, kann grundsätzlich dennoch versagt werden, wenn es dem Antragsteller an einem schutzwürdigen Antrags- (oder Sachbescheidungs-) Interesse fehlt, was vor allem dann der Fall sein kann, wenn der Antragsteller aus Gründen, die jenseits des Verfahrensgegenstands liegen, an einer Verwertung der begehrten Genehmigung gehindert und deshalb die Genehmigung ersichtlich nutzlos wäre. Voraussetzung für die Verneinung des Sachbescheidungsinteresses ist dabei, dass sich das Hindernis „schlechthin nicht ausräumen“ lässt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Sicherung der ausreichenden Erschließung als Voraussetzung für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit baulicher Anlagen setzt hinsichtlich der verkehrlichen Erschließung voraus, dass das Baugrundstück für Kraftfahrzeuge erreichbar ist, wobei sich die Frage, welche Anforderungen im Einzelnen zu stellen sind, nach dem konkreten Vorhaben richtet, das auf einem Grundstück errichtet werden soll. Die Zuwegung muss von ihrer Breite und Beschaffenheit die Zufahrt von Kraftfahrzeugen, besonders solchen der Polizei, der Feuerwehr, des Rettungsdienstes und der Ver- und Entsorgung, ermöglichen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Erschließung ist gesichert, wenn damit gerechnet werden kann, dass sie bis zur Herstellung des Bauwerks funktionsfähig angelegt und zu erwarten ist, dass sie auf Dauer zur Verfügung stehen wird. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Zwar ist die erforderliche Mindestbreite der an ein Baugrundstück heranführenden Straße weder bundes- noch landesrechtlich ausdrücklich geregelt, für den Innenbereich ist aber in der Regel eine Wegbreite von mindestens 3 m erforderlich. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Erschließung eines Vorhabens ist nur gesichert, wenn – im Rahmen einer am üblicherweise zu erwartenden Gang der Dinge orientierten Prognose – damit gerechnet werden kann, dass sie bis zur Herstellung des Bauwerks (spätestens bis zur Gebrauchsnahme) funktionsfähig angelegt ist und wenn erwartet werden kann, dass sie auf Dauer zur Verfügung stehen wird. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

11 K 15.2224 2016-06-30 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Die Kostenentscheidung ist für die Beigeladene gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollsteckbar. Für den Beklagten ist die Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf diese Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Über die Berufung konnte mit Einverständnis aller Beteiligter ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Zwar ist die Klage zulässig, da der Klägerin das Rechtsschutzbedürfnis nicht abgesprochen werden kann (1.). Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Vorbescheids, da die Erschließung für das beantragte Vorbescheidsvorhaben zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht gesichert ist (2.). Die hilfsweise beantragte Feststellung, dass der Klägerin bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans Nr. … „W. – Teilbereich westlich der S. 2014“ am 27. September 2017 ein Rechtsanspruch auf Genehmigung des Vorbescheidsantrags zustand, ist unbegründet, da die Erschließung auch in der Vergangenheit nicht gesichert gewesen ist (3.).
1. Die Klage der Klägerin, die auf die Verpflichtung des Beklagten gerichtet ist, ihren Vorbescheidsantrag vom 28. August 2006 für die Errichtung von zwei Wohnhäusern auf dem Grundstück FlNr. …5 zu genehmigen, ist zulässig. Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung fehlt es nicht am schutzwürdigen Sachbescheidungsinteresse für den Erlass des beantragten Vorbescheids und damit am Rechtsschutzinteresse der Klägerin. Zwar darf eine Genehmigung, auf die „an sich“ ein Anspruch besteht, grundsätzlich dennoch versagt werden, wenn es dem Antragsteller an einem schutzwürdigen Antrags- (oder Sachbescheidungs-) Interesse fehlt. Das kann vor allem dann der Fall sein, wenn der Antragsteller aus Gründen, die jenseits des Verfahrensgegenstands liegen, an einer Verwertung der begehrten Genehmigung gehindert und deshalb die Genehmigung ersichtlich nutzlos wäre. Voraussetzung für die Verneinung des Sachbescheidungsinteresses ist dabei, dass sich das Hindernis „schlechthin nicht ausräumen“ lässt (vgl. BVerwG, B.v. 12.8.1993 – 7 B 123.93 – NVwZ-RR 1994, 381; U.v. 17.10.1989 – 1 C 18.87 – BVerwGE 84, 11; U.v. 24.10.1980 – 4 C 3.78 – BVerwGE 61, 128; BayVGH, U.v. 11.6.2014 – 2 B 13.2555 – BayVBl 2014, 760; U.v. 19.1.2009 – 2 BV 08.2567 – BayVBl 2009, 507).
Das trifft auf die vorliegende Fallkonstellation nicht zu. Zwar ist der beantragte Vorbescheid in abstandsflächenrechtlicher Hinsicht zumindest teilweise widersprüchlich. Der vorgelegte Lageplan (Maßstab 1:1000), der die künftigen Grundstücksgrenzen darstellt und den Standort der gewünschten Baukörper nördlich und südlich des Bestandsgebäudes skizziert, weist sowohl für das Bestandsgebäude auf FlNr. …5 als auch für den gegenüberliegenden nördlichen (neu zu errichtenden) Baukörper einen (Mindest-)Abstand nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO zur (gemeinsamen neuen) Grundstückgrenze von jeweils 3 m auf. Demgegenüber sind die erforderlichen Mindestabstandsflächen von 6 m zwischen den beiden Baukörpern bei einer Messung der Abstandsflächen im Lageplan nicht einzuhalten. Denn der Abstand der nordöstlichen Wand des Bestandsgebäudes zur neuen nördlichen Grundstücksgrenze verringert sich aufgrund einer Auskragung der Gebäudewand auf nur noch rd. 2,5 m an der Nordostecke des Bestandsgebäudes. Auch § 2 Satz 1 der Satzung der Beigeladenen über ein von der Bayerischen Bauordnung (BayBO) abweichendes Maß der Abstandsflächentiefe vom 20. Januar 2021 sieht einen geringeren Mindestabstand als 3 m nicht vor. Während die Richtigkeit der zeichnerischen Darstellung der Abstandsflächen im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens zu einem schlechthin nicht ausräumbaren Hindernis führen kann (vgl. BayVGH, B.v. 12.7.2021 – 1 ZB 21.735 – juris Rn. 6 zu einer zur Aufhebung einer im Nachbarrechtsstreit angefochtenen Baugenehmigung führenden Unbestimmtheit aufgrund sich inhaltlich widersprechender Pläne), ist im vorliegenden Fall jedoch in den Blick zu nehmen, dass sich die Widersprüchlichkeit der abstandsflächenrechtlichen Darstellung im Lageplan aufgrund der tatsächlichen Grundstücksgröße ohne Weiteres in einem nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren bereinigen lässt, indem die Klägerin den nördlichen Baukörper weiter nach Norden verschiebt und damit der erforderliche Mindestabstand von 6 m zwischen den Gebäuden sichergestellt ist. Auf die Frage einer Abstandsflächenübernahme auf dem neu zu bildenden nördlichen Grundstück nach Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO zugunsten des Bestandsgebäudes bzw. einer Überdeckung nach Art. 6 Abs. 2 Satz 4 BayBO sowie auf die Zulässigkeit eines Verzichts der Klägerin auf die beabsichtigte Grundstücksteilung kommt es daher nicht an.
2. Die Verpflichtungsklage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Vorbescheids, da die Erschließung nach § 30, § 34 BauGB für das beantragte Vorbescheidsvorhaben zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht gesichert ist.
Die Klägerin hat die gesamte bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens abgefragt. Somit stellt sich auch die Frage der gesicherten Erschließung für die beantragten zwei Wohngebäude, die zusätzlich zu dem Bestandsgebäude errichtet werden sollen. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob der Bebauungsplan Nr. … „W. – Teilbereich westlich der S. 2014“ wirksam ist. Bei unterstellter Wirksamkeit des Bebauungsplans widerspricht das Vorbescheidsvorhaben bereits dessen Festsetzungen. Die beantragten Wohngebäude sollen nach dem vorliegenden Lageplan zumindest teilweise außerhalb der für das Vorhabengrundstück festgesetzten Baufenster situiert werden. Zudem wird in dem Bebauungsplan die Bebauung des Vorhabengrundstücks von dem vorherigen Abbruch des Bestandsgebäudes außerhalb der festgesetzten Bauräume abhängig gemacht. Bei unterstellter Annahme der Unwirksamkeit des Bebauungsplans beurteilt sich der Vorbescheidsantrag nach zutreffender und einhelliger Auffassung der Beteiligten nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Das Vorbescheidsvorhaben ist danach – unabhängig von dem Vorliegen des Tatbestandsmerkmals des „Einfügens“ in die nähere Umgebung – mangels Sicherung der Erschließung nicht genehmigungsfähig.
Die Sicherung der ausreichenden Erschließung als Voraussetzung für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit baulicher Anlagen setzt hinsichtlich der verkehrlichen Erschließung voraus, dass das Baugrundstück für Kraftfahrzeuge erreichbar ist. Welche Anforderungen im Einzelnen zu stellen sind, richtet sich nach dem konkreten Vorhaben, das auf einem Grundstück errichtet werden soll. Die Zuwegung muss von ihrer Breite und Beschaffenheit die Zufahrt von Kraftfahrzeugen, besonders solchen der Polizei, der Feuerwehr, des Rettungsdienstes und der Ver- und Entsorgung, ermöglichen. Dabei verlangt das Bebauungsrecht nicht schlechthin, dass das Grundstück mit Großfahrzeugen erreichbar sein muss (vgl. BVerwG, B.v. 2.9.1999 – 4 B 47.99 – BauR 2000, 1173; U.v. 4.6.1993 – 8 C 33.91 – BVerwGE 92, 304). Die Erschließung ist gesichert, wenn damit gerechnet werden kann, dass sie bis zur Herstellung des Bauwerks funktionsfähig angelegt und zu erwarten ist, dass sie auf Dauer zur Verfügung stehen wird (vgl. BayVGH, B.v 8.4.2019 – 1 CS 19.261 – juris Rn.16; B.v. 14.2.2018 – 1 ZB 15.1897 – juris Rn. 8; U.v. 30.10.2014 – 15 B 13.2028 – juris Rn. 17). Das ist hier nicht der Fall.
Die als Zuwegung nutzbare Straße „S.“ ist nicht über die gesamte und tatsächlich vorhandene Fahrspur als öffentliche Straße gewidmet, sondern führt teilweise über Privatgrund. Insoweit handelt es sich lediglich um einen tatsächlich öffentlichen Weg. Straßenbezogene Dienstbarkeiten an diesen Grundstücken liegen nicht vor. An seinen engsten Stellen weist der öffentlich gewidmete Bereich der Straße nur eine Breite von 2,05 m (auf Höhe des Vorhabengrundstücks) bzw. von 2,04 (auf Höhe des Grundstücks FlNr. …16) auf sowie im weiteren nördlichen Bereich der Straße jedenfalls auf Höhe des Grundstücks FlNr. …1 eine Breite von 2,20 m. Diese Breite genügt nicht für die Annahme einer gesicherten Erschließung. Zwar ist die erforderliche Mindestbreite der an ein Baugrundstück heranführenden Straße weder bundes- noch landesrechtlich ausdrücklich geregelt. Für den Innenbereich ist aber in der Regel eine Wegbreite von mindestens 3 m erforderlich (vgl. BayVGH‚ B.v. 8.4.2019 a.a.O Rn. 19). Dies ermöglicht es, das Vorhabengrundstück wenigstens mit Personen- und kleineren Versorgungsfahrzeugen anzufahren (vgl. BVerwG, U.v. 4.6.1993 – 8 C 33.91 – BVerwGE 92, 304). Das Vorhabengrundstück ist auch nur von Norden über die Straße „S.“ anfahrbar, da die „S.“ im Süden in einem Fuß- und Radweg endet, es beststeht keine öffentlich gewidmete Wendemöglichkeit (vgl. VGH BW, U.v. 4.11.2013 – 8 S 1694/11 – juris Rn. 24).
Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf den geltend gemachten Erschließungsanspruch gegenüber der Beigeladenen in Gestalt eines schutzwürdigen Vertrauens wegen einer Mitwirkung bei früheren Baugenehmigungen berufen. Die Pflicht, für die wegemäßige Erschließung der im Umfeld zugelassenen Vorhaben, insbesondere des Bestandsgebäudes, zu sorgen, die aufgrund der vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes geltenden Bayerischen Bauordnung vom 17. Februar 1901 (GVBl. 1901 S. 87) zugelassen wurden, lag nach § 62 Abs. 3 BayBO 1901 bei den Grundstückseigentümern (vgl. Englert-Mang, BayBO, 11. Aufl. 1957, Nr. 1b zu § 62; BayVerfGH, Entscheidung vom 28.12.1956 – Vf. 102-VII-55 – GVBl 1957, 6 ff. zur entsprechenden Vorschrift des § 81 Abs. 1 MBO). Da die Gemeinde nach § 67 Abs. 3 BayBO 1901 dem Baugesuch lediglich „Erinnerungen“ beifügen und damit auf aus ihrer Sicht berücksichtigungsfähige Umstände hinweisen konnte, handelte es sich lediglich um ein Beteiligungserfordernis der Gemeinde (vgl. Englert-Mang, BayBO, Nr. 5 zu § 67) ohne das Erfordernis der Einvernehmenserteilung, das § 36 BauGB und Art. 67 BayBO nach geltendem Recht vorsehen.
Die für das Bestandsgebäude auf der FlNr. …5 von den Rechtsvorgängern der Klägerin beantragte Baugenehmigung vom 17. Juli 1935 für die Erweiterung des bestehenden Wochenendhauses nach Süden wurde nach den vorliegenden Kopien der Bauakten zudem unter der Bedingung erteilt, dass der zur Verbreiterung des Fahrweges an der Ostseite des Baugrundstücks erforderliche Grund ordnungsgemäß befahrbar herzustellen und unentgeltlich an die (damalige) Gemeinde S. abzutreten sei. Die zur ordnungsgemäßen Befahrbarkeit erforderliche Breite des Fahrweges wurde mittels Roteintragung in der Planzeichnung konkretisiert und sollte danach 5 m betragen. Auch die – ebenfalls von den Rechtsvorgängern der Klägerin – beantragte Baugenehmigung vom 3. April 1957 für die Erweiterung des bestehenden Wochenendhauses nach Osten enthält entsprechende Bedingungen. In Ziff. 6 der Baugenehmigung wurden die von der im Baugenehmigungsverfahren beteiligten Gemeinde S. in dem Auszug aus dem Sitzungsbuch vom 16. Januar 1957 aufgeführten Bedingungen (Ziff. 1, 3 und 5) übernommen. Danach sollte insbesondere zur Verbreiterung der oberen S.straße, die zum maßgeblichen Zeitpunkt des Baugenehmigungsverfahrens nur eine Breite von rd. 2,5 m hatte, ein Grundstreifen in einer Breite von 1,5 m vom gegenüberliegenden Strassenanlieger angekauft werden und an die Gemeinde unentgeltlich und lastenfrei abzugeben sein.
Im Hinblick auf die danach bestehende Pflicht des Grundstückseigentümers, für die (ordnungsgemäße) Erschließung zu sorgen, kann sich die Klägerin nach dem auch im Verwaltungsrecht entsprechend § 242 BGB geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. BVerwG, B.v. 1.4.2004 – 4 B 17.04 – juris Rn. 4), der auch das Verbot widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“) umfasst (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2009 – 2 ZB 08.2389 – juris Rn. 11), nicht (mehr) darauf berufen, dass ihr ein Erschließungsanspruch gegenüber der Beigeladenen zusteht. Denn jedenfalls war die Problematik der zu geringen Breite der „S.“ den Rechtsvorgängern der Klägerin bekannt und sie hätten die für die Verbreiterung des Fahrwegs erforderlichen Maßnahmen ergreifen müssen. Dass die Bedingungen in den Baugenehmigungsbescheiden tatsächlich nicht umgesetzt wurden, vermag daran nichts zu ändern. Da die Baugenehmigungen zugunsten der Klägerin als Rechtsnachfolgerin wirken, muss sie sich das Verhalten ihrer Rechtsvorgänger zurechnen lassen.
Demgegenüber kann die Frage, ob die Beigeladene die tatsächliche Erschließung für die (ursprünglich) überwiegend vorhandene Wochenendnutzung gerade noch als ausreichend angesehen hat und eine Überführung der erforderlichen Grundstücksflächen in ihr Grundeigentum ungeachtet der Überplanung des Gebiets bislang nicht durchgesetzt hat, offen bleiben. In der Rechtsprechung ist ein grundsätzlich nach § 123 Abs. 3 BauGB ausgeschlossener Erschließungsanspruch nur in wenigen Fallgestaltungen angenommen worden (vgl. BVerwG, B.v. 3.4.1996 – 4 B 253.95 – NVwZ 1997, 389; U.v. 22.1.1993 – 8 C 46.91 – BVerwGE 92, 8; U.v. 28.10.1986 – 8 C 4.81 – BVerwGE 64, 186; U.v. 21.2.1986 – 4 C 10.83 – BauR 1986, 305; U.v. 30.8.1985 – 4 C 48.81 – BauR 1985, 661; BGH, U.v. 11.12.2020 – V ZR 268/19 – NJW-RR 2021, 738).
Unabhängig davon, dass die Klägerin keinen Erschließungsanspruch gegenüber der Beigeladenen hat, ist die Erschließung eines Vorhabens nur gesichert, wenn – im Rahmen einer am üblicherweise zu erwartenden Gang der Dinge orientierten Prognose – damit gerechnet werden kann, dass sie bis zur Herstellung des Bauwerks (spätestens bis zur Gebrauchsnahme) funktionsfähig angelegt ist und wenn erwartet werden kann, dass sie auf Dauer zur Verfügung stehen wird (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 9.3.2017 – OVG 10 N 49/13 – juris Rn. 11). Selbst eine „fällige“ Erschließungspflicht hat nicht aus sich zur Folge, dass die Erschließung im Sinn von § 30 Abs. 1 BauGB gesichert ist (vgl. BVerwG, B.v. 23.12.1993 – 4 B 212.92 – juris Rn. 9; U.v. 21.2.1986 a.a.O.; BayVGH, B.v. 8.4.2019 – 1 CS 19.261 – juris Rn. 16). Davon ist hier nicht auszugehen.
Im Rahmen der vorgenannten Prognose kann nicht damit gerechnet werden, dass die Erschließung des Vorhabengrundstücks spätestens bis zur Nutzungsaufnahme über einen freihändigen Ankauf der erforderlichen Grundstücke bzw. ein Enteignungsverfahren gesichert sein würde. Die Annahme, es sei ohne Weiteres möglich, binnen eines Jahres an die erforderlichen Flächen zu gelangen, trifft nicht zu. Denn bei Stellung eines Bauantrags nach Erteilung des Vorbescheids kann nach Art. 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO spätestens nach vier Monaten die Genehmigungsfiktion eintreten und das Vorhaben jedenfalls innerhalb weiterer sechs Monate beziehbar hergestellt werden. Nachdem die Gemeinde sich bereits in der Vergangenheit erfolglos bemüht hat, die fehlenden Grundstücke von den Eigentümern zu erwerben, müsste sie sich die erforderlichen Straßenflächen im Wege der Enteignung mit ggf. gerichtlicher Durchsetzung verschaffen. Selbst wenn ihr dabei ungeachtet des bisherigen tatsächlichen Einverständnisses der betroffenen Eigentümer mit der Inanspruchnahme ihrer Grundstücke der Weg über eine vorläufige Besitzeinweisung offen stünde, sind im Rahmen der Prognoseentscheidung auch insoweit die Zeiten einstweiliger Rechtsschutzverfahren zu berücksichtigen. Die fehlende positive Erschließungsprognose kann auch nicht durch eine entsprechende Auflage im Vorbescheid ausgeräumt werden (vgl. BayVGH, U.v. 13.1.2011 – 2 B 10.269 – BayVBl 2011, 1466 zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Erteilung eines Vorbescheids unter Auflagen). Die Klägerin macht insoweit geltend, dass ein Vorbescheid mit einer Nebenbestimmung nach Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG erteilt werden könnte, wonach die Einreichung des Bauantrags voraussetze, dass sich die Gemeinde die erforderlichen Flächen an den Engstellen der Straße, die bisher nicht gewidmet sind und im Privateigentum stehen, zumindest im Wege der vorzeitigen Besitzeinweisung gesichert habe. Unabhängig davon, dass auf den Erlass eines Verwaltungsakts mit Nebenbestimmungen kein Anspruch besteht, würde eine solche Nebenbestimmung auch nicht die Erfüllung der gesetzlichen Erteilungsvoraussetzungen des Vorbescheids sichern. Denn auch mit einer vorläufigen Besitzeinweisung ist noch keine gesicherte Erschließung vorhanden.
3. Der mit dem Hilfsantrag erhobene Fortsetzungsfeststellungsantrag ist ebenfalls unbegründet. Die Klägerin hatte nach den vorstehenden Ausführungen unter 2 zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch auf die Erteilung des Vorbescheids. Für den Erlass des beantragten Vorbescheids fehlte es auch in der Vergangenheit an der gesicherten Erschließung des Vorbescheidsvorhabens.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 163 Abs. 3 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1, § 708 Nr. 11 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben