Baurecht

Straßenausbaubeitrag für eine Ortsdurchfahrt

Aktenzeichen  B 4 K 15.309

Datum:
28.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG BayKAG Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 S. 1, S. 3, Abs. 5 S. 1, Art. 5a
FStrG FStrG § 5 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Zu den beitragsfähigen Einrichtungen im straßenbaubeitragsrechtlichen Sinne gehören grundsätzlich auch die auf dem Gebiet einer Gemeinde verlaufenden Ortsdurchfahrten klassifizierter Straßen. Die Ortsdurchfahrt insgesamt bildet die Einrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 S. 1 und S. 3 BayKAG, die allerdings nur im Rahmen der gemeindlichen Straßenbaulast beitragsfähig erneuert oder verbessert werden kann. (redaktioneller Leitsatz)
2 Maßgeblich für die Beitragsabrechnung ist die Ausdehnung der jeweiligen Ortsdurchfahrt. Wie weit eine Ortsdurchfahrt reicht und wo sie in eine andere selbständige Verkehrsanlage übergeht, bestimmt sich grundsätzlich nach dem Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter im Hinblick auf Straßenführung, -breite, -länge sowie -ausstattung vermitteln. (redaktioneller Leitsatz)
3 Für die räumliche Zuordnung eines Grundstücks zu einer Ortsdurchfahrt ist der Zustand im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten zugrunde zu legen, also der Zustand nach der Durchführung der Ausbaumaßnahme. Im Fall der Erhebung von Vorauszahlungen bedeutet dies, dass prognostisch unter Heranziehung der Erkenntnislage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zu bewerten ist, wie die Ortsdurchfahrt sich nach vollständiger Umsetzung des gemeindlichen Bauprogramms darstellen wird. (redaktioneller Leitsatz)
4 Zum beitragsfähigen Aufwand, der auf alle Grundstücke eines Abrechnungsgebiets zu verteilen ist, gehören auch die Kosten für die Erneuerung der Straßenbeleuchtung, unabhängig davon, ob vor der projektierten Baumaßnahme dieser Aufwand nach anderen Parametern verteilt wurde. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 14.04.2015 wird aufgehoben, soweit darin eine höhere Vorauszahlung auf den Straßenausbaubeitrag als 1.564,10 EUR festgesetzt worden ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger 85% und die Beklagte 15%.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Bescheid der Beklagten vom 14.04.2015 in Höhe von 240,63 EUR aufzuheben, weil die Festsetzung einer Vorauszahlung auf den Straßenausbaubeitrag in diesem Umfang rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Im Umfang von 1.564,10 EUR ist die Klage abzuweisen, weil der Bescheid insoweit rechtmäßig ist.
Gemäß Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG kann die Beklagte aufgrund einer besonderen Abgabesatzung zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen (Investitionsaufwand) Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen sollen gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG solche Beiträge erhoben werden, soweit nicht Erschließungsbeiträge nach Art. 5a KAG zu erheben sind. Für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, können gemäß Art. 5 Abs. 5 Satz 1 KAG Vorauszahlungen auf den Beitrag verlangt werden, wenn mit der Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung der Einrichtung begonnen worden ist.
Demgemäß war die Beklagte aufgrund ihrer Ausbaubeitragssatzung vom 14.01.2002 (ABS) dem Grunde nach berechtigt, für die Erneuerung der Ortsdurchfahrt der Bundesstraße B nach Maßnahmenbeginn Vorauszahlungen auf den Straßenausbaubeitrag zu verlangen. Die gegenüber dem Kläger festgesetzte Vorauszahlung erweist sich allerdings als zu hoch, weil nicht alle beitragspflichtigen Grundstücke nach Maßgabe des Art. 5 KAG und der Ausbaubeitragssatzung in die Aufwandsverteilung einbezogen worden sind.
a) Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG, § 2 und § 6 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 ABS wird der beitragsfähige Aufwand für die einzelne Einrichtung ermittelt und nach Maßgabe der §§ 7 und 8 ABS auf die Grundstücke verteilt, die aus der Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtung einen besonderen Vorteil ziehen können.
Zu den beitragsfähigen Einrichtungen im straßenausbaubeitragsrechtlichen Sinn gehören grundsätzlich auch die auf dem Gebiet einer Gemeinde verlaufenden Ortsdurchfahrten klassifizierter (Bundes-, Staats-, oder Kreis-) Straßen, wie hier der Bundesstraße B, und zwar unabhängig davon, dass sie straßenrechtlich Teile der entsprechenden klassifizierten Straßen sind. Auch wenn die Straßenbaulast der Beklagten auf Gehwege und Parkplätze an der Ortsdurchfahrt der Bundesstraße beschränkt ist (§ 5 Abs. 3 FStrG), bildet die Ortsdurchfahrt insgesamt die Einrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 und 3 KAG, die freilich nur im Rahmen der gemeindlichen Straßenbaulast beitragsfähig erneuert oder verbessert werden kann. Maßgebend kommt es demnach für die Beitragsabrechnung auf die Ausdehnung der jeweiligen Ortsdurchfahrt an. Wie weit eine Ortsdurchfahrt im Rahmen ihrer straßenrechtlich vorgegebenen Grenzen (§ 5 Abs. 4 FStrG) reicht und wo sie in eine andere selbstständige Verkehrsanlage – gegebenenfalls auch eine andere Ortsdurchfahrt – übergeht, bestimmt sich grundsätzlich nach dem Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter im Hinblick auf Straßenführung, Straßenbreite und -länge sowie Straßenausstattung vermitteln. Zu fragen ist dabei, inwieweit sich die zu beurteilende Einrichtung als augenfällig eigenständiges Element des örtlichen Straßennetzes darstellt. Zugrunde zu legen ist der Zustand im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten, also nach Durchführung der Ausbaumaßnahme. Bei der – hier in Streit stehenden – Erhebung von Vorauszahlungen nach Art. 5 Abs. 5 Satz 1 KAG, die begrifflich immer vor dem Entstehen der endgültigen sachlichen Beitragspflichten erfolgt, ist demnach prognostisch nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung zu bewerten, wie die Ortsdurchfahrt sich nach vollständiger Umsetzung des gemeindlichen Bauprogramms insbesondere im Verhältnis zu den sich anschließenden Straßen darstellen wird (BayVGH, Beschluss vom 04.11.2014 – 6 CS 14.1466, juris Rn. 10 und 11).
Gemessen an diesem Maßstab erscheint die Betrachtungsweise der Beklagten, dass innerhalb der Ortsdurchfahrt der B von Westen kommend an der Einmündung der X-Straße eine selbstständige öffentliche Einrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG, § 6 Abs. 2 Satz 1 ABS beginnt, vertretbar. Diese Einrichtung endet nach natürlicher Betrachtungsweise allerdings nicht an der Ausbaugrenze vor der Einmündung der Z-Straße, sondern an der Einmündung des …-weges und damit (laut Ausdruck aus dem BAYSIS) an der Grenze zwischen Erschließungsbereich und Verknüpfungsbereich. Diesen Eindruck vermittelt der Gehweg, der auf der südöstlichen Straßenseite in gleichbleibender Breite bis zur Einmündung des …-weges verläuft.
Folglich sind gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG, § 2 und § 6 Abs. 3 Satz 1 ABS auch die Grundstücke Fl.-Nrn. A und A1 gegenüber dem Einmündungstrichter der Z-Straße als Anliegergrundstücke der beitragsrechtlich maßgeblichen Einrichtung in die Verteilung des umlagefähigen Aufwands einzubeziehen.
b) Zum beitragsfähigen Aufwand, der auf alle Grundstücke des Abrechnungsgebietes zu verteilen ist, gehören auch die Kosten für die Erneuerung der Straßenbeleuchtung im 1. Bauabschnitt (X-Straße bis Y-Straße), unabhängig davon, dass im Jahr 2010 der Aufwand für die Erneuerung der Straßenbeleuchtung von der Y-Straße bis zur Z-Straße nur auf die Anliegergrundstücke dieses Abschnitts verteilt wurde. Die daraus resultierende Teilrechtswidrigkeit der damals erlassenen Beitragsbescheide ändert nichts daran, dass der Aufwand für den streitgegenständlichen Ausbau einschließlich der dazugehörigen Kosten für die Erneuerung der Straßenbeleuchtung im 1. Bauabschnitt gesetzes- und satzungskonform auch auf die Anliegergrundstücke des 2. Bauabschnitts zu verteilen ist.
c) Gemäß Art. 5 Abs. 2 Sätze 1 und 2 KAG, § 8 Abs. 2 ABS wird in einem Abrechnungsgebiet mit unterschiedlicher baulicher oder sonstiger Nutzung der umlagefähige Aufwand auf die beitragspflichtigen Grundstücke nach den Grundstücksflächen, vervielfacht mit einem von der zulässigen Geschosszahl abhängigen Nutzungsfaktor, verteilt. Für Grundstücke, die überwiegend gewerblich genutzt werden oder genutzt werden dürfen, ist gemäß § 8 Abs. 10 ABS der Nutzungsfaktor um 50% zu erhöhen.
Lässt die Gebietsstruktur – wie im streitgegenständlichen Abrechnungsgebiet – sowohl eine überwiegend gewerbliche als auch eine überwiegende Wohnnutzung zu, bleiben bei dem Geschossflächenvergleich, aufgrund dessen zu bestimmen ist, ob ein Grundstück überwiegend gewerblich genutzt wird oder genutzt werden darf, solche Geschossflächen außer Betracht, deren frühere Nutzung im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht endgültig aufgegeben worden ist, ohne dass eine neue Nutzung eingesetzt hat (BayVGH, Urteil vom 08.03.2001 – 6 B 98.2837, juris Rn. 19; Beschluss vom 04.11.2014 – 6 CS 14.1469, juris Rn. 16; Beschluss vom 18.05.2016 – 6 ZB 15.2785, juris Rn. 23). Ferner ist für die Beantwortung der zur Anwendung des Artzuschlags maßgeblichen Frage nach der Geschossfläche die nutzbare Höhe des betreffenden Raumes irrelevant. Genutzte Dachgeschossflächen, welche die gleiche Fläche aufweisen wie das Obergeschoss, sind auch zu beachten, wenn sie keine Vollgeschosse sind (BayVGH, Beschluss vom 18.05.2016 – 6 ZB 15.2785, juris Rn. 21).
Nach diesen Grundsätzen ist das – soweit nicht leerstehend – ausschließlich gewerblich genutzte Grundstück Fl.-Nr. B mit einem um 50% erhöhten Nutzungsfaktor in die Aufwandsverteilung einzubeziehen, während auf den Grundstücken Fl.-Nrn. C, D und E jeweils die Wohnnutzung überwiegt. Beim Grundstück Fl.-Nr. C wird das Obergeschoss (=Dachgeschoss), welches die gleiche Fläche aufweist wie das (ganz oder teilweise) gewerblich genutzte Erdgeschoss, zu Wohnzwecken genutzt, so dass die gewerbliche Nutzung jedenfalls nicht überwiegt. Das Grundstück Fl.-Nr. D wird – soweit nicht leerstehend – ausschließlich zu Wohnzwecken genutzt. Beim Grundstück Fl.-Nr. E ist die Fläche der Arztpraxis kleiner als die Fläche der Wohnbebauung.
Vom Grundstück Fl.-Nr. F ist nicht nur die nördliche Teilfläche, sondern die volle Fläche beitragspflichtig, weil grundsätzlich auf das Buchgrundstück abzustellen ist. § 8 Abs. 3 ABS, der die Ermittlung der beitragspflichtigen Grundstücksfläche regelt, enthält keine Bestimmung, welche eine beitragsrechtliche Teilung des Grundstücks Fl.-Nr. F rechtfertigen würde. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme (auch) der Ortsdurchfahrt der B besteht vom gesamten Grundstück aus, unabhängig davon, dass das Wohngebäude im südlichen Grundstücksteil zur Y-Straße und W-Straße hin ausgerichtet ist. Bei einer Gesamtbetrachtung des Grundstücks überwiegt die Wohnnutzung mit der Folge, dass der Nutzungsfaktor nicht gemäß § 8 Abs. 10 ABS zu erhöhen und die Eckgrundstücksvergünstigung gemäß § 8 Abs. 11 Satz 1 ABS zu gewähren ist.
d) Nach diesen Maßgaben errechnet sich ausgehend vom Aufwand des 1. Bauabschnitts, den die Beklagte der Vorauszahlungserhebung zugrunde gelegt hat, ein Vorauszahlungsbeitragssatz von 1,96044 EUR/qm, der entsprechend dem Vorgehen der Beklagten (Abrundung des ursprünglich ermittelten Vorauszahlungsbeitragssatzes von 2,26625 EUR/qm auf 2,25 EUR/qm) auf 1,95 EUR/qm abgerundet wird. Auf das streitgegenständliche Grundstück mit einer beitragspflichtigen Fläche von 802,10 qm entfällt damit eine Vorauszahlung von 1.564,10 EUR.
2. Die Kostenentscheidung entspricht annähernd dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen, § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 ZPO.


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