Baurecht

Straßenverkehrsrechtliche Anordnung, Verbot für Fahrzeuge aller Art, besondere Gefahrenlage (verneint), Dokumentationsobliegenheit der Straßenverkehrsbehörde, Ermessensfehler

Aktenzeichen  11 CS 21.2672

Datum:
14.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 955
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVO § 45 Abs. 1, Abs. 9 S. 1 und 3
Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO Zeichen 250

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RO 3 E 21.1528 2021-10-11 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerin, eine einer Verwaltungsgemeinschaft angehörende kreisangehörige Gemeinde, wendet sich gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen ein von ihr angeordnetes Durchfahrtsverbot.
Der Antragsteller ist u.a. Eigentümer des landwirtschaftlich genutzten Grundstücks Fl.Nr. … der Gemarkung B … Das Landratsamt R … genehmigte mit Bescheiden vom 13. November 2019 und 22. April 2021 unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens die Errichtung einer landwirtschaftlichen Maschinen- und Lagerhalle auf diesem Grundstück. Die Zufahrt zu der Halle soll von der Gemeindeverbindungsstraße E …-B … über einen Streifen des Grundstücks Fl.Nr. … und das Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung B … erfolgen, die beide im Flurbereinigungsverfahren als öffentliche Feld- und Waldwege bestandskräftig (15.12.1975) zugewiesen wurden. Über die Klage der Antragsgegnerin gegen die Baugenehmigungsbescheide (RO 2 K 19.2469) ist soweit ersichtlich noch nicht entschieden.
Nach verkehrspolizeilicher Einschätzung vom 21./22. Dezember 2020 liegt die Ausfahrt von den öffentlichen Feld- und Waldwegen auf die Gemeindeverbindungsstraße E …-B … in einer scharfen, unübersichtlichen Rechtskurve. Der Kurvenverlauf steige an und falle nach dem Scheitelpunkt ab, so dass die Ausfahrt erst spät wahrgenommen werde. Sie werde derzeit durch Baufahrzeuge genutzt und sei künftig als Betriebsausfahrt zu betrachten, was ein höheres Verkehrsaufkommen erwarten lasse. Der Antragsteller könne seinen Betrieb ohne größeren Umweg auch über den Feldweg Fl.Nr. … erreichen.
Am 18. Februar 2021 beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin in nichtöffentlicher Sitzung, an der Gemeindeverbindungsstraße E …-B … im Kurvenbereich an dem im Eigentum des Antragstellers stehenden Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung B … das Verkehrszeichen 250 (Verbot für Fahrzeuge aller Art) beidseitig aufzustellen, um die Ein- und Ausfahrt an dieser gefährlichen Stelle zu verhindern.
Daraufhin erließ die Verwaltungsgemeinschaft L … als Behörde der Antragsgegnerin am 6. April 2021 eine entsprechende verkehrsrechtliche Anordnung. Am 8. April 2021 wurde das angeordnete Verkehrszeichen aufgestellt.
Mit Schreiben vom 28. Juli 2021 forderte der Bevollmächtigte des Antragstellers die Antragsgegnerin auf, das Verbot bis zum 30. Juli 2021, 12:00 Uhr, zu entfernen und die Zufahrt von der Gemeindeverbindungsstraße über die Fl.Nr. … auf das Wegegrundstück Fl.Nr. … für Fahrzeuge aller Art offenzuhalten.
Am 30. Juli 2021 beantragte der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung und stellte diesen mit Schriftsatz vom 11. August 2021 in einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes um. Am 17. August 2021 erhob er Anfechtungsklage (RO 3 K 21.1651) gegen die straßenverkehrsrechtliche Anordnung, über die noch nicht entschieden ist.
Mit Beschluss vom 11. Oktober 2021 ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die verkehrsrechtliche Anordnung der Antragsgegnerin vom 6. April 2021 an. Der Zulässigkeit des Antrags stehe insbesondere nicht die Antragsänderung mit Schriftsatz vom 11. August 2021 entgegen. Es könne dahinstehen, ob es sich dabei um eine zulässige Umdeutung gemäß § 122 Abs. 1, § 88 VwGO handle oder um eine Antragsänderung im Sinne von § 91 VwGO, weil die Änderung jedenfalls sachdienlich und damit auch trotz fehlender Zustimmung der Antragsgegnerin zulässig sei. Der Antragsteller sei auch gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog antragsbefugt, weil er als Verkehrsteilnehmer durch das Verkehrsverbot jedenfalls in seinem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit betroffen sei. Der Antrag sei auch begründet, da die Antragsgegnerin passiv legitimiert (Art. 2 Satz 1 Nr. 1, Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ZustGVerk i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Satz 3 VGemO i.V.m. § 1 Nr. 5 der Verordnung über Aufgaben der Mitgliedsgemeinden von Verwaltungsgemeinschaften) und die verkehrsrechtliche Anordnung voraussichtlich materiell rechtswidrig sei. Aus der Behördenakte und dem Vorbringen der Antragsgegnerin ergebe sich nicht, dass die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage (§ 45 Abs. 1 i.V.m. Abs. 9 StVO) für die Errichtung des Verkehrszeichens 250 (Verbot für Fahrzeuge aller Art), insbesondere eine qualifizierte Gefährdungslage für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, gegeben seien. Es sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass sich an der streitgegenständlichen Stelle in der Vergangenheit Verkehrsunfälle ereignet hätten. Zwar genüge nach der Rechtsprechung insoweit eine das allgemeine Risiko deutlich übersteigende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse. Habe aber eine langjährig bestehende verkehrsrechtliche Situation ohne offensichtlich hohes Gefahrenpotenzial noch nie zu einem Unfall geführt, sei dies durchaus ein Anhaltspunkt dafür, dass es an einer besonderen Gefahrenlage fehle. Diese könne nicht allein mit der Streckenführung der Gemeindeverbindungsstraße begründet werden. Allein die Lage der streitgegenständlichen Einmündung in einem Kurvenbereich rechtfertige noch nicht die Annahme, dass in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Schadensfälle zu erwarten seien. Die Antragsgegnerin trage lediglich vor, für die von B … kommenden Fahrzeuge bestünden wegen der Unübersichtlichkeit des Einfahrtsbereichs erhebliche Gefahren. In dem Aktenvermerk der Verwaltungsgemeinschaft vom 21. Dezember 2020 werde die Feststellung, die Stelle sei aus B … kommend sehr unübersichtlich und daher gefährlich, weder näher begründet noch substantiiert. Dass die verkehrspolizeilichen Feststellungen vom 22. Dezember 2020 ohne Berücksichtigung weiterer Faktoren das Vorliegen einer qualifizierten Gefahrenlage begründeten, könne weder den dem Gericht vorgelegten Lageplänen und Lichtbildaufnahmen entnommen werden, noch lasse sich dies anhand der herangezogenen Luftbildausnahmen aus dem Bayern-Atlas feststellen. Die Antragsgegnerin habe das Vorliegen besonderer örtlicher Verhältnisse nicht hinreichend ermittelt und keine konkreten Feststellungen zu den Sichtverhältnissen, insbesondere zu den vorhandenen Sichtweiten auf Höhe des streitgegenständlichen Streckenabschnitts, getroffen. Nach der Niederschrift der Gemeinderatssitzung vom 18. Februar 2021 habe die Antragsgegnerin das Landratsamt zwar aufgefordert, im Rahmen der Baugenehmigung ein Sichtgeschwindigkeitsgutachten heranzuziehen. Dieses habe zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Gemeinderats aber noch nicht vorgelegen. Auch zu einem die Annahme einer qualifizierten Gefahrenlage rechtfertigenden Verkehrsaufkommen lasse sich den Akten und dem Vorbringen der Antragsgegnerin nichts entnehmen. Auf ihre Annahme, die Nutzung der Maschinen- und Lagerhalle mache den streitgegenständlichen Einmündungsbereich künftig zu einer „Betriebszufahrt“, habe der Antragsteller entgegnet, die geplante Halle diene als Getreidelager und zum Abstellen von Maschinen. Getreide werde meist an nur zwei Tagen im Jahr, etwa acht Stunden pro Tag, eingelagert; das Herausfahren von Maschinen sei nur an etwa 20 Tagen im Jahr erforderlich. Dem sei die Antragsgegnerin nicht substantiiert entgegengetreten. Zwar könnte – jedenfalls während der Bauphase – damit zu rechnen sein, dass mehr Fahrzeuge als bisher üblich den streitgegenständlichen Einmündungsbereich befahren würden. Allerdings setze eine Bewertung der dadurch (möglicherweise) entstehenden Gefährdungslage zunächst eine Ermittlung der Höhe des Verkehrsaufkommens auf der Gemeindeverbindungsstraße sowie tragfähige Feststellungen zu den vorhandenen Sichtverhältnissen voraus. Überdies habe die Antragsgegnerin nicht ansatzweise ausreichend dargelegt, dass nicht nur beim Ausfahren vom Grundstück Fl.Nr. … auf die Gemeindeverbindungsstraße, sondern auch beim Einfahren in umgekehrter Richtung eine qualifizierte Gefährdungslage bestehe. Zudem fehle es völlig an einem Unfallgeschehen. Ferner sei die verkehrsrechtliche Anordnung voraussichtlich auch ermessensfehlerhaft, da sich die in die Entscheidung eingestellten konkreten Belange weder der verkehrsrechtlichen Anordnung noch der Niederschrift über die vorausgegangene Beschlussfassung des Gemeinderats eindeutig entnehmen ließen. Der Inhalt der „regen Diskussion“ sei nicht dokumentiert. Die Antragsgegnerin habe ihr Ermessen schon deshalb nicht ordnungsgemäß ausgeübt, weil nicht erkennbar sei, dass sie z.B. eine Geschwindigkeitsbegrenzung als milderes Mittel in Betracht gezogen habe. Sie habe im gerichtlichen Verfahren auch keine Ermessenserwägungen nachgeschoben, die den Fehler hätten heilen können. Die bloßen Hinweise, die gleiche Geeignetheit einer Geschwindigkeitsbeschränkung sei zweifelhaft und die Verkehrspolizei habe ihr dies nicht so vorgestellt, reiche für eine Heilung nicht aus. Es obliege der Antragsgegnerin, die Geeignetheit und Effektivität eines – im Vergleich zu einer Sperrung für jeglichen Fahrzeugverkehr – milderen Mittels zu prüfen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass sie sich mit der Frage auseinandergesetzt habe, weshalb eine Sperrung für jeglichen Fahrzeugverkehr erforderlich sei und nicht einzelne Fahrzeugarten hiervon ausgenommen werden könnten. Nicht mehr entscheidungserheblich sei daher, dass die Widmung der Wegstücke auf den Flurnummern 128 und 131 als öffentliche Feld- und Waldwege im Sinne von Art. 53 Nr. 1 BayStrWG dem Verkehrsverbot entgegenstehen könnte. Es spreche einiges dafür, dass die Antragsgegnerin durch den Erlass der straßenverkehrsrechtlichen Anordnung die Grundlagen des Verhältnisses von Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht verkannt habe. Mit einer Verkehrsbeschränkung auf der Grundlage des Straßenverkehrsrechts könne kein Zustand herbeigeführt werden, der im Ergebnis auf eine endgültige Entwidmung oder Teileinziehung hinauslaufe. Hier liege voraussichtlich eine faktische Umwidmung bzw. (Teil-)Einziehung der Fl.Nr. … vor, da das Befahren der Straße mit Fahrzeugen aller Art ausgeschlossen werde, d.h. insbesondere auch der Verkehr mit land- und forstwirtschaftlichen Fahrzeugen. Vor dem Hintergrund, dass öffentliche Feld- und Waldwege nach Art. 53 BayStrWG gerade der Bewirtschaftung von Feld- und Waldgrundstücken dienten, stünde der Widmungszweck des streitgegenständlichen Wegstücks einer Sperrung für jeglichen Fahrzeugverkehr – ohne Ausnahme des land- und forstwirtschaftlichen Verkehrs – voraussichtlich entgegen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, der der Antragsteller entgegentritt. Das Verwaltungsgericht stelle seine eigenen Einschätzungen über die Beurteilung des von der Antragsgegnerin als amtlicher Sachverständiger hinzugezogenen Verkehrssachbearbeiters der zuständigen Polizeiinspektion. Nach dessen Bewertung befinde sich die derzeit genutzte Ausfahrt im Auslauf einer scharfen unübersichtlichen Kurve. Die Ausfahrt könne wegen der Topographie (Kurvenverlauf ansteigend nach dem Scheitelpunkt abfallend) erst sehr spät wahrgenommen werden. Diese Einfahrt sei aus Gründen der Verkehrssicherheit umgehend aufzulösen, insbesondere aufgrund der ersichtlich höheren Frequentierung und damit erhöhten Gefahren („sehr gefährlich“). Dies ergebe sich aus den vorgelegten Akten. Dienstlichen Erklärungen von Beamten komme ein erhöhter Beweiswert zu, da sie verpflichtet seien, die ihnen übertragenen Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen. Wenn die Antragsgegnerin aufgrund einer Ortsansicht eines fachlich qualifizierten und zur Neutralität verpflichteten und damit glaubwürdigen Beamten entscheide, eine Gefahrenstelle in der von diesem vorgeschlagenen Weise zu begegnen, so sei dies nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht breite letztlich nur eigene Erwägungen über die niemals beobachtete Situation aus und meine, allein aufgrund von Unterlagen eine bessere Bewertung als der zugezogene Verkehrspolizist vornehmen zu können. Es sei auch nicht richtig, ein völlig fehlendes Unfallgeschehen besonders hervorzuheben, denn unstreitig habe die Bautätigkeit und damit verbundene Nutzung der gefahrträchtigen Ausfahrt gerade erst begonnen. Wenn es wegen einer zuvor praktisch fehlenden Benutzung der Ausfahrt nicht zu Unfällen gekommen sei, so könne es nicht vernünftig sein, eine starke Frequentierung zunächst einmal auf ihre Unfalltauglichkeit hin zu „testen“. Soweit das Gericht den Vorwurf erhebe, eine Geschwindigkeitsbeschränkung als milderes Mittel sei nicht geprüft worden, übersehe es, dass sich die Ausfahrt nahe des nördlichen Bereichs befinde, wo die Geschwindigkeit auf 50 km/h beschränkt sei. Der Polizeibeamte habe eine Verlängerung der Geschwindigkeitsbeschränkung um einige Meter von vornherein nicht als ein zur Gefahrenunterbindung taugliches Mittel angesehen. Soweit das Verwaltungsgericht seine Entscheidung wesentlich mit eigener Fachkenntnis über verkehrsrechtliche Risiken und Abläufe begründe, habe das nicht seine Aufgabe sein können. Die Einschätzung, dass die straßenverkehrsrechtliche Anordnung sich im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen werde, sei ebenso verfehlt, wie die im Zuge der Interessenabwägung getroffene Entscheidung gegen einen auch nur vorübergehenden Bestand der verkehrsrechtlichen Anordnung. Die Antragsgegnerin sei schon aus Haftungsgründen gezwungen, gegen eine solche Entscheidung Beschwerde einzulegen und nichts unversucht zu lassen, die von ihr im Einklang mit der Verkehrspolizei für geeignet, angemessen und erforderlich gehaltene Regelung zu verteidigen. Die Ausführungen in den Entscheidungsgründen ab Seite 19 seien überflüssig. Es liege die Vermutung nahe, dass das Gericht dem Narrativ des Antragstellers aufgesessen sei.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Aus den in den Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zu ändern oder aufzuheben wäre.
Nach der im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 1.9.2017 – 3 B 50.16 – NVwZ-RR 2018, 12 = juris Rn. 8) anwendbaren Fassung des § 45 Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrs-Ordnung vom 6. März 2013 (StVO, BGBl I S. 367), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Juli 2021 (BGBl I S. 3091), können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten. Nach § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO sind Verkehrszeichen jedoch nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nach § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass besondere örtliche Verhältnisse im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO bei verkehrsbehördlichen Maßnahmen insbesondere in der Streckenführung, dem Ausbauzustand der Strecke, witterungsbedingten Einflüssen (z.B. Nebel, Schnee- und Eisglätte), der dort anzutreffenden Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein können (vgl. BVerwG, B.v. 3.1.2018 – 3 B 58.16 – juris Rn. 21 m.w.N.).
Für das Vorliegen einer aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse bestehende Gefahrenlage, die das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigt, trägt die Straßenverkehrsbehörde die materielle Beweislast. Es obliegt ihr daher, die zugrundeliegenden Umstände zu ermitteln, zu dokumentieren und aktenkundig zu machen (BayVGH, B.v. 29.1.2021 – 11 ZB 20.1020 – KommunalPraxis BY 2021, 147 = juris Rn. 24; B.v. 28.12.2020 – 11 ZB 20.2176 – ZfSch 2020, 115 = juris Rn. 22; vgl. auch Friedrich in Dötsch/Koehl/Krenberger/Türpe, BeckOK Straßenverkehrsrecht, Stand 15.10.2021, § 39 Rn. 54).
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Antragsgegnerin ihrer Darlegungslast nicht genügt hat und nicht ausreichend belegt ist, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die getroffene straßenverkehrsrechtliche Anordnung vorliegen und alle maßgebenden örtlichen Verhältnisse ermittelt worden sind. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird auf die in dem angegriffenen Beschluss ausführlich dargelegten Gründen Bezug genommen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin hat sich das Gericht nicht über eine sachverständige Einschätzung der Verkehrspolizei hinweggesetzt, sondern diese – was nicht dasselbe ist – wegen fehlender tatsächlicher Feststellungen sowie gemessen an den vorliegenden Lageplänen, Fotos und Luftbildaufnahmen für nicht nachvollziehbar erachtet. Auch wenn die Straßenverkehrsbehörde ihrer Entscheidung die Einschätzung einer anderen Fachstelle zugrunde legt oder sogar dazu verpflichtet ist, diese einzuholen (vgl. VwV-StVO zu § 45 Abs. 3 Ziff. IV Nr. 2 Buchst. a), entbindet sie das nicht von ihrer Dokumentationsobliegenheit, sofern der fachlichen Einschätzung der Fachstelle – so wie hier – keine entsprechenden tatsächlichen Feststellungen zu entnehmen sind. Auch der Senat vermag die Wertungen des Polizeibeamten mangels hinreichender Feststellungen nicht nachzuprüfen. So kann anhand der Akten weder nachvollzogen werden, dass der Zufahrtsbereich zum Bauvorhaben des Antragstellers an einer scharfen Kurve der Gemeindeverbindungsstraße liegt (vgl. Müther in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 1.12.2021, § 12 StVO Rn. 34 zu dem in § 12 Abs. 1 Nr. 3 StVO verwendeten unbestimmten Rechtsbegriff, wonach eine Kurve scharf ist, wenn ihr Radius so klein ist, dass die Gefahr des Abweichens von der Richtung in besonderem Maße gegeben ist, jedenfalls dann, wenn sie einen 90°-Winkel oder noch kleineren Winkel beschreibt), noch, wie stark die Straße im Bereich der Grundstückszufahrt ansteigt, wie unübersichtlich diese Stelle ist, welche Geschwindigkeiten hier gefahren werden und zulässig sind, wie stark das Verkehrsaufkommen ist oder dass hier eine Betriebsausfahrt entsteht, die zu einem höheren Verkehrsaufkommen führen wird. Dem diesbezüglichen Vortrag des Antragstellers zu Art und Umfang der Nutzung der neuen landwirtschaftlichen Lager- und Maschinenhalle, der in Anbetracht des allgemeinen Zwecks einer derartigen Halle und der ihm erteilten Baugenehmigungen plausibel erscheint, und zur nicht gegebenen Nutzbarkeit des Feldwegs auf Grundstück Fl.Nr. … als alternative Zufahrt ist die Antragsgegnerin nicht substantiiert entgegengetreten. Vor diesem Hintergrund fehlt auch die tatsächliche Grundlage für die Schlussfolgerung der Antragsgegnerin, es sei eine neue tatsächliche Lage entstanden, die ein Unfallgeschehen erwarten lasse.
Das Verwaltungsgericht ist entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin auch zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, es lasse sich nicht feststellen, dass sie das ihr durch § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat. Zwar muss eine in sonstiger Weise (Art. 37 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG) erlassene Allgemeinverfügung wie die Anordnung und Aufstellung eines Verkehrszeichens anders als ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt (Art. 39 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG) keine Begründung im Sinne von Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG enthalten, die die Gesichtspunkte erkennen lässt, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 39 Rn. 105). Allerdings müssen die vor Erlass der straßenverkehrsrechtlichen Anordnung angestellten Ermessenserwägungen zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes in irgendeiner Weise erkennbar sein (vgl. Friedrich, a.a.O. § 39 Rn. 48, 56; Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 143a wonach Behörden unmittelbar aus Art. 19 Abs. 4 GG verpflichtet sein können, eine zu überprüfende Maßnahme zu begründen und ihr Vorgehen zu dokumentieren) und zumindest nachvollziehbar dargelegt werden. Dies war hier nicht der Fall. Der Umstand, dass sich in den Behördenakten durchaus Gründe für den Erlass der straßenverkehrsrechtlichen Anordnung finden, nicht aber ein Hinweis darauf, dass eine Geschwindigkeitsbeschränkung überhaupt nur in Betracht gezogen worden ist, weist auf einen entsprechenden Ermessensausfall hin. Der Vortrag, der Polizeibeamte habe eine – als mildere Maßnahme nicht fernliegende – Geschwindigkeitsbeschränkung wegen der Ortsnähe der Zufahrt als von vorherein untauglich ausgeschieden, beruht auf einer bloßen Spekulation und ist im Übrigen auch nicht nachvollziehbar.
Soweit die Antragsgegnerin sich gegen die gerichtlichen Hilfserwägungen (Beschluss, S. 19 ff.) wendet, dass auch die Widmung der Grundstücke Fl.Nr. … und … als öffentliche Feld- und Waldwege der straßenverkehrsrechtlichen Anordnung entgegenstehen könnte, kam es hierauf nicht entscheidungserheblich an.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 46.15 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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