Baurecht

Trennende oder verbindende Wirkung einer Straße im Bebauungsplan

Aktenzeichen  M 29 K 17.30

Datum:
25.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 53023
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 2
BauNVO § 5, § 15 Abs. 1 S. 2
BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid vom … November 2016 wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Baugenehmigung zur Errichtung einer Pfostenwerbeanlage entsprechend dem Bauantrag Nr. 102/2015 vom 18. September 2015 zu erteilen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 HS. 1 BayBO, da dem streitgegenständlichen Vorhaben keine im vereinfachten Genehmigungsverfahren (Art. 59 BayBO) zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens richtet sich nach § 34 BauGB, da das streitgegenständliche Grundstück im unbeplanten Innenbereich liegt.
Das Vorhaben entspricht den sich aus § 34 Abs. 1 und 2 BauGB ergebenden Anforderungen. Vor allem fügt sich die Werbeanlage ihrer Art nach in die Eigenart der näheren Umgebung ein.
1. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Nach § 34 Abs. 2 BauGB beurteilt sich, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die aufgrund der BauNVO bezeichnet sind, entspricht, die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der BauNVO in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre.
Die maßgebende nähere Umgebung reicht einmal insoweit, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und zweitens insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Dabei darf nicht nur diejenige Bebauung als erheblich angesehen werden, die gerade in der unmittelbaren Nachbarschaft des Baugrundstücks überwiegt, sondern es muss auch die Bebauung der weiteren Umgebung des Grundstücks insoweit berücksichtigt werden, als auch sie noch prägend auf dasselbe einwirkt (BayVGH, B.v. 20.9.2012 – 15 ZB 11.460 – juris Rn. 6). Wie weit diese wechselseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls (BVerwG, U.v. 28.8.2003 – 4 B 74/03 – juris Rn. 2). Dabei ist die nähere Umgebung für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten Zulässigkeitsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil die prägende Wirkung der jeweils maßgeblichen Umstände unterschiedlich weit reichen kann (BVerwG, B.v. 6.11.1997 – 4 B 172/97 – juris Rn. 5). Der näheren Umgebung ist nur das zuzurechnen, was Bestandteil des Innenbereichs ist. Der benachbarte Außenbereich bleibt außer Betracht (BVerwG, U.v. 10.12.1982 – 4 C 28.81 – juris Rn. 16).
Ob eine Straße insoweit eine trennende oder verbindende Wirkung hat, ist ebenfalls eine Frage des Einzelfalles (BayVGH, B. v. 20.9.2012 – 15 ZB 11.460 – juris Rn. 6). Eine Bundesstraße, die von vergleichsweise geringer Breite ist, die ungehindert überquert werden kann und die innerhalb einer Ortsdurchfahrt überwiegend beidseitig bebaut ist, hat keine die Bebauung trennende, sondern im Gegenteil eine verbindende Wirkung (Söfker in EZBK, BauGB, Stand: Mai 2019, § 34 Rn. 24 – zu Baulücken; OVG Koblenz, U.v. 9.3.2015 – 6 A 10054.15 – juris Rn. 23).
Es spricht vorliegend jedoch einiges für eine trennende Wirkung der Augsburger Straße, da diese im Zeitpunkt des Augenscheins auch mit Schwerlastverkehr viel befahren war, im Bereich des streitgegenständlichen Vorhabens und weiter nach Osten beidseitig einen Gehweg und insgesamt eine Straßenbreite von ca. 10 bis 11 m aufweist. Ob die … Straße tatsächlich trennende Wirkung hat, kann vorliegend aber offen bleiben, da die Werbeanlage auch ohne Berücksichtigung der Bebauung auf der gegenüberliegenden Straßenseite, insbesondere des schräg gegenüberliegenden Rathauses und des ebenfalls auf der gegenüberliegenden Straßenseite, weiter östlich liegenden Sparkassengebäudes, … Straße, zulässig ist.
2. Bezieht man – wie die Beteiligten dies tun – den landwirtschaftlichen Betrieb in der Jahn straße 8 noch in die nähere Umgebung des streitgegenständlichen Grundstücks, auf dem die Werbeanlange geplant ist, mit ein, so entspricht die Eigenart der näheren Umgebung vorliegend einem faktischen Dorfgebiet im Sinne des § 5 BauNVO. Denn schon wegen dieses neben der Wohnnutzung vorhandenen landwirtschaftlichen Betriebs ist die nähere Umgebung als faktisches Dorfgebiet einzustufen (BayVGH, U.v. 16.10.2013 – 15 B 12.1808 – juris Rn. 18). Ob die nähere Umgebung sonst überwiegend durch Wohnhäuser geprägt ist, ist nicht entscheidungserheblich. Denn der Charakter eines Dorfgebiets hängt grundsätzlich nicht von einem bestimmten prozentualen Mischverhältnis der zulässigen Nutzungsarten ab (BVerwG, B.v. 19.1.1996 – 4 B 7/96 – juris Rn. 5).
a. Danach ist die geplante Fremdwerbeanlage, bei der es sich um eine selbständige gewerbliche Hauptnutzung handelt (vgl. BVerwG, U.v. 03.12.1992 – 4 C 27/91 – juris Rn. 24), nach § 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO als sonstiger Gewerbebetrieb grundsätzlich zulässig.
b. Die Errichtung der Werbetafel an der konkreten Stelle verursacht auch keine städtebauliche erhebliche und unzumutbare Störung im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO und ist damit nicht rücksichtslos gegenüber der angrenzenden Wohnbebauung.
Bei „Störungen“ muss es sich um negative Auswirkungen der nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO zu beurteilenden konkreten Anlagen auf andere Nutzungsmöglichkeiten handeln, die von der Anlage in ihrem Einwirkungsbereich nachteilig beeinflusst werden. Es handelt sich dabei um eine Betroffenheit im baurechtlich-nutzungsrechtlichen Sinne. Hauptfall ist die Einwirkung durch Immissionen. Für die maßgeblichen Belästigungen und Störungen, die von diesen Anlagen ausgehen, kommt es auf deren Auswirkungen im Baugebiet selbst und dessen Umgebung an (Söfker in EZBK, BauGB, Stand: Mai 2019, § 15 BauNVO Rn. 21, 28). Der Begriff Störung erfasst jedoch nicht nur schädliche Umwelteinwirkungen im Sinn des § 3 Abs. 1 BImSchG, sondern jede städtebaulich erhebliche, die Umgebung beeinträchtigende Einwirkung. Auch eine massive optische Einwirkung kann eine Störung sein (BayVGH, B.v. 22.1.2004 – 1 ZB 03.294 – juris Rn. 11).
Die Werbetafel ist nach dieser Maßgabe an dem Standort nicht in optisch sich aufdrängender Weise störend. Mit einer Gesamthöhe von 3,80 m wird die Anlage zwar den sich auch am Standort befindlichen Schaltschrank verdecken und – wie es bereits in der Natur der Sache liegt – wird die auf der Anlage aufgebrachte Werbung die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich ziehen. Das Vorhaben befindet sich jedoch im Abstand von ca. 10 m zur nächsten Wohnbebauung, die sich um einige Meter zurückgesetzt von der … Straße und damit nicht auf derselben Höhe wie die geplante Werbeanlage befindet. Weiter steht die geplante Anlage nicht in Kontrast zur übrigen Bebauung, die nicht homogen nur wohngenutzt, sondern durchsetzt von Gewerbebetrieben ist. Durch den geplanten Aufstellungsort am Ortsrand wird sie beinahe ausschließlich den sich auf der … Straße nähernden Autofahrern bzw. Fußgängern zugewandt sein und wird nicht in die Wohnbebauung entlang der … Straße hineinwirken. Auch aufgrund der hohen Bäume, die entlang der Straße nach Westen hin stehen und die die Wirkung der Werbeanlage deutlich abmildern, wird die Wohnruhe nicht erheblich beeinträchtigt. Der Bogen, in dem die … Straße verläuft, führt darüber hinaus dazu, dass die zur Tankstelle gehörende Werbung und die geplante Werbeanlage nicht gleichzeitig ins Blickfeld des Betrachters geraten.
3. Die rechtliche Beurteilung würde sich vom Ergebnis her nicht ändern, wenn man davon ausginge, dass bei der Bestimmung der näheren Umgebung im Sinne des § 34 BauGB der landwirtschaftliche Betrieb in der … * nicht (mehr) mit ein einbezogen wird, da dieser sich bereits in weiterer Entfernung zum streitgegenständlichen Grundstück befindet und durch das ehemals landwirtschaftlich genutzte, lang gezogene Gebäude in der … * abgeschirmt wird.
a. Unter dieser Annahme kann das Gebiet, in dem das streitgegenständliche Grundstück sich befindet, keinem der Baugebiete der BauNVO eindeutig zugeordnet werden.
Das Vorhaben soll dann nicht in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet, § 4 BauNVO, verwirklicht werden. Der Augenschein hat ergeben, dass in der näheren Umgebung einige gewerbliche Nutzungen vorhanden sind („Elektro …“ mit Laden in der … Straße … … … … in der … Straße * und … der … auf dem streitgegenständlichen Grundstück … Straße **). Nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO wären in einem allgemeinen Wohngebiet sonstige nicht störende Gewerbebetriebe nur ausnahmsweise zulässig; gleiches gilt nach § 4 Abs. 3 Nr. 5 BauNVO für Tankstellen.
Dass in einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 3 BauNVO Vorhaben nur ausnahmsweise zulässig sind, steht der Annahme eines allgemeinen faktischen Wohngebiets noch nicht entgegen. Dies ist aber dann anders, wenn die vorhandenen Vorhaben sich nicht auf wirkliche Ausnahmefälle beschränken, sondern gerade als „Ausnahmen“ eine eigene prägende Wirkung auf die Umgebung ausüben (BVerwG, B.v. 11.02.2000 – 4 B 1/00 – juris Rn. 34). Im Hinblick auf die beim Augenschein festgestellten gewerblichen Nutzungen scheidet vorliegend die Annahme eines faktischen allgemeinen Wohngebiets damit aus, so dass man zur Qualifizierung als städtebauliche Gemengelage käme, die nach den Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen ist.
b. Das Vorhaben ist auch danach planungsrechtlich zulässig. Für gewerbliche Nutzungen gibt es in der näheren Umgebung – wie ausgeführt – Vorbilder.
Im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB ergibt sich das Gebot der Rücksichtnahme aus dem Begriff des Einfügens. Die Errichtung dieser Werbetafel an der konkreten Stelle verursacht – wie oben bereits geprüft – keine städtebauliche erhebliche und unzumutbare Störung im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO und ist damit nicht rücksichtslos gegenüber der angrenzenden Wohnbebauung; die materiellen Anforderungen an das Rücksichtnahmegebot sind in beiden Fällen identisch (vgl. BayVGH, B.v. 08.07.2013 – 2 CS 13.807 – juris Rn. 12).
4. Auch eine Beeinträchtigung des Ortsbilds nach § 34 Abs. 1 Satz 2 HS. 2 BauGB, das ebenfalls zur Unzulässigkeit des Vorhabens führen würde, liegt nicht vor.
Der Schutz des Ortsbildes nach § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB, welches auf das Erscheinungsbild eines größeren Bereichs der Gemeinde abstellt, der über den Umgriff der näheren Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB hinausreicht, setzt eine bestimmte Wertigkeit für die Allgemeinheit voraus. Danach ist zu verlangen, dass das Ortsbild einen bestimmten Charakter, eine gewisse Eigenart hat, die dem Ort oder Ortsteil eine aus dem Üblichen herausragende Prägung verleiht (vgl. BVerwG, U.v. 11.5.2000 – 4 C 14/98 – juris Rn. 18 f.; BayVGH, U.v. 28.8.2011 – 2 B 01.74 – juris Rn. 13). Daraus ergibt sich Folgendes: Nicht jede Beeinträchtigung des vorhandenen Ortsbilds ist relevant. Entscheidend ist die konkrete Situation. Die Beeinträchtigung ist einerseits nicht jedes „Berührtsein“ des Ortsbildes, andererseits aber auch nicht nur eine Verunstaltung, wie dies § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB voraussetzt (BVerwG, B.v. 16.7.1990 – 4 B 106.90 – juris Rn. 6). Soweit jedoch Verunstaltungen vorliegen, kann dies auch eine Beeinträchtigung des Ortsbildes bedeuten. Hierfür ist mehr als nur das Fehlen einer harmonischen Beziehung des Vorhabens zur vorhandenen Bebauung erforderlich; eine Verunstaltung liegt aber vor, wenn das Vorhaben dem Ortsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und auch von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden wird (BVerwG, U.v. 22.6.1990 – 4 C 6.87 – juris Rn. 25).
Der Augenschein hat ergeben, dass dies vorliegend nicht der Fall ist. Dies folgt aus dem Umstand, dass die Werbeanlage am Ortsrand einer viel befahrenen Straße aufgestellt werden soll, entlang derer sich bereits eine Vielzahl an gewerblichen Nutzungen und auch das Rathaus der Gemeinde als Anlage der örtlichen Verwaltung befinden und durch den erheblichen Straßenverkehr schon eine erhebliche Unruhequelle vorliegt. Im Bereich des vorgesehenen Anbringungsortes ist also kein höherwertiges Orts- bzw. Straßenbild gegeben. Dass der Ort oder der Ortsteil einen besonderen Charakter bzw. eine gewisse Eigenheit hat, die ihm einen aus dem Üblichen herausragende Prägung verleiht und eine besondere Wertigkeit für die Allgemeinheit hat – z.B. durch einen denkmalgeschützten Kirchturm und die dörfliche Prägung (vgl. BayVGH, B.v. 30.07.2014 – 1 ZB 12.1837 – juris Rn. 3) -, hat weder der Augenschein ergeben, noch wurde dies vom Beklagten oder der Beigeladenen vorgetragen.
5. Der Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, sind ihr keine Kosten aufzuerlegen, § 154 Abs. 3 HS. 1 VwGO. Sie hat ihre außergerichtlichen Kosten jedoch selbst zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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