Baurecht

Überwälzung der Instandhaltungs- und Instandsetzungspflicht von Gemeinschaftseigentum auf den Einzelnen (Abwasseranlage)

Aktenzeichen  36 S 17680/16 WEG

Datum:
6.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 135161
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 670, § 683, § 684, §§ 818 ff.
WEG § 21 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Die Instandhaltungs- und Instandsetzungspflicht darf für bestimmte Bereiche des Gemeinschaftseigentums, für die gemäß § 21 Abs. 5 WEG grundsätzlich die Gemeinschaft zuständig ist, durch Vereinbarung wirksam auf einzelne Eigentümer übertragen werden. Dafür bedarf es einer klaren und eindeutigen Regelung in der Teilungserklärung. Verbleiben Zweifel, hat es bei der gesetzlichen Zuständigkeit sein Bewenden. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine in der Gemeinschaftsordnung erfolgte Überwälzung der Instandhaltungs- bzw. Instandsetzungspflicht auf den Einzelnen umfasst nicht die Verpflichtung, erstmalig einen ordnungsgemäßen Zustand herzustellen; dies ist und bleibt Gemeinschaftsaufgabe. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch vorbeugende Maßnahmen, die der Erhaltung des Gebäudes dienen, können unter den Begriff der Instandhaltung/Instandsetzung fallen, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen drohenden Schadenseintritt bestehen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

481 C 20546/15 WEG 2016-09-16 Urt AGMUENCHEN AG München

Tenor

1.Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 16.09.2016, Az. 481 G 20546/15 WEG, wird zurückgewiesen,
2.Die Kesten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
3.Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts München ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar,
4.Die Revision wird nicht zugelassen, Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.681,74 € festgesetzt.

Gründe

II.
Die Berufung wurde frist- und formgerecht gemäß §§ 517, 519 ZPO und unter Beachtung der übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen eingelegt. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Amtsgericht hat sich sehr sorgfältig mit der Sach- und Rechtslage befasst und die Klage mit zutreffenden Erwägungen abgewiesen. Im Einzelnen ist hierzu folgende kurze Begründung seitens des Berufungsgerichts gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO veranlasst.
1. Die Berufungsbegründung wendet sich gegen den Ansatz des Amtsgerichts, wonach es sich bei den streitgegenständlichen Maßnahmen, bezüglich derer Kostenerstattung verlangt wird, nicht um eine Instandhaltungs- bzw. Instandsetzungsmaßnahme im Sinne von § 5 Ziffer 1 des Nachtrags zur Teilungserklärung vom 6.6.1988 handeln würde. Die Klagepartei verweist auch in zweiter Instanz darauf, dass der Einbau der Rückstauklappe und der Hebeanlage im Zuge der Sanierung und Instandhaltung der bestehenden Abwasseranlage der Gemeinschaft erfolgt sei.
Beide Komponenten seien im Rahmen der Gesamtsanierung notwendig gewesen, um das Eintreten von Schäden zu verhindern. In der Vergangenheit sei es wiederholt zu Verstopfungen an den Straßenanschlussstellen zum Schmutzwasserkanal gekommen und es habe sich im Zuge weiterer Untersuchungen herausgestellt, dass die im Erdreich unter dem öffentlichen Gehweg und dem Grundstück der WEG verlegten Leitungen undicht gewesen seien. Im Zuge der erforderlichen Sanierung seien zwingend auch die Vorgaben der Landeshauptstadt München zu beachten gewesen, wonach die Kanalanschlüsse rückstausicher auszubilden seien. Ohne den Einbau der Hebeanlage und die Rückstauklappe hätte der durch das gemeinschaftliche Eigentum zweckbestimmte Gebrauch nicht aufrechterhalten werden können. Der Fall sei vergleichbar mit dem Erstellen eines Haltegerüsts für einen umsturzgefährdeten Baum. Auch hier handele es sich im Zuge der Gefahrenabwehr um eine Maßnahme der Instandhaltung des Gemeinschaftseigentums.
Auch unter Zugrundlegung dieses Vortrags besteht indes kein Anspruch auf Kostenerstattung, wobei hier als Anspruchsgrundlage §§ 683, 670 bzw. 684, 818 ff. BGB in Betracht kämen Gemäß § 4 GemO des Nachtrags wäre hier nicht nur die Kostensondern auch die Instandsetzungslast überwälzt, so dass die Gemeinschaft mit dem Einbau von Ventil und Hebeanlage letztlich ein fremdes Geschäft geführt hätte, Voraussetzung hierfür wäre, dass die beiden streitgegenständlichen Maßnahmen von §§ 5, 4 des Nachtrags erfasst wären, mit der Konsequenz, dass die Klägerin sowohl instandhaltungs- als auch kostenpflichtig wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall, wobei die Kammer den Anwendungsbereich dieser Vorschrift unter zwei Gesichtspunkten nicht als eröffnet ansieht.
2. Ausgangspunkt ist Folgendes: Anerkannt ist, dass die Verpflichtung zur Instandhaltung und/oder Instandsetzung bestimmter Bereiche des Gemeinschaftseigentums, für die gemäß § 21 Abs. 5 WEG grundsätzlich die Gemeinschaft zuständig ist, durch Vereinbarung wirksam auf einzelne Eigentümer übertragen werden kann. Dafür bedarf es jedoch einer klaren und eindeutigen Regelung in der Teilungserklärung. Sieht die Teilungserklärung entsprechende Kostenregelungen vor, ist daher durch Auslegung zu ermitteln, wie weit diese Pflicht zu Lasten einzelner Wohnungseigentümer reicht. Bei der Auslegung . der Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung ist nach den für Grundbucheintragungen geltenden Grundsätzen auf den Wortlaut und Sinn abzustellen, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung der Erklärung ergibt; Umstände außerhalb der Eintragung dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Umständen des Einzelfalls für jedermann erkennbar sind. Verbleiben Zweifel, hat es bei der gesetzlichen Zuständigkeit sein Bewenden (LG Hamburg, Urteil vom 4.2.2015, Az.: 318 S 102/14, BGH, ZWE 2012, 267, 268).
2.1. Der Klagepartei ist darin Recht zu geben, dass auch vorbeugende Maßnahmen, die der Erhaltung des Gebäudes dienen, unter den Begriff der Instandhaltung/Instandsetzung fallen können. Dieser beinhaltet auch Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen, die das Eintreten von Schäden verhindern sollen. Bestehen Anhaltspunkte für einen Schadenseintritt, müssen die Wohnungseigentümer nicht abwarten, bis konkrete Schäden größeren Ausmaßes tatsächlich eingetreten sind; sie dürfen vielmehr wirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen auch vorsorglich treffen (BayObLG, NJW-RR 1996,1166).
2.2. Diese gilt es jedoch, wie es das Amtsgericht zutreffend getan hat, von Maßnahmen der modernisierenden Instandsetzung bzw. der Modernisierung abzugrenzen. Insoweit ist von zentraler Bedeutung, dass sowohl Rückstauventil als auch Hebeanlage erstmalig eingebaut wurden (ebenfalls auf diesen Gesichtspunkt abstellend LG Bamberg, Info M 2010, 392). Dies ist schon begrifflich weder als Instandhaltungs- noch als Instandsetzungsmaßnahme zu subsumieren: Zur Instandhaltung gehören alle Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, den bestehenden Zustand der im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Einrichtungen und Anlagen zu erhalten (Spielbauer/Then, WEG, 3. Auflage, § 21, Rdnr. 51), Der erstmalige Einbau fällt darunter nicht. Gleiches gilt in Bezug auf den Begriff der Instandsetzung, welcher die Wiederherstellung des ursprünglichen ordnungsgemäßen Zustande, so z.B. die Erneuerung oder Auswechslung eines beschädigten oder zerstörten Bauteils umfasst (Spielbauer/Then, a.a.O., § 21, Rdnr. 52). Auch darum geht es hier nicht, sondern es soll ein neuer Zustand entsprechend dem aktuellen Stand der Technik bzw. den geltenden gesetzlichen Vorschriften hergestellt werden. Die Klagepartei hat sich in erster Instanz schließlich selbst auf die DIN EN 12056 Teil 1 bis 4 sowie DIN 1986 Teil 11.13 bezogen und bestritten, dass der Einbau der Hebeanlage sowie der automatisch geregelten Rückstauklappe zum Zeitpunkt des Erstellens der Teilungserklärung technisch gefordert gewesen sei.
Legt man diesen Vortrag zugrunde, handelt es sich, nachdem eine Anpassung an neuere Vorschriften erfolgen soll und der Einbau aufgrund der entsprechenden Auflagen seitens der Stadt erfolgt ist, um eine Modernisierung bzw. modernisierende Instandsetzung. Beides ist von § 5 Ziffer 1 des Nachtrags, welcher als Ausnahmebestimmung eng auszulegen ist und vom Wortlaut nur reine Instandhaltungs- sowie Instandsetzungsmaßnahmen erfasst, nicht gedeckt. Würde man dagegen den Vortrag der Beklagten zugrunde legen, wonach die einschlägigen Vorschriften schon immer gegolten hätten, würde es sich um eine Maßnahme der ordnungsgemäßen Erstherstellung handeln. Auch dann wäre die Klägerin indes nicht kostenpflichtig. Die Kammerfolgt insoweit der herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, wonach eine in der Gemeinschaftsordnung erfolgte Überwälzung der Instandhaltung- bzw. Instandsetzungspflicht auf den Einzelnen nicht die Verpflichtung, erstmalig einen ordnungsgemäßen Zustand herzustellen, umfasst; dies ist und bleibt Gemeinschaftsaufgabe (LG Köln, ZMR 2017, 262, 263; LG Hamburg, a.a.O.; OLG München, NZM 2007, 369, 370; BayObLG, ZMR 2003, 366). Jeder einzelne Wohnungseigentümer hat einen Anspruch auf erstmalige Herstellung des ordnungsgemäßen Zustands des gemeinschaftlichen Eigentums, so dass die erstmalige plangerechte Herstellung des Gemeinschaftseigentums als Aufgabe aller Wohnungseigentümer anzusehen ist. Die genaue Abgrenzung kann also offenbleiben, da es sich jedenfalls nicht um eine reine Instandsetzungsmaßnahme handelt. Soweit die Klägerin insoweit einen Vergleich mit dem Erstellen eines Haltegerüsts für einen umsturzgefährdeten Baum ziehen will, ist dies ein anderer Fall, nachdem es sich dort gerade um die Wiederherstellung eines früheren ordnungsgemäßen Zustands (umsturzsicherer Baum) geht.
3. § 5 Ziffer 1 des Nachtrags ist ferner aus einem weiteren Grund nicht einschlägig. Diese Regelung erfasst nur Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen – an denen es nach den obigen Ausführungen schon fehlt – bezüglich der Teile des Gemeinschaftseigentums, die dem Sondernutzungsrecht der Klägerin unterliegen. Danach meint die Klausel nur solche Bauteile, die dem ausschließlichen Gebrauch der Klägerin dienen (OLG Schleswig, ZMR 2006, 963, 964; OLG Düsseldorf, ZMR 1998, 304, 305). Auch daran fehlt es hier. Hintergrund derartiger Klauseln ist es, dass derjenige, der den ausschließlichen Nutzen und die exklusive Zugriffsmöglichkeit auf bestimmte Teile des Gemeinschaftseigentums hat, hierfür auch kostenmäßig in die Verantwortung genommen werden soll. Dieser Gedanke greift hier bezüglich Rückstauventil und Hebeanlage nicht. Dabei kommt es nicht darauf an, wo genau – was streitig ist – der Einbau erfolgt ist. Entscheidend für die rechtliche Bewertung ist vielmehr die Schadensursache, die hier letztlich auf einer Gemengelage beruht, sowie die Zielrichtung des Ganzen. Nach dem klägerischen Vortrag kam es zu Verstopfungsproblemen an den Straßenanschlussstellen zum Schmutzwasserkanal; daraufhin wurde ein Sachverständiger eingeschaltet, welcher ein Konzept zu der aufgrund der Auflagen der Stadt München erforderlichen Trennung der bisher gemeinsamen Ableitung von Schmutz- und Regenwasser und zur Sanierung der Grundleitungen innerhalb des Gebäudes entwickelt hat. All dies ist Gemeinschaftsaufgabe und daran ändert sich auch nichts, wenn im Rahmen dieses, die Gemeinschaft betreffenden, Gesamtkonzepts einzelne Maßnahmen in der klägerischen Sondernutzungseinheit vorgenommen wurden, wobei die örtliche Situierung im übrigen streitig ist. Ansonsten stünde der Sondernutzungsberechtigte auch schlechter als ein Sondereigentümer, da die Begründung von ‘Sondereigentum an ventilfreien Leitungen nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH wohl problematisch erscheint (LG Berlin, Grundeigentum 2016, 1288 unter Verweis auf BGH, NJW 2013, 1154 ff.). In diesem Sinne ist die Beseitigung einer Rückstaugefahr, also die Verhinderung einer Überschwemmung (auch) des gemeinschaftlichen Eigentums durch Rückstau aus dem öffentlichen Kanal nach hiesiger Auffassung selbst dann eine im gemeinschaftlichen Interesse liegende Funktion, da der Sicherheit des gesamten Gebäudes dienend, wenn die abzusichernde Entwässerungsstelle in das Sondereigentum bzw. wie hier in den räumlichen Bereich des Sondernutzungsrechts fällt (OLG Hamm, ZMR 2005, 806 ff.; so auch OLG Köln, WuM 1998, 308, wonach die Kosten der Anbringung einer Rückstausicherung im Wasserablauf einer im Privateigentum stehenden Waschmaschine alle Eigentümer zu tragen haben).
4. Dieses Auslegungsergebnis wird auch durch eine Gesamtschau der Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung gestützt. Diese zählt in § 1 Ziffer g) der Teilungserklärung vom 25.9.1953 u.a. Entwässerungsrohre sowie die gesamte Kanalisation unter der Erde bis zum Anschluss an das städtische Entwässerungsnetz zum Gemeinschaftseigentum, für dessen Instandsetzung bzw. Instandhaltung damit die gesamte Gemeinschaft verantwortlich ist. Genau dieses soll doch nach dem vorgelegten Konzept saniert werden, darauf wo die einzelnen Maßnahmen vorgenommen werden sollen, kommt es nicht an. Ferner spricht auch die beispielhafte Aufzählung in § 5 Ziffer 1 des Nachtrags, welche im wesentlichen den reinen Innenbereich, wie Bodenbelag, Innenseite Fenster, Wand- und Deckenputz etc. auflistet, gegen eine weitere Ausdehnung der Kostentragungspflicht.
5. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass in einem Fall wie hier,, wo die Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung nicht nur eine Kostentragungs-, sondern auch eine Instandsetzungslast einzelner Eigentümer hinsichtlich . bestimmter Teile des Gemeinschaftseigentums regelt, in der Konsequenz der Gemeinschaft die Beschlusskompetenz für Instandsetzungsmaßnahmen in diesem Bereich fehlen würde (so ausdrücklich LG Itzehoe, ZWE 2016, 464, 465). Auch dies erscheint hier wenig zielführend.
6. Mangels begründeter Hauptforderung konnte auch den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Nebenforderung nicht stattgegeben werden.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
2. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich ist, § 543 Abs. 2 ZPO. Es handelt sich um eine reine Einzelfallentscheidung.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, 713 ZPO. Ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit unterbleibt auch dann nicht, wenn die Revision nicht zugelassen wurde (Thomas/Putzo, a.a.O., § 708, Rdnr. 11).
4. Die Streitwertfestsetzung erfolgte auf der Grundlage des § 49 a GKG; sie entspricht dem eingeklagten Zahlungsbetrag als dem klägerischen Interesse, das nicht unterschritten werden darf.


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