Baurecht

Umdeutung eines Straßenausbaubeitrags- in einen Erschließungsbeitragsbescheid

Aktenzeichen  6 CS 16.1932

Datum:
29.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5, Art. 5a
BauGB BauGB § 125 Abs. 2, § 127, § 214 Abs. 3 S. 2, § 242 Abs. 1

 

Leitsatz

Wenn ein Heranziehungsbescheid fälschlicherweise auf das Straßenausbaubeitragsrecht gestützt wird‚ aber durch die Vorschriften des Erschließungsbeitragsrechts gerechtfertigt wird‚ so ist  die mit ihm getroffene Regelung‚ also die Festsetzung des geschuldeten Betrags und das Leistungsgebot nach ständiger Rechtsprechung materiell rechtmäßig (vgl. VGH München BeckRS 2015, 42479 mwN). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 3 S 16.1585 2016-08-31 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I.
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 31. August 2016 – AN 3 S 16.1585 – abgeändert. Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche des Antragstellers gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 22. Januar 2016 werden abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.819,09 Euro festgesetzt.

Gründe

I. Die Antragsgegnerin zog den Antragsteller als Eigentümer des Grundstücks FlNr. 781 mit Bescheiden vom 22. Januar 2016 zu einem Straßenausbaubeitrag für die „Maßnahme Ziegelhütte Ortsdurchfahrt“ betreffend – unter anderem – die Teileinrichtungen Fahrbahn in Höhe von 5.969,08 Euro und Mehrzweckstreifen in Höhe von 1.307,30 Euro (insgesamt 7.276,38 Euro) heran.
Der Antragsteller hat gegen die Bescheide jeweils Widerspruch erhoben, worüber bislang nicht entschieden ist. Anträge auf Aussetzung der Vollziehung bei der Antragsgegnerin blieben ohne Erfolg. Mit Beschluss vom 31. August 2016 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Widersprüche angeordnet. Diese seien voraussichtlich erfolgreich. Nach den Beschlüssen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. August 2016 – 6 CS 16.1032, 1033 und 1034 – dürfte die abgerechnete Baumaßnahme noch in den Anwendungsbereich des vorrangigen Erschließungsbeitragsrechts fallen. Auf dieser Grundlage könnten die Bescheide jedoch nicht aufrechterhalten werden, weil es bisher an der erschließungsrechtlichen Rechtmäßigkeit der Anlage nach § 125 BauGB fehle.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, der der Antragsteller entgegentritt.
II. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig und begründet. An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Beitragsbescheide bestehen nach dem fristgerechten Beschwerdevorbringen (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) – bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angezeigten summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage – keine ernstlichen Zweifel.
1. Ohne Erfolg bleibt zwar der Einwand der Antragsgegnerin, es handle sich bei der „Ortsdurchfahrt Ziegelhütte“ um eine vorhandene Erschließungsanlage i. S. v. Art. 5 a Abs. 7 Satz 1 KAG (bis 1.4.2016: § 242 Abs. 1 BauGB), weshalb entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts der Anwendungsbereich des Straßenausbaubeitragsrechts (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG) eröffnet sei.
Der Senat hält an der den Beteiligten bekannten Beurteilung fest, dass die Ortsdurchfahrt Ziegelhütte schon deshalb nicht als vorhandene Erschließungsanlage angesehen werden kann, weil sie vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 noch keine Erschließungsfunktion besessen hat (im Einzelnen BayVGH, B. v. 9.8.2016 – 6 CS 16.1032 – juris Rn. 8 ff.). Die Gegenargumente der Antragsgegnerin überzeugen nicht.
Nach den im (Parallel-)Verfahren AN 3 S 16.627 vorgelegten Karten aus dem 19. Jahrhundert führte die Straße aus dem Ortskern Schillingsfürst nach Osten heraus in den Außenbereich Richtung Schondorf. Zwischen Schillingsfürst und Ziegelhütte war ein Abstand von mehr als einem Kilometer. Auf der nördlichen Seite der „Ortsdurchfahrt Ziegelhütte“ lagen ca. vier Wohngebäude, von denen zumindest zwei zu landwirtschaftlichen Anwesen gehörten. Auf der südlichen Seite befanden sich drei Wohngebäude. Zwischen den Wohngebäuden existierten jeweils größere Freiflächen. Im Rahmen der gebotenen Einzelfallbeurteilung vermittelt diese Bebauung dem Senat weder den Eindruck der Zusammengehörigkeit noch einer organischen Siedlungsstruktur von gewissem Gewicht. Die Freiflächen zwischen den Wohngebäuden wirken entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin dem Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit entgegen (vgl. BVerwG, U. v. 6.11.1998 – 4 C 2.66 – juris Rn. 17). Der Begriff des Ortsteils ist nicht im Sinne eines örtlichen Siedlungskomplexes, der einen besonderen, unter Umständen bereits historisch verwendeten Namen trägt, zu verstehen. Der Anzahl der damals vorhandenen Wohngebäude fehlt das notwendige Gewicht, die Bebauung war nicht Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur.
Der von der Antragsgegnerin vorgelegte Zeitungsbericht vom 18. November 1957 spricht ebenfalls nicht für das Vorhandensein einer Erschließungsanlage vor dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes. Ihm ist zwar zu entnehmen, dass eine Befestigung der Straße erfolgte. Text und Bild lassen aber vermuten, dass damals keine Straßenentwässerung angelegt wurde. Eine solche war aber bereits seit 1934 Voraussetzung, um eine Straße als für den Zweck der Erschließung endgültig fertiggestellt ansehen zu können (vgl. BayVGH, U. v. 18.3.1982 – 6 B 81 A.51 -). Selbst wenn die „Ortsdurchfahrt Ziegelhütte“ – wofür, wie gesagt, wenig spricht – bereits vor 1961 Erschließungsfunktion besessen haben sollte, dürfte sie damals jedenfalls keinen Ausbauzustand erreicht haben, der den damaligen Anforderungen an eine Erschließungsstraße entsprochen hat. Somit unterfallen die abgerechneten Straßenbaumaßnahmen (wohl) noch dem vorrangigen Erschließungsbeitragsrecht (Art. 5a KAG i. V. m. §§ 127 ff BauGB).
2. Die streitigen Bescheide sind jedoch auf der Grundlage der erschließungsbeitragsrechtlichen Vorschriften aufrechtzuerhalten. Mit Blick auf das Beschwerdevorbringen und die von der Antragsgegnerin erst im Beschwerdeverfahren vorgelegten Planungsunterlagen ist – bei summarischer Prüfung – davon auszugehen, dass die sachlichen Erschließungsbeitragspflichten entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts und des Senats in den Beschlüssen vom 9. August 2016 – 6 CS 16.1032, 1033 und 1034 – bereits entstanden sind.
Ein Heranziehungsbescheid‚ der zu Unrecht auf das Straßenausbaubeitragsrecht gestützt ist‚ muss daraufhin überprüft werden‚ ob und gegebenenfalls in welchem Umfang er mit Blick auf das Erschließungsbeitragsrecht – wenn sonst keine Rechtsfehler vorliegen – gegebenenfalls im Wege schlichter Rechtsanwendung aufrechterhalten werden kann. Denn das Erschließungsbeitragsrecht ordnet – jedenfalls im Verhältnis zum Straßenausbaubeitragsrecht – die Bezeichnung der Rechtsgrundlagen und damit der Beitragsart den Gründen und nicht dem Spruch des Heranziehungsbescheides zu. Wenn ein Heranziehungsbescheid fälschlicherweise auf das Straßenausbaubeitragsrecht gestützt wird‚ aber durch die Vorschriften des Erschließungsbeitragsrechts gerechtfertigt wird‚ so ist deshalb die mit ihm getroffene Regelung‚ also die Festsetzung des geschuldeten Betrags und das Leistungsgebot nach ständiger Rechtsprechung materiell rechtmäßig (vgl. BayVGH, B. v. 19.1.2015 – 6 ZB 13.1548 – juris Rn. 9 m. w. N.).
Die Heranziehung des Antragstellers ist nach dem Erschließungsbeitragsrecht dem Grunde wie der Höhe nach (wohl) gerechtfertigt. Für das – bebaute – Grundstück FlNr. 781 ist nach Aktenlage die Erschließungsbeitragspflicht mindestens in der festgesetzten Höhe entstanden. Insbesondere hat die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde – im Unterschied zu dem Parallelverfahren (vgl. BayVGH, B. v. 9.8.2016 – 6 CS 16.1033 – juris Rn. 19) – die rechtmäßige Herstellung der Erschließungsanlage (§ 125 BauGB) ausreichend dargelegt.
Nach § 125 Abs. 1 BauGB setzt die Herstellung einer Erschließungsanlage einen Bebauungsplan voraus. Fehlt – wie hier – ein Bebauungsplan, dürfen Erschließungsanlagen nur hergestellt werden, wenn sie den in § 1 Abs. 4 bis 7 BauGB bezeichneten Anforderungen entsprechen (§ 125 Abs. 2 BauGB). Die wichtigste materiell-rechtliche Bindung, in deren Rahmen sich jede Gemeinde bei der bebauungsplanersetzenden Planung einer Erschließungsanlage nach § 125 Abs. 2 BauGB halten muss, ist das in § 1 Abs. 7 BauGB normierte Gebot, alle von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Dieses Gebot bezieht sich sowohl auf das Abwägen als Vorgang, insbesondere also darauf, dass überhaupt eine Abwägung stattfindet und dass bei dieser Abwägung bestimmte Interessen in Rechnung gestellt werden, als auch auf das Abwägungsergebnis, also auf das, was bei dem Abwägungsvorgang „herauskommt“. § 125 Abs. 2 BauGB erfordert also zunächst einen der Gemeinde vorbehaltenen Abwägungsvorgang. Ein Abwägen als Vorgang setzt ein positives Handeln voraus, das als solches auch dokumentiert sein muss. Wegen der bebauungsplanersetzenden Wirkung des § 125 Abs. 2 BauGB kann auf einen positiven Planungsakt nicht verzichtet werden (BayVGH, B. v. 3.5.2011 – 6 ZB 10.909 – juris Rn. 7). Die planerische Gestaltungsfreiheit der Gemeinde ist erst überschritten, wenn entsprechend § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB ein Mangel im Abwägungsvorgang offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist (BVerwG, U. v. 26.11.2003 – 9 C 2.03 – juris).
Eine solche bebauungsplanersetzende Abwägungsentscheidung hat der dafür zuständige Stadtrat der Antragsgegnerin nach den mit der Beschwerde vorgelegten Unterlagen ohne Rechtsfehler getroffen. Für einen Abwägungsmangel ist nichts ersichtlich. Der Stadtrat hat sich von einem Ingenieurbüro auf der Grundlage der RASt 2006 verschiedene Planungsvarianten erstellen und im Fortgang der Beratungen mehrfach verändern lassen, wobei auch den Anregungen der Anlieger nachgekommen wurde. Am 24. März 2014 entschied er sich schließlich für die Planungsvariante mit Mischflächen. Vor diesem Hintergrund lässt sich bei der gebotenen Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kein beachtlicher Fehler in der Abwägung erkennen.
Sonstige Gründe, die dem Entstehen der Erschließungsbeitragspflicht entgegenstünden, sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Die Bescheide der Antragsgegnerin dürften somit auf der Grundlage des Erschließungsbeitragsrechts dem Grunde wie der Höhe nach aufrechtzuerhalten sein. Es muss – im Gegenteil – davon ausgegangen werden, dass die auf das Grundstück des Antragstellers entfallende Erschließungsbeitragsforderung höher ist als der nach Straßenausbaubeitragsrecht festgesetzte Beitrag. Denn zum einen sieht die Erschließungsbeitragssatzung einen wesentlich niedrigeren Gemeindeanteil (in Höhe von 10%) vor als die Straßenausbaubeitragssatzung; zum anderen verkleinert sich bei Anwendung des Erschließungsbeitragsrechts das Abrechnungsgebiet (die Fläche der nach § 131 Abs. 1 BauGB erschlossenen Grundstücke) um die – nur im Straßenausbaubeitragsrecht zu berücksichtigenden – Außenbereichsflächen mit der Folge, dass auf die erschließungsbeitragspflichtigen Grundstücke, wie das des Antragstellers, ein höherer Anteil entfällt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG, wobei der Senat im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO in ständiger Rechtsprechung ein Viertel des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts ansetzt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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