Baurecht

Unbefristete Genehmigung einer Spielhallennutzung

Aktenzeichen  M 29 K 18.3483

Datum:
5.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 53365
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 233 Abs. 3
BauNVO § 4a Abs. 3 Nr. 2, § 8, § 15
BayVwVfG Art. 36 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
RDGEG § 3, § 5
BauNVO

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beigeladene vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Klage ist zulässig. Zwar ist die streitgegenständliche Nutzung als Vergnügungsstätte und als Lager-, Laden-, Büro- und Werkstattflächen bereits seit vielen Jahren durch bestandskräftige Bescheide der Beklagten genehmigt; durch die Genehmigung vom 19. Juni 2018 wurde der Nutzungsumfang gerade nicht erweitert. Allerdings waren die vorangegangenen Baugenehmigungen allesamt unter Bezugnahme auf die aus Sicht der Beklagten nur ausnahmsweise bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Nutzung (§ 34 Abs. 2 BauGB, § 31 Abs. 1 BauGB entsprechend i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO) nach Art. 36 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG befristet erteilt worden. Der streitgegenständliche Bescheid genehmigt aber diese Nutzung gerade unbefristet. Die Klägerin als Eigentümerin des Nachbargrundstücks Fl.Nr. …/24 ist insoweit beschwert.
Auch ist die Klägerin als Eigentümerin des unmittelbar an das streitgegenständliche Grundstück angrenzende Grundstück Fl.Nr. …/24 klagebefugt. Zum einen kann sich die Klägerin auf die Möglichkeit der Verletzung des drittschützenden Gebots der Rücksichtnahme berufen. Zum anderen kommt die Verletzung des drittschützenden Anspruchs des Eigentümers eines in der näheren Umgebung liegenden Grundstücks auf Erhaltung des Gebietscharakters in Betracht. Unabhängig davon, ob vorliegend ein faktisches Gewerbegebiet in der maßgeblichen näheren Umgebung des streitgegenständlichen Vorhabens vorliegt, kann jedenfalls der Anspruch auf Bewahrung des Gebietscharakters im (faktischen) Gewerbegebiet vom gewerbetreibenden Nachbarn auch gegenüber den nach § 8 Abs. 3 BauNVO nur ausnahmsweise zulässigen Nutzungen geltend gemacht werden (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2002 – 4 B 86.01 – juris).
2. Jedoch ist die Klage unbegründet.
Die streitgegenständliche, unbefristet erteilte Baugenehmigung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren nachbarschützenden Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind. Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn diese rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von drittschützenden Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (vgl. BayVGH, B.v. 28.1.2019 – 15 ZB 17.1831 – juris Rn. 17). Ist Letzteres nicht der Fall, so ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen dessen Ausführung zu suchen (vgl. BayVGH, B.v. 18.7.2016 – 15 ZB 15.12 – juris Rn. 22 m.w.N.).
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens bestimmt sich vorliegend im Hinblick auf das vorhandene, gemäß § 173 Abs. 3 BBauG und § 233 Abs. 3 BauGB übergeleitete und fortgeltende Bauliniengefüge, welches für das Geviert eine vordere Baulinie vorsieht, nach § 30 Abs. 3 BauGB und im Übrigen, da keine weitergehenden bauplanungsrechtlichen Festsetzungen vorhanden sind, nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Danach ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.
2.1 Eine Verletzung drittschützender Rechte hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ist nicht gegeben, insbesondere liegt keine der Eigenart des Gebiets widersprechende, unzulässige Häufung von Vergnügungsstätten vor (Gebietserhaltungsanspruch, § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. BauNVO). Auch ist das baurechtliche Rücksichtnahmegebot nicht verletzt (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB).
2.1.1 Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der Baunutzungsverordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach dieser Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Abs. 1 BauGB, im Übrigen § 31 Abs. 2 BauGB entsprechend anzuwenden (§ 34 Abs. 2 BauGB). Nach dem Wortlaut des § 34 Abs. 2 BauGB ist diese Regelung nur dann anwendbar, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einer der in der BauNVO bezeichneten Gebiete entspricht. Die maßgebende nähere Umgebung reicht einmal insoweit, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und zweitens insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Dabei darf nicht nur diejenige Bebauung als erheblich angesehen werden, die gerade in der unmittelbaren Nachbarschaft des Baugrundstücks überwiegt, sondern es muss auch die Bebauung der weiteren Umgebung des Grundstücks insoweit berücksichtigt werden, als auch sie noch prägend auf dasselbe einwirkt (BayVGH, B.v. 20.9.2012 – 15 ZB 11.460 – juris Rn. 6). Ob eine Straße insoweit eine trennende oder verbindende Wirkung hat, ist eine Frage des Einzelfalles (vgl. BayVGH, B. v. 20.9.2012 – 15 ZB 11.460 – juris Rn. 6). Zur Bestimmung der maßgeblichen Umgebung im Sinn des § 34 Abs. 2 BauGB kann nur unbeplantes Gebiet herangezogen werden, da ein solches faktisches Baugebiet ausschließlich aus unbeplanten Gebiet besteht (BayVGH, B.v. 6.9.2012 – 2 ZB 11.484 – juris Rn. 4). Der zu bestimmende Gebietscharakter wird durch Ausnahmen noch nicht in Frage gestellt, solange beispielsweise die erkennbaren Grundzüge der Planung nicht berührt werden (vgl. § 31 Abs. 1 BauGB). Der Annahme eines faktischen Gewerbegebiets stehen nach § 8 Abs. 3 BauNVO nur ausnahmsweise zulässige Vorhaben dann entgegen, wenn die vorhandenen Vorhaben sich nicht auf wirkliche Ausnahmefälle beschränken, sondern gerade als „Ausnahmen“ eine eigene prägende Wirkung auf die Umgebung ausüben (vgl. BVerwG, B.v. 11.2.2000 – 4 B 1/00 – juris).
Gemessen an diesen Vorgaben und nach dem Ergebnis des Augenscheins wird die maßgebliche nähere Umgebung nach Norden vom stark befahrenen, vierspurigen … … und im Osten/Südosten durch die entlang der Grundstücke Fl.Nrn. …/24 und …/25 verlaufende Autobahn … begrenzt. Im Westen wird das Geviert durch den … abgegrenzt. Das Geviert umfasst somit die Grundstücke Fl.Nrn. …/22, …/23, …/24 und …/25. Die westlich gelegenen Grundstücke Fl.Nrn. …/99 und …/98 sind nicht zu berücksichtigen, da sie im Umgriff des Bebauungsplans … … der Beklagten liegen. Eine Einbeziehung der nördlich des streitgegenständlichen Grundstücks und des … … gelegenen Bebauung, etwa der Tankstellennutzung auf dem Grundstück Fl.Nr. …/31, … … …, scheidet aus, da der stark befahrene … … trennende Wirkung entfaltet.
In der maßgeblichen näheren Umgebung bestehen unterschiedlichste Nutzungen. Nach dem Ergebnis des Augenscheins befinden sich neben der streitgegenständlichen Spielhalle in einem eingeschossigen Gebäude im östlichen Bereich des streitgegenständlichen Grundstücks in dessen westlichen Bereich Gebäude, in denen im Erdgeschoss ein … und im Obergeschoss ein … untergebracht sind. Im rückwärtigen Bereich dieses Gebäudes befinden sich eine … und im zum … … gelegenen Gebäudeteil eine Verkaufsstelle und ein Lager der Firma … Auf dem westlich angrenzenden Grundstück der Klägerin … … … befindet sich zum Zeitpunkt des Augenscheins eine Baustelle. Dort entstehen zwei miteinander verbundene Gebäude überwiegend zur Nutzung als Hotels, die nach dem Augenschein und dem amtlichen Lageplan von der Grundfläche in etwa dem früheren Bestand entsprechen dürften. Der dortige Altbestand – u.a. war dort eine Autowerkstatt untergebracht – wurde nach Angaben der Klägerin etwa ab September 2017 beseitigt. Wiederum westlich an das Grundstück der Klägerin grenzt das Grundstück … … … an. Das dortige Gebäude wird als Spielhalle („… genutzt. Auf der Ostseite befindet sich die Zufahrt zur Tiefgarage mit Stellplätzen. Der südliche Grundstücksteil (Wendehammer) ist durch eine Zufahrt an der Westseite erschlossen. Eine weitere Nutzung des Gebäudes liegt nach dem Augenschein nicht vor. Als nächste Bebauung befindet sich ein Gebäude auf dem Grundstück … … … Nach den Beschriftungen am Eingang befinden sich dort die Firma „… … …“ und die … der … … Nach den Briefkastenschildern sind dort die … … und weitere Tochterfirmen untergebracht.
Nach dem Ergebnis des Augenscheins ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die nähere Umgebungsbebauung weder als Kerngebiet im Sinn von § 7 Abs. 1 BauNVO noch als Mischgebiet nach § 6 Abs. 1 BauNVO und insbesondere nicht als Gewerbegebiet im Sinne von § 8 Abs. 1 BauNVO einer der Gebietsarten der Baunutzungsverordnung zuzuordnen ist. Daher liegt eine Gemengelage vor, so dass im vorliegenden Fall zur Bestimmung der Zulässigkeit der streitgegenständlichen Spielhalle § 34 Abs. 1 BauGB zur Anwendung kommt.
Einer Einstufung als Kerngebiet im Sinne des § 7 BauNVO widerspricht vorliegend die vorhandene Nutzung. Kerngebiete dienen gemäß § 7 Abs. 1 BauNVO vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur. Sie haben zentrale Funktionen mit vielfältigen Nutzungen und einem urbanen Angebot an Gütern und Dienstleistungen der Stadt und für die Wohnbevölkerung eines großen Einzugsbereichs. Vorliegend sind zentrale Einrichtungen in diesem Sinne in der maßgeblichen Umgebung nicht vorhanden. Unabhängig davon, ob die bereits im Gebäude … … … untergebrachte Spielhalle kerngebietstypisch und damit im Kerngebiet allgemein zulässig ist (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO; vgl. auch § 4a Abs. 3 Nr. 2 BauNVO), fehlt den vorhandenen übrigen Handels- und Gewerbenutzungen sowie Nutzungen als Bürogebäude im maßgeblichen Gebiet der spezifische Charakter, der für derartige Betriebe in einem Kerngebiet typisch ist (vgl. Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 133. EL Mai 2019, BauNVO § 7 Rn. 1, 10).
Die maßgebliche nähere Umgebung kann aber auch nicht als faktisches Mischgebiet im Sinne von § 6 BauNVO eingeordnet werden. Ein Mischgebiet dient dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Diese allgemeine Zweckbestimmung verlangt, dass die beiden in dem Gebiet zulässigen Hauptnutzungsarten im Sinne einer etwa gleichgewichtigen und gleichwertigen Durchmischung vorhanden sind. Zwar müssen sich Wohnen und nicht wesentlich störendes Gewerbe nicht die Waage halten, jedoch darf keine der beiden Hauptnutzungsarten ein deutliches Übergewicht über die andere haben bzw. optisch eindeutig dominieren (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 25.11.1993 – 4 C 64/79 – NJW 1984, 1572, 1573). Vorliegend ist im maßgeblichen Umgriff keinerlei Wohnnutzung vorhanden, so dass eine Einstufung als Mischgebiet ausscheidet (vgl. VG München, U. v. 12.12.2011 – M 8 K 11.2358 – juris Rn. 41). Dabei ist grundsätzlich maßgeblich der Zeitpunkt der Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung; nur nachträgliche Änderungen zugunsten des Bauherrn sind zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, B.v. 8.11.2010 – 4 B 43/10 – juris Rn. 9). Die beabsichtigte Nutzung als Hotel auf dem Grundstück der Klägerin hat jedenfalls auf diese Einschätzung keinen Einfluss, da es sich bei Betrieben des Beherbergungsbetriebes wie hier vorliegend wohl um keine wohnähnliche Nutzung handelt (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.1992 – 4 C 43/89 – juris).
Einer Einstufung als Gewerbegebiet im Sinne des § 8 BauNVO – welches die Beklagte wohl der Genehmigung zu Grunde gelegt hat – widerspricht schließlich die vorliegend auf dem Grundstück … … … bereits vorhandene Nutzung als Vergnügungsstätte sowie die seit Jahren bestehende, gleichgelagerte Nutzung auf dem streitgegenständlichen Grundstück.
Zwar liegen im Übrigen auf dem streitgegenständlichen Grundstück sowie auf dem Grundstück … … … allgemein im Gewerbegebiet zulässige gewerbliche Nutzungen und Nutzungen als Geschäfts- und Büroräume vor (§ 8 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BauNVO). Zudem ist die Kindertagesstätte der … … als betrieblicher … und damit als selbstständig soziale Anlage nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ausnahmsweise zulässig (vgl. Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 133. EL Mai 2019, § 8 BauNVO Rn. 45); ihr kommt im Übrigen nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Auch ist sowohl unter Zugrundelegung der bis 2017 erfolgten Nutzung auf dem Grundstück der Klägerin als auch der dortig beabsichtigten Nutzung als Hotel von einer gewerblichen Nutzung auszugehen.
Allerdings handelt es sich bei den beiden Vergnügungsstätten auf den Grundstücken … … … und … um kerngebietstypische Spielhallen, die aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls gegen die Annahme des Vorliegens eines Gewerbegebiets sprechen. Diese sind nicht mehr nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO ausnahmsweise zulässig, insbesondere weil vorliegend die nähere Umgebung nur ein relativ kleines Gebiet von vier Grundstücken umfasst (ca. 25.000-30.000 m2). Dabei ist auch die streitgegenständliche Nutzung als Spielhalle mitzuberücksichtigen, da diese, wenn auch bisher lediglich befristet, baurechtlich genehmigt wurde und seit Jahren besteht. Sie ist daher (mit-)prägend für die maßgebliche nähere Umgebung.
Als eine besondere Art gewerblicher Betriebe sind Vergnügungsstätten als solche nur beim Baugebietstyp des Kerngebietes in § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO als allgemein zulässige Art der Nutzung besonders erwähnt; im Gewerbegebiet können sie ausnahmsweise zugelassen werden (§ 34 Abs. 2, § 31 Abs. 1 BauGB entsprechend i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO). Vergnügungsstätten sind somit als „Gewerbebetriebe“ auch in anderen Baugebieten – etwa im Gewerbegebiet oder im Mischgebiet – nicht generell ausgeschlossen. Ihre besondere Erwähnung als allgemein zulässige Art der Nutzung in § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO deutet aber darauf hin, dass der Verordnungsgeber eine solche spezielle gewerbliche Nutzung wegen ihres typischen Erscheinungsbildes, insbesondere wegen der typischerweise mit ihr verbundenen städtebaulichen Auswirkungen und ihrer typischen Standortanforderungen, jedenfalls nicht als in der Regel mit der Zweckbestimmung anderer Baugebiete vereinbar angesehen hat. Dabei stellt sich die für das Kerngebiet typische und dieses gleichzeitig charakterisierende Vergnügungsstätte als ein zentraler, für ein größeres und allgemeines Publikum erreichbarer Dienstleistungsbetrieb mit größerem Einzugsbereich dar. Eine gerade für ein Kerngebiet typische – größere – Vergnügungsstätte gehört danach nicht in ein Gewerbegebiet, da sie mit der typischen Funktion eines Gewerbegebiets, vornehmlich nicht erheblich störende Betriebe des Handwerks sowie Dienstleistungsbetriebe einschließlich Tankstellen, Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude sowie Lagerplätze und -häuser aufzunehmen, nicht im Einklang stehen (vgl. BVerwG, B.v. 28.7.1988 – 4 B 119/88 – juris Rn. 3 f.). Für die Beurteilung, ob es sich um eine für das Kerngebiet typische und deshalb in anderen Baugebieten nicht allgemein zulässige Vergnügungsstätte handelt, spielt die Größe des Betriebes eine maßgebliche Rolle (BVerwG, U.v. 21.2.1986 – 4 C 31.83 – juris Rn. 10; BVerwG, B.v. 28.7.1988 – 4 B 119/88 – juris Rn. 5). Darüber hinaus lässt sich die Frage, ob eine mit der Funktion eines Gewerbegebietes unverträgliche, nur im Kerngebiet allgemein zulässige Vergnügungsstätte vorliegt, nicht generell, sondern nur nach den Verhältnissen des Einzelfalles beantworten (BVerwG, B.v. 28.7.1988 a.a.O.). Erforderlich ist eine im Wesentlichen auf der Einschätzung der tatsächlichen örtlichen Situation beruhende Beurteilung.
Eine solche kerngebietstypische Spielhalle liegt hier auf dem Grundstück … … … nach ihrer Größe und ihrer Ausstattung vor. Für eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte sprechen vorliegend insbesondere die erhebliche Größe und das dadurch erhebliche Spielangebot. Die Vergnügungsstätte verfügt über sieben Spielhallen mit Nutzflächen von jeweils zwischen 65 und 87 m2, insgesamt liegt die Gesamtnutzfläche also deutlich oberhalb des von der Rechtsprechung entwickelten Schwellenwerts von 100 m2 für nicht kerngebietstypische Spielhallen (vgl. BVerwG, 29.10.1992, B.v. 29.10.1992 – 4 B 103/92 – juris). Vorliegend ist bei den Spielhallen aufgrund der aus den Unterlagen des glücksspielrechtlichen Genehmigungsverfahrens ersichtlichen gemeinschaftlichen Einrichtungen (etwa gemeinsame Aufsicht) auch baurechtlich von einer Einheit auszugehen und somit die Gesamtnutzfläche zu Grunde zu legen. Besonderheiten, die zu einer abweichenden Beurteilung zwingen könnten, liegen nicht vor, insbesondere führt der Umstand, dass aufgrund der Verschärfung des Glücksspielstaatsvertrags eine Reduzierung der zulässigen Spielgeräte nach § 3 Abs. 2 SpielV (Mindestabstandsgebot) unter Beibehaltung der ursprünglichen Nutzfläche erfolgt ist, nicht zu einer anderen Bewertung, denn auch nach Reduzierung der Spielgeräte handelt es sich weiterhin um eine große Vergnügungsstätte mit 48 Spielgeräten. Auch zeigt die Anzahl an Tiefgaragenstellplätzen (zum Zeitpunkt der Genehmigung 2004 57), dass mit erheblichen An- und Abfahrtsverkehr gerechnet wird. Eine weitere anderweitige Nutzung in diesem Gebäude liegt nach dem Augenschein gerade nicht vor.
Die Nutzung auf dem Grundstück … … … ist auch nicht als Fremdkörper zu betrachten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei der Bestimmung des Maßstabes der Umgebungsbebauung das außer Acht zu lassen, was die vorhandene Bebauung nicht prägt oder in ihr gar als Fremdkörper erscheint (vgl. BVerwG, B. v. 16.6.2009 – 4 B 50/08 – juris Rn. 6). Auszusondern sind danach solche baulichen Anlagen, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild (Ausdehnung, Höhe, Zahl usw.) nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, die der Betrachter also nicht oder nur am Rande wahrnimmt (vgl. BVerwG, B. v. 16.6.2009 – 4 B 50/08 – juris Rn. 8). Besitzt der vermeintliche „Fremdkörper“ hingegen ein derartiges Gewicht, dass er sich auf die andersartige Umgebung prägend auswirkt, ist er nicht als Fremdkörper, sondern als Teil der „Eigenart der näheren Umgebung“ zu betrachten (vgl. BVerwG, B.v. 1.9.2010 – 4 B 31/10 – juris Rn. 9; BVerwG, U.v. 15.2.1990 – 4 C 23/86 – juris Rn. 13ff.). Aufgrund des quantitativen Erscheinungsbildes, insbesondere im Hinblick auf die Zweigeschossigkeit des Gebäudes und auch den Umfang der Nutzung als sieben Spielhallen mit Nutzflächen zwischen 65 und 87 m2, ist diese Nutzung in der Lage, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen und vom Betrachter durchaus nicht nur am Rande, sondern als gebietsprägend wahrgenommen zu werden.
Zudem ist auch die streitige Spielhalle kerngebietstypisch. Diese Vergnügungsstätte verfügt über drei Spielhallen von einmal 60 m2und zwei Hallen von jeweils 144 m2 Nutzfläche und es ist auch angesichts der erforderlichen Stellplätze und der Betriebsbeschreibung zum Bauantrag vom 19. Dezember 2017 mit drei Spielhallen mit insgesamt 29 Spielgeräten von einer kerngebietstypischen Spielhalle auszugehen. Unabhängig davon, ob die drei Spielhallen eine baurechtliche Einheit bilden – davon ist nach den Plänen auszugehen, da insbesondere eine gemeinsame Aufsicht, gemeinsam benutzte Toilettenanlagen bestehen und die Beigeladene für alle drei Hallen Bauherrin ist -, überschreiten jedenfalls zwei der drei Spielhallen den maßgeblichen Schwellenwert von 100 m2.
2.1.2 Die Zulässigkeit der abgefragten Nutzungsart als Spielhalle bestimmt sich unbeschadet der Annahme der Beklagten, es läge ein faktisches Gewerbegebiet vor, daher allein nach § 34 Abs. 1 BauGB, da ein Gebiet sui generis und damit eine Gemengelage vorliegt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fügt sich ein Vorhaben, das sich innerhalb des aus seiner näheren Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, in der Regel ein, sofern es nicht ausnahmsweise die gebotene Rücksichtnahme auf die in der unmittelbaren Umgebung vorhandene Bebauung fehlen lässt. Andererseits kann sich im Ausnahmefall auch ein Vorhaben, das sich nicht in jeder Hinsicht innerhalb des Rahmens hält, noch seiner näheren Umgebung einfügen; Voraussetzung hierfür ist, dass es weder selbst noch infolge seiner nicht auszuschließenden Vorbildwirkung geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen (BVerwG, U.v. 15.12.1994 – 4 C 13/93 – juris Rn. 17; vgl. BayVGH, U.v. 24.7.1992 – 2 B 91.2256, GewArch 1993, 36 f.)
Als eine städtebaulich bedeutsamer Nutzungstyp führt die Baunutzungsverordnung u.a. auch den Begriff der Vergnügungsstätte auf (vgl. etwa § 4a Abs. 3 Nr. 2, § 6 Abs. 2 Nr. 8 und § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO), die daher hinsichtlich der Zuordnung und Bewertung nicht mit sonstigen gewerblichen Nutzungen mehr oder weniger störender Art gleichgesetzt werden kann, sondern als eigenständiger Nutzungstyp zu betrachten ist (vgl. BVerwG, U. v. 15.12.1994 – Az. 4 C 13/93 – juris Rn. 20; BayVGH, U.v. 14.12.2017 – 1 B 15.2795 – juris Rn. 18). Bei Spiel- und Automatenhallen handelt es sich um einen Unterfall des vielgestaltigen bauplanungsrechtlichen Begriffs „Vergnügungsstätte“, wobei im Hinblick auf die differenzierte Zulässigkeit in den Baugebieten der Baunutzungsverordnung grundsätzlich wie oben bereits dargestellt zwischen kerngebietstypischen und nicht kerngebietstypischen Spielhallen zu unterschieden ist, wofür in der Regel als Schwellenwert die Größe von ca. 100 m² Nutzfläche herangezogen wird. Das bedeutet für die streitgegenständliche Vergnügungsstätte, dass eine Rahmenverträglichkeit hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung im Rahmen der Gemengelage grundsätzlich nur dann gegeben wäre, wenn in der näheren Umgebung bereits Spielhallen oder sonstige Vergnügungsstätten vorhanden sind (vgl. VG München, U.v. 16.3.2015 – M 8 K 13.2939 – juris Rn. 28).
Vorliegend ist gerade bereits eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte auf dem Grundstück … … … vorhanden. Nach den eben dargestellten Maßstäben ist mit der unbefristeten Zulassung der streitigen, bereits seit Jahren befristet genehmigten Spielhalle, gerade auch wegen deren seit Jahren prägenden Charakters auf das Gebiet, nicht anzunehmen, dass die vorhandene Situation negativ beeinflusst wird. Es besteht für das maßgebliche flächenmäßig relativ kleine Gebiet nicht die Besorgnis, dass die anderen Nutzungen abwandern oder verdrängt zu werden drohen. Ein „trading-down-Effekt“ ist bei Vorliegen einer Gemengelage gerade nicht (mehr) zu erwarten, da durch die bereits bestehende Vergnügungsstätte erheblichen Umfangs auf dem Grundstück … … … bereits An- und Abfahrtsverkehr – auch zur Nachtzeit – besteht, mithin die entsprechende Tiefgarageneinfahrt gerade zur Seite des angrenzenden klägerischen Grundstücks liegt. Der durch die streitgegenständliche, deutlich kleinere Vergnügungsstätte verursachte An- und Abfahrtsverkehr fällt dabei nicht erheblich ins Gewicht. Zudem befindet sich die streitgegenständliche Vergnügungsstätte am östlichsten Rand des Grundstücks … … … und grenzt damit nicht unmittelbar an das Grundstück der Klägerin an. Im Übrigen ist die Ein- und Ausfahrt zur streitigen Vergnügungsstätte mittig der nördlichen Grundstücksgrenze und nicht angrenzend an das klägerische Grundstück situiert. Soweit die Klägerin die Befürchtung hätte, dass die Hotelgäste durch die streitige Spielhalle gestört werden könnten, ist anzumerken, dass die streitige Spielhalle bereits deutlich vor der Genehmigung der Hotelnutzung auf dem Grundstück der Klägerin durch die Beklagte, wenn auch nur befristet, zugelassen wurde und damit die Klägerin auch damit rechnen musste, dass die streitige Nutzung weiterhin betrieben wird.
Da bei Vorliegen einer Gemengelage für die Zulässigkeit der Art der baulichen Nutzung ein Bezugsfall ausreicht, um diese zu bejahen, ist hier die Vergnügungsstätte im genehmigten Umfang insoweit bauplanungsrechtlich zulässig.
2.1.3 Im Übrigen kann auch der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit hinsichtlich der Art der Nutzung als Vergnügungsstätte nicht das Gewerbeflächenentwicklungsprogramm der Beklagten entgegengehalten werden, das im maßgeblichen Bereich eine GE-A-Fläche zur Sicherung und Entwicklung „klassischer Gewerbenutzungen“ vorsieht. Insbesondere können die dortigen Aussagen nicht als dem Vorhaben entgegenstehende, hinreichend konkrete und bestimmte Planungsabsichten der Beklagten gewertet werden, da das Programm als Direktive zur Umsetzung der Leitlinien der städtischen Gewerbeflächenpolitik über einen längeren Zeitraum nicht generell auf eine alsbaldige Umsetzung bzw. Fortentwicklung der dort getroffenen Festlegungen durch bauleitplanerische Maßnahmen angelegt ist und in diesem auch nur sehr allgemein die Entwicklungsvorstellungen bezüglich der im Flächennutzungsplan dargestellten Gewerbe- und Industrieflächen beschrieben wird (vgl. VG München, U.v. 17.10.2011 – M 8 K 10.5620 – juris Rn. 40).
2.1.4 Auch soweit die Beklagte vom Vorliegen eines faktischen Gewerbegebiets ausgegangen ist – wohl ohne die Voraussetzungen einer Ausnahme nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO zu prüfen -, liegt eine Verletzung des nachbarschützenden Rücksichtnahmegebots nicht vor. Nach den Feststellungen des Gerichts liegt eine Gemengelage vor; dort ist die streitgegenständliche Spielhalle wegen des vorhandenen Bezugsfalls zulässig. Folglich kann sich die Klägerin auch nicht auf die fehlende Ausübung des Ausnahmeermessens nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO der Beklagten berufen.
2.1.5 Auch bezüglich der weiteren genehmigten gewerblichen Nutzungen (Lager, Laden, Büro, Werkstatt) im streitgegenständlichen Bescheid ist eine Verletzung der Art der baulichen Nutzung (Rücksichtnahmegebot) nicht ersichtlich und im Übrigen vom Bevollmächtigten der Klägerin auch nicht vorgetragen.
2.2 Weder das Maß der baulichen Nutzung noch die überbaubare Grundstücksfläche noch die Bauweise stehen vorliegend in Frage und werden von den Beteiligten auch nicht problematisiert, abgesehen davon, dass das Maß der baulichen Nutzung, die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, und die Bauweise grundsätzlich nicht drittschützend sind.
3. Das Vorhaben verstößt auch nicht gegen drittschützende bauordnungsrechtliche Vorschriften, die im Prüfprogramm der streitgegenständlichen Baugenehmigung beinhaltet wären.
4. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da die Beigeladene einen Antrag gestellt und damit sich einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es billigem Ermessen, dass die unterliegende Klägerin auch ihre außergerichtlichen Kosten trägt (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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