Baurecht

Untätigkeitsklage, Baugenehmigung für eine Werbeanlage, Ausnahmegenehmigung wegen Verkehrsbeeinträchtigung, Unzulässigkeit

Aktenzeichen  M 1 K 19.2952

Datum:
5.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 11076
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 75
StVO § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
StVO § 46 Abs. 2 S. 1
BayBO Art. 56 S. 1 Nr. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.     
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I. Über die Klage konnte trotz Ausbleiben der Klägerin auf Grund mündlicher Verhandlung vom 5. April 2022 entschieden werden. Nach § 102 Abs. 2 VwGO kann beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden; hierauf wurde die Klägerin bei der Ladung zur mündlichen Verhandlung im gerichtlichen Schreiben vom 7. März 2022 ausdrücklich hingewiesen.
II. Die Klage hat keinen Erfolg, da sie bereits unzulässig ist.
1. Zwar ist die Klage nicht bereits deshalb unzulässig, da diese womöglich vor Ablauf der Frist aus § 75 Satz 2 VwGO erhoben wurde. Danach kann die Untätigkeitsklage nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist.
Die Klägerin stellte ausweislich der Behördenakten am 6. März 2019 bei der Beigeladenen einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung der Werbeanlage. Dieser ging am 3. April 2019 beim zuständigen Landratsamt ein. Es spricht einiges dafür, auf letztgenannten Eingang beim Landratsamt als maßgeblichen Fristbeginn abzustellen, da dieses für die Entscheidung über den Antrag zuständig ist.
Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, da unabhängig davon, welcher Zeitpunkt maßgeblich ist, selbst eine verfrühte Klageerhebung nicht zur Unzulässigkeit der Klage führt. Als maßgeblich für den Zeitpunkt des Fristablaufs erachtet die Rechtsprechung den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, nicht hingegen den Zeitpunkt der Klageerhebung, sodass auch die Klageerhebung vor Ablauf der Dreimonatsfrist zunächst zulässig ist (Brenner in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 75 Rn. 41 m.w.N.).
Die Dreimonatsfrist ist im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bereits verstrichen, ohne dass der Beklagte den Antrag verbeschieden hat, sodass die Klage nicht unter dem Gesichtspunkt der genannten Frist unzulässig ist.
2. Die Klage ist jedoch unzulässig, da der Klägerin das Rechtsschutzbedürfnis für die streitgegenständliche Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung fehlt. Die begehrte Werbeanlage bedarf nach Art. 56 Satz 1 Nr. 5 BayBO keiner Baugenehmigung gemäß Art. 68 BayBO, sondern einer straßenverkehrsrechtlichen Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 2 Straßenverkehrsordnung – StVO – vom Verbot der Werbung und Propaganda durch Bild, Schrift, Licht oder Ton außerhalb geschlossener Ortschaften gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StVO.
a) Der Tatbestand der Verbotsnorm des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StVO ist erfüllt. Danach ist außerhalb geschlossener Ortschaften jede Werbung und Propaganda durch Bild, Schrift, Licht oder Ton verboten, wenn dadurch am Verkehr Teilnehmende in einer den Verkehr gefährdenden oder erschwerenden Weise abgelenkt oder belästigt werden können.
aa) Die geplante doppelseitige, beleuchtete Werbeanlage stellt Werbung in Form von Außenwerbung durch Bild dar.
bb) Der Standort der Werbeanlage befindet sich ferner außerhalb geschlossener Ortschaften.
Außerhalb geschlossener Ortschaften liegt der Standort einer Werbeanlage, wenn die Verkehrsfläche vor dem Zeichen StVO 310 liegt (Sauthoff in Münchener Kommentar zum StVR, 1. Aufl. 2016, § 33 Rn. 16).
Das Ortsschild der Stadt … befindet sich, wie bei Augenschein erkennbar, erst deutlich weiter östlich des Vorhabensgrundstücks. Auf Foto Nr. 4 der Fototafel, auf dem das Ortsschild in weiter Entfernung rechter Hand zu sehen ist, wird Bezug genommen.
cc) Durch die geplante Werbeanlage können am Verkehr Teilnehmende in einer den Verkehr gefährdenden oder erschwerenden Weise abgelenkt oder belästigt werden.
Dabei reicht im Hinblick auf den hohen Rang der Schutzgüter Leib und Leben eine abstrakte Gefahr ohne Nachweis konkret entstandener Verkehrsgefahren oder -unfälle und damit die jedenfalls nicht entfernte Möglichkeit einer verkehrsgefährdenden Ablenkung und Beeinflussung der Verkehrsteilnehmer aus (BayVGH, U.v. 28.7.2015 – 11 B 15.76 – juris Rn. 23 m.w.N.).
Ausgehend davon ist die Möglichkeit einer verkehrsgefährdenden oder erschwerenden Ablenkung oder Belästigung durch das Vorhaben nicht auszuschließen. Dies hat die Beweisaufnahme durch Einnahme eines Augenscheins zur Überzeugung des Gerichts ergeben.
Bei der St … handelt es sich um eine stark befahrene Staatsstraße. Die geplante, beiderseitige Werbeanlage soll parallel zur unmittelbar östlich angrenzenden B … straße errichtet werden. Sie ist damit von beiden Fahrspuren der St … weithin sichtbar. Die Werbeanlage soll ferner beidseitig beleuchtet werden. Damit ist sie von Verkehrsteilnehmern aus beiden Richtungen kommend nicht lediglich beiläufig bemerkbar.
Diese Ausführung der geplanten Werbeanlage in Verbindung mit der vorhandenen Verkehrssituation lassen die Gefahr einer verkehrsgefährdenden Ablenkung oder Belästigung durch das Vorhaben überwiegend wahrscheinlich erscheinen. Die Verkehrssituation ist ohnehin stark angespannt. Der streitgegenständliche Bereich erfordert bereits jetzt besonders erhöhte Aufmerksamkeit sämtlicher Verkehrsteilnehmer. Die auf Höhe der geplanten Werbeanlage befindliche Querungshilfe führt zu einer starken Frequentierung des Straßenabschnitts durch von beiden Seiten kommende Fußgänger und Radfahrer. Verkehrsteilnehmer, die mit dem Pkw unterwegs sind, müssen deshalb besondere Vorsicht walten lassen. Eine mögliche Ablenkung der Autofahrer durch eine Werbeanlage auf einer Staatsstraße, die gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 BayStrWG dem Durchgangsverkehr zu dienen bestimmt ist – dies zudem bei einer nicht unerheblichen, zulässigen Geschwindigkeit von 70 km/h – stellt eine deutlich erhöhte Gefahr für Leib und Leben der die St … überquerenden Verkehrsteilnehmer dar. Die Werbung in diesem Streckenabschnitt zielt darauf ab, die Aufmerksamkeit auch und gerade ortsunkundiger Verkehrsteilnehmer auf sich zu ziehen, die die Situation im Gegensatz zu Ortskundigen nicht in gleichem Maße einzuschätzen vermögen. Hinzu tritt die auf beiden Fahrspuren befindliche Bushaltestelle. An der jeweils rechten Fahrbahn befindet sich beidseitig der St … eine Einbuchtung mit Bushaltestelle. Insbesondere die nördlich gelegene bewirkt bei stehendem Bus und aussteigenden Insassen eine starke Einschränkung der Sichtmöglichkeit von von Osten kommenden Verkehrsteilnehmern und fordert besondere Vorsicht. Auf Foto Nr. 4 der Fototafel wird Bezug genommen. Eine weitere Ablenkungsquelle in Form der geplanten Werbeanlage würde diese Situation weiter verschärfen.
b) Damit bedarf es gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 StVO für die Errichtung der Werbeanlage einer straßenverkehrsrechtlichen Ausnahmegenehmigung vom Verbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StVO. Ein Fall von § 46 Abs. 1 Nr. 9 oder Nr. 10 StVO liegt nicht vor, da dies nur die Fälle des § 33 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StVO bzw. § 33 Abs. 2 Satz 2 StVO betrifft (Sauthoff in Münchener Kommentar zum StVR, 1. Aufl. 2016, § 46 Rn. 97).
c) Dieses Verfahren ist dem Baugenehmigungsverfahren vorrangig. Der grundsätzlich gemäß Art. 55 Abs. 1 BayBO auch für Werbeanlagen, vgl. Art. 2 Abs. 1 Satz 2 BayBO, notwendigen Baugenehmigung bedarf es gemäß Art. 56 Satz 1 Nr. 5 BayBO somit nicht. Bei Werbeanlagen entfällt eine nach Art. 55 Abs. 1 BayBO bestehende Baugenehmigungspflicht, soweit das Vorhaben nach Straßenverkehrsrecht einer Zulassung bedarf. Dies ist der Fall, wenn die Anlage an sich nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 StVO unzulässig ist, aber nach Art. 46 Abs. 1 Nr. 10 oder Abs. 2 Satz 1 StVO ausnahmsweise zugelassen werden kann (König in Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 4. Aufl. 2012, Art. 56 Rn. 16).
3. Nach alledem war die Klage abzuweisen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entsprach der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da diese keinen Antrag stellte und sich somit keinem Prozessrisiko aussetzte.
Ein Fall des § 161 Abs. 3 VwGO, wonach in den Fällen des § 75 VwGO die Kosten stets dem Beklagten zur Last fallen, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte, liegt nicht vor. Die Vorschrift ist nach überwiegender Auffassung nicht anwendbar, wenn das Gericht zur Sache entscheidet, bevor eine Bescheidung durch die Behörde erfolgt (Zimmermann-Kreher in BeckOK VwGO, Posser/Wolff, 60. Edition Oktober 2021, § 161 Rn. 21; Schenke in Kopp/Schenke, 24. Aufl. 2018, § 161 Rn. 35 jew. m.w.N.). Die Untätigkeit der Behörde kann jedoch im Rahmen des § 155 Abs. 4 VwGO berücksichtigt werden, wonach einem Beteiligten Kosten, die durch dessen Verschulden entstanden sind, auferlegt werden können. Auch danach ergibt sich indes keine Kostentragungspflicht des Beklagten. Es liegt kein schuldhaftes Fehlverhalten des Beklagten vor. Die Behörde hat durch unterbliebene Bescheidung des Antrags nicht schuldhaft die Inanspruchnahme des Gerichts bereits am 19. Juni 2019 veranlasst, weil das Staatliche Bauamt erst mit Schreiben vom 30. April 2019, dies eingegangen beim zuständigen Landratsamt am 6. Mai 2019, mitteilte, dass dem Vorhaben nicht zugestimmt werden könne.
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben