Baurecht

Unwirksame Änderung eines Bebauungsplans wegen Abwägungsmangel (fehlende Prüfung von Standortalternativen)

Aktenzeichen  1 N 12.1182

Datum:
18.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 1 Abs. 7, § 9 Abs. 1 Nr. 22, § 13, § 214 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 2, § 215 Abs. 1 S. 1
VwGO VwGO § 47
GG GG Art. 14 Abs. 1 S. 1
BGB BGB § 242

 

Leitsatz

Bei der Inanspruchnahme von Grundeigentum ist dem Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs Geltung zu verschaffen. Es muss also stets geprüft werden, ob es ein milderes Mittel gibt, das zur Erreichung des Zwecks in gleicher Weise geeignet ist, den Eigentümer aber weniger belastet. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die 3. Änderung des Bebauungsplans „Südendstraße – Änderung Lehner“ ist unwirksam.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag ist zulässig (1) und begründet (2).
1. Der Antrag ist zulässig. Die Antragsbefugnis des Antragstellers ist nicht nach § 242 BGB analog wegen eines treuwidrigen Verhaltens ausgeschlossen (vgl. BVerwG, B. v. 14.11.2000 – 4 BN 54.00 – BRS 63 Nr. 50). Mit der Stellung des Normenkontrollantrags setzt sich der Antragsteller nicht in Widerspruch zu seinem vorangegangenen Verhalten. Zwar hat er der Festsetzung eines privaten Spielplatzes im Bebauungsplan „Südendstraße II – Änderung Lehner“ als Gemeinschaftseinrichtung für die Wohngebäude auf seinen Grundstücken zugestimmt. Vorliegend bekämpft er jedoch nicht diese Festsetzung, sondern die Festsetzung einer öffentlichen Grünfläche mit der Zweckbestimmung „Spielplatz“. Abgesehen davon, dass die Realisierung dieser Festsetzung zum Verlust seines Eigentums führen kann, zielt die Festsetzung darauf ab, die Fläche der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, während die Gemeinschaftsanlage nur der Nutzung eines begrenzten Personenkreises offen steht. Insoweit handelt es sich bei der Festsetzung der öffentlichen Grünfläche um eine gegenüber der bisherigen Regelung andersartige und den Antragsteller erheblich stärker belastende Festsetzung, die der Antragsteller nicht ohne gerichtliche Kontrollmöglichkeit hinzunehmen hat.
2. Der angegriffene Bebauungsplan ist unwirksam, weil er an einem durchgreifenden Abwägungsmangel leidet (2.3). Die vom Antragsteller geltend gemachten Verstöße gegen das Gebot der Normenklarheit (2.1) und gegen Verfahrensnormen (2.2) greifen dagegen nicht durch.
2.1 Die 3. Änderung des Bebauungsplans „Südendstraße – Änderung Lehner“ verstößt nicht gegen den Grundsatz der Normenklarheit. Dass die 3. Änderung den zu ändernden Bebauungsplan als Bebauungsplan „Südendstraße – Änderung Lehner“ bezeichnet und nicht die korrekte Bezeichnung „Südendstraße II – Änderung Lehner“ verwendet, lässt keine Zweifel aufkommen, welcher Bebauungsplan geändert worden ist. Abgesehen davon, dass ein Bebauungsplan „Südendstraße – Änderung Lehner“ niemals existiert hat, wurden die Bezeichnungen „Südendstraße II“ und „Südendstraße – Lehner“ stets synonym verwendet, um dieses Plangebiet von dem Bebauungsplan „Südendstraße“ zu unterscheiden, der mangels Genehmigung der Regierung von Oberbayern im Jahr 1997 für die Grundstücke der Familie des Antragstellers auf planerische Festsetzungen verzichtet hat.
2.2 Auch die geltend gemachten Verfahrensfehler greifen nicht durch. Der „Schreibfehler“ in der Bekanntmachung (3. Änderung in der Fassung vom 06.06.2012) ist aufgrund des Satzungsbeschlusses vom 20.03.2012 offensichtlich und beeinträchtigt den mit der Bekanntmachung verfolgten Hinweiszweck nicht (§ 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB). Die Übersendung eines Planentwurfs an den Antragsteller, der nicht alle Festsetzungen des späteren Bebauungsplans enthielt, hinderte den Antragsteller nicht, seine Bedenken gegen den Spielplatz vorzubringen (§ 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB). Zutreffend hat die Antragsgegnerin das vereinfachte Verfahren nach § 13 BauGB durchgeführt. Die Festsetzung eines öffentlichen Spielplatzes anstelle eines „Gemeinschaftsspielplatzes“ nach § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB berührt das Planungskonzept nicht, sondern will sicherstellen, dass der Spielplatz tatsächlich errichtet wird.
2.3 Die Festsetzung einer öffentlichen Grünfläche für einen Spielplatz auf dem Grundstück des Antragstellers ohne Prüfung von Standortalternativen stellt einen nach § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB durchgreifenden Abwägungsmangel dar, den der Antragsteller innerhalb der Frist des § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB gerügt hat.
Die Antragsgegnerin hat im Rahmen der Abwägung die Bedeutung verkannt, die dem Interesse des Antragstellers an der privaten Nutzung seines Grundstücks zukommt. Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung oder Änderung von Bauleitplänen die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Zu den privaten Belangen gehört in hervorgehobener Weise das durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Eigentum. Neben der Substanz des Eigentums erfasst die Eigentumsgarantie auch die Beachtung des Gleichheitssatzes und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Daher ist bei der Inanspruchnahme von Grundeigentum dem Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs Geltung zu verschaffen. Es muss also stets geprüft werden, ob es ein milderes Mittel gibt, das zur Erreichung des Zwecks in gleicher Weise geeignet ist, den Eigentümer aber weniger belastet (vgl. BVerfG, B. v. 19.12.2002 – 1 BvR 1402/01 – NVwZ 2003, 727; BVerwG, B. v. 26.8.2009 – 4 BN 35.09 – BauR 2010, 54).
Die Antragsgegnerin, die sich im Rahmen der Abwägung mit den Eigentumsinteressen des Antragstellers auseinandersetzte, hat nicht geprüft, ob der von ihr geplante öffentliche Spielplatz auch auf dem im Bebauungsplan „Südendstraße“ in der Fassung der 3. Änderung vom 9. März 1992 als „öffentliche Grünfläche – Begegnungsplatz“ festgesetzten Grundstück „W…“ hätte errichtet werden können und damit die Versorgung des Wohngebiets mit einem Spielplatz nicht ebenso gut ohne die Belastung des Antragstellers zu erreichen gewesen wäre. Auf dieser Fläche, die an der nächsten Erschließungsstraße etwa 70 m entfernt vom Grundstück des Antragstellers liegt und die bisher als öffentlich zugängliche Wiese genutzt wird, kann jederzeit ein Spielplatz eingerichtet werden. Die in der 3. Änderung des Bebauungsplans „Südendstraße“ festgesetzte Zweckbestimmung der öffentlichen Grünfläche als Begegnungsplatz ermöglicht ohne weiteres auch die Errichtung eines Spielplatzes, zumal die Antragsgegnerin im Verfahren zur 3. Änderung zum Ausdruck gebracht hat, dass mit dem Wechsel von der früher festgesetzten Nutzung als Spielplatz zur Nutzung als Begegnungsplatz kein Verzicht auf die ursprüngliche Nutzung verbunden sein sollte. So ist der Begründung vom 30. Oktober 1991 zu entnehmen, dass die Grünfläche mit Kinderspielplatz erhalten bleiben soll. Auch hat die Antragsgegnerin bei der Beteiligung der Eigentümer nach § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BauGB im Schreiben vom 3. Dezember 1991 darauf hingewiesen, dass die ausgewiesene Grünfläche mit Kinderspielplatz von der Änderung nicht betroffen sei.
Angesichts der räumlichen Nähe der beiden für einen Spielplatz in Frage kommenden Flächen lag die Prüfung der beiden Standorte für die Antragsgegnerin auf der Hand, so dass es nicht darauf ankommt, dass der Antragsteller sich im Rahmen seiner Einwendungen auf diesen Gesichtspunkt nicht berufen hat. Dazu kommt, dass dem Bauausschuss der Antragsgegnerin der Alternativstandort bekannt war. Aus dem Protokoll der Bauausschusssitzung vom 12. Oktober 2010 ergibt sich, dass im Zusammenhang mit dem Wunsch des Antragstellers, seine für einen privaten Spielplatz vorgesehene Fläche zu bebauen, nachdem der Versuch der Antragsgegnerin, diese Festsetzung durchzusetzen, gescheitert war, die Eignung der beiden Grundstücke für einen Spielplatz erörtert worden war. Auch die Tatsache, dass die als Spielplatz ausgewiesene Grundstücksfläche des Antragstellers im vorhergehenden Bebauungsplan „Südendstraße II – Änderung Lehner“ als private Grünfläche zur Errichtung eines „Gemeinschaftsspielplatzes“ festgesetzt worden war, vermag den Verzicht auf eine Untersuchung der Standortalternativen nicht zu rechtfertigen. Zwar war die Grundstücksfläche des Antragstellers durch die Festsetzung im Vorgänger-Bebauungsplan vorbelastet. Jedoch stellt die Ausweisung einer öffentlichen Grünfläche eine weiter gehende Belastung dar, weil die Fläche der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden soll und die Festsetzung zum Entzug des Eigentums an der Grundstücksfläche führen kann.
Der Fehler im Abwägungsvorgang ist auch erheblich (§ 214 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB), weil sich aus den Normaufstellungsakten ergibt, dass sich die Antragsgegnerin mit dem Alternativstandort nicht beschäftigt hat und sich anhand der naheliegenden Umstände die Möglichkeit abzeichnet, dass der Mangel auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sein kann (vgl. BVerwG, B. v. 9.10.2003 – 4 BN 47.03 – BauR 2004, 1130). Der in der Sitzung des Bauausschusses vom 20. März 2012 erörterte Gesichtspunkt, dass das Grundstück des Antragstellers die einzige zentral gelegene, unbebaute Fläche im Plangebiet sei, rechtfertigt angesichts der Nähe der beiden für den Spielplatz in Betracht kommenden Flächen nicht den Schluss, dass sich die Antragsgegnerin auch bei Einbeziehung des Alternativstandorts für das Grundstück des Antragstellers entschieden hätte. Das gilt in gleicher Weise für den von der Antragsgegnerin geltend gemachten Umstand, dass der Spielplatz gerade den Wohngebäuden auf den früher dem Antragsteller gehörenden Grundstücken diene. Denn der Bedarf für einen öffentlichen Spielplatz wird durch die Wohnnutzung im gesamten Bauquartier und nicht allein durch die an den Spielplatz angrenzenden oder die im Geltungsbereich des angegriffenen Bebauungsplans gelegenen Wohngebäude ausgelöst. Ebenso wenig vermag die in der mündlichen Verhandlung angeführte unterschiedliche Verkehrsbelastung der Straßen, an denen die beiden Alternativstandorte liegen, die Eignung des Grundstücks „W.“ als Spielplatzfläche auszuschließen. Denn auch dieses Grundstück liegt nicht an einer Durchgangsstraße, sondern an einer Erschließungsstraße des Wohnquartiers. Vielmehr zeigt die in der Sitzung des Bauausschusses vom 12. Oktober 2010 vertretene Auffassung die Entscheidungserheblichkeit des Abwägungsmangels. Der Bauausschuss hielt wegen der weniger dichten Bebauung in der Nähe des Grundstücks „W.“ dieses zur Vermeidung von Nachbarschaftskonflikten als Standort für einen Spielplatz besser geeignet als das Grundstück des Antragstellers.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO, § 709 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Nach § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO hat die Antragsgegnerin nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils Nummer I der Entscheidungsformel in derselben Weise zu veröffentlichen wie den angegriffenen Bebauungsplan.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1 und 8 GKG).


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