Baurecht

Unwirksame Größenbeschränkung für Großflächenwerbeanlagen im Mischgebiet durch Satzung

Aktenzeichen  Au 4 K 16.1452

Datum:
10.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1, Art. 81 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2
BauNVO BauNVO § 6

 

Leitsatz

1 Es existiert kein Erfahrungs- und damit Rechtssatz des Inhalts, dass die einen Ortskern umgebenden Bereiche und Straßenzüge – selbst wenn dieser Ortskern ein schützenswertes Ortsbild aufweist – allein deshalb, d.h. wegen ihrer Nähe oder auf Grund ihrer Funktion als Zufahrt zum Ortskern, die Einschränkungen bzw. Verbote des Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 und/oder Nr. 2 BayBO erfordern.    (redaktioneller Leitsatz)
2 Zudem kommt es auf derartige abstrakte Überlegungen nicht an. Vielmehr ist im Rahmen von Satzungen nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BayBO auf die Erforderlichkeit nach der konkreten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des jeweiligen Bereichs abzustellen. Dies gilt auch bei Flächen- und Größenbegrenzungen für Werbeanlagen. In Mischgebieten ist ein generelles Verbot von Werbung mit Großflächenwerbetafeln unverhältnismäßig und unwirksam, weil es dort voraussetzungsgemäß an einem Mindestmaß an Einheitlichkeit des Baugebietscharakters fehlt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 5. Oktober 2016, Az., wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die beantragte Baugenehmigung für eine zweiseitige, beleuchtete Werbeanlage auf Fl.Nr., Gemarkung, zu erteilen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist bereits im Hauptantrag zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung, weil dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen sind (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 59 Satz 1 BayBO). Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 5. Oktober 2016 ist daher rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Dem Vorhaben steht die – hier vom Beklagten allein angeführte – Regelung in § 2, Nr. 9.1, 1. Spiegelstrich der Werbeanlagensatzung der Beigeladenen als örtliche Bauvorschrift (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Art. 81 BayBO) nicht entgegen. Zwar überschreitet die streitgegenständliche Werbeanlage die dort festgelegte Maximalgröße der Ansichtsfläche von 6,00 m2. Diese Bestimmung erfüllt jedoch jedenfalls in Bezug auf die hier streitgegenständliche Werbeanlage nicht die Vorgaben des Art. 81 BayBO und ist daher unwirksam.
Offen kann bleiben, ob die in Rede stehende Größenbeschränkung eine besondere Anforderung an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen i.S.v. Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO darstellt oder – wofür angesichts des sich aus der Größenbeschränkung ergebenden faktischen Verbots von Werbeanlagen im gängigen Euro-Format sowie aus der Formulierung „sind unzulässig“ in Nr. 9.1 der Werbeanlagensatzung mehr spricht – nur auf Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 BayBO (Verbot der Errichtung von Werbeanlagen) gestützt werden kann.
Gründe für die von der Beigeladenen getroffene Regelung im Hinblick auf die Erhaltung und Gestaltung des Ortsbildes (Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO) bzw. ortsgestalterische Gründe (Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 BayBO) sind jedenfalls weder der Werbeanlagensatzung der Beigeladenen zu entnehmen, noch liegen solche Gründe nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsprechung vor. Die Beigeladene hat zwar mit ihrer Satzung bei den Anforderungen an bzw. den Beschränkungen für Werbeanlagen nach „Kernbereichen“, „Einfahrtsbereichen“ – die jeweils an diese Kernbereiche anschließen -, sowie faktisch für weitere Bereiche, bei denen Werbeanlagen keinen satzungsmäßigen Vorgaben unterliegen, differenziert. Dem liegt wohl – näheres lässt sich der Satzung nicht entnehmen – eine Abstufung dergestalt zu Grunde, dass Werbeanlagen umso größeren Beschränkungen unterworfen sein sollen, je näher sie zum Stadtkern liegen. Es existiert jedoch kein Erfahrungs- und damit Rechtssatz des Inhalts, dass die einen Ortskern umgebenden Bereiche und Straßenzüge – selbst wenn dieser Ortskern ein schützenswertes Ortsbild aufweist – allein deshalb, d.h. wegen ihrer Nähe oder auf Grund ihrer Funktion als Zufahrt zum Ortskern, die Einschränkungen bzw. Verbote des Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 und / oder Nr. 2 BayBO erfordern. Zudem kommt es auf derartige abstrakte Überlegungen nicht an. Vielmehr ist im Rahmen von Satzungen nach Art. 81 BayBO Abs. 1 Nr. 1 und 2 auf die Erforderlichkeit nach der konkreten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des jeweiligen Bereichs abzustellen (vgl. BayVerfGH, E.v. 23.1.2012 – Vf. 18-VII-09 – VerfGH 65, 1 – juris Rn. 105 ff.; BayVGH, B.v. 23.10.2015 – 15 ZB 14.2530 – juris Rn. 9). Dies gilt auch bei Flächen- und Größenbegrenzungen, wie sie hier vorliegen (vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2015 – 15 ZB 13.1896 – juris Rn. 4 und 7; BayVGH, B.v. 21.11.2012 – 15 ZB 10.1796 – juris Rn. 9 ff.). Derartige ortsbildbegründete Differenzierungen sind der Werbeanlagensatzung der Beigeladenen nicht zu entnehmen. Vielmehr ist in Mischgebieten – wie hier unstreitig vorliegend – ein generelles Verbot von Werbung mit Großflächenwerbetafeln unverhältnismäßig und unwirksam, weil es dort voraussetzungsgemäß an einem Mindestmaß an Einheitlichkeit des Baugebietscharakters fehlt (BayVGH, B.v. 21.11.2012 – 15 ZB 10.1796 – juris Rn. 11; VG Würzburg, U.v. 10.3.2015 – W 4 K 14.1137 – Rn. 29 f.).
Zwar erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Satzungsgeber auch für Mischgebiete Größenbeschränkungen für Werbeanlagen festlegt und damit die Errichtung von Werbetafeln im gängigen Euro-Format (Ansichtsfläche ca. 9,50 m2; Außenmaße ca. 10,80 m2) unterbindet. Erforderlich ist in diesem Fall jedoch – wie stets -, dass eine solche Einschränkung nach den konkreten örtlichen Gegebenheiten, etwa zum Schutz bestimmter Bauten, Straßen, Plätze oder Ortsteile von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung sowie von Bau- oder Naturdenkmälern, gerechtfertigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2015 – 15 ZB 13.1896 – juris Rn. 10 m.w.N.; BayVGH, B.v. 21.11.2012 – 15 ZB 10.1796 – juris Rn. 11).
Derartige konkrete örtliche Gegebenheiten sind in Bezug auf das streitgegenständliche Vorhaben jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr liegt der Standort in einer ganz überwiegend durch gewerbliche Nutzungen geprägten Umgebung (*-Verbrauchermarkt; *-Elektronikmarkt nordwestlich; zugehörige großzügig dimensionierte Stellplatzflächen). Selbst den großflächigen Einzelhandelsbetrieben entlang der * kommt, jedenfalls im südlichen Bereich, noch eine prägende Wirkung zu. Die Wohnbebauung nördlich des *-Marktes ist durch diesen von der Werbeanlage abgeschirmt. Die Wohnbebauung südlich der Straße „*“ ist durch die genannten gewerblichen Einzelhandelsnutzungen sowie durch ihre Lage an der an dieser Stelle (einschließlich Gehsteigen) ca. 11 m breiten Ortsdurchfahrt der Bundesstraße * mitgeprägt; ein besonders schutzwürdiges Ortsbild besteht jedenfalls nicht. Vielmehr ist das Ortsbild hier in Bezug auf Werbeanlagen auf Grund der im Jahre 2009 der Klägerin mit dem Einvernehmen der Beigeladenen genehmigten – und nunmehr abzubauenden – Anlage (ebenfalls im Euro-Format) vorbelastet.
Auch Bauplanungsrecht (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO i.V.m. §§ 29 ff. BauGB) steht – abgesehen davon, dass weder Beklagter noch Beigeladene insoweit Einwände erhoben haben – dem Vorhaben nicht entgegen. In Betracht kommt insoweit allenfalls, dass sich das Vorhaben nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht gem. § 34 Abs. 1 BauGB einfügt. Jedoch kann eine früher auf dem Vorhaben-grundstück auf Grund der Zurücksetzung des *-Markts bzw. des Freibleibens des südlichen Grundstücksbereichs wohl bestehende faktische Baugrenze (vgl. § 23 Abs. 3 BauNVO) angesichts der – im Einvernehmen mit der Beigeladenen erteilten – Genehmigung und der Errichtung der bestehenden Werbeanlage in diesem zuvor von Bebauung freien Bereich nicht (mehr) angenommen werden. Insoweit fehlt es nunmehr für die Annahme einer faktischen Baugrenze an hinreichenden Anhaltspunkten für eine städtebaulich verfestigte Situation. Durch die seinerzeitige Genehmigung ist – in Bezug auf die Lage der Baukörper – letztlich ein bloßes „Zufallsprodukt“ ohne eigenen städtebaulichen Aussagewert entstanden (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 15 ZB 14.1542 – juris Rn. 12).
Da die Klage bereits im Hauptantrag Erfolg hat, war über den hilfsweise gestellten Verbescheidungsantrag nicht zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, konnten ihr keine Kosten auferlegt werden (§ 154 Abs. 3 VwGO); aus diesem Grunde trägt sie jedoch auch ihre außergerichtlichen Kosten billigerweise selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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