Baurecht

Unwirksamkeit der Festsetzung eines Dorfgebiets für Einfamilienwohnhaus

Aktenzeichen  15 N 18.448

Datum:
4.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 6042
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47
BauGB § 1 Abs. 3 S. 1, § 12
BauNVO § 5

 

Leitsatz

1. Das Vorliegen eines Vorhaben- und Erschließungsplans ist Wirksamkeitsvoraussetzung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans (§ 12 Abs. 1 S. 1 BauGB). (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Vorhabenträger muss mit dem Vorhaben- und Erschließungsplan festlegen, welches Vorhaben er zu verwirklichen bereit und in der Lage ist. Durch die in diesem Plan enthaltene Beschreibung des Vorhabens begrenzt der Vorhabenträger zugleich den Umfang des erforderlichen Abwägungsmaterials. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Dorfgebiet, in dem auf die Belange der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten vorrangig Rücksicht zu nehmen ist (§ 5 Abs. 1 S. 2 BauNVO), ist ohne (zumindest einen) land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb im Planbereich nicht denkbar. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der am 23. Januar 2018 bekannt gemachte Bebauungsplan Nr. 28 “…” (mit integriertem Grünordnungsplan) der Antragsgegnerin ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag hat Erfolg.
1. 1. Der Normenkontrollantrag ist zulässig. Die Antragstellerin zu 1 ist schon deshalb antragsbefugt, weil sie Eigentümerin eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks ist und sich (u.a.) gegen die Festsetzung („Dorfgebiet“) wendet, die für ihr Grundstück gelten soll. Die Antragstellerin zu 2 ist als Gesellschaft bürgerlichen Rechts fähig, am Verfahren beteiligt zu sein (vgl. z.B. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 61 Rn. 2 und 8). Sie kann als Betreiberin des auf diesem Grundstück ansässigen landwirtschaftlichen Betriebs ihre Antragsbefugnis – ebenso wie die Antragstellerin zu 1 – jedenfalls (auch) aus den im Rahmen der planerischen Abwägung zu berücksichtigenden Belangen des landwirtschaftlichen Betriebs und dem in diesem Zusammenhang befürchteten Immissionskonflikt mit der aufgrund des Bebauungsplans an den Betrieb heranrückenden Wohnbebauung herleiten. Dem Normenkontrollantrag fehlt es entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht am Rechtsschutzbedürfnis, weil die Antragstellerinnen – auch nach Verwirklichung des Wohnbauvorhabens auf dem benachbarten Grundstück – unverändert durch die Festsetzungen des Bebauungsplans betroffen sind, unabhängig davon, ob diese ihr eigenes Grundstück oder das benachbarte Grundstück betreffen. Sonstige Zweifel an der Zulässigkeit des Normenkontrollantrags bestehen nicht.
2. Der Normenkontrollantrag ist auch begründet. Der streitgegenständliche Bebauungsplan ist insgesamt unwirksam.
a) Der vorhabenbezogene Bebauungsplan, der die Errichtung eines Einfamilienhauses bezweckt und sich auf einen Teilbereich des Grundstücks FlNr. 593 bezieht, ist schon deshalb unwirksam, weil – wie die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat – kein Vorhaben- und Erschließungsplan existiert. Das Vorliegen eines Vorhaben- und Erschließungsplans ist jedoch Wirksamkeitsvoraussetzung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans (§ 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB).
Bei dem Vorhaben- und Erschließungsplan handelt es sich nach der Konzeption des Gesetzgebers um einen mit der Gemeinde abgestimmten Plan zur Durchführung des Vorhabens und der Erschließungsmaßnahmen. Der Vorhabenträger muss mit dem Vorhaben- und Erschließungsplan festlegen, welches Vorhaben er zu verwirklichen bereit und in der Lage ist. Durch die in diesem Plan enthaltene Beschreibung des Vorhabens begrenzt der Vorhabenträger zugleich den Umfang des erforderlichen Abwägungsmaterials. Das Vorliegen eines Vorhaben- und Erschließungsplans ist nach der Regelungssystematik des § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, Abs. 6 BauGB Wirksamkeitsvoraussetzung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans (vgl. hierzu z.B. BayVGH, B.v. 31.8.2018 – 15 ZB 17.1003 – Rn. 14 ff. m.w.N.). Zwar kann sich in Ausnahmefällen aus der Planurkunde (im Bebauungsplan) selbst ergeben, dass sie sowohl für den Vorhaben- und Erschließungsplan als auch für den vorhabenbezogenen Bebauungsplan gelten soll (vgl. BayVGH, B.v. 31.8.2018 – 15 ZB 17.1003 – Rn. 17 m.w.N.). Jedoch ist dies – wie zwischen den Beteiligten unstrittig ist – vorliegend nicht der Fall.
b) Der vorhabenbezogene Bebauungsplan ist auch deshalb unwirksam, weil er mangels planerischer Rechtfertigung für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht erforderlich ist (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB). Er setzt für seinen Geltungsbereich (Teilbereich des Grundstücks FlNr. 593) nach der Art der baulichen Nutzung ein „Dorfgebiet“ im Sinne des § 5 BauNVO fest, obwohl in diesem Planbereich nur ein Einzelhaus zulässig ist (vgl. Nr. III. 1. und 2. der Textlichen Festsetzungen zum Bebauungsplan). Dieses muss nach Maßgabe des zwischen der Antragsgegnerin und dem Vorhabenträger geschlossenen Durchführungsvertrags ein Einfamilienwohnhaus sein (vgl. § 6 Abs. 1 des Durchführungsvertrags). Im Plangebiet ist demnach ausschließlich – wie der vorhabenbezogene Bebauungsplan unter Hinweis auf § 12 Abs. 3a BauGB auch ausdrücklich normiert (vgl. Nr. III. 1. der Textlichen Festsetzungen) – ein solches Einfamilienwohnhaus zulässig. Mit dieser planerischen Absicht, lediglich ein Einzelhaus (= Einfamilienwohnhaus) im Planbereich zuzulassen, steht jedoch die Festsetzung des Planbereichs als „Dorfgebiet“ im Sinne des § 5 BauNVO in einem offensichtlichen Widerspruch. Denn ein Dorfgebiet im Sinne des § 5 BauNVO, in dem auf die Belange der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten vorrangig Rücksicht zu nehmen ist (§ 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO), ist ohne (zumindest einen) land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb im Planbereich nicht denkbar. Da im Geltungsbereich des vorhabenbezogenen Bebauungsplans (= dem Teilbereich des Grundstücks FlNr. 593) neben dem geplanten Einfamilienwohnhaus kein Raum mehr für ein anderes (namentlich land- oder forstwirtschaftliches) Vorhaben ist, welches die streitgegenständliche Festsetzung des Plangebiets als „Dorfgebiet“ im Sinne des § 5 BauNVO zu rechtfertigen geeignet wäre und eine dahingehende Planungsabsicht (zur Verwirklichung eines land- oder forstwirtschaftlichen Vorhabens in diesem Planbereich) seitens der Antragsgegnerin ohnehin nicht bestand, ist der vorhabenbezogene Bebauungsplan mit seiner streitgegenständlichen Festsetzung insgesamt nicht städtebaulich gerechtfertigt. Auch die von der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung genannte Möglichkeit, im geplanten Einfamilienwohnhaus (zusätzlich) ein Gewerbe auszuüben, ändert hieran nichts, weil diese Planungsabsicht allenfalls eine Festsetzung des Plangebiets als Mischgebiet (§ 6 BauNVO), nicht jedoch als Dorfgebiet (§ 5 BauNVO) rechtfertigen könnte.
c) Die Unwirksamkeit des vorhabenbezogenen Bebauungsplans führt zur Gesamt-unwirksamkeit des streitgegenständlichen Bebauungsplans, weil die Antragsgegnerin nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen den Bebauungsplan ohne den unwirksamen Teil (den vorhabenbezogenen Bebauungsplan) nicht beschlossen hätte. 
d) Auf die Frage, ob der Bebauungsplan, soweit er die weiteren Grundstücke FlNr. 594 und einen Teilbereich der FlNr. 593/4 als (eigenständiges) Dorfgebiet (§ 5 BauNVO) festsetzt, für sich betrachtet mangels einer städtebaulichen Rechtfertigung ebenfalls (insoweit) unwirksam ist und die weitere Frage, welche der weiteren im gerichtlichen Verfahren erhobenen Einwände der Antragstellerinnen noch zur (Teil- oder Gesamt-)Unwirksamkeit des streitgegenständlichen Bebauungsplans führen könnten, kommt es nach alledem für die gerichtliche Entscheidung nicht mehr an.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO.
4. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
5. Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO muss die Antragsgegnerin die Ziffer I. der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen, wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre.


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