Baurecht

Unzulässige Nachbaranfechtung einer Baugenehmigung durch einzelnen Wohnunsgeigentümer

Aktenzeichen  1 CS 16.2011

Datum:
24.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZMR – 2017, 857
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 42 Abs. 2
WEG WEG § 10 Abs. 6 S. 3
BayBO BayBO Art. 59

 

Leitsatz

Da der öffentlich-rechtliche Abwehranspruch des Nachbarn grundsätzlich zu den gemeinschaftsbezogenen Rechten gehört, die nur die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ausüben kann (§ 10 Abs. 6 S. 3 WEG), fehlt der Klage eines einzelnen Wohnungseigentümers gegen die Erteilung einer Baugenehmigung für ein Vorhaben auf dem benachbarten Grundstück die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 1 SN 16.3690 2016-09-07 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
I. Unter Änderung von Nummer II des Beschlusses des Verwaltungsgerichts tragen die Antragstellerin zu 1 sowie die Antragsteller zu 2 und 3 je die Hälfte der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen; die Antragsteller zu 2 und 3 tragen ihren Anteil als Gesamtschuldner. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Unter Änderung von Nummer III des Beschlusses des Verwaltungsgerichts wird der Streitwert für beide Rechtszüge insgesamt auf je 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässigen Beschwerden (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.1982 – 7 C 34.80 – BVerwGE 66, 266 zum Vorliegen der Prozessführungsbefugnis in der Rechtsmittelinstanz) haben keinen Erfolg.
Die von den Antragstellern innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist dargelegten Beschwerdegründe‚ auf deren Prüfung der Senat im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO)‚ rechtfertigen keine Änderung der angefochtenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Klagen der Antragsteller aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben werden und das Interesse der Beigeladenen am Sofortvollzug demnach das gegenläufige Interesse der Antragsteller überwiegt. Die Klagen der Antragsteller zu 2 und 3 sind bereits unzulässig (1.). Die Klage der Antragstellerin zu 1 ist unbegründet (2.), weil die der Beigeladenen im vereinfachten Verfahren nach Art. 59 Satz 1 BayBO erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Wohnhauses mit Laden, Café und Tiefgarage die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Den Antragstellern zu 2 und 3 fehlt die notwendige Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO. Die Antragsteller sind ausweislich der vorgelegten Unterlagen Wohnungseigentümer des nördlich an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücks. Da der öffentlich-rechtliche Abwehranspruch des Nachbarn grundsätzlich zu den gemeinschaftsbezogenen Rechten gehört, die nur die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ausüben kann (§ 10 Abs. 6 Satz 3 WEG), fehlt der Klage der Antragsteller zu 2 und 3 als einzelne Wohnungseigentümer die Klagebefugnis (vgl. BayVGH, U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – BauR 2012, 1925; B.v. 23.2.2007 – 1 CS 06.3219 – juris).
Dagegen ist die Antragstellerin zu 1 klagebefugt, weil sie geltend machen kann, dass sie durch die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung in öffentlich-rechtlich nachbarschützenden Rechten hinsichtlich ihres Sondereigentums verletzt wird (vgl. BVerwG, B.v. 20.8.1992 – 4 B 92.92 – juris Rn. 8). Ihren Ausführungen im Beschwerdeverfahren zufolge ist sie – jeweils auf dem benachbarten Grundstück – Sondereigentümerin der Stellplätze Nummer 1 und 2 sowie Sondereigentümerin einer Wohnung, die sich in südlicher Richtung im Erdgeschoss des benachbarten Gebäudes neben dem geplanten PKW-Aufzug befindet. Damit steht die erforderliche konkrete Beeinträchtigung ihres Sondereigentums im Raum, da die Zufahrt zum geplanten PKW-Aufzug an der Wohnung vorbeiführt.
Demgegenüber haben die Antragsteller zu 2 und 3 nicht zu einer möglichen konkreten Beeinträchtigung ihres Sondereigentums ausgeführt. Die Klagebefugnis ergibt sich entgegen dem Vortrag der Antragsteller auch nicht aus einer vermeintlich unwirksamen Zustimmungserklärung zur Übernahme einer Abstandsfläche, da auch insoweit erkennbar nicht das Sondereigentum der Antragsteller betroffen ist.
2. Die Einwendung der Antragstellerin zu 1, sie sei für die Verfolgung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche auf die Einhaltung ordnungsgemäßer Bauvorlagen angewiesen, beispielsweise für die Überprüfung der Einhaltung der Abstandsflächen, kann der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Verweis auf den Schriftsatz vom 12. August 2016 im erstinstanzlichen Verfahren dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entspricht. Denn eine Verletzung von Nachbarrechten der Antragstellerin ist nicht erkennbar. Maßgeblich für den Rechtsschutz der Antragstellerin ist, dass sie feststellen kann, ob und in welchem Umfang sie von der Baugenehmigung betroffen ist. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft (vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2015 – 2 ZB 14.1164 – juris Rn. 6). Gemessen daran erschließt sich dem Senat nicht, inwieweit die vorgelegten Unterlagen in nachbarrechtsverletzender Weise unklar sein sollen. Im vereinfachten Genehmigungsverfahren ist kennzeichnend, dass der Umfang der bauaufsichtlichen Prüfung und damit auch der Regelungsgehalt der Baugenehmigung eingeschränkt ist. Der von der Bauaufsichtsbehörde insoweit vorzunehmende Umfang der Prüfung wird allein durch Art. 59 BayBO bestimmt (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 – 4 B 244.96 – NVwZ 1998, 58; BayVGH, B.v. 12.7.2016 – 15 ZB 14.1108 – juris Rn. 18; B.v. 27.10.1999 – 2 CS 99.2387 – BayVBl 2000, 377). Eine Abweichung nach Art. 63 BayBO wurde nicht beantragt (BA S. 8), Bauordnungsrecht ist damit nicht vom Prüfumfang der Baugenehmigung umfasst. Darauf, dass die Abstandsflächen im Baugenehmigungsverfahren thematisiert wurden, kommt es eben so wenig an wie darauf, ob gegebenenfalls eine Abstandsflächenübernahme erforderlich war oder die Antragstellerin etwaige zivilrechtliche Ansprüche in Betracht zieht. Insoweit würde ein entsprechender Nachbarantrag ins Leere gehen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 a.a.O).
3. Der Senat vermag anhand der vom Verwaltungsgericht dargelegten und aus den Akten ablesbaren konkreten Grundstücksverhältnisse auch keinen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme erkennen. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hängen die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, wesentlich von den jeweiligen Umständen ab (vgl. BVerwG, U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – DVBl 1986, 1271). Bei der insoweit maßgebenden Frage, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – NVwZ 2005, 328), ist die Feststellung des Verwaltungsgerichts, angesichts der Firsthöhen in der unmittelbaren Nachbarschaft des Bauvorhabens der Beigeladenen sowie angesichts der zu überbauenden Grundstücksfläche und des Volumens des Bauvorhabens (BA S. 10) sei die Grenze der Zumutbarkeit für die Antragstellerin nicht überschritten, nicht zu beanstanden. Das Vorhaben entfaltet danach keine „abriegelnde“ oder „erdrückende“ Wirkung. Besondere Umstände, welche ausnahmsweise die Annahme einer solchen Wirkung rechtfertigen, werden in der Beschwerdebegründung, die sich unter Bezugnahme auf den Schriftsatz vom 12. August 2016 im Wesentlichen auf den pauschalen Hinweis auf die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Mai 1986 (a. a. O.) sowie des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Oktober 2012 (15 ZB 11.1016 – juris) beschränkt, weder dargelegt noch sind sie erkennbar. Anhaltspunkte dafür, dass die von der Antragstellerin befürchtete erhöhte Lärmbelastung durch das künftige Verkehrsaufkommen bei der Ein- und Ausfahrt in den PKW-Aufzug über den für ein Mischgebiet einschlägigen Richtwerten der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm – vom 26. August 1998 (GMBl S. 303) liegen könnte, wurden weder vorgetragen noch sind sie ersichtlich. Die mögliche Lärmbelastung durch das Verkehrsaufkommen ist daher von der Antragstellerin hinzunehmen.
Die Antragstellerin zu 1 und die Antragsteller zu 2 und 3 haben die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen je zur Hälfte zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO i. V. m. § 100 ZPO). Die Antragsteller zu 2 und 3 tragen ihren Kostenanteil als Gesamtschuldner (§ 159 Satz 2 VwGO). Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten billigerweise selbst, weil sie keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Kostenentscheidung der ersten Instanz ist von Amts wegen zu ändern; § 158 Abs. 1 VwGO steht dem nicht entgegen (vgl. BVerwG, U.v. 23.5.1962 – V C 62.61 – BVerwGE 14, 171; Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 158 Rn. 24).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG und orientiert sich an Nr. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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