Baurecht

Vergabe der Bewachungsdienstleistungen

Aktenzeichen  Z3-3-3194-1-32-09/19

Datum:
28.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 45694
Gerichtsart:
Vergabekammer
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GWB § 122 Abs. 4 S. 2, § 124 Abs. 1 Nr. 7, § 134
VgV § 57 Abs. 1 S. 1, § 63 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Die in den Vergabeunterlagen enthaltene Forderung nach vergleichbaren Referenzen stellt keine zulässige Konkretisierung der in der Bekanntmachung enthaltenen Forderung nach geeigneten Referenzen dar. (Rn. 61 – 62)
2. Vergleichbar ist ein Referenzprojekt, wenn die erbrachten Leistungen dem Auftragsgegenstand nach Art und Umfang nahekommen oder ähneln und somit einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung ermöglichen. (Rn. 62)
3. Eine geeignete Referenz liegt – ohne weitere konkretisierende Angaben – dagegen bereits vor, wenn der Leistungsgegenstand der Art nach in der Vergangenheit bereits erbracht wurde (vgl. VK Bund, Beschluss vom 18.09.2017 – VK 2-96/17). Ansonsten bedarf dieser Begriff der Konkretisierung durch den Auftraggeber in der Bekanntmachung (§ 122 Abs. 4 S. 2 GWB), wo der Auftraggeber transparent festlegen muss, welche Eigenschaften Referenzen haben müssen, um von ihm aus geeignet anerkannt zu werden. (Rn. 63)
4. Hat der Auftraggeber das Vergabeverfahren aus einem nicht einschlägigen Aufhebungsgrund aufgehoben und stützt er die Aufhebung auch auf Hinweis in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich nicht auf andere denkbare sachliche Gründe für eine Aufhebung, so hat die Vergabekammer die Aufhebung rückgängig zu machen, da sie das Aufhebungsermessen nicht anstelle des Auftraggebers ausüben darf. (Rn. 69 – 73)

Tenor

1. Die Aufhebung des Vergabeverfahrens Bewachungsdienstleistungen ANKER Einrichtung O… B… vom 01.10.2019 wird aufgehoben.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.
3. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von …,00 Euro festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen. Der Antragsgegner ist von der Zahlung der Gebühr befreit.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.

Gründe

I.
Der Antragsgegner beabsichtigt, mit EUweiter Bekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Bewachungsdienstleistungen für die ANKER Einrichtung O… in B… beginnend ab 01.09.2019 im offenen Verfahren auszuschreiben. Einziges Zuschlagskriterium war nach Ziffer II.2.5) der Bekanntmachung der Preis. Als Schlusstermin für den Eingang der Angebote war zunächst der 28.06.2019, 12:00 Uhr festgelegt, der jedoch bis zum 12.07.2019, 12.00 Uhr verlängert wurde.
Unter anderem war unter Ziffer III.1.3) der Bekanntmachung aufgeführt:

Auflistung und kurze Beschreibung der Eignungskriterien:
L 124 IV
Ausschlusskriterium bei Nichterfüllung:
„Ausschlusskriterium bei Nichterfüllung:
Vorlage von 3 geeigneten Referenzen (Bezeichnung der Leistung, des Auftragswertes, des Liefer- bzw. Erbringungszeitpunkt und des Auftraggebers) über früher ausgeführte Liefer- und Dienstleistungen der in den letzten (höchstens drei) Jahren erbrachten wesentlichen Leistungen.“
In der Aufforderung zur Angebotsabgabe – Formblatt L 211 EU war die folgende Vorgabe enthalten:
„Ein Bieter gilt nur dann als geeignet, wenn alle im Formblatt L 124 geforderten Angaben beantwortet werden und mindestens die geforderte Anzahl vergleichbarer Referenzen angegeben werden und die eingeholten Auskünfte / vorgelegten Referenzbescheinigungen keine Zweifel an der Eignung begründen (der Auftragnehmer selbst darf nicht als Referenz angegeben werden) …“.
In der Eigenerklärung zur Eignung – Formblatt L 124 EU war gefordert:
„Vorlage geeigneter Referenzen über früher ausgeführte Liefer- und Dienstleistungen der in den letzten (höchstens drei) Jahren erbrachten wesentlichen Leistungen … Ich/Wir erkläre(n), dass ich/wir in mindestens 3 Fällen vergleichbare Leistungen erbracht habe(n) …“
Die Antragstellerin gab fristgerecht unter dem 10.07.2019 ein Angebot ab, dem auch drei Referenzbescheinigungen mit Formblatt FB 444 beigefügt waren.
Ausweislich der Vergabeakte wurde intern die Zuschlagsentscheidung gemäß Schreiben vom 06.08.2019 zugunsten der Antragstellerin getroffen.
Mit Email vom 14.08.2019 übersandte die Zentrale Vergabestelle der Regierung von O… diverse Pressemitteilungen an die Regierung von O… als Bedarfsträger der streitgegenständlichen Ausschreibung, wonach es zu Vorkommnissen in der Zentralen Aufnahmestelle (ZASt) H… gekommen sei, mit der Bitte um Mitteilung, ob weiterhin an der Zuschlagsentscheidung zugunsten der Antragstellerin festgehalten werden solle.
Mit Email vom 19.08.2019 teilte die Regierung von O… der Zentralen Vergabestelle mit, dass man aufgrund des Vorfalls am 14.04.2019 in der ZASt H…, die zu der bekannten Presseberichterstattung geführt habe, die Antragstellerin nicht mehr für geeignet halte, um die Bewachung der ANKER-Einrichtung O… zu übernehmen. Es werde darum gebeten, die Vergabe an ein anderes Sicherheitsunternehmen zu prüfen.
Mit Email vom 20.08.2018 teilte die Zentrale Vergabestelle der Regierung von O… ihre Einschätzung zu den Optionen mit, wie die Antragstellerin aus dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren ausgeschlossen werden könne. Danach erscheine entweder ein Ausschluss aufgrund nicht vergleichbarer Referenzen oder aufgrund der Vorkommnisse in H… gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB denkbar.
Mit Schreiben vom 26.08.2019 informierte die Regierung von O… die Zentrale Vergabestelle, dass ihrer Auffassung nach ein Ausschluss der Antragstellerin unter zwei Gesichtspunkten gesehen werden könne. Zum einen sei aufgrund der Vorkommnisse in der ZASt H… § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB einschlägig, da dort von der Antragstellerin unzuverlässiges Personal eingesetzt worden sei, weswegen im streitgegenständlichen Verfahren die Anforderungen des Leistungsverzeichnisses nach Punkt 7.1 als nicht erfüllt anzusehen seien. Zum anderen sei der Antragstellerin am 28.02.2019 durch die Regierung von M… wegen erheblicher und fortdauernder mangelhafter Vertragserfüllung gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB gekündigt worden, da sie Mitarbeiter ohne die erforderliche Qualifikation für die Bewachung mehrerer Asylbewerberunterkünfte eingesetzt habe. Eine Selbstreinigung nach § 125 GWB sei nach Einschätzung der Regierung von O… nicht erfolgt, so dass sie unter Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens zu dem Ergebnis komme, dass die Antragstellerin im streitgegenständlichen Verfahren auszuschließen sei.
Mit Schreiben vom 06.09.2019 bat der Antragsgegner die Bieter um eine Zustimmung zur Verlängerung der Bindefrist bis 18.10.2019 und begründete dies damit, dass eine abschließende Bewertung des Verfahrens noch nicht habe durchgeführt werden können.
Am 09.09.2019 wurde der Antragstellerin ein auf den 02.09.2019 datiertes Informationsschreiben nach § 134 GWB übersandt, wonach ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne. Stattdessen sei beabsichtigt, den Zuschlag am 20.09.2019 auf das Angebot der Firma S… GmbH zu erteilen. Zu Begründung wurde ausgeführt, dass das Angebot aus dem Verfahren ausgeschlossen werden würde, da die von der Antragstellerin vorgelegten Referenzen nicht mit den ausgeschriebenen Leistungsanforderungen vergleichbar seien. So hätten die drei genannten Einrichtungen eine deutlich niedrigere Belegungszahl als die ANKER-Einrichtung in B… sowie ein um bis zu ca. 80% niedrigeres Auftragsvolumen.
Daraufhin rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 09.09.2019 den Ausschluss ihrer Bewerbung als vergaberechtswidrig. Es seien tatsächlich drei geeignete Referenzen, wie in der Auftragsbekanntmachung gefordert, eingereicht worden. Weitergehende Anforderungen an die Referenzen seien nicht gestellt worden. Vielmehr seien nach Auffassung der Antragstellerin die vorgelegten Referenzen vergleichbar mit den in der streitgegenständlichen Ausschreibung zu erbringenden Leistungen. Auch sei das auf den 02.09.2019 datierte, am 09.09.2019 eingegangene Informationsschreiben nach § 134 GWB insofern erklärungsbedürftig, als noch am 06.09.2019 ein Aufforderungsschreiben über die Zustimmung zur Bindefristverlängerung bei der Antragstellerin eingegangen sei.
Mit Email vom 16.09.2019 teilte der Antragsgegner mit, der Rüge nicht abhelfen zu können. Er schickte voraus, das Informationsschreiben nach § 134 GWB trage fälschlicherweise den 02.09.2019 als Datum der Entwurfserstellung, anstatt richtigerweise den 09.09.2019 als Versanddatum auszuweisen. Der Antragsgegner führte zum weiteren Vorbringen der Antragstellerin aus, dass zur Beurteilung der Bietereignung unter anderem drei Referenzen herangezogen worden seien, welche sich insbesondere am jährlichen Auftragsvolumen sowie der Unterkunftskapazität bemessen würden. Das von der Antragstellerin mit ihren vorgelegten Referenzen nachgewiesene Anforderungsprofil entspreche nicht dem ausgeschriebenen Leistungsformat, so dass dem Antragsgegner kein tragfähiger Rückschluss auf deren Leistungsfähigkeit möglich gewesen sei.
Weil die vorgebrachte Rüge den Antragsgegner nicht zu einer Änderung seiner Rechtsauffassung bewegte, beantragte die Antragstellerin am 19.09.2019:
1.Dem Antragsgegner die Zuschlagserteilung bis zum Abschluss des Nachprüfverfahrens zu untersagen,
2.den Antragsgegner zu verpflichten, den Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin vom 10.07.2019 zu erteilen,
3.der Antragstellerin Einsicht in die Vergabeakten zu gewähren,
4.die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für notwendig zu erklären,
5.dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen.
Die Antragstellerin führte aus, die Zuschlagserteilung an die Beizuladende sei vergaberechtswidrig gewesen und verletze die Antragstellerin in ihren Rechten. So hätte der Antragsgegner die von ihm bei der Auswahlentscheidung zu Grunde gelegten Anforderungen an die Vergleichbarkeit der Referenzleistungen vorgeben müsse.
Die Vergabekammer informierte den Antragsgegner über den Nachprüfungsantrag mit Schreiben vom 19.09.2019 und forderte die Vergabeunterlagen an, die bei der Vergabekammer eingereicht wurden.
Der Antragsgegner informierte mit Schreiben vom 01.10.2019 alle Bieter, dass das streitgegenständliche Verfahren gem. § 63 Abs. 1 Nr. 1 VgV aufgehoben werde, da kein Angebot eingegangen sei, das den Bedingungen entsprochen habe. Zur Begründung wurde ausgeführt:
„Alle eingegangenen Angebote waren nach § 57 Abs. 1 S. 1 VgV von der Wertung auszuschließen (zum Teil auch aus anderen Gründen), da diese die Eignungskriterien nicht erfüllen. In Einzelfällen wurde der in der Auftragsbekanntmachung vorgegebene Mindestumsatz nicht erreicht. In allen Fällen wurden weniger als 3 vergleichbare (vgl. VK Arnsberg, Beschluss vom 25.11.2013 – VK 16/13) Referenzen vorgelegt. (…)“
Die Vergabekammer bat die Antragstellerin daraufhin mit Schreiben vom 07.10.2019 um Mitteilung, ob sie vor diesem Hintergrund ihren Nachprüfungsantrag für erledigt erkläre, sowie um Mitteilung, ob Einverständnis bestehe, dass die Vergabekammer ohne mündliche Verhandlung nach Lage der Akten entscheide.
Die Antragstellerin teilte mit Schriftsatz vom 09.10.2019 mit, dass sie ihren Nachprüfungsantrag aufrechterhalte sowie dass kein Einverständnis bestehe, dass die Vergabekammer ohne mündliche Verhandlung nach Aktenlage entscheide.
Es wurde nunmehr beantragt,
1.den Antragsgegner zu verpflichten, die Aufhebung der Ausschreibung gemäß Schreiben vom 01.10.2019 aufzuheben,
2.dem Antragsgegner aufzugeben, das Angebot der Antragstellerin nicht auszuschließen, sondern in der Wertung zu belassen,
3.den Antragsgegner zu verpflichten, den Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin vom 10.07.2019 zu erteilen,
4.hilfsweise festzustellen, dass die Antragstellerin durch die Aufhebung der Ausschreibung durch den Antragsgegner in ihren Rechten verletzt ist,
5.der Antragstellerin Einsicht in die Vergabeakten zu gewähren,
6.die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für notwendig zu erklären,
7.dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen.
Die Antragstellerin trug vor, die Entscheidung des Antragsgegners, die streitgegenständliche Ausschreibung aufzuheben, sei mit Schreiben vom 04.10.2019 als vergabefehlerhaft gerügt worden. Der Antragsgegner habe der Rüge jedoch nicht abgeholfen und mit Schreiben vom 04.10.2019 mitgeteilt, dass eine Aufhebung der Aufhebung des Verfahrens nicht beabsichtigt sei.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners habe die Antragstellerin einen Anspruch auf Aufhebung der Aufhebungsentscheidung und Fortsetzung des Vergabeverfahrens, da Vorschriften über einen fairen Wettbewerb verletzt worden seien und die Aufhebung somit unrechtmäßig sei. Ein Aufhebungsgrund nach § 63 Abs. 1 S. 1 VgV liege nicht vor, da das Angebot der Antragstellerin dem ausgeschriebenen Leistungsformat entspreche, indem die drei vorgelegten Referenzen unstreitig vergleichbar seien. Der Nachweis eines in den Vergabeunterlagen vorgegebenen jährliche Mindestumsatzes von 5 Mio. € brutto sei mit der Eigenerklärung erbracht worden. Ebenso seien die Anforderungen an die berufliche Leistungsfähigkeit erfüllt, da drei geeignete Referenzen vorgelegt worden seien. Ausweislich der Vergabeunterlagen seien für die Referenzen weder eine bestimmte Belegstärke noch ein Mindestauftragswert gefordert worden, so dass die berufliche Leistungsfähigkeit über diese Parameter nicht gemessen und das Angebot somit auch nicht aus diesem Grund ausgeschlossen werden könne. Weitere Anforderungen an die Eignung bzw. die Leistungsfähigkeit seien nicht gestellt worden.
Zwar bleibe es dem Antragsgegner unbenommen, auch ohne einen in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannten Aufhebungsgrund von einem Beschaffungsvorhaben Abstand zu nehmen. Voraussetzung dafür sei allerdings das Vorliegen eines sachlichen Grundes, um eine Diskriminierung einzelner Bieter ausschließen zu können und die Entscheidung nicht willkürlich oder nur zum Schein erfolgen zu lassen. Ein solcher sachliche Grund läge hier jedoch nicht vor.
Für den Fall der Unbegründetheit der Hauptanträge wäre durch die Vergabekammer hilfsweise festzustellen, dass die Aufhebung rechtswidrig gewesen sei und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt sei. Die Einführung zusätzlicher Eignungsvoraussetzungen in die Verfahrenswertung führe dazu, dass der Aufhebungsgrund dem Antragsgegner zuzurechnen sei.
Mit Antragserwiderung vom 10.10.2019 beantragte der Antragsgegner:
1. Die Anträge werden als unzulässig zurückgewiesen.
2. Die Anträge werden als unbegründet abgewiesen.
3. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für nicht notwendig erachtet.
4. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Antragsgegner führte aus, eine Rechtsverletzung zu Lasten der Antragstellerin sei nicht erkennbar, so dass der Nachprüfungsantrag unbegründet sei.
Gem. § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV könne der Antragsgegner als Beleg der erforderlichen technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit des Bieters u.a. geeignete Referenzen über früher ausgeführte Dienstleistungsaufträge verlangen. Die in den Vergabeunterlagen geforderte Vorlage geeigneter sowie vergleichbarer Referenzen sei von keinem Bieter bis zum Ablauf der Angebotsfrist gerügt worden.
In Bezug auf die Vergleichbarkeit der von der Antragstellerin vorgelegten Referenzen ergebe sich durch die Rechtsprechung, dass Anforderungen hierzu nicht hätten vorgegeben werden müssen, da diese der Natur einer Referenz und ihrer Zweckbestimmung innewohnten (s. OLG München, Beschluss v. 19.12.2013, Verg 12/13). Dadurch, dass geeignete Referenzen mit deren jeweiligen Auftragswert anzugeben waren, sei es für die Antragstellerin erkennbar gewesen, dass der Auftragswert der Referenzleistungen zur Beurteilung der Eignung relevant sein müsse. Zudem seien sowohl in der Aufforderung zur Angebotsabgabe als auch in der Eigenerklärung zur Eignung ausdrücklich Referenzen vergleichbarer Leistungen gefordert worden. Vergleichbar seien Leistungen, die in demselben technischen und organisatorischen Bereich erbracht worden wären und einen mindestens vergleichbar hohen Schwierigkeitsgrad vorweisen würden (so OLG Frankfurt, Beschluss v. 24.10.2006, 11 Verg 8/06). Dies gelte auch für den organisatorischen Bereich (OLG Frankfurt, Beschluss v. 08.04.2014 – 11 Verg 1/14). Die Referenz müsse dabei nicht mit dem Ausschreibungsgegenstand identisch sein (VK Bund, Beschluss v. 30.05.2017, VK 2-46/17). Es genüge, wenn diese dem ausgeschriebenen Auftrag so weit ähnelten, dass dadurch ein tragfähiger Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für den konkreten Auftrag möglich sei, so dass etwa eine Referenz, die größenmäßig nur 10 bis 20% des Auftragsvolumens des zu vergebenden Auftrags umfasse, nicht vergleichbar sei (VK Arnsberg, Beschluss v. 25.10.2013, VK 16/13; OLG München, Beschluss v. 12.11.2012, Verg 23/12). Dies sei hier der Fall.
Die von der Antragstellerin vorgelegten Referenzen erreichten lediglich 17 bis 25% des voraussichtlichen Gesamtauftragswerts, der sich auf etwa 12 Mio. € netto bzw. 14 Mio. € brutto belaufe. Auch die Belegungszahlen der Referenzaufträge blieben hinter dem streitgegenständlichen Auftrag mit etwa 33 bis 66%, in der Spitze sogar mit nur 14 bis 29%, deutlich zurück. Der Antragsgegner führte weiter aus, dass sowohl das Auftragsvolumen als auch die Belegungskapazität maßgebliche Kriterien für die Beurteilung des Organisations- und Leistungspotentials des Bieters seien, da sie fundiert Auskunft gäben über die Erfahrung des Unternehmens sowie sein Leistungsvermögen. Im streitgegenständlichen Verfahren sei insbesondere ein deutlich erhöhtes Gefährdungspotential und ein deutlich erhöhter Organisationsaufwand zu berücksichtigen, die bei solch großen Unterkünften meist überproportional steigen würden, wie dies auch der Bedarfsträger der Einrichtung betone. Der substantielle Unterschied zwischen den vorgelegten Referenzen und den Vorgaben in Leistungsbeschreibung und – verzeichnis der streitgegenständlichen Ausschreibung sei für die Antragstellerin bereits vor Angebotsabgabe klar erkennbar gewesen, insbesondere was die Zahl der einzusetzenden Sicherheitsdienstmitarbeiter und die abgegebene Angebotssumme beträfe. Somit hätte das von der Antragstellerin mit den drei Referenzen nachgewiesene Anforderungsprofil zweifelsfrei nicht dem ausgeschriebenen Leistungsformat entsprochen.
Zur zwischenzeitlichen Aufhebung der Ausschreibung gem. § 63 Abs. 1 S.1 Nr. 1 VgV teilte der Antragsgegner mit, dass er berechtigt gewesen sei, das Vergabeverfahren aufzuheben, da kein Angebot eingegangen sei, dass den Bedingungen entsprochen habe. Sein diesbezüglich zustehendes Ermessen sei vorliegend auf null reduziert gewesen, da mangels in der Wertung verbliebener Angebote keine weiteren rechtmäßigen Handlungsmöglichkeiten mehr bestanden hätten. Eine etwaige Rückversetzung des Vergabeverfahrens sei technisch über die Vergabeplattform nicht möglich gewesen. Die Eignungsprüfung sei insbesondere unter Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vergaberechtskonform vorgenommen worden, so dass von einer Scheinaufhebung, wie von der Antragstellerin vermutet, keine Rede sein könne.
Der ehrenamtliche Beisitzer hat mit Schreiben vom 01.10.2019 die Entscheidung über die Beiladung, den Umfang der Akteneinsicht sowie im Falle eines Rücknahmebeschlusses auf den Vorsitzenden und die hauptamtliche Beisitzerin übertragen.
Die Beteiligten wurden mit Schreiben vom 30.09.2019 und 11.10.2019 zur mündlichen Verhandlung am 17.10.2019, 10:00 Uhr in den Räumen der Regierung von Oberbayern geladen.
Mit Beschluss vom 11.10.2019 wurde der Umfang der Akteneinsicht festgelegt und der Antragstellerin sowie der Beigeladenen entsprechende Akteneinsicht gewährt.
Die Antragstellerin nahm mit Schriftsatz vom 15.10.2019 Stellung im Rahmen der gewährten Akteneinsicht sowie zum Schriftsatz des Antragsgegners vom 10.10.2019. Darin führte sie aus, dass entgegen der Auffassung des Antragsgegners etwaige Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit, welche etwa Belegungszahlen und Auftragswerte von Referenzen beinhalteten, bereits in der Auftragsbekanntmachung festzulegen seien. Dies diene dazu, einem Bieter das Vertrauen zu geben, dass seine Eignung ausschließlich anhand bereits festgelegter Kriterien gemessen werde, so dass er auf dieser Basis darüber entscheiden könne, ob er überhaupt ein Angebot abgeben solle. Dies entspreche auch § 42 Abs. 1 VgV, wonach eine Eignungsprüfung anhand der in § 122 GWB festgelegten Eignungskriterien geregelt sei. Darüber hinaus statuiere unionsrechtlich Art. 58 Abs. 5 RL 2014/24/EU:
„Die öffentlichen Auftraggeber geben die zu erfüllenden Eignungskriterien, die in Form von Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit ausgedrückt werden können, zusammen mit den geeigneten Nachweisen in der Auftragsbekanntmachung (…) an.“
Aus diesem Grund müsse der Antragsgegner Nachweise, z.B. Referenzen, bereits in der Auftragsbekanntmachung festlegen, ebenso wie Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit. Die Aufstellung von Mindestanforderungen bei den Referenzen habe der Antragsgegner jedoch unstreitig bezüglich Auftragswerten und Belegungszahlen sowohl in der Auftragsbekanntmachung als auch den Vergabeunterlagen unterlassen. Die Antragstellerin habe den geforderten Angaben zum Auftragswert, zum Erbringungszeitpunkt und zu den Auftraggebern in den Referenzen entsprochen, weswegen ein darauf begründeter Ausschluss ausgeschlossen sei.
Unabhängig davon ließe sich aus der Forderung nach „geeigneten Referenzen“ nicht ableiten, dass nur identische Leistungen gleichen Umfangs als Referenzen verwendet werden durften. Die vom Antragsgegner zitierte Rechtsprechung sei nicht einschlägig und führe zu keinem anderem Ergebnis. Eine zu restriktive Auslegung des Begriffs der Vergleichbarkeit habe vielmehr eine wettbewerbshemmende Wirkung. Es werde schließlich bestritten, dass Anforderungen wie Auftragswert oder Unterkunftskapazität fundiert Auskunft über die Erfahrung und die Leistungsfähigkeit eines Dienstleisters geben könnten.
Zur Aufhebung der Ausschreibung trug die Antragstellerin vor, dass ausweislich der Vergabeunterlagen das Angebot der Antragstellerin ursprünglich den Zuschlag erhalten sollte. Weshalb dann diese Zuschlagsentscheidung zurückgezogen wurde, nach erneuter Eignungsprüfung die Beigeladene den Zuschlag erhalten sollte und schließlich alle verbliebenen Angebote einschließlich des Angebots der Beigeladenen aufgrund Nichtvergleichbarkeit der Referenzen ausgeschlossen wurden, so dass das Verfahren aufzuheben war, bliebe offen. Mit Nichtwissen werde bestritten, dass eine Wiederholung der Eignungsprüfung aller vorliegenden Angebote zum Ergebnis geführt habe, dass kein Bieter drei vergleichbare Referenzen eingereicht habe. Dem Angebot der Antragstellerin hätten drei vergleichbare Referenzen beigelegen, so dass ein Aufhebungsgrund nach § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VgV nicht vorgelegen habe.
Die Antragstellerin trug weiter vor, dass ausweislich der Vergabeakte der Antragsgegner die Geeignetheit der Antragstellerin aufgrund diverser Pressemitteilungen im August 2019 nicht mehr als gegeben ansah, so dass die Begründung des späteren Ausschlusses mit den angeblich nicht vergleichbaren Referenzen bezweifelt werden müsse. Es sei zu vermuten, dass die Aufhebung der Ausschreibung erfolgte, um der Antragstellerin sowohl in diesem als auch in einem neuerlichen Vergabeverfahren die Chance auf den Zuschlag zu verwehren, was eine Diskriminierung bedeute und im streitgegenständlichen Verfahren eine sachgrundlose Aufhebung darstelle.
Am 17.10.2019 fand in den Räumen der Regierung von Oberbayern die mündliche Verhandlung statt. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag. Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert. Der Vorsitzende wies die Vertreter des Antragsgegners darauf hin, dass aufgrund der zwischenzeitliche ergangenen Aufhebung zu prüfen sei, ob tatsächlich keine wertbaren Angebote eingegangen wären, was sich danach beurteile, ob der Antragsgegner die Eignungsanforderungen bzgl. der Referenzen wirksam bekannt gemacht habe.
Die einzig in den Vergabeunterlagen in Formblatt L 124 EU geforderte „Vergleichbarkeit“ der Referenzen müsste nach dem objektiven Empfängerhorizont als zulässige Konkretisierung der in der Auftragsbekanntmachung geforderten drei „geeigneten“ Referenzen angesehen werden können. Dies halte die Kammer jedoch nach ihrer vorläufigen Rechtsauffassung für eine unzulässige Verschärfung der Eignungskriterien. Somit greife der vom Antragsgegner angeführte Aufhebungsgrund nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 VgV nicht durch, weswegen dem Antragsgegner tatsächlich wertbare Angebote vorgelegen hätten. Die Aufhebung des Verfahrens sei daher grundsätzlich rückgängig zu machen.
Dies bedeute jedoch nicht, dass der Antragsgegner der Antragstellerin zwingend den Zuschlag erteilen müsse, sondern er könne entsprechend den Ausführungen des OLG Celle (Beschluss v. 03.07.2018 – 13 Verg 8/17) die Aufhebung des Vergabeverfahrens aus einem anderen, noch in der mündlichen Verhandlung vorzutragenden Grund aufrecht erhalten, was ggf. zu einer wirksamen, nicht jedoch von § 63 VgV gedeckten Aufhebung führe. Alternativ könne er das streitgegenständliche Vergabeverfahren fortsetzen und sich mit etwaigen Ausschlussgründen der Antragstellerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB befassen, deren weiterer Vortrag jedoch im laufenden Nachprüfungsverfahren nach § 167 Abs. 2 Satz 2 GWB als verspätet angesehen würde und keine Berücksichtigung finden könne. Da beide Alternativen im Ermessen des Antragsgegners stünden, könnten diese nicht von der Vergabekammer vorweggenommen werden. Nach Unterbrechung der Verhandlung teilte der Antragsgegner mit, die nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 VgV vorgenommene Aufhebung des Vergabeverfahrens aufrecht zu erhalten.
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i.V.m. §§ 1 und 2 BayNpV.
Gegenstand der Vergabe ist ein Dienstleistungsauftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 GWB. Die Antragsgegnerin ist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert in Höhe von 221.000 Euro erheblich.
Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 – 109 GWB liegt nicht vor.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet, da die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VgV für eine rechtmäßige, sanktionslose Aufhebung des Vergabeverfahrens nicht vorlagen und der Antragsgegner auch keine Ermessenserwägungen vorgebracht hat, die die Aufhebung des Verfahrens wenigstens als wirksam erscheinen lassen. Die Vergabekammer kann solche Erwägungen nicht anstelle des Auftraggebers anstellen Die rechtswidrige Aufhebung des offenen Vergabeverfahrens war damit rückgängig zu machen.
1. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig.
Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt.
Die Antragstellerin hat ihr Interesse am Auftrag durch die Abgabe eines Angebots nachgewiesen. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit dem ursprünglich eingereichten Nachprüfungsantrag einen anderen Zweck verfolgen wollte, als den, den strittigen Auftrag zu erhalten. Die Antragstellerin hat eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB insbesondere dadurch geltend gemacht, dass sie vorträgt, ihr Angebot sei zu Unrecht ausgeschlossen worden, da die von ihr eingereichten Referenzen den in der Bekanntmachung aufgeführten Anforderungen entsprechen und zudem die Aufhebung des Vergabeverfahrens nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 nicht rechtmäßig und mangels eines sachlichen Grundes auch nicht wirksam war.
Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB entgegen, da einem durchschnittlichen Bieter nicht bekannt sein muss, dass die im vorliegenden Fall vorgenommene Verschärfung der Eignungsanforderungen in den Vergabeunterlagen im Vergleich zur Bekanntmachung nicht mehr den Anforderungen an eine erlaubte Konkretisierung der Eignungsanforderungen genügt. Die Antragstellerin hat ihren Angebotsausschluss auf Grund der vom Antragsgegner als unzureichend empfundenen Referenzen rechtzeitig nach § 160 Abs. 1 Nr. 1 GWB gerügt.
2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Der Aufhebungsgrund, auf den der Antragsgegner seine Aufhebung bis zur mündlichen Verhandlung gestützt hat, liegt nicht vor, so dass keine von gem. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VgV gedeckte, rechtmäßige Aufhebung gegeben war. Weitere denkbare Gründe, die zumindest eine wirksame, wenn auch nicht von § 63 VgV gedeckte Aufhebung, begründen könnten, hat der Antragsgegner nicht vorgetragen.
2.1 Der Antragsgegner konnte das Vergabeverfahren im vorliegenden Fall nicht rechtmäßig gem. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VgV, da entgegen seiner Auffassung wertbare Angebote vorlagen.
Der Antragsgegner hat seine Auffassung, dass kein den Bedingungen entsprechendes Angebot eingegangen sei, hinsichtlich des Angebots der Antragstellerin damit begründet, dass in keinem Angebot die geforderten drei Referenzen über ausgeführte, mit dem Ausschreibungsgegenstand vergleichbare Aufträge vorgelegt wurden. Die mit den Referenzen nachgewiesenen Leistungen seien weder hinsichtlich des Auftragswerts noch der Größe der Einrichtung mit dem Objekt der streitgegenständlichen Ausschreibung vergleichbar. Auftragsvolumen und Kapazität der Unterkunft seien jedoch maßgebliche Kriterien für die Beurteilung des Organisations- und Leistungspotential des Bieters sowohl firmenintern bei der Akquise, Schulung und personellen Begleitung der Dienstkräfte des Unternehmens als auch bei der Organisation, Steuerung und Überwachung der Tätigkeiten der Dienstkräfte vor Ort. Die Kapazität der Unterkunft und das Auftragsvolumen gäben fundiert Auskunft über den Erfahrungsschatz des Dienstleisters und sein konkretes mit den Referenzen nachgewiesenes Leistungsvermögen. Zu berücksichtigen sei vor allem auch das deutlich erhöhte Gefährdungspotential und der deutlich erhöhte Organisationsaufwand, die bei sehr großen Unterkünften wie der ausgeschriebenen deutlich, meist überproportional steigen.
Diese Überlegungen des Antragsgegners zu den gewünschten Voraussetzungen und Referenzen hinsichtlich der Eignung eines Bieters sind grundsätzlich nachvollziehbar, wurden vom Antragsgegner jedoch so in der Bekanntmachung nicht aufgeführt. Dort ist vielmehr ausschließlich die Rede davon, dass geeignete Referenzen vorzulegen seien. Was genau der Antragsgegner darunter versteht, wird nicht konkretisiert.
Nach § 122 Abs. 4 S. 2 GWB sind die Eignungskriterien in der Auftragsbekanntmachung aufzuführen. Nach § 48 Abs. 1 VgV ist in der Auftragsbekanntmachung neben den Eignungskriterien ferner anzugeben, mit welchen Unterlagen (Eigenerklärungen, Angaben, Bescheinigungen und sonstige Nachweise) Bewerber oder Bieter ihre Eignung gemäß den §§ 43 bis 47 und das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen zu belegen haben.
Gemäß § 46 Abs. 1 S. 1 VgV kann der Auftraggeber im Hinblick auf die technische und berufliche Leistungsfähigkeit der Bewerber oder Bieter Anforderungen stellen, die sicherstellen, dass die Bewerber oder Bieter über die erforderlichen personellen und technischen Mittel sowie ausreichende Erfahrung verfügen, um den Auftrag in angemessener Qualität ausführen zu können. Nach § 46 Abs. 3 S. 1 VgV kann der öffentliche Auftraggeber als Beleg der erforderlichen technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit des Bewerbers oder Bieters geeignete Referenzen über früher ausgeführte Liefer- und Dienstleistungsaufträge in Form einer Liste der in den letzten höchstens drei Jahren erbrachten wesentlichen Liefer- oder Dienstleistungen verlangen. Bei der Bewertung der Referenzen steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu, der von den Nachprüfungsinstanzen nur daraufhin überprüft werden kann, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten worden ist, der Auftraggeber die von ihm selbst aufgestellten Bewertungsvorgaben beachtet hat, der zugrundeliegende Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt worden ist, keine sachwidrigen Erwägungen angestellt worden sind und nicht gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßen worden ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9.07.2010 – VII-Verg 14/10).
Der Beurteilungsspielraum ist überschritten, wenn der Auftraggeber bei der Ausschlussentscheidung Anforderungen an die Referenzen stellt, die sich der Vergabebekanntmachung (in Verbindung mit den Vergabeunterlagen) nicht mit der notwendigen Eindeutigkeit entnehmen lassen. Die in der Auftragsbekanntmachung zu benennenden Nachweise zur Beurteilung der Eignung von Bietern müssen im Einzelnen aufgeführt werden, damit sich die Bieter darauf einstellen und sich rechtzeitig die entsprechenden Nachweise beschaffen können. Die Angaben der Bekanntmachung zu den mit dem Angebot vorzulegenden Eignungsnachweisen müssen zudem klar und widerspruchsfrei sein. Der Auftraggeber ist an seine Festlegung in der Bekanntmachung gebunden und darf in den Verdingungsunterlagen keine weiteren Nachforderungen stellen, sondern die in der Bekanntmachung verlangten Eignungsnachweise nur konkretisieren (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 24.04.2014 – 13 Verg 2/14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.11.2012 – VII-Verg 8/12; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 28.06.2016 – 54 Verg 2/16). Nachträgliche Einschränkungen oder Klarstellungen in Formblättern bei den Vergabeunterlagen reichen nicht aus.
Nach diesen Maßstäben hat die Antragsgegnerin ihren Beurteilungsspielraum beim Ausschluss des Angebots der Antragstellerin überschritten.
In der Bekanntmachung fordert der Antragsgegner als Mindestanforderung die „Vorlage von 3 geeigneten Referenzen (Bezeichnung der Leistung, des Auftragswertes, des Liefer- bzw. Erbringungszeitpunkt und des Auftraggebers) über früher ausgeführte Liefer- und Dienstleistungen der in den letzten (höchstens drei) Jahren erbrachten wesentlichen Leistungen“. Aus dem Wortlaut der Forderung von geeigneten Referenzen in der Bekanntmachung, lässt sich jedoch nicht ableiten, dass nur weitgehend identische Leistungen mit im Wesentlichen gleichen Umfang referenziert werden durften. Denn eine „geeignete Referenz“ bedeutet nach dem hier maßgeblichen verobjektivierten Empfängerhorizont, mit anderen Worten aus Sicht eines sachkundigen, verständigen Bieters, gerade nicht per se „vergleichbarer Leistungsumfang“ hinsichtlich Größe der bewachten Einrichtung oder Auftragswert (vgl. VK Bund, Beschluss vom 18.09.2017 – VK 2-96/17).
Die Forderung geeigneter Referenzen ist auch nicht ohne weiteres mit der Forderung vergleichbarer Referenzen gleichzusetzen, so dass sie als bloße Konkretisierung anzusehen wäre. Den Begriff der Vergleichbarkeit der Referenzen hat die Rechtsprechung in den vergangenen Jahren ausreichend geklärt. Vergleichbarkeit von Referenzprojekten liegt dann vor, wenn die erbrachten Leistungen dem Auftragsgegenstand nach Art und Umfang nahekommen oder ähneln und somit einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung ermöglichen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6.03.2008, VII-Verg 53/07; OLG München, Beschluss vom 12.11.2011, Verg 23/12). Die erbrachten Leistungen müssen nicht mit dem Ausschreibungsgegenstand identisch sein.
Eine geeignete Referenz liegt dagegen bereits vor, wenn der Leistungsgegenstand der Art nach in der Vergangenheit bereits erbracht wurde (vgl. VK Bund, Beschluss vom 18.09.2017 – VK 2-96/17). Ansonsten bedarf dieser Begriff der Konkretisierung durch den Auftraggeber in der Bekanntmachung (§ 122 Abs. 4 S. 2 GWB), wo der Auftraggeber transparent festlegen muss, welche Eigenschaften Referenzen haben müssen, um von ihm aus geeignet anerkannt zu werden. Dies ist nicht erfolgt.
Im vorliegenden Fall ist nicht in der Bekanntmachung, sondern erst in den nicht direkt verlinkten Formblättern L 211 EU und L 124 EU von vergleichbaren Referenzen die Rede. Die Änderung der Anforderungen an die einzureichenden Unterlagen von „geeigneten Referenzen“ auf „vergleichbare Referenzen“ durch die Formblätter L 211 EU und L 124 EU ist jedoch im Vergleich zu der in der Bekanntmachung gestellten Forderung keine bloße Konkretisierung, sondern eine unzulässige Verschärfung und nachträgliche Erhöhung der Anforderungen, die damit nicht als Maßstab für die Eignungsprognose des Antragsgegners herangezogen werden darf. Mit der Vergleichbarkeit der Referenzen würde nämlich nicht mehr lediglich gefordert, dass der Bieter überhaupt bereits Bewachungsleistungen für Unterkünfte für Asylbewerber erbracht hat, sondern dass die erbrachten Bewachungsleistungen dem Auftragsgegenstand auch im finanziellen und personellen Umfang ähneln müssten, wovon bei einem Auftragsvolumen der Referenz von weniger als der Hälfte der ausgeschriebenen Leistung in der Regel nicht mehr auszugehen wäre.
Drei vom finanziellen und personellen Umfang vergleichbare Referenzen aus den letzten drei Jahren hat angesichts des großen Umfangs der ausgeschriebenen Leistung übrigens keiner der Bieter, die sich am streitgegenständlichen Vergabeverfahren beteiligt haben, vorweisen können. Die Forderung nach vom finanziellen und personellen Umfang vergleichbaren Referenzen – die vom Auftraggeber vor Bekanntwerden des Fehlverhaltens von früheren Mitarbeitern der Antragstellerin in der ZASt H… auch gar nicht gewollt war – wäre aus diesem Grund gem. § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB vom Auftraggeber auf ihre Angemessenheit zu prüfen und ihre Notwendigkeit zu begründen gewesen.
Der Antragsgegner durfte insbesondere dann, als nach Bekanntwerden der Vorkommnisse von H… eine Zuschlagserteilung an die Antragstellerin vom Bedarfsträger nicht mehr gewünscht war, nicht nachträglich andere, verschärfte Anforderungen an die vorzulegenden Referenzen stellen. Stattdessen hätte der Antragsgegner, wenn er einen Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin vermeiden wollte – wie von der Regierung von O… im August 2019 vorgeschlagen – einen Ausschluss der Antragstellerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB prüfen müssen und nicht den vermeintlich widerstandsärmeren Weg einer nachträglichen „Neudefinierung“ der Eignungsanforderungen beschreiten dürfen.
Die von der Antragstellerin eingereichten Unterlagen erfüllen damit die bekanntgemachten Anforderungen an geeignete Referenzen über früher ausgeführte Dienstleistungen. Sie dokumentieren, dass die Antragstellerin in den drei bestätigten Fällen in der Vergangenheit bereits Bewachungsleistungen für Einrichtungen, in denen Asylbewerber untergebracht sind, erbracht hat. Weitere Angaben zu etwaigen Mindestvorgaben insbesondere hinsichtlich der Größe der bewachten Einrichtungen oder des Auftragswertes der erbrachten Dienstleistungen, welche bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit zwingend zu beachten gewesen wären, hat der Antragsgegner in der Bekanntmachung nicht aufgeführt und dürfen daher nicht der Eignungsprognose des Antragsgegners zugrunde gelegt werden.
Die Begründung des Antragsgegners für den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin (und der Beigeladenen) ist daher nicht tragfähig, da in der Bekanntmachung keine vergleichbaren, sondern geeignete Referenzen gefordert waren. Damit hat der Antragsgegner mit Stand der mündlichen Verhandlung nicht darlegen können, dass tatsächlich kein Angebot eingegangen ist, das den Bedingungen entspricht. Der Aufhebungsgrund des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VgV kann daher nicht greifen.
2.2. Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 VgV ist der Auftraggeber grundsätzlich nicht verpflichtet, den Zuschlag zu erteilen. Die Aufhebung ist regelmäßig auch dann rechtswirksam und vom Bieter hinzunehmen, wenn dafür kein in den Vergabeordnungen anerkannter Grund vorliegt. Dies folgt aus den Grundsätzen der Vertragsfreiheit und Privatautonomie. Aus den Bestimmungen der Vergabe- und Verfahrensordnungen ergibt sich nicht, dass ein öffentlicher Auftraggeber gezwungen wäre, ein Vergabeverfahren mit der Zuschlagserteilung abzuschließen, wenn keiner der zur Aufhebung berechtigenden Tatbestände erfüllt ist. Bieter können vom öffentlichen Auftraggeber eine Fortsetzung des Vergabeverfahrens und einen Abschluss mit einem Zuschlag nur ausnahmsweise erzwingen, wenn der Auftraggeber über keinen sachlichen Grund für eine Aufhebung des Verfahrens verfügt, sondern er dieses Instrument in diskriminierender Weise dazu einsetzt, durch die Aufhebung die formalen Voraussetzungen dafür zu schaffen, den Auftrag außerhalb des eingeleiteten Vergabeverfahrens einem bestimmten Bieter zukommen zu lassen oder unter anderen Voraussetzungen vergeben zu können (vgl. BGH, Beschluss vom 20.03.2014 – X ZB 18/13; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.12.2016 – VII-Verg 28/16).
Ein sachlicher Grund für eine Aufhebung des Vergabeverfahrens kann beispielsweise darin liegen, dass der Auftraggeber es versäumt hat, die von ihm für notwendig gehaltenen Eignungskriterien in der Vergabebekanntmachung mitzuteilen, und er durch die Aufhebung die Möglichkeit eröffnen will, die Eignung der Bieter in einem neuen Verfahren nach von ihm für zweckmäßig gehaltenen und dem Auftragsgegenstand entsprechend regelgerecht bekannt gegebenen Kriterien überprüfen zu können (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.07.2009 – VII-Verg 13/09; Beschluss vom 10.11.2010 – VII-Verg 28/10).
Der Antragsgegner hat jedoch auch nach dem rechtlichen Hinweis der Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung vom 17.10.2019 an der erklärten Aufhebung nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 VgV festgehalten und sich weiterhin auf den Standpunkt gestellt, dass keines der wertbaren Angebote den nach seiner Ansicht wirksam geforderten Eignungskriterien entspräche.
Da die Aufhebung eines Vergabeverfahrens im Ermessen des Auftraggebers liegt und die Vergabekammer dieses Ermessen nicht anstelle des Auftraggebers ausüben kann, kann die Vergabekammer keine möglicherweise bestehenden anderen Begründungsansätze für eine zumindest wirksame Aufhebung des Verfahren heranziehen. Dies ist Aufgabe des Antragsgegners.
Somit liegt ein Ausnahmefall vor, in dem die (vorläufige) Weiterführung des Vergabeverfahrens anzuordnen ist, da der vom Antragsgegner angenommene Aufhebungsgrund nicht durchgreift und der Antragsgegner sich auch auf Hinweis nicht auf andere Gründe gestützt hat.
2.3. Die Vergabekammer weist darauf hin, dass es dem Antragsgegner auch nach Abschluss dieses Nachprüfungsverfahrens unbenommen bleibt, die streitgegenständliche Aufhebung aus einem anderen sachlichen Grund wirksam, aber ggf. ohne einen Aufhebungsgrund nach § 63 Abs. 1 Satz 1 VgV aufzuheben.
Ebenfalls unbenommen bleibt dem Antragsgegner, das Verfahren fortzusetzen und einen Ausschluss der Antragstellerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zu prüfen. Dazu bedürfte es einer umfassenden Sachverhaltsermittlung unter Gewährung rechtlichen Gehörs für die Antragstellerin, einer hierauf basierenden pflichtgemäßen Ermessensbetätigung und deren Dokumentation. Auch insoweit kann die Vergabekammer dieses Ermessen nicht anstelle des Auftraggebers ausüben.
3. Kosten des Verfahrens
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S.1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegend der Antragsgegner.
Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann. Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens und wir vorliegend auf …,00 Euro festgesetzt.
Der Antragsgegner ist als Bundesland von der Zahlung der Gebühr nach § 182 Abs. 1 S.2 GWB i. V. m. §°8 Abs. 1 Nr.2 VwKostG (Bund) vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung befreit.
Von der Antragstellerin wurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskraft erstattet.
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB.
Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i.S.v. § 182 Abs. 4 S.4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, da eine umfassende Rechtskenntnis und damit eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens nach dem GWB nicht erwartet werden kann. Zur Durchsetzung ihrer Rechte ist die Antragstellerin hier aufgrund der komplexen Rechtsmaterie auf anwaltliche Vertretung angewiesen.
Die Beigeladene ist an der Kostenentscheidung nicht zu beteiligen. Sie hat sich kaum durch schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag aktiv am Verfahren beteiligt und keine Anträge gestellt. Hierdurch hat sie das gegenständliche Verfahren nicht wesentlich gefördert und somit kein Kostenrisiko auf sich genommen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.06.2014, VII-Verg 12/03).


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