Baurecht

Vergabeverfahren: Bindung der Vergabestelle an die von ihr aufgestellten Wertungskriterien; Berufung des Bieters auf Referenzen des Rechtsvorgängers

Aktenzeichen  RMF-SG21-3194-3-6

Datum:
19.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 26761
Gerichtsart:
Vergabekammer
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VgV § 45 Abs. 1 Nr. 1, § 46 Abs. 3 Nr. 1
GWB § 97 Abs. 6

 

Leitsatz

1. Die VSt muss sich bei der Wertung an ihre eigenen aufgestellten Kriterien halten. Von der aufgestellten Forderung kann sie nicht im Nachhinein abweichen. (Rn. 58)
2. Auch wenn eine Vergabestelle Referenzen in Form von Büroreferenzen fordert, sind Referenzen in erster Linie Personen gebunden. Es ist daher grundsätzlich nicht zu beanstanden, sich auf die Referenzen zu berufen, die für einen früheren Arbeitgeber erbracht wurden. Dies hat im Besonderen für die Vergabe von Architekten- und Ingenieureleistungen zu gelten, bei denen die Leistungen einen ganz persönlichen Charakter aufweisen. Entscheidend ist immer, welchen Beitrag der jeweilige Mitarbeiter im Rahmen der Erarbeitung einer Referenz erbracht hat und welche Phasen des entsprechenden Projekts dieser begleitet hat. Ein Bieter, der durch die Neugründung aus einem Unternehmen hervorgegangen ist, die gleichen Personen beschäftigt, über das bisher vorhandene Knowhow verfügt und mit im Wesentlichen denselben Anlagen und Werkzeugen arbeitet, kann auf Nachfrage des Auftraggebers auch auf Arbeiten als Referenz verweisen, die dieselben Mitarbeiter in der früheren Firma erbracht haben. (Rn. 67)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Durchführung des Vergabeverfahrens die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt. Der Vergabestelle wird aufgegeben, die Wertung der Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.
2. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin trägt die Vergabestelle.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.
4. Die Beigeladene trägt ihre Aufwendungen selbst.
5. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt x….,- €.
Die Vergabestelle ist von der Zahlung der Gebühr befreit.

Gründe

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 Satz 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
b) Die VSt ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 GWB.
c) Bei dem ausgeschriebenen Dienstleistungsauftrag (Generalsanierung und Erweiterung der …kliniken …, Projektsteuerung gemäß HAV-KOM) handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 103 Abs. 1 GWB.
d) Der Auftragswert übersteigt den Schwellenwert, § 106 Abs. 1 GWB.
e) Die ASt ist antragsbefugt. Sie hat i.S.d. § 160 Abs. 2 GWB vorgetragen, dass sie ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat, und eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend gemacht. Sie hat geltend gemacht, dass ihr durch die beabsichtigte Vergabe an die Beigeladene ein Schaden zu entstehen droht. Im Rahmen der Zulässigkeit sind an die Antragsbefugnis keine allzu hohen Anforderungen geknüpft.
f) Der Verfahrensbevollmächtigte der ASt hat mit Schreiben vom 27.02.2018 rechtzeitig nach Erhalt des Informationsschreibens gemäß § 62 VgV vom 21.2.2018 den beabsichtigten Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen gerügt.
g) Zum Zeitpunkt der Stellung des Nachprüfungsantrags am 16.03.2018 war auch die 15-Tages-Frist gem. § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB nicht abgelaufen, die der ASt nach der Rügezurückweisung vom 12.03.2018 zur Verfügung steht.
h) Der Zuschlag wurde noch nicht erteilt, § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB.
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.
Die Durchführung des Vergabeverfahrens verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB. Die Wertung des Teilnahmeantrags der Beigeladenen durch die Vergabestelle ist nicht vergaberechtskonform.
Die Wertung der Angebote ist zu wiederholen.
a) Die Bewerbung der Beigeladenen hat bei der Bewertung des durchschnittlichen Gesamtumsatzes zu Unrecht die maximale Punktzahl erhalten.
Unter Ziff. III.1.2) wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der Bekanntmachung hat die Vergabestelle folgendes bekannt gegeben:
Auflistung und kurze Beschreibung der Eignungskriterien:
1.) Erklärung über den Gesamtumsatz netto des Bewerbers in den letzten 3 Geschäftsjahren (§ 45 Abs. 1 Nummer 1 VgV). Die maximale Punktzahl wird bei einem durchschnittlichen Umsatz ≥ 1.500.000 € pro Jahr erzielt.-(Wichtung 5%).
Die Bewerbung der Beigeladenen enthält jeweils eine Angabe zum Gesamtumsatz für die Jahre 2014, 2015 und 2016.
Zu diesem Zeitpunkt hat es die Beigeladene in der jetzigen Form jedoch noch nicht gegeben. Zwar ist der Beigeladenen insoweit zuzugestehen, dass die Geschäftsführer und die aus den Vorgängerbüros übernommenen Mitarbeiter den angegebenen und vom Steuerberater bestätigten Umsatz erwirtschaftet haben. Insoweit ist die Rechtsprechung des OLG München vom 15.3.2012 – Verg 2/12 nicht vergleichbar, weil sie aufgrund eines anderen Sachverhaltes ergangen ist.
Jedoch muss sich die Vergabestelle bei der Wertung an ihre eigenen aufgestellten Kriterien halten. Die Vergabestelle fordert ausdrücklich eine Erklärung über den Gesamtumsatz „des Bewerbers“. Die Beigeladene jedoch beruft sich auf einen Umsatz, den die Geschäftsführer und die Mitarbeiter für die Vorgängerbüros erbracht haben.
Während ein Bewerber sich nach der Rechtsprechung (vgl. VK Südbayern, 17.3.2015-Z3-3-3194-1-56-12/14; Weyand, ibronline Kommentar Vergaberecht, Stand 15.2.2015, § 97 GWB N. 900 3ff) auf Mitarbeiterreferenzen berufen kann, die für einen anderen Arbeitgeber erbracht worden sind, ist dies hier nicht ausweitbar auf die reinen Umsatzangaben.
Der „Gesamtumsatz des Bewerbers“ ist keine Angabe, die sich auf die einzelnen Mitarbeiter bezieht, sondern eine unternehmensbezogene, betriebswirtschaftliche Größe.
Eine entsprechende Anwendung der Rechtsprechung zu den Mitarbeiterreferenzen scheidet vorliegend aus. Von der aufgestellten Forderung kann die VSt nicht im Nachhinein abweichen.
b) Auch bei der Bewertung der durchschnittlichen Mitarbeiterzahlen hat die Bewerbung der BGl zu Unrecht die maximale Punktzahl erhalten.
Hinsichtlich der Mitarbeiteranzahl hat die Vergabestelle in der Bekanntmachung unter Ziff. III.1.2) folgendes gefordert:
2.) Angaben der Beschäftigten der letzten 3 Geschäftsjahren für das gesamte Büro des Bewerbers und der im Themenbereich der ausgeschriebenen Planungsleistung arbeitenden Beschäftigten, aufgeteilt in Berufsgruppen (Führungskräfte, Diplom-Ing., sonstige Mitarbeiter) (§ 46 Abs. 3 Nummer 8 VgV). Die maximale Punktzahl wird bei einer durchschnittlichen Gesamtmitarbeiterzahl ≥ 15 Personen erzielt.-(Wichtung 5%).
Auch hier hat die Beigeladene Angaben zu Geschäftsjahren gemacht, die vor ihrer Gründung liegen.
Die abgefragten Beschäftigungszahlen beziehen sich auf „das gesamte Büro des Bewerbers“. Es kann vorliegend nach dem objektiven Empfängerhorizont eins verständigen Bieters nicht davon ausgegangen werden, dass die Vergabestelle mit ihrer Vorgabe auch Vorgängerbüros des jeweiligen Bewerbers einschließen wollte.
Eine entsprechende Anwendung der Rechtsprechung zu den Mitarbeiterreferenzen scheidet auch diesbezüglich aus. Die Abfrage der Beschäftigtenzahlen ist ebenfalls eine unternehmensbezogene Größe. Auch von dieser Forderung kann die Vergabestelle nicht im Nachhinein abweichen.
c) Die Wertung der Referenzen der Beigeladenen vor der Anwachsung zur Y im Juni 2013, vor der Verschmelzung zur Z im Juni 2015 und vor dem Ausscheiden aus der Z im Oktober 2016, ist rechtmäßig erfolgt.
Auch wenn eine Vergabestelle Referenzen in Form von Büroreferenzen fordert, sind Referenzen in erster Linie Personen gebunden. Es ist daher grundsätzlich nicht zu beanstanden, sich auf die Referenzen zu berufen, die für einen früheren Arbeitgeber erbracht wurden. Dies hat im Besonderen für die Vergabe von Architekten- und Ingenieureleistungen (§ 73 ff VgV) zu gelten, bei dem die Leistungen einen ganz persönlichen Charakter aufweisen. Entscheidend ist immer, welchen Beitrag der jeweilige Mitarbeiter im Rahmen der Erarbeitung einer Referenz erbracht hat und welche Phasen des entsprechenden Projekts dieser begleitet hat. Ein Bieter, der durch die Neugründung aus einem Unternehmen hervorgegangen ist, die gleichen Personen beschäftigt, über das bisher vorhandene Knowhow verfügt und mit im Wesentlichen denselben Anlagen und Werkzeugen arbeitet, kann auf Nachfrage des Auftraggebers auch auf Arbeiten als Referenz verweisen, die dieselben Mitarbeiter in der früheren Firma erbracht haben (vgl. VK Südbayern, 17.3.2015-Z3-3-3194-1-56-12/14; Weyand, ibronline Kommentar Vergaberecht, Stand 15.2.2015, § 97 GWB N. 900 3ff).
Der Bearbeitungszeitraum der fünf von der Beigeladenen eingereichten Referenzen liegt zumindest größtenteils vor der Gründung der Beigeladenen im Oktober 2016.
Büroreferenzen des bisherigen Unternehmens können nur berücksichtigt werden, soweit eine weitgehende Identität zwischen den Personen, die für die Referenzaufträge zuständig waren, und den Mitarbeitern in den neu gegründeten Unternehmen festgestellt werden kann (vgl. VK Südbayern, 17.3.2015-Z3-3-3194-1-56-12/14).
Entscheidend ist immer, welchen Beitrag der jeweilige Mitarbeiter im Rahmen der Erarbeitung einer Referenz erbracht hat und welche Phase des entsprechenden Projekts dieser begleitet hat. Grundsätzlich wird die Fachkunde eines Unternehmens durch die personelle Ausstattung geprägt und beruht auf den Erfahrungen und Kenntnissen der Mitarbeiter (VK Sachsen, 5.5.2014-1/SVK/010-14).
Die Beigeladene hat in ihrer Bewerbung angegeben, dass die Referenzen von den Vorgängerbüros stammen. Weiterhin hat sie ausführlich dargelegt, welche ihrer jetzigen Mitarbeiter bei den jeweiligen Referenzenprojekten mitgewirkt haben. Die Bestätigung des Steuerberaters stellt die Mitarbeitersituation ausführlich dar. Die Referenzen sind somit der Beigeladenen zurechenbar.
d) Das Treffen der Mitbewerber auf dem Parkplatz hatte vorliegend keine konkreten wettbewerbsrechtlichen Konsequenzen. Insoweit hat die ASt keine konkrete Rechtsverletzung vorgetragen.
e) Auch hinsichtlich der Abrufbarkeit der Vergabeunterlagen mit einer Verlinkung auf den Speicherort des konkreten Vergabeverfahrens liegt eine konkrete Rechtsverletzung der ASt nicht vor. Die ASt hat nicht vorgetragen, welche konkreten Nachteile sie hieraus erfahren haben soll.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
a) Die VSt trägt die Kosten des Verfahrens, weil sie mit ihren Anträgen unterlegen ist (§ 182 Abs. 3 Satz 1 GWB).
b) Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der ASt ergibt sich aus § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.
c) Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die ASt notwendig (§ 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG entspr.). Es handelt sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall, so dass es der Antragstellerin nicht zuzumuten war, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen.
d) Die Beigeladene trägt ihre Aufwendungen selbst. Sie hat keine Sachanträge gestellt und damit kein Kostenrisiko auf sich genommen. Eine Kostenerstattung durch andere Beteiligte kommt daher im Umkehrschluss ebenfalls nicht in Betracht.
e) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 und 3 GWB festzusetzen.
Der geleistete Kostenvorschuss von 2.500,- € wird nach Bestandskraft dieses Beschlusses an die Antragstellerin zurücküberwiesen.
Die Vergabestelle ist gem. § 182 Abs. 1 GWB i.V.m § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG in der am 14.08.2013 geltenden Fassung von der Zahlung der Gebühr befreit.


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