Baurecht

Vergabeverfahren hinsichtlich Rahmenvereinbarung über Primärcodierung

Aktenzeichen  Z3-3-3194-1-14-05/19

Datum:
5.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 23408
Gerichtsart:
Vergabekammer
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GWB § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 160 Abs. 3 S. 2, § 167 Abs. 1 S. 2
VgV § 3 Abs. 2 S. 2, § 8
BayGemO Art. 88 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Bei einem Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des geschlossenen Vertrages gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB besteht nach § 160 Abs. 3 S. 2 GWB generell keine Rügeverpflichtung. Aufgrund des geändertes Gesetzeswortlauts des § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB erscheint die früher von der Rechtsprechung angenommene Rückausnahme von § 160 Abs. 3 S. 2 GWB, wenn das Unternehmen sich an der entsprechenden Vergabe beteiligen konnte, nicht mehr vertretbar.  (Rn. 68)
2. Die Ermittlung des Auftragswertes ist nach den Vorgaben des § 8 VgV zu dokumentieren, damit sie der Überprüfung durch die Nachprüfungsinstanzen überhaupt zugänglich sein kann. Insbesondere dann, wenn der Auftraggeber einen Auftragswert annimmt, der in Richtung der Schwellenwerte tendiert, ist er gehalten, seine Schätzung und seine diesbezüglichen Überlegungen umfassend zu dokumentieren. (Rn. 57)
3. Eine betragsmäßige Deckelung einer Rahmenvereinbarung kann bei zu erwartendem höheren Beschaffungsbedarf eine gegen § 3 Abs. 2 Satz 2 VgV verstoßende Unterteilung der Auftragsvergabe darstellen. Sie muss dann bei Auftragswertermittlung außer Betracht bleiben. (Rn. 65)
4. Ergibt sich für einen öffentlichen Auftraggeber aufgrund eines unerwartet eingetretenen Personalengpasses die Notwendigkeit, von ihm bisher mit eigenem Personal erbrachte Dienstleistungen extern zu beschaffen, hat er bei der Auftragswertschätzung für diese Dienstleistungen den Zeitraum zu berücksichtigen, der nach seiner Personalplanung benötigt wird, um den Personalengpass zu überwinden. (Rn. 64)
5. Geht ein Auftraggeber, der zu Unrecht eine EUweite Vergabe unterlassen hat, davon aus, unterhalb der Schwellenwerte nicht dem Vergaberecht zu unterliegen und führt daher auch kein nationales Vergabeverfahren durch, sind an die Darlegung des Antragstellers, dass er in einem geregelten europaweiten Verfahren eine bessere Chance auf den Zuschlag gehabt hätte, keine hohen Anforderungen zu stellen. (Rn. 73)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass der am 23.04.2019 geschlossene Rahmenvertrag zwischen der Antragsgegnerin und dem Beigeladenen über Primärkodierung nichtig ist.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.
3. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von …,00 Euro festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerin hat ohne Bekanntmachung mehrere Unternehmen, darunter die Antragstellerin, am 29.03.2019 aufgefordert, bis zum 15.04.2019 ein verbindliches Angebot über den Abschluss einer „Rahmenvereinbarung über Primärkodierung“ stationärer Behandlungsfälle aller medizinischen Fachbereiche am Standtort Klinikum I… einschließlich eines Rahmenvertrages einzureichen. Weiter wurde vorgegeben:
„Die Vorlaufzeit zwischen Abruf und Ausführungsbeginn der Dienstleistung beträgt 5 Werktage.
Die Mindestanzahl an zu bearbeitenden Fällen pro Abruf beträgt 200 Fälle bei einer Bearbeitung von mindestens 50 Fällen pro Tag.
Inhaltliche Klagevorbereitung von MDK-Fällen (über VPN-Tunnel).
Innerhalb der Vertragslaufzeit erfolgt die Beauftragung an den Auftragnehmer nach Bedarf.“
Die Vertragslaufzeit soll ein Jahr mit Verlängerungsoption von maximal 4 Jahren betragen, falls er nicht schriftlich gekündigt werde. Die Kündigungsfrist soll vier Wochen zum Jahresende betragen.
Gemäß der Aufforderung zur Abgabe des Angebots wurde das maximale Auftragsvolumen auf 200.000 € netto festgelegt. Wenn dieser Auftragswert erreicht werde, solle der Vertrag automatisch enden. Zudem wurde die Einreichung eines Rahmenvertrags mit dem Angebot gefordert.
Die Angebotsaufforderung hat auch eine Preistabelle enthalten, in der je zwei Pauschalen für verschiedene Fallgruppen sowie Reisekosten und Spesen jeweils fix pro 200 Fälle anzugeben waren. Weiter enthielt die Aufforderung die Angabe, dass der Gesamtpreis gewertet werde.
Aus einem nicht genau datierten Vermerk aus „Januar 2019“ der Antragsgegnerin geht hervor, dass die Antragsgegnerin von einem Auftragswert bei Betrachtung über 4 Jahre von maximal 200.000 € netto ausgeht. In den Jahren 2000 bis 2017 seien keine Buchung für Primärkodierung durch Fremdfirmen erfolgt und 2018 seien Zahlungen von insgesamt netto 135.840,39 € (161.650,07 € brutto) an den Beigeladenen erfolgt. In den Vergabeunterlagen befindet sich noch ein Auszug aus dem Sachkonto 699504, Kostenstelle 901105200 vom 01.01.2000 bis 31.12.2018, in dem die oben genannten Beträge ersichtlich sind.
Mehrere Unternehmen reichten fristgerecht ein Angebot einschließlich des geforderten Rahmenvertrages ein, darunter die Antragstellerin und der Beigeladene.
Am 18.04.2019 wurde die Antragstellerin aufgefordert noch eine Referenzliste ihres Unternehmens und die Vita der Mitarbeiter vorzulegen, welche zum Einsatz bei der Antragsgegnerin kommen würden zu übermitteln. Noch am selben Tag hat die Antragstellerin einen Anruf erhalten, dass der Auftrag an einen anderen Wettbewerber vergeben werde.
Am 23.04.2019 wurde ein Vertrag mit dem Beigeladenen geschlossen.
Die Antragstellerin rügte durch ihren Verfahrensbevollmächtigten mit Schreiben vom 06.05.2019 unter Fristsetzung bis 08.05.2019, 12:00 Uhr, dass der Dienstleistungsauftrag nicht europaweit ausgeschrieben wurde. Die „Konzeption“ des Verfahrens sei vergaberechtswidrig. Die Antragstellerin habe am 18.04.2019 fernmündlich erfahren, dass ein anderer Bieter den Auftrag erhalten soll. Der Vertrag sei unter Einbeziehung der Verlängerungsoption auf bis zu vier Jahren angelegt, aber das Auftragsvolumen sei auf 200.000 € netto limitiert worden. Für diese betragsmäßige Begrenzung des Auftragsvolumens gebe es keinen sachlichen Grund. Der Auftragswert dürfte bereits bei 1 Jahr über dem maßgeblichen Schwellenwert liegen. Die betragsmäßige Begrenzung des Auftrags diene damit offensichtlich allein dem Zweck, die gebotene europaweite Ausschreibung zu vermeiden. Es liege ein Verstoß gegen das Umgehungs- und Stückelungsverbot des § 3 Abs. 2 S. 2 VgV vor. Zudem seien die Zuschlagskriterien nicht bekannt gemacht worden und kein Informationsschreiben gemäß § 134 GWB erfolgt mit Name des Unternehmens, dem der Auftrag erteilt werden soll, oder den Gründen für ihre Nichtberücksichtigung mitgeteilt worden.
Daraufhin kündigte die Antragsgegnerin der Antragstellerin am 08.05.2019 eine Antwort bis zum 18.05.2019 (Samstag) an.
Mit Fax vom 16.05.2019 stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag und beantragte,
1.Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht den Auftrag zur Vergabe einer Rahmenvereinbarung über Primärkodierung stationärer Behandlungsfälle aller medizinischen Fachbereiche in einem europaweiten Vergabeverfahren nach den Vorschriften des 4. Teils des GWB und der VgV auszuschreiben.
2.Es wird festgestellt, dass der im Rahmen der durch Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes vom 29.03.2019 eingeleiteten Ausschreibung abgeschlossene Rahmenvertrag über Primärkodierung nichtig ist.
3.Der Antragstellerin wird Akteneinsicht in die Vergabeakte gewährt.
4.Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
5.Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
Der Nachprüfungsantrag sei geboten, da die Sorge bestehe, dass die Antragsgegnerin die Beantwortung der Rüge allein mit dem Ziel hinauszögere, um sich in einem anschließenden Nachprüfungsverfahren auf den Ablauf der 30-Tages-Frist gem. § 135 Abs. 2 GWB berufen zu können. Der angekündigte Termin für die Beantwortung sei der Samstag, 18.05.2019. Dieser Tag liege 30 Tage nach dem 18.04.2019, an dem er Antragstellerin telefonisch von der Vergabeentscheidung informiert worden sei.
Zudem teilte die Antragstellerin vorab mit, dass der Angebotsaufforderung vom 29.03.2019 der Antragsgegnerin eine Angebotsanfrage der Antragsgegnerin für den Leistungszeitraum 12.11.-31.12.2018 vorausgegangen sei, für das die Antragstellerin am 26.10.2019 ein Angebot abgegeben habe. Im Rahmen dieses Verfahrens habe die Antragsgegnerin mit E-Mail vom 02.11.2018 abgefragt, unter welchen Konditionen zwischen 12.11.2018 und 31.12.2018 ca. 3.000 Fälle von der Antragstellerin bearbeitet werden könnten.
Weiter wurde vorgetragen, dass der Nachprüfungsantrag zulässig und die Vergabekammer zuständig sei. Streitgegenstand sei, ob der Auftragswert der auf vier Jahre angelegten Rahmenvereinbarung willkürlich auf 200.000 € begrenzt worden sei, um den Auftrag dem Anwendungsbereich des Vergaberechts zu entziehen. Die betragliche Begrenzung des Auftragsvolumens der regelmäßig wiederkehrenden Dienstleistung sei nach Ansicht der Antragstellerin sachlich nicht gerechtfertigt und diene allein dem Zweck, die Anwendbarkeit des europäischen Vergaberechts zu umgehen. Für die Zulässigkeit sei es ausreichend, wenn der Antragsteller den Vergabeverstoß schlüssig vortrage, ob tatsächlich eine Pflicht zur europaweiten Ausschreibung bestehe sei eine Frage der Begründetheit des Nachprüfungsantrags. Nach Einschätzung der Antragstellerin werde der maßgebliche Schwellenwert deutlich überschritten. Gehe man von den im November 2018 für einen Leistungszeitraum von 6 Wochen zugrunde gelegten 3.000 Fällen aus, würden während des Jahres mindestens 6 – 8 mal so viele Fälle zu bearbeiten seien. Bei 18.000 Fällen (6 x 3.000) ergäbe sich ein Auftragsvolumen von ca. 540.000,00 € jährlich und auf die maximale Laufzeit der Rahmenvereinbarung bezogen, liege das Beschaffungsvolumen im siebenstelligen Bereich. Auch nehme die Antragsgegnerin regelmäßig Dienstleistungen Dritter für die Primärkodierung stationärer Behandlungsfälle in Anspruch.
Eine Rüge sei gem. § 160 Abs. 3 S. 2 GWB bei einem Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit eines ohne europaweite Ausschreibung abgeschlossenen Vertrages entbehrlich.
Das durchgeführte Verfahren zeichne sich durch eine Intransparenz und die Missachtung jedweder vergaberechtlichen Grundsätze aus. Es seien weder Eignungs- noch Zuschlagskriterien festgelegt worden. Der ohne Beachtung der Vorschriften des GWB und der VgV geschlossene Vertrag mit einem nicht bekannten Wettbewerber könne keinen Bestand gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB haben. Die Antragsgegnerin habe das Verfahren mit dem Ziel gestaltet, den Auftrag dem Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB zu entziehen, indem sie bei einer regelmäßig wiederkehrenden Dienstleistung den Auftragswert künstlich auf 200.000 € begrenzt habe, so dass der Auftrag noch vor Ablauf der vorgesehenen Vertragslaufzeit automatisch beendet werde, der knapp unter dem maßgeblichen Schwellenwert liege. Die Antragsgegnerin führe ein völlig intransparentes Verfahren durch, dadurch würden die Rechte der Antragstellerin verletzt.
Bei der Berechnung des voraussichtlichen Gesamtwertes der vorgesehenen Rahmenvereinbarung seien nach § 3 Abs. 1 S. 2 VgV etwaige Optionen oder Vertragsverlängerungen sowie der Wert aller Einzelaufträge nach § 3 Abs. 4 VgV zu berücksichtigen. Vorliegend sei bei der Größenordnung des Klinikums I… mit einem Auftragsvolumen zu rechnen, das den Schwellenwert für Dienstleistungsaufträge bei weitem übersteige. Die Antragsgegnerin habe in der Vergangenheit regelmäßig mit dieser Leistung Dritte beauftragt. Aus den Erfahrungen aus der Vergangenheit schätze die Antragstellerin, dass Dienstleistungen von über 500.000 für ein Jahr abgerufen werden. Nach den Vorgaben der Angebotsaufforderung sollen pro Abruf mindestens 200 Fälle bearbeitet werden, das seien nach dem Angebot der Antragstellerin für den Abruf ca. 6.000,00 €. Hinzukämen die komplexeren MDK-Fälle. Nach § 3 Abs. 2 S. 2 VgV dürfe die Auftragsvergabe nicht so unterteilt werden, dass sie nicht in den Anwendungsbereich des GWB falle, es sei denn, es liegen objektive Gründe vor. Bei regelmäßig wiederkehrenden Dienstleistungen dürfe die Laufzeit nicht willkürlich so beschränkt werden, dass wiederholt ohne regelgerechtes Ausschreibungsverfahren Aufträge unterhalb der Schwelle vergeben würden.
Die Vergabekammer hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 16.05.2019 über den Nachprüfungsantrag informiert und die Vergabeakten angefordert.
Mit Schreiben vom 24.05.2019 teilte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin seine Mandatierung mit und übersandte das Rügeschreiben mit Eingangsstempel vom 07.05.2019, die Zwischennachricht/Empfangsbestätigung der Antragsgegnerin vom 08.05.2019 sowie die Rügeerwiderung vom 17.05.2019, in der der Rüge nicht abgeholfen wurde. Die Rügeerwiderung habe sich mit der Einleitung des Verfahrens überschnitten habe. Eine Zuständigkeit der Vergabekammer und eine Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags beständen nicht.
Mit Schreiben vom 31.05.2019 beantragte die Antragsgegnerin,
1.den Nachprüfungsantrag als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen,
2.die Kosten des Nachprüfungsverfahrens, sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin, der Antragstellerin aufzuerlegen,
3.die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin für notwendig zu erklären,
4.die beantragte Akteneinsicht nicht zu gewähren.
Vorab erklärte die Antragsgegnerin, dass die Primärkodierung benötigt werde, Behandlungsfälle zu digitalisieren und einem bestimmten Code zuzuweisen, der benötigt wird um die Abrechnung der Leistungen mit den Krankenkassen vorzunehmen. Die dazu benötigten Dokumente lägen teils in digitaler Form (gemäß Krankenhaus-Informations-System “KIS“), teils auch nur in analoger Form vor, die erst einmal zusammengeführt werden müssten. Sodann erfolge eine „Grouper“-Zuweisung, dann sei die Fallpauschale zu ermitteln („DRG“). Erst damit sei eine Abrechenbarkeit der erbrachten Leistung herzustellen.
Weiter wurde erläutert, dass zur Erbringung dieser Leistung Ärzte, medizinische Pflegekräfte oder medizinische Fachangestellte benötigt würden (fachliche Qualifikation), mit einschlägigen, speziellen Kenntnisse. Dieses Personal könne nicht „auf Zuruf“ am Arbeitsmarkt akquiriert werden. Daher müsse die Antragsgegnerin bei längerfristigem Personalausfall (bei Arbeitsunfähigkeit) dafür sorgen, dass die Arbeiten der Primärkodierung sichergestellt seien, damit die erbrachten Leistungen durchgehend mit der Krankenkasse abgerechnet werden könnten. Die Antragsgegnerin erbringe die Primärkodierung grundsätzlich mit eigenem Personal. Bei nicht planbarem, außerordentlich hohem Personalausfall werde auf externe Kodierer von Unternehmen zurückgegriffen, was je nach eigener Personallage zu erheblichen Bedarfsschwankungen im Hinblick auf externe Kodierer führe. Die Antragsgegnerin habe inzwischen mit dem Beigeladenen eine Rahmenvereinbarung geschlossen.
Die computergestützte Hochrechnung (SAP) des maximalen Bedarfs sei bis zu 200.000 € netto für 4 Jahre festgestellt worden. Dies sei eine worst-case-Berechnung. Es habe in der Vergangenheit auch viele Jahre gegeben, in denen keinerlei externe Kodierer eingesetzt werden muss-ten. Von einer vorsätzlichen Herunterrechnung des Bedarfs externer Kodierungsleistungen, könne keine Rede sein.
Mit Schreiben vom 05.06.2019 äußerte die Antragstellerin zu der Erwiderung der Antragsgegnerin, dass sie bestreite, dass die Antragsgegnerin durch eine Hochrechnung den maximalen Bedarf für die nächsten 4 Jahre auf 200.000 € netto hochgerechnet habe. Die Antragsgegnerin solle vortragen auf welcher Basis diese Hochrechnung erfolgt sei. Aus einer Hochrechnung der Vergangenheit lasse sich nicht auf einen maximalen Bedarf in den nächsten 4 Jahren schließen, zumal die Antragsgegnerin erläutert habe, dass ihr Bedarf „nicht planbar“ im Bedarfsfall aber kurzfristig und unabweisbar sei. Die Antragsgegnerin möge offenlegen, welchen Betrag sie in den vergangenen 4 Jahren für die ausgeschriebene Dienstleistung bezahlt habe. Die Antragstellerin gehe davon aus, dass dieser Betrag um ein Vielfaches über dem Auftragswert liege. Auch bestreite die Antragstellerin die Behauptung der Antragsgegnerin, in der vergangenen Zeit habe es viele Jahre gegeben, in denen keinerlei externe Kodierer eingesetzt worden seien.
Auch sei nicht nachvollziehbar, dass der Abruf von 3.000 Fällen in nur 6 Wochen auf eine extreme Ausnahmesituation beruhen solle, da nach den Erfahrungen der Antragstellerin es immer wieder vorkomme, dass aufgrund von Personalausfällen externe Leistungen im Bereich der Primärkodierung benötigt würden. Nach den Erfahrungen der Antragstellerin benötigten vergleichbar große Krankenhäuser in 4 Jahren höhere Dienstleistungen als die hier angenommenen 200.000 €. Während größere private Klinikverbände Personalausfälle durch den Einsatz konzerneigenen Personals aus anderen Standorten abfedern könnten, sei dies insbesondere bei kommunalen Krankenhäusern nicht möglich.
Mit Verfügung vom 12.06.2019 wurde die Frist bis zur Entscheidung der Vergabekammer gemäß § 167 Abs. 1 S. 2 GWB bis 31.07.2019 verlängert.
Mit Beschluss vom 18.06.2019 wurde der Bieter, mit dem die Antragsgegnerin die Rahmenvereinbarung geschlossen hat, beigeladen.
Die Antragsgegnerin wies mit Schreiben vom 18.06.2019 sämtliches Vorbringen der Antragstellerin in deren Schriftsatz vom 05.06.2019 zurück.
Die Antragsgegnerin habe pro Jahr ca. 37.000 Fälle zu bearbeiten. Die Personalplanung sei gerundet sogar für 40.000 Fällen pro Jahr ausgelegt. Nur für erhebliche personale Engpässe sei die externe Beschaffung von Leistungen der Primärkodierung konzipiert. Es handle sich um das Einspringen eines externen Dienstleisters in außergewöhnlichen Situationen. Die Antragstellerin habe bezüglich des Auftragswertes die außerordentliche Situation Ende 2018 zum Maßstab ihrer Argumentation genommen, was völlig an den tatsächlichen Verhältnissen vorbeiginge. Richtig sei vielmehr, dass die Antragsgegnerin über den Zeitraum von 17 Jahren keinerlei externe Leistungen der Primärkodierung in Anspruch genommen habe. Dies zeige die Hochrechnung, welche Bestandteil der Vergabeakte sei.
Mit Schreiben vom 19.06.2019 wurden die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung am 18.07.2019, um 10:00 Uhr, geladen.
Mit Schreiben vom 24.06.2019 teilte der Verfahrensbevollmächtigte des Beigeladenen seine Mandatierung mit.
Mit Schreiben vom 25.06.2019 forderte die Vergabekammer die Antragsgegnerin bis 08.07.2019, 12.00 Uhr auf, den Gesellschaftsvertrag zur Prüfung der Eigenschaft der Antragsgegnerin als öffentliche Auftraggeberin zu übersenden und die auf Seite 4 im Schriftsatz vom 31.05.2019 erwähnten betriebswirtschaftlichen Belange, die zur Schätzung des Auftragswertes herangezogen worden seien, der Vergabekammer offen zu legen. Zudem wurde die Antragsgegnerin um Erläuterung gebeten, wie diese den geschätzten Auftragswert für den streitgegenständlichen Vertrag ermittelt habe und zudem um Mitteilung, ob für das Jahr 2019 bereits Kosten für externe Leistungen zur Primärkodierung angefallen seien.
Nachdem die Antragsgegnerin auf Nachfrage der Vergabekammer mitgeteilt hatte, dass diese mit der Weitergabe der beabsichtigten teilweise geschwärzten Unterlagen einverstanden sei, wurde mit Beschluss vom 04.07.2019 der Umfang der Akteneinsicht festgesetzt und der Antragstellerin entsprechend Akteneinsicht gewährt.
Die Antragsgegnerin teilte mit Schreiben vom 08.07.2019 auf die Anfrage der Vergabekammer mit, dass diese eine vertiefende Prüfung der Frage, inwieweit sie als sog. funktionale öffentliche Auftraggeberin nach § 99 Nr. 2 GWB anzusehen sei, als „nicht schwerpunktmäßig relevant, da vorliegend der EU-Schwellenwert nicht erreicht werde. Die Gesellschafter der GmbH sei nach dem Gesellschaftsvertrag zu 100% der Krankenhauszweckverband I… (KZVI), einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Er beruhe auf Art. 88 Abs. 5 der BayGemO und Art. 44 Abs. 1 des Gesetzes über die Kommunale Zusammenarbeit. Gemäß § 2 Abs. 1 SKVZI seien die Verbandsmitglieder die Stadt I… und der Bezirk O… Die Antragsgegnerin sei zwar auf dem Gebiet der öffentlichen Daseinsvorsorge tätig und sei prinzipiell als nichtgewerblich einzuordnen. Jedoch existiere keine Nachschusspflicht der Gesellschafter und sei damit nicht vor Insolvenz geschützt, was jedoch prinzipiell ein Merkmal der erforderlichen Nichtgewerblichkeit darstelle. Weiter wurde vorgetragen, dass es für die Klärung der öffentlichen Auftraggebereigenschaft nicht nur auf die Regularien der förmlichen juristischen Konstitution (Satzung, Gesellschaftsvertrag etc.) an, sondern auch welche „faktisch gelebte Wirklichkeit“ hinsichtlich der Finanzen und der Wettbewerbssituation existierten, wie der Wettbewerb und das Insolvenzrisiko. Daher sei nicht unbedingt gesagt, dass es sich bei der Antragsgegnerin um eine funktionale öffentliche Auftraggeberin handle. Der von der Vergabekammer angeforderte Gesellschaftsvertrag wurde nicht vorgelegt.
Zu der Thematik, weshalb erstmals nach 17 Jahren Leistungen der Primärkodierung extern vergeben wurden, teilte die Antragsgegnerin mit, dass es im Herbst 2018 eine Mehrzahl an Personalabgänge gegeben habe, die nicht wie erhofft anderweitig nachbesetzt werden konnten. Aufgrund der Einmaligkeit habe die Antragsgegnerin unterstellen dürfen, dass damit nicht nochmals in den kommenden Jahren zu rechnen sei. Die vorliegend erfolgte Prognose, dass ein Ausnahmeereignis, welches 17 Jahre lang nicht eingetreten sei, fortan nicht regelmäßig eintreten werde, sei im Kontext der Situation, dass sich an der fundamentalen Personal- und Bedarfslage nichts ändere, rechtlich in Ordnung. Auch habe sie abgewogen, dass infolge der sich als etwas zäher herausstellenden Personalnachbesetzungen auch 2019 noch Abrufe erfolgen könnten. Sie sei auch von der realistischen Annahme ausgegangen, und habe den Auftragswert für die maximale Vertragslaufzeit von 2 Jahren transparent auf 200.000 € begrenzt. Die Kostenschätzung fuße zudem nicht auf einer Vervierfachung des 2018 aufgetretenen Bedarfes oder auf den entstandenen Bedarf aus den vergangenen 4 Jahren. Vielmehr handle es sich um eine Hochrechnung unter Einbeziehung der 17 Jahre dauernden Nichtabrufes, sowie die Ereignisse Ende 2018, versehen mit einem vorsorglichen Aufschlag, weil die Personalabgänge noch nicht vollständig ausgeglichen werden konnten, was auch noch zu Abrufen im laufenden Jahr geführt habe. Die Hochrechnung ergebe einen maximalen Wert von 200.000,00 € netto und sei nicht in Umgehungsabsicht des Vergaberechts erfolgt.
Die Antragstellerin nahm mit Schreiben vom 11.07.2019 zu der gewährten Akteneinsicht und den Schriftsätzen der Antragsgegnerin vom 07.08.2019 und 18.06.2019 Stellung. In Bezug auf den Schwellenwert trug die Antragstellerin vor, dass sie dem Vergabevermerk habe entnehmen können, dass allein im vierten Quartal 2018 Leistungen in Höhe von netto 135.840,39 € gebucht und bezahlt worden seien. Ausweislich seines Internetauftritts sei der Beigeladene seit September 2018 bis jetzt ununterbrochen für die Antragsgegnerin tätig. Rechnerisch führe die Summe des vorletzten Auftrags und des im Jahre 2018 ebenfalls ohne europaweite Ausschreibung vergebenen Auftrags zu einer Überschreitung des maßgeblichen Schwellenwertes um mehr als 100.000 €. Hinzukomme die im I Quartal 2019 erbrachten Dienstleistungen der Beigeladenen. Ein sachlicher Grund für diese Auftragsstückelung sei nicht erkennbar. Tatsächlich liege eine Kettenbeauftragung der Beigeladenen vor. Zunächst habe der Beigeladene, der ausweislich eigener Darstellung seit September 2018 für die Antragsgegnerin tätig sei, offenbar freihändig einen Auftrag erhalten. Im November 2018 die dann eine Angebotsabfrage für den Leistungszeitraum 12.11.2018 bis 31.12.2018 erfolgt. Im Jahre 2019 sei dann mindestens bis in den April hinein – auf welcher Grundlage und in welchem Umfang sei unklar – weitere Leistungen erbracht worden, wie im dem Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 08.07.2019 eingeräumt worden sei. Am 29.03.2019 sei dann die Angebotsaufforderung zum 15.04.2019 für den betraglich auf 200.000 € begrenzten Rahmenvertrag erfolgt.
Der Beigeladene teilte mit Schreiben vom 17.07.2019 mit, dass er nicht zur mündlichen Verhandlung erscheine.
Auf Aufforderung der Vergabekammer übersandte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 17.07.2019 verschiedene Belege zu und machte dazu ergänzende Ausführungen, die wegen geltend gemachten Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen nicht an die Beteiligten weitergeleitet werden sollten.
Am 18.07.2019 fand die mündliche Verhandlung statt. Der Vorsitzende der Vergabekammer teilte die Rechtsauffassung der Vergabekammer Südbayern mit, dass bei einem Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des geschlossenen Vertrages gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB nach § 160 Abs. 3 S. 2 GWB generell keine Rügeverpflichtung bestehe. Aufgrund des geändertes Gesetzeswortlauts des § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB erscheine die früher von der Rechtsprechung angenommene Rügeausnahme von § 160 Abs. 3 S. 2 GWB, wenn das Unternehmen sich an der entsprechenden Vergabe beteiligen konnte, nicht mehr vertretbar.
Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag.
Zur Prüfung, ob eine vertretbare Prognoseentscheidung des geschätzten Auftragswerts vorliegt, hatte die Vergabekammer noch Rückfragen, auch hinsichtlich der am 17.07.2019 seitens der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen. Die Antragsgegnerin äußerte hinsichtlich ihrer vorgelegten Stellenplanung, dass 9,5 Stellen für reine Primärkodierleistungen vorgesehen seien. In den genannten 14,05 Stellen des am 17.07.2019 eingereichten Stellenplans seien zusätzliche Arbeiten, wie die MDK-Beauftragung enthalten. 9,25 Stellen seien das „Soll“. Die Antragsgegnerin würde zwar gerne mehr Vollzeitstellen einrichten, jedoch seien in den 9,25 Stellen bereits auch Ausfallquoten, wie Urlaub und Krankheit, berücksichtigt.
Die Antragsgegnerin bestätigte, dass eine Person pro Jahr ca. 4000 Fälle der Primärkodierung erledigen könne. Weiter führte sie aus, dass derzeit aktuell Rückstände von ca. 4.000 Fälle bestünden. Wenn die Rückstände zu groß würden, werden dafür auch Externe eingesetzt. Wann dies der Fall sei, sei eine unternehmerische Entscheidung des Klinikums.
Von den 9,5 Stellen seien 2,5 Stellen nicht besetzt. Eine Mitarbeiterin werde derzeit eingearbeitet und eine Mitarbeiterin beginne im September 2019 zu arbeiten. Sie könne nicht genau sagen, wann die Personalknappheit behoben sei. Im August seien die Fälle meist geringer und würden im September wieder steigen. Die Fallzahlen variierten. Sie erwarte, dass bis Januar 2020 ihre Personalengpässe im Bereich Primärkodierung behoben seien und keine Externen mehr eingesetzt werden müssten. Die vorhandenen Mitarbeiter würden auch zu Überstunden verpflichtet. Ziel des Klinikums sei es eigentlich, die Leistung mit eigenem Personal zu erbringen.
Der Vorsitzende der Kammer wies auf die unzureichende Dokumentation der Auftragswertermittlung der Antragsgegnerin hin. Die Vergabekammer werde die nachgereichten Unterlagen bei der Entscheidung aber berücksichtigen.
Die Antragstellerin änderte ihren Antrag Nr. 2 vom Nachprüfungsantrag dahingehend ab, dass festgestellt werde, dass der am 23.04.2019 geschlossene Rahmenvertrag zwischen der Antragsgegnerin und des Beigeladenen über Primärkodierung nichtig ist. Im Übrigen hielt sie ihre Anträge vom 16.05.2019 aufrecht. Die Antragsgegnerin hielt ihre Anträge vom 31.05.2019 auf-recht.
Die Frist bis zur Entscheidung der Vergabekammer wurde gemäß § 167 Abs. 1 S. 2 GWB bis 14.08.2019 verlängert.
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, insbesondere ist die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i.V.m. §§ 1 und 2 BayNpV.
1.1. Die Antragsgegnerin ist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 2 GWB.
Die Antragsgegnerin hat trotz der Aufforderung der Kammer vom 25.06.2019 ihren Gesellschaftsvertrag nicht vorgelegt, so dass die Frage, ob die Antragsgegnerin öffentliche Auftraggeberin gemäß §§ 98, 99 Nr. 2 GWB ist, nicht anhand des konkreten Gesellschaftsvertrags überprüft werden konnte.
Nach § 98 Nr. 2 GWB sind auch andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen, öffentliche Auftraggeber, wenn Stellen, die unter Nr. 1 fallen, sie einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise überwiegend finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihre zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmen.
Die Antragsgegnerin ist als kommunales Krankenhaus zu dem besonderen Zweck gegründet worden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen. Das Allgemeininteresse ergibt sich aus dem Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze, Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG). Nach § 1 KHG ist Zweck des Gesetzes die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser, um eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhäusern zu gewährleisten und zu sozial tragbaren Pflegesätzen beizutragen. Gemäß § 9 KHG fördern die Länder auf Antrag des Krankenhausträgers Investitionskosten, darunter insbesondere für die Errichtung von Krankenhäusern für die Erstausstattung mit notwendigen Anlagegütern, für die Wiederbeschaffung von Anlagegütern und weitere im Einzelnen genannte Positionen. Somit handelt es sich bei dem Betrieb eines zu errichtenden Krankenhauses auch in der Form eines privatrechtlichen Unternehmens nicht um eine auf Gewinnerzielung gerichtete gewerbliche Tätigkeit, sondern um eine im Wesentlichen mit öffentlichen Mitteln geförderte und ermöglichte Aufgabe zur Versorgung der Bevölkerung gemäß § 1 KHG (vgl. VK Lüneburg, Beschluss vom 10.09.2015 – VgK-32/2015).
Es ist davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin als kommunales Krankenhaus, dessen Alleingesellschafter ein Zweckverband aus zwei öffentlichen Gebietskörperschaften ist, der staatlichen Aufsicht i.S.v. von § 99 Nr. 2 c GWB unterfällt. Üblicherweise beruft in Konstellationen, wie sie bei der Antragsgegnerin vorliegen, der Gesellschafter, hier also der Zweckverband, den Aufsichtsrat und die Geschäftsführung. Die Antragsgegnerin hat trotz expliziter Frage der Vergabekammer nach dem Gesellschaftsvertrag und der Eigenschaft der Antragsgegnerin als öffentliche Auftraggeberin hierzu nichts Gegenteiliges ausgeführt.
1.2. Das Nachprüfungsverfahren ist statthaft, da bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen wie dem hier zur Nachprüfung anstehenden Auftrag zur Primärcodierung der gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert 221.000 Euro beträgt. Nach Auffassung der erkennenden Kammer ist dieser Schwellenwert durch die in Rede stehende Auftragsvergabe überschritten, auch wenn die Antragsgegnerin in ihrer Schätzung zu dem Ergebnis kam, dass die Auftragssumme bei 200.000 € hochgerechnet auf die vierjährige Vertragslaufzeit liegen würde und deshalb von einer europaweiten Ausschreibung des Auftrags Abstand genommen hat.
Die Antragsgegnerin hat in ihrem Vermerk vom Januar 2019 zur Hochrechnung des Auftragswertes für einen vierjährigen Rahmenvertrag lediglich die in der Vergangenheit abgerufenen Leistungen über Primärcodierung sowie die Bedarfsanmeldung für 2019, für die zum Zeitpunkt der Aufstellung keine Meldungen vorlagen, berücksichtigt. Weitere Ausführungen, insbesondere zur Personalsituation, sind in dem Vermerk nicht enthalten und wurden von der Antragsgegnerin erst im Nachprüfungsverfahren vorgebracht. Erstmals mit Schriftsatz vom 08.07.2019 hat die Antragsgegnerin vorgetragen, dass mit einem Betrag von 200.000 € so viele Fälle bearbeitet werden können, dass die Einnahmen daraus der anzustrebenden Liquiditätsreserve des Klinikums entsprechen.
Ein Auftraggeber ist aber gehalten, in der Sache eine seriöse Schätzung durchzuführen, die den Vorgaben zur Ermittlung des Auftragswertes aus § 3 VgV entspricht. Denn nur, wenn nach einer Schätzung nach diesen Vorgaben der Schwellenwert nicht überschritten ist, wird ein öffentlicher Auftraggeber nach § 106 Abs. 1 Satz 1 GWB von der Anwendung der Vorschriften des GWB und damit einer europaweiten Ausschreibung frei. Daher ist diese Schätzung auch nach den Vorgaben des § 8 VgV zu dokumentieren, damit sie der Überprüfung durch die Nachprüfungsinstanzen überhaupt zugänglich sein kann. Naturgemäß gilt dies nicht in der gesamten Schärfe für Vergabeverfahren, deren Auftragswert eindeutig und unzweifelhaft unterhalb der für europaweite Vergabeverfahren einschlägigen Schwellenwerte liegt. Verhält es sich aber so, dass auch der Auftraggeber einen Auftragswert annimmt, der in Richtung der Schwellenwerte tendiert, so ist der Auftraggeber gehalten, seine Schätzung und seine diesbezüglichen Überlegungen auch umfassend zu dokumentieren (vgl. VK Bund, Beschluss vom 27.05.2014 – VK 2-31/14). Die Dokumentation kann zwar im Nachprüfungsverfahren nachgeholt werden, aber die Antragsgegnerin hat auch mit den auf Aufforderung der Kammer zusätzlich vorgetragenen Ausführungen in ihren Schriftsätzen nicht überzeugend darlegen können, dass sie den Auftragswert vorab pflichtgemäß geschätzt hat.
Ein pflichtgemäß geschätzter Auftragswert ist jener Wert, den ein umsichtiger und sachkundiger öffentlicher Auftraggeber nach sorgfältiger Prüfung des relevanten Marktsegments und im Einklang mit den Erfordernissen betriebswirtschaftlicher Finanzplanung bei der Anschaffung der vergabegegenständlichen Sachen veranschlagen würde (Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 29.01.2013 – Verg W 8/12; OLG Gelle, Beschluss vom 19.08.2009 – 13 Verg 4/09; OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.05.2012 – 11 Verg 2/12).
Im streitgegenständlichen Fall hat die Antragsgegnerin selbst vorgetragen, dass sie voraussichtlich erst Ende des Jahres 2019 ihre derzeitigen Personalengpässe behoben haben wird und sich die Personalsituation erst ab dann wieder normalisiert. Auch nach bisher erfolgten diversen Stellennachbesetzungen hat die Antragsgegnerin im Bereich der Primärkodierung zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch 2,5 unbesetzte Stellen, was sich voraussichtlich erst mit weiteren Stellenbesetzungen ab September 2019 verbessert. Aus den von der Antragsgegnerin auf Anforderung der Kammer am 17.07.2019 eingereichten Aufstellungen zur Personalplanung geht hervor, dass sich die Stellenbesetzung im letzten Quartal 2018 massiv verschlechtert hat, weswegen letztlich auch bereits von Oktober bis Januar Leistungen zur Primärkodierung von der Beigeladenen für die Antragsgegnerin erbracht wurden. Die fehlenden Stellen und weitere Personalabgänge konnten erst zwischen März und September 2019 sukzessive wiederbesetzt werden.
Daher ist es für die Kammer nicht nachvollziehbar, dass in der Auftragsschätzung aus Januar 2019 die Personalsituation keine erkennbare Rolle gespielt hat und vielmehr sogar keine Bedarfsmeldung für das kommende Jahr, trotz der angespannten Personalsituation, gemeldet wurde. Eine seriöse Schätzung hätte die von Oktober 2018 bis Januar 2019 geleisteten Zahlungen für die externe Primärkodierung auf Grund des Personalausfalls berücksichtigen müssen und daraus eine Prognose in Bezug auf die in naher Zukunft auf Grund der weiterhin unbesetzten Stellen zu erwartenden Bedarfe berücksichtigen müssen. Allein in den Monaten Oktober 2018 bis Januar 2019 wurden im Schnitt 47.000 € (netto) pro Monat an Leistungen für die Primärkodierung abgerufen, woraus die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Ausschreibung ersehen hätte müssen, dass der Schwellenwert von 221.000 € bei vergleichbarer Personallage in nur fünf Monaten überschritten wäre. Selbst unter Einbeziehung der verbesserten Personalsituation ab März 2019, wusste die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Ausschreibung Ende März 2019, das sie nach dem angestrebten Vertragsschluss im April allein bis zur ersten Verbesserung der Personalsituation im September voraussichtlich 4/5 des Schwellenwerts erreicht hätte. Dabei ist jedoch weder berücksichtigt, dass die neueingestellte Mitarbeiterin ab September noch nicht eingearbeitet ist und laut Stellenplan keine Primärkodierung durchführen soll sondern als Abteilungsleitung vorgesehen ist, noch sind die aufgelaufenen Rückstände damit abgedeckt oder ist einberechnet, dass sich die Personalsituation erst ab Januar 2020 wieder entspannt.
Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Auftragsschätzung oder an deren Dokumentation, so muss die Vergabekammer im Nachprüfungsverfahren den Auftragswert selbst anhand der eingegangenen Angebote schätzen (vgl. VK Saarland, Beschluss vom 24.07.2014 – 3 VK 02/2014, Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21.11.2013 – 2 VK 14/13).
Die Kammer kommt bei ihrer eigenen Schätzung zu dem Ergebnis, dass bei einer ordnungsgemäßen Auftragsschätzung zum Zeitpunkt des Beginns des Vergabeverfahrens im März der Schwellenwert überschritten wäre. Dabei sind zu beachten, dass die Antragsgegnerin zu diesem Zeitpunkt einen umfassenden Überblick einerseits über die bisher angefallenen Kosten für die Leistung und andererseits über ihre aktuelle Personalsituation und deren Entwicklung über die nächsten Monate hatte. Damit konnte sie abschätzen, wie lange in etwa sie die Leistungen im Bereich der Primärcodierung von Dritten zukaufen muss und wie teuer dies werden würde. Aus den in den Monaten Oktober 2018 bis Januar 2019 abgerechneten Leistungen ergibt sich ein durchschnittlicher Auftragswert von ca. 45.000 € im Monat, so dass allein für die Monate Mai 2019 bis August 2019 von einem Auftragswert von 180.000 € für Leistungen der Primärcodierung auszugehen wäre. Da die Antragsgegnerin ab September 2019 zwar mit einer Verbesserung der Personalsituation rechnet, aber erst ab Januar 2020 mit einer optimalen Besetzung, kann zwar für die letzten vier Monate des Jahres 2019 davon ausgegangen werden, dass der durchschnittliche Abruf geringer wird, aber der Schwellenwert auf jeden Fall erreicht wird. Dies wäre nämlich bereits dann der Fall, wenn die monatlichen Kosten für die externe Primärcodierung durch die geplante Stellenbesetzung drastisch auf ein Viertel der bisherigen durchschnittlichen Auftragssumme sinken würden.
Die bisherigen monatlichen Ausgaben für Mai 2019 und Juni 2019 im streitgegenständlichen Vertrag geben auch keinen Anlass von dem von der Kammer angenommenen durchschnittlichen Auftragswert abzuweichen, sondern stützen diese Schätzung.
Zudem ist für die Bestimmung des Auftragswertes einer nachgefragten Leistung die Schätzung des Gesamtwerts der Leistung maßgeblich. Wird ein Gesamtbeschaffungsbedarf in mehrere selbständige Vergaben unterteilt, so ist bei der Auftragsschätzung der Wert des Gesamtprojekts zugrunde zu legen (vgl. OLG München, Beschluss vom 31.01.2013 – Verg 31/12). Unter Berücksichtigung der in der Entscheidung des EuGH vom 15.03.2012, Rs.-C574/10 zur „Autalhalle“ aufgestellten Grundsätze, wäre auch hier eine Zusammenrechnung geboten gewesen. Dienstleistungen, deren Erbringung in verschiedenen getrennten Abschnitten erfolgt, sind als einheitlicher Auftrag anzusehen, wenn der einheitliche Charakter in Bezug auf ihre wirtschaftliche und technische Funktion vorliegt (EuGH, a.a.O.). Nach der notwendigen funktionalen Betrachtungsweise, erfüllen der Auftrag von Oktober 2018 bis Januar 2019 und der Rahmenvertrag ab Mai 2019 nach Ansicht der Vergabekammer Südbayern dieselbe wirtschaftliche Funktion. Der Vertragsgegenstand bei beiden Aufträgen ist mit der Erbringung von Leistungen der Primärcodierung identisch. Ferner gründen beide Aufträge in der seit Oktober 2018 bestehenden Personalsituation, in der die Antragsgegnerin die Leistung der ausgefallenen eigenen Mitarbeiter (teilweise) durch einen externen Dienstleister erbringen lassen muss. Damit wiesen diese Leistungen in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht eine innere Kohärenz und eine funktionelle Kontinuität auf, die durch die Aufteilung dieser Leistungen in verschiedene Verträge auch durch den zeitlichen Abstand von Februar 2019 bis April 2019, in der die Antragsgegnerin von der Beigeladenen keine Leistungen hat erbringen lassen, nicht als durchbrochen angesehen werden kann. Vielmehr bereitete die Antragsgegnerin in diesem Zeitraum gerade das streitgegenständliche Vergabeverfahren vor, da sie erkannt hatte, dass der Bedarf an externen Dienstleistungen zur Primärkodierung längerfristig bestand. Somit ist festzustellen, dass der streitgegenständliche Vertrag und die von Oktober 2018 bis Januar 2019 beauftragten Dienstleistungen einen einheitlichen Dienstleistungsauftrag bilden, der angesichts seines Gesamtwerts den Schwellenwert überschreitet.
Da nach Überzeugung der Vergabekammer Südbayern von einem Gesamtbeschaffungsbedarf auszugehen, der den Schwellenwert übersteigt, konnte die Antragsgegnerin die gebotenen europaweite Vergabe auch nicht dadurch umgehen, dass sie das Auftragsvolumen betragsmäßig auf 200.000 € begrenzt hatte. Eine mit dem Ziel der Vermeidung eines europaweiten Vergabeverführens vorgenommene Begrenzung der Vertragslaufzeit bei an sich längerfristig bestehendem Bedarf stellt eine gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 VgV unzulässige Aufteilung des Auftrags und damit eine Umgehung vergaberechtlicher Vorschriften dar (so schon OLG Frankfurt, Beschluss vom 07.09.2004 -11 Verg 11/04). Der Antragsgegnerin ist es zwar möglicherweise unbenommen, den einheitlichen Beschaffungsbedarf ggf. in verschiedene Teilaufträge mit einer Deckelung des Auftragswerts aufzuteilen, für die Ermittlung des Schwellenwertes und damit für die Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts kommt es aber auf den gesamten Beschaffungsbedarf während des vorgesehenen vierjährigen Zeitraums an (vgl. auch § 3 Abs. 7 VgV). Auf eine besondere Umgehungsabsicht des Vergaberechts kommt es im Falle einer Aufteilung eines einheitlichen Beschaffungsbedarf nicht an (EuGH vom 15.03.2012, Rs.-C574/10 Rn. 49).
1.3. Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt.
Die Antragstellerin hat ihr Interesse am Auftrag durch die Abgabe eines Angebots nachgewiesen. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit diesem Nachprüfungsantrag einen anderen Zweck verfolgt, als den, den strittigen Auftrag zu erhalten. Die Antragstellerin hat eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB insbesondere durch das Fehlen der schriftlichen Vorinformation gemäß § 134 GWB und einer umfassenden und eindeutigen Leistungsbeschreibung sowie den nicht veröffentlichten Eignungs- und Zuschlagskriterien geltend gemacht.
1.4. Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 GWB entgegen, da nach § 160 Abs. 3 S. 2 GWB bei einem Feststellungsantrag nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB keine Rügeobliegenheit besteht. Im Gegensatz zum Wortlaut des § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB a.F. knüpft die Rechtsfolge der Unwirksamkeit des § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht mehr an die fehlende Beteiligung anderer Unternehmen an der Auftragsvergabe an, sondern ausschließlich an der unterlassenen Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union. Daher ist muss auch ein Unternehmen, das sie Möglichkeit hatte, sich an der Ausschreibung zu beteiligen, auf Grund der klaren gesetzlichen Regelung des § 160 Abs. 3 S. 2 GWB nicht vorab die unterlassene europaweite Bekanntmachung bei einer de-facto Vergabe rügen.
2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Der an die Beigeladene erteilte Zuschlag ist für unwirksam zu erklären. Die Antragstellerin ist durch die unterbliebene gebotene europaweite Ausschreibung in ihren Rechten verletzt.
Was die Rechtsverletzung der Antragstellerin anbelangt, so ist zwar zunächst richtig, dass die Antragstellerin allein infolge des Unterbleibens einer europaweiten Bekanntmachung im Supplement des Amtsblatts der EU keinen Nachteil erfahren hat. Sie hatte Kenntnis von der anstehenden, national publizierten Vergabe erlangt und konnte sich am Wettbewerb beteiligen. Allerdings ist ein Nachteil infolge eines rein nationalen Verfahrens nicht bereits dann ausgeschlossen, wenn die Beteiligung am Wettbewerb möglich war und der Rechtsschutz durch die Nachprüfungsinstanzen gewährleistet ist. Ein Nachteil kann vielmehr auch darin liegen, wenn im Rahmen der Durchführung des Vergabeverfahrens Normen zur Anwendung kommen, die sich dem Bieter gegenüber als nachteilig im Vergleich zu den korrekterweise anzuwendenden Normen darstellen (vgl. VK Bund, Beschluss vom 27.05.2014 – VK 2-31/14). Es ist daher entscheidend, ob der Antragsteller hinreichend dargelegt hat, dass er in einem neu durchzuführenden Vergabeverfahren mit einer europaweiten Ausschreibung eine bessere Chance auf den Zuschlag hätte. (vgl. OLG München, Beschluss vom 02.06.2016 – Verg 15/15).
Die Ausführungen der Antragstellerin sind zusammen mit den Unterlagen aus der Vergabeakte ausreichend, um zu beurteilen, dass die Antragstellerin bei einer ordnungsgemäßen europaweiten Ausschreibung bessere Zuschlagschancen gehabt hätte.
Für die Antragstellerin war es nachteilig, dass die Antragsgegnerin weder Zuschlagskriterien noch deren Gewichtung in seinen Vergabeunterlagen bekanntgemacht hat, obwohl dies nach § 127 Abs. 5 GWB und § 58 Abs. 3 VgV vorgeschrieben ist. Die notwendige Transparenz der Zuschlagskriterien war damit nicht gegeben. Erst den Auftragsunterlagen war zu entnehmen, dass der Gesamtpreis der Dienstleistung das alleinige Zuschlagskriterium ist, allerdings waren Preise für diverse unterschiedliche Dienstleistungen abgefragt und nicht bekannt gegeben, wie diese Preise untereinander in Relation gesetzt würden. Die Fallpauschale für eine Primärkodierung ging mit 95% in die Gesamtwertung ein, während die Pauschale für einen MDK-Fall mit 5% gewichtet wurde. Dies war nirgends so bekannt gegeben und wurde nur in der internen Angebotsauswertung der Antragsgegnerin so aufgeführt und auch bei der Berechnung des Gesamtpreises von 200 Fällen so angewandt. Die Antragstellerin hat für beide abgefragten Preise unterschiedliche Pauschalen angeboten. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Antragstellerin in einer europaweiten Ausschreibung bei Kenntnis der Gewichtung der einzelnen Preiskomponenten, diese in ihrer Preisgestaltung und Kalkulation anders berücksichtigt hätte und damit ein preislich besseres Angebot als die Beigeladene abgegeben hätte.
Entscheidend ist im vorliegenden Fall aber, dass die Antragsgegnerin bei der Vergabe des Auftrags davon ausgegangen ist, gar nicht dem Vergaberecht zu unterliegen. Dies wäre im Falle einer Unterschreitung der Schwellenwerte wohl auch zutreffend, da die Antragsgegnerin als kommunale GmbH beispielsweise nicht die UVgO anwenden muss. In einem solchen Fall liegt – anders als bei einem formellen und korrekt durchgeführten Vergabeverfahren nach den jeweiligen Regelungen für den Unterschwellenbereich – eine mögliche Verschlechterung der Zuschlagschancen auf der Hand. Unterliegt der Auftraggeber tatsächlich nicht dem Vergaberecht, kann er im Rahmen der Privatautonomie Verträge abschließen mit wem er will und muss die vergaberechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz gerade nicht beachten. Die Antragsgegnerin hat ausdrücklich in ihrem Schriftsatz vom 31.05.2019 betont, dass sie als privatwirtschaftliches Unternehmen im Unterschwellenbereich reinen internen Vergaberegeln unterworfen ist und keine Bindung an Regeln des förmlichen Vergaberechts besteht. Unterhalb der Schwellenwerte konnte die Antragsgegnerin daher den Auftrag nach eigenem Gutdünken an einen der Bieter, von dem sie ein Angebot eingeholt hat, erteilen. Dies hat sie auch getan, indem sie erst nach Angebotseinholung entschieden hat, nach welchen Kriterien sie den Auftrag erteilen wird. Dies ist hier insbesondere dadurch ersichtlich, dass die Antragsgegnerin nicht wie in ihrem Angebotsschreiben angeklungen, ausschließlich den Gesamtpreis berücksichtigt, sondern einerseits die verschiedenen Preiskomponenten untereinander gewichtet, nachträglich eine Berechnungspauschale für Reise- und Übernachtungskosten festgelegt und letztlich auch die Erfahrung der Bieter bei der Wertungsentscheidung berücksichtigt hat. Sie hat auch nicht den Bieter beauftragt, der das preisgünstigste Angebot abgeben hat, sondern den Beigeladenen, der nach Auffassung der Antragsgegnerin über größere Erfahrung verfügte. Aus diesem Grund ist auch nicht sichergestellt, dass die Antragstellerin – hätte sie das preisgünstigste Angebote abgegeben – tatsächlich den Zuschlag erhalten hätte. Da im vorliegenden Vergabeverfahren nicht einmal den Regeln für nationale Vergaben zur Anwendung kamen, ist zu Gunsten der Antragstellerin davon auszugehen, dass sie auf jeden Fall in einem geregelten europaweiten Verfahren, das nach den Grundsätzen des § 97 GWB transparent und willkürfrei durchzuführen ist, eine bessere Chance auf den Zuschlag gehabt hätte.
3. Kosten des Verfahrens
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S.1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegend die Antragsgegnerin.
Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.
Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens.
Von der Antragstellerin wurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskraft erstattet.
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB.
Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i.S.v. § 182 Abs. 4 S.4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, da eine umfassende Rechtskenntnis und damit eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens nach dem GWB nicht erwartet werden kann. Zur Durchsetzung ihrer Rechte ist die Antragsstellerin hier aufgrund der komplexen Rechtsmaterie auf anwaltliche Vertretung angewiesen.
Auch wenn der Beigeladene keine Anträge gestellt hat, muss die Vergabekammer von Amts wegen über die Aufwendungen des Beigeladenen entscheiden.
Der Beigeladene hat sich weder durch schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag und die Stellung von Anträgen aktiv am Verfahren beteiligt. Damit hat er das gegenständliche Verfahren nicht wesentlich gefördert oder ein Kostenrisiko auf sich genommen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.06.2014, VII-Verg 12/03). Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird somit nicht als notwendig i.S.v. § 182 Abs. 4 S.1, S.2 und 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S.3, Abs. 3 S.2 BayVwVfG angesehen.


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