Baurecht

Verletzung der gemeindlichen Planungshoheit durch Erteilung eines Bauvorbescheids

Aktenzeichen  9 B 15.1789

Datum:
7.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 44353
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 36 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Maßstab für die Prüfung der Frage, ob die Gemeinde ihr Einvernehmen rechtmäßig oder rechtswidrig versagt hat, sind die Zulässigkeitsregeln der §§ 31 und 33 bis 35 BauGB. Die jeweils einschlägigen Vorschriften sind auf das Rechtsmittel der Gemeinde in vollem Umfang nachzuprüfen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

4 K 12.1115 2013-11-12 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I.
Das Verfahren wird eingestellt.
II.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 12. November 2013 ist wirkungslos geworden.
III.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
IV.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

Das Verfahren ist aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Hauptbeteiligten (Schriftsatz der Klägerin vom 16.2.2016 und Schriftsatz des Beklagten vom 25.2.2016) einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO in entsprechender Anwendung). Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 12. November 2013 ist wirkungslos geworden (§ 173 VwGO, § 269 Abs. 3 ZPO in entsprechender Anwendung).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Maßgeblich für die Kostenentscheidung nach billigem Ermessen ist hier, dass die Klage voraussichtlich Erfolg gehabt hätte, weil der angefochtene Vorbescheid vom 16. November 2012 rechtswidrig war und die Klägerin in ihrer Planungshoheit verletzt hat (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Planungshoheit der Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV) wird in baurechtlichen Genehmigungsverfahren dadurch geschützt, dass über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens nach den §§ 31 und 33 bis 35 BauGB gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden werden darf (vgl. BVerwG, U. v. 20.5.2010 – 4 C 7/09 – NVwZ 2010, 1561/1565). Fehlendes Einvernehmen darf die Baugenehmigungsbehörde nur ersetzen, wenn es zu Unrecht verweigert wurde, weil das Vorhaben nach den §§ 31 und 33 bis 35 BauGB zulässig ist (Art. 67 Abs. 1 BayBO, § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB). Maßstab für die Prüfung der Frage, ob die Gemeinde ihr Einvernehmen rechtmäßig oder rechtswidrig versagt hat, sind die Zulässigkeitsregeln der § 31 und 33 bis 35 BauGB. Die jeweils einschlägigen Vorschriften sind auf das Rechtsmittel der Gemeinde in vollem Umfang nachzuprüfen (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: 1.8.2015, § 36 BauGB Rn. 13 m. w. N.).
Wie das Verwaltungsgericht selbst ausgeführt hat, war der angefochtene Vorbescheid deswegen rechtswidrig, weil über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 34 BauGB nicht unter Ausklammerung der Prüfung entschieden werden kann, ob das Vorhaben dem Gebot der Rücksichtnahme entspricht (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand: September 2015, § 71 Rn. 73 m. w. N.).
Soweit sich das Verwaltungsgericht hinsichtlich seiner Annahme einer fehlenden Rechtsverletzung der Klägerin jedoch auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Januar 2006 (Az. 4 B 48/05) berufen hat, wurde nicht beachtet, dass es dort um eine Klage gegen die Ersetzung des Einvernehmens im Zusammenhang mit einem planfeststellungsbedürftigen Vorhaben und die Frage ging, ob die Gemeinde trotz der Wahl eines falschen Verfahrens – baurechtliches Zustimmungsverfahren statt Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren – nicht in ihren Rechten verletzt werde. Die Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts, § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB begründe hinsichtlich der materiellen Planungshoheit keine Rechte, sondern setze sie vielmehr voraus, bezieht sich auf diese besondere verfahrensrechtliche Fallkonstellation und erlaubt daher keine Rückschlüsse zur Rechtsposition der Gemeinde im Falle der Anwendbarkeit des § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Ist der Anwendungsbereich des § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB eröffnet, entfaltet sich dessen planungsrechtliche Schutzfunktion der Sicherung der gemeindlichen Planungshoheit (vgl. BVerwG, B. v. 11.8.2008 – 4 B 25/08 – BayVBl 2009, 27).
Hinsichtlich der Beigeladenen wäre es unbillig, diesen – außer ihren außergerichtlichen Kosten – sonstige Verfahrenskosten aufzubürden, weil sie weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Berufungsverfahren einen Sachantrag gestellt und auch kein Rechtsmittel eingelegt haben (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Streitwert: § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG.


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