Baurecht

Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch Geruchs- und Lärmimmissionen im Dorfgebiet und angrenzendem Außenbereich

Aktenzeichen  M 9 K 17.4571

Datum:
11.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 20911
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 71
BauGB § 35 Abs. 3 S. 1
BauNVO § 5, § 15 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Die Verletzung von Nachbarrechten kann unter anderem dann wirksam geltend gemacht werden, wenn durch das Vorhaben das Gebot der Rücksichtnahme verletzt wird, dem drittschützende Wirkung zukommen kann (hier Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch von zwei im Dorfgebiet und angrenzendem Außenbereich geplanten Rinderställen ausgehenden Geruchs- und Lärmimmissionen verneint). (Rn. 26 – 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1) zu tragen.
Der Beigeladene zu 2) trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kostenschuldner dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Der angefochtene Vorbescheid verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Rechtsbehelf eines Nachbarn kann ohne Rücksicht auf eine etwaige objektive Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer baurechtlichen Genehmigung nur dann Erfolg haben, wenn die erteilte Genehmigung gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die gerade auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind und wenn dieser dadurch in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen ist. Die Verletzung von Nachbarrechten kann darüber hinaus wirksam geltend gemacht werden, wenn durch das Vorhaben das Gebot der Rücksichtnahme verletzt wird, dem drittschützende Wirkung zukommen kann. Eine Verletzung von Nachbarrechten kommt ausnahmsweise auch dann in Betracht, wenn eine baurechtliche Genehmigung gegen das Bestimmtheitsgebot verstößt und es deshalb für den Nachbarn – auch unter Heranziehung der Genehmigungsunterlagen – nicht erkennbar ist, ob eine Verletzung von Nachbarrechten vorliegt. Dabei gilt, dass maßgeblich für eine mögliche Rechtsverletzung nur Vorschriften sind, die zum Prüfprogramm der beantragten baurechtlichen Genehmigung gehören.
Für den hier vorliegenden Fall eines Vorbescheids, der unter den gleichen Voraussetzungen wie eine Baugenehmigung angefochten werden kann, gehört dazu nur das, was bei der Bauvoranfrage abgefragt wurde; nur insoweit entsteht eine Bindungswirkung (Art. 71 BayBO).
Im vorliegenden Fall wurde die Vorbescheidsanfrage auf die planungsrechtliche Zulässigkeit der Situierung eines Milchviehstalls für maximal 60 Milchkühe mit den Maßen 54 m x 22 m sowie eines Jungviehstalls für maximal 60 Stück Jungvieh mit den Maßen 27 m x 18 m sowie deren Lage auf dem Grundstück beschränkt. Dementsprechend beschränkt sich der Prüfungsumfang des Vorbescheids auf die planungsrechtliche Zulässigkeit dieser beiden Ställe.
Soweit im Klageverfahren vorgetragen wird, der Vorbescheid genüge nicht dem Bestimmtheitserfordernis, trifft dies nicht zu.
Der Prüfungsumfang einer Bauvoranfrage richtet sich nach der Fragestellung. Ein Vorbescheid ist dementsprechend nicht bereits deshalb unbestimmt, weil darüber hinausgehende, im Baugenehmigungsverfahren vor Erteilung einer Baugenehmigung zu prüfende Vorschriften nicht geprüft wurden.
Wenn – wie hier – nach der Lage von zwei Ställen auf dem Grundstück gefragt wird, beschränkt sich die Prüfung rechtlich zutreffend auch nur auf die planungsrechtliche Zulässigkeit auf der Grundlage der gemachten Angaben und der Planzeichnung, die zum Bestandteil der Baugenehmigung vom 21. August 2017 gemacht wurde (Bl. 35 BA). Dementsprechend ist auch ein Nachbar mit seinen Einwänden gegen das Bauvorhaben in nachbarrechtlicher Hinsicht auf das beschränkt, was in der Bauvoranfrage gefragt und im Vorbescheid entschieden wurde, da auch nur insofern eine Bindungswirkung ihm gegenüber eintritt.
Der Vorbescheid verletzt nicht das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme. Im vorliegenden Fall liegt nach dem Ergebnis des Augenscheins und den Darstellungen des Flächennutzungsplans entlang der …straße ein Dorfgebiet vor, wobei wegen der Ortsrandlage der Jungviehstall in den Außenbereich hineinragt, sodass sich das Gebot der Rücksichtnahme aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB ableitet.
Unabhängig von der Lage ist hier das Bauvorhaben als privilegiertes landwirtschaftliches Vorhaben – sowohl im Dorfgebiet als auch im Außenbereich – bauplanungsrechtlich zulässig, ohne dass durch Immissionen die Kläger in eigenen Rechten verletzt werden. Dabei ist unter dem Gesichtspunkt der gegenseitigen Rücksichtnahme und der jeweiligen Schutzbedürftigkeit auch zu berücksichtigen, dass die Kläger Landwirte sind.
Im Einzelnen gilt:
Eine Nachbarrechtsverletzung durch Geruchsimmissionen scheidet im Rahmen des Prüfungsgegenstands der Bauvoranfrage aus. Das Landratsamt hat im Rahmen seiner Stellungnahme zutreffend auf die Abstandsregelung für Rinderhaltung – Bayerischer Arbeitskreis „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“, Kap. 3.3.2 abgestellt und auf der Grundlage des maximalen Tierbestands, umgerechnet auf Großvieheinheiten, Geruchsschwellenabstände ermittelt. Wegen der Entfernung zum Jungviehstall sind im Falle der Kläger der Abstand zwischen dem Wohnhaus und der nächsten immissionsrelevanten Stallaußenwand des freigelüfteten Milchviehstalles maßgeblich, wobei ab einer Entfernung von mehr als 31,80 m (grüner Bereich) keine Einzelfallprüfung mehr erforderlich wird.
Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme durch eventuelle Tiergeräusche bei Nacht ist ebenfalls nicht erkennbar.
Zum einen sind Tiergeräusche bei Nacht regelmäßig im Dorfgebiet zumutbar.
Zum anderen wird nach dem Ergebnis des Augenscheins und des Lageplans durch die offene Stallseite Richtung Westen nicht das nördlich liegende Grundstück der Kläger betroffen.
Eine Verletzung der Abstandsflächen ist zum Grundstück der Kläger nach Aktenlage und dem Ergebnis des Augenscheins nicht anzunehmen.
Im Übrigen gehören die Abstandsflächen nicht zum Prüfungsgegenstand und nehmen daher auch nicht an der Bindungswirkung des Vorbescheides teil.
Insgesamt war die Klage daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 und 3 VwGO abzuweisen.
Da der Beigeladene zu 1) einen Antrag gestellt hat und sich damit dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat, entsprach es der Billigkeit, dass die Kläger seine außergerichtlichen Kosten tragen.
Der Beigeladene zu 2) ist kein Kostenrisiko eingegangen, sodass es der Billigkeit entspricht, dass er seine außergerichtlichen Kosten selber trägt.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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