Baurecht

Verlust eines Anspruchs wegen Zeitablaufs nach Treu und Glauben

Aktenzeichen  RN 6 K 17.2047

Datum:
14.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 12101
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Im baurechtlichen Nachbarschaftsverhältnis können Ansprüche auf bauaufsichtliches Einschreiten regelmäßig ein Jahr nach Erkennbarkeit einer Baumaßnahme nach Treu und Glauben nicht mehr geltend gemacht werden; maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. (Rn. 77 – 78)
2. Die in den LAI Hinweisen 2012 genannten Grenzwerte für eine erhebliche Belästigung der Blendungen von Photovoltaikanlagen von 30 min/Tag oder 30 h/Jahr haben nicht die Qualität eines antizipierten Sachverständigengutachtens, da die Zumutbarkeit nach Art des Baugebiets nicht berücksichtigt wird. (Rn. 94 – 99)

Tenor

I. Der Beklagte wird verpflichtet, durch Anordnung bauaufsichtlicher Maßnahmen gegenüber der Beigeladenen zu erreichen, dass von den Photovoltaikanlagen auf dem mit Bescheid des Landratsamtes Kelheim vom 13.9.2010 genehmigten Anbau keine von anderen Blendwirkungen unterscheidbare Blendwirkungen im Bereich des klägerischen Grundstückes eintreten.
Die Bescheide vom 24.2.2011 und 16.8.2013 werden aufgehoben, soweit sie dieser Verpflichtung widersprechen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt zwei Drittel, der Beklagte trägt ein Drittel der Kosten des Verfahrens.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist teilweise unzulässig, da das Klagerecht hinsichtlich der Blendungen durch die Photovoltaikanlagen auf dem Dach und den Hallen 1 und 2 verwirkt bzw. die Geltendmachung von Rechten nach dem Grundsatz von Treu und Glauben unzulässig ist.
Der Einwand der Verwirkung eines materiellen Rechtsanspruches setzt neben dem Zeitablauf ein Umstandsmoment voraus. Der Inhaber eines Anspruchs oder Gestaltungsrechts muss innerhalb eines längeren Zeitraums unter Verhältnissen untätig geblieben sein, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt. Erst dadurch wird eine Situation geschaffen, auf die der jeweilige Gegner vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (BVerwG, B.v. 23.12.2015, 2 B 40/14, juris).
Dieses Umstandsmoment setzt im öffentlichen Nachbarrecht über den langen Zeitraum der Nichtgeltendmachung eine Vertrauensgrundlage voraus. Es wird in der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (B.v. 30.4.2019, 15 ZB 18.979, der den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung in Abdruck übergeben wurde, m.w.N.) wie folgt definiert:
„Der Bauherr muss ferner darauf vertraut haben, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand), und er muss sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensgrundlage).“
Diese Voraussetzungen sind aber gerade im Baunachbarrecht oft schwierig festzustellen, wenn es darum geht, dass ein Gebäude(teil) bereits errichtet wurde.
Der Begriff der Verwirkung wird hinsichtlich materiell-rechtlicher wie auch prozessualer Ansprüche verwendet. Es handelt sich dabei nur um eine der unterschiedlichen Ausprägungen des Grundsatzes, dass nach Treu und Glauben die Geltendmachung von Ansprüchen unzulässig sein kann (zur Unterscheidung: BayVGH, B.v. 30.4.2019, 15 ZB 18.979). Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben kann die Geltendmachung auch allein aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr möglich sein. Ohne den geltend gemachten Anspruch materiell zu prüfen, führt diese formelle „Verwirkung“ bzw. der Verstoß gegen Treu und Glauben dazu, dass ein Anspruch nicht mehr geltend gemacht werden kann (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand: Okt. 2018, Art. 66, 542 ff.).
Ungeachtet der unterschiedlichen Definition der (formellen) Verwirkung oder des Verlustes des Klagerechts nach Treu und Glauben wird die Unzulässigkeit der Klage bei einer zu langen Dauer bis zur Geltendmachung eines Rechts in der Rechtsprechung allgemein angenommen (u.a. BVerwG, U.v. 25.1.1974, IV C 2/72; BVerwG U.v. 7.2.1974, III C 115.71; U. v.16.5.1991, 4 C 4.89; B.v. 28.8.1987, 4 N 3/86; B.v. 12.1.2004, 3 B 101.03; B.v. 12.1.2004, 3 B 101.03; U.v. 27.7.2005, 8 C 15/04; B.v. 23.12.2015, 2 B 40/14; VG Würzburg, U.v. 6.12.2016, W 4 K 16.219, jeweils juris).
Wartet ein durch eine Maßnahme Beschwerter eine so lange Zeit ab, dass derjenige, der die Maßnahme durchgeführt hat, nicht mehr mit einem Tätigwerden rechnen musste, kann von dem formellen Begriff der Verwirkung bzw. dem Verlust der Geltendmachung des Rechts nach Treu und Glauben ausgegangen werden. Der lange Zeitraum lässt das Umstandsmoment in den Hintergrund treten. Auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten des effektiv zu gewährenden Rechtsschutzes kann bei unbefristet zu stellenden Anträgen das für die Zulässigkeit einer Klage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis entfallen, das nach dem Grundsatz von Treu und Glauben eine gemeinsame Sachentscheidungsvoraussetzung nach allen Prozessordnungen ist (BVerfG, B.v. 4.3.2008, 2 BvR 2111/07, juris).
Das Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) weist darauf hin, dass ohne das Vorliegen eines Umstandsmomentes der zulässige Zeitraum der Untätigkeit, ab dem von einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses ausgegangen werden kann, im Einzelfall unter Abwägung der Umstände zu ermitteln sei.
Fraglich ist, ob dies damit unter besonderer Berücksichtigung des Nachbarrechts bei Bauvorhaben als Umstandsmoment im weiteren Sinne aufgefasst werden kann.
Im Bereich des Baurechts ist hinsichtlich der Länge der Zeit, ab der eine Verwirkung oder ein Rechtsverlust nach Treu und Glauben eintritt, zu berücksichtigen, dass sich ein baurechtlicher Nachbar nicht nur gegen die Baugenehmigungs- bzw. Bauaufsichtsbehörde richtet, für die das zugrunde liegende Verfahren abgeschlossen ist. Viel eingreifender sind die möglichen Auswirkungen auf den betroffenen Bauherrn, mit dem sich der Nachbar in der Regel in einem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis befindet. Von dem baurechtlichen Nachbarn ist daher zu erwarten, dass er sich umgehend an die zuständige Baugenehmigungs- und Bauaufsichtsbehörde wendet, sobald durch eine bauliche Änderung die Gefahr erkennbar wird, in eigenen Rechten verletzt zu werden.
Zur Frage, nach welcher Zeit eine Verwirkung eintritt, werden in der Rechtsprechung (in Anlehnung an § 58 Abs. 2 VwGO) meistens Zeiträume ab einem Jahr diskutiert, auch wenn nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls auch kürzere Zeiträume in Betracht kommen (BVerwG, B.v. 11.9.2018, 4 B 34/18, juris). Der VGH Baden-Württemberg hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1987 die Verwirkung nachbarlicher Rechte acht Monate nach erkennbarem Baubeginn bejaht (B. v. 28.8.1987, 8 S 1345.87). Die Kammer hat eine Verwirkung bei einer zehn Monate nach Baubeginn (Urt. v. 2.12.2008 mit Verweis auf Gerichtsbescheid vom 3.9.2008, RN 6 K 07.1628) bzw. 18 Monate nach Fertigstellung einer Baumaßnahme erfolgten Rüge angenommen (U.v. 6.11.1990, RN 6 K 89.1145).
Soweit der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (B.v. 30.4.2019, 15 ZB 18.979) darauf verweist, dass unabhängig von der Frage der tatsächlichen oder möglichen Kenntnisnahme der Errichtung einer durch eine Baugenehmigung genehmigten baulichen Anlage ein Nachbar nach einem Jahr einen Verstoß gegen Treu und Glauben nicht mehr geltend machen kann, bezieht sich dies zunächst nur auf genehmigte Bauvorhaben. Der Grund für diesen Verstoß gegen Treu und Glauben liegt aber im baurechtlichen Nachbarschaftsverhältnis, das unter Berücksichtigung von Besonderheiten im Einzelfall auch in den Fällen maßgeblich ist, in denen ein Nachbar von einem nicht genehmigten Bauvorhaben Kenntnis erlangt. Es gilt damit auch entsprechend für Ansprüche auf bauaufsichtliches Einschreiten.
Hinsichtlich der Photovoltaikanlagen auf dem Dach ist davon auszugehen, dass bei einer Errichtung ab dem Jahr 2004 die unterlassene Geltendmachung schon vor dem Jahr 2008 zum Vertrauen der Beigeladenen geführt hat, dass gegen die Blendwirkungen seitens der Klägerin nicht vorgegangen wird. Es wurden deshalb auch weitere Investitionen getätigt. Es war damit bei erstmaliger Geltendmachung der Verletzung von Nachbarrechten, zunächst nur wegen Schneelasten, mit Schreiben vom 2.11.2011 neben dem Zeitmoment auch das Umstandsmoment gegeben, sodass in diesem Fall eine Verwirkung des materiellen Anspruchs vorliegt.
Die Photovoltaikanlagen auf den Hallen 1 und 2 werden wie die anderen Photovoltaikanlagen von der Beigeladenen zur Stromgewinnung betrieben. Für Errichtung und Betrieb wäre auch hinsichtlich der Photovoltaikanlagen eine Baugenehmigung erforderlich gewesen. Werden baugenehmigungsfreie Bauvorhaben, Art. 63 Abs. 1 Nr. 2 c BayBO (1998) im Zusammenhang mit baugenehmigungspflichtigen Bauvorhaben errichtet, handelt es sich nicht um selbständige Bauvorhaben, sodass das gesamte Bauvorhaben genehmigungspflichtig ist (Simon/Busse, BayBO, Stand: Aug. 2007, Art. 63 BayBO 1998, Rdnrn. 7, 8, demensprechend auch für die ab 1.9.2008 geltende Neufassung der Bayerischen Bauordnung mit Genehmigungsfreiheit für Photovoltaikanlagen nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 3 a aa BayBO 2008 Simon/Busse, BayBO, Stand: Okt. 2018, Art. 57, Rdnr. 9). Die Baugenehmigung vom 7.7.2008 umfasste nicht die Photovoltaikanlagen, sodass diese formell rechtswidrig errichtet wurden. Die Klägerin ist im Übrigen hinsichtlich der Photovoltaikanlagen nicht aufgrund ihrer Nachbarunterschrift auf den Bauplänen an der Geltendmachung ihrer Ansprüche gehindert.
Obwohl damit keine unmittelbar mit dem Verfahren in dem vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (B.v. 30.4.2019, 15 ZB 18.979) entschiedenen Fall vergleichbare Ausgangslage vorliegt, kann wegen der vergleichbaren Situation spätestens ein Jahr nach der zumindest am 21.10.2008 (Foto im Bauakt) erfolgten Fertigstellung ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht mehr geltend gemacht werden. Darüber hinaus stellt die Duldung der Photovoltaikanlagen auf dem Dach nicht nur hinsichtlich der Verwirkung der diesbezüglichen Ansprüche ein Umstandsmoment dar, sondern auch hinsichtlich der Photovoltaikanlagen auf den Hallen 1 und 2, auf denen die Photovoltaikanlagen ersichtlich auch vor dem Hintergrund der Duldung der Photovoltaikanlagen auf dem Dach errichtet wurden.
Dahinstehen kann, ob die vorangehende Duldung auch ein Umstandsmoment hinsichtlich der Photovoltaikanlagen auf dem Anbau darstellen kann, da bezüglich dieser Photovoltaikanlagen bereits das fehlende Zeitmoment einer Verwirkung oder einem Rechtsverlust nach Treu und Glauben entgegensteht. Die am 12.10.2010 erhobene Klage richtete sich zwar nur gegen die Baugenehmigung vom 13.9.2010, die keine Genehmigung der Photovoltaikanlage enthält, der Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten vom 11./15.2.2011 wurde aber rechtzeitig gestellt und die Klage gegen den ablehnenden Beschluss vom 24.2.2011 rechtzeitig erhoben, sodass dem Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten keine Verwirkung und kein Rechtsverlust nach Treu und Glauben entgegenstehen. Die Klage ist damit hinsichtlich des Anspruchs auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Photovoltaikanlagen auf dem Anbau zulässig.
II.
Soweit die Klage zulässig ist, ist sie auch im Wesentlichen begründet, da die Klägerin hinsichtlich der Photovoltaikanlagen auf dem Anbau in eigenen Rechten verletzt wird,
§ 113 Abs. 5 VwGO.
Der Beklagte hat als Bauaufsichtsbehörde, Art. 53 BayBO, die Aufgabe, die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu überwachen, Art. 54 Abs. 2 BayBO, und die Befugnis, die dafür erforderlichen Maßnahmen zu treffen, Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO. Möglich ist dabei auch die Anordnung der Beseitigung einer baulichen Anlage, Art. 76 Satz 1 BayBO. Die Behörde hat dabei nach pflichtgemäßem Ermessen zu handeln.
Die Anordnung bauaufsichtlicher Maßnahmen kann rechtmäßig und geboten sein, soweit nicht aufgrund einer Baugenehmigung eine bauliche Anlage formell rechtmäßig errichtet wurde. Genehmigt wurde mit Bescheid vom 13.9.2010 zwar der Anbau, nicht aber die darauf befindlichen Photovoltaikanlagen (VG Regensburg, Gb.v. 10.5.2011, RN 6 K 10.1835, BayVGH, B.v. 10.10.2013, 15 ZB 11.1416). Diese sind damit formell rechtswidrig, da aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs die Anbringung der Photovoltaikanlagen kein eigenständiges und nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 3 a aa BayBO (2008) verfahrensfreies Bauvorhaben war (s.o.), sondern mit dem Anbau hätten genehmigt werden müssen.
Neben der fehlenden formellen Rechtmäßigkeit führt fehlende materielle Rechtmäßigkeit dazu, dass der Beklagte bauaufsichtlich einschreiten kann.
Ein Dritter hat grundsätzlich keinen Rechtsanspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten. Wird er in eigenen Rechten durch ein Bauvorhaben verletzt, hat er einen Anspruch darauf, dass über seinen Antrag ermessensgerecht entschieden wird. Dabei kann das Gericht in einem Klageverfahren in aller Regel nur überprüfen, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat. Als „scheinbare Ausnahme“ (Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 114, Rdnr. 6) hiervon kann insbesondere bei besonderer Schwere einer Rechtsverletzung das Ermessen so reduziert sein, dass nur noch ein bauaufsichtliches Einschreiten rechtmäßig ist. Bei dieser Ermessensreduzierung auf Null hat der Kläger einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten, das dann vom Gericht angeordnet werden kann und muss. Zu unterscheiden sind dabei Ansprüche, dass die Behörde in irgendeiner Weise tätig wird, dass die Rechtsverletzung beseitigt wird, von Ansprüchen, dass die Behörde in einer bestimmten Weise (z.B. Beseitigungsanordnung) tätig wird. Da die Behörde regelmäßig auch hinsichtlich der Wahl ihrer Mittel einen Ermessensspielraum hat, ist ein Anspruch auf eine bestimmte Anordnung nur möglich, wenn auch diesbezüglich eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt.
Die Blendwirkungen verletzen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot, § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, da das Maß der Absolutblendung für einen nicht mehr zumutbaren Zeitraum überschritten wird (s.u. 1.). Sie führen ihrer Dauer und ihrer Stärke nach zu so massiven Beeinträchtigungen, dass der Beklagte bauaufsichtlich einschreiten muss, da insoweit eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben ist (s.u. 2.). Da der Beklagte aber nicht nur die Beseitigung der Photovoltaikanlagen auf dem Anbau anordnen kann, sondern möglicherweise weniger eingreifende Maßnahmen möglich sind, kann das Gericht den Beklagten nur verpflichten, bauaufsichtliche Maßnahmen zu ergreifen (s.u. 3.). Die zu treffenden Anordnungen sind gegen die Beigeladene zu richten (s.u. 4.).
1. Blendwirkungen von Photovoltaikanlagen sind vom baurechtlichen Nachbarn nicht als bloß lästig hinzunehmen, da sie ihm gegenüber bei entsprechender Dauer und Intensität einen schwerwiegenden Eingriff bis hin zur Gesundheitsbeschädigung darstellen.
a. Nachvollziehbar haben sowohl der durch die Klägerin beauftragte Sachverständige …(A) als auch der vom Gericht beauftragte Sachverständige Dr. …(B) vom Landesamt für Umwelt ausgeführt, dass die vom menschlichen Auge zwischen 70.000 cd/m² und 250.000 cd/m², durchschnittlich bei 100.000 cd/m², eintretende Absolutblendung durch die Photovoltaikanlagen über lange Zeiträume erfolgt.
Die Absolutblendung hat dabei eine nachwirkende Störung der Sehfähigkeit, „z.B. „Schmerzen“ im Auge, Gegenreaktion des Gehirns durch Blinzelreflex oder Wegdrehen des Kopfes, helle Punkte im Sichtfeld, nachdem man in die Sonne geschaut hat“ (Gutachten …(A) vom 18.7.2011, S. 17, so auch Dr. …(B) in der mündlichen Verhandlung), zur Folge. Entgegen der nur noch geringen Blendwirkung der Sonne beim Sonnenuntergang ist die Blendwirkung der Sonne durch die Photovoltaikanlagen bei höheren Sonnenständen, auch wenn nur 1% bis 3% reflektiert werden, so hoch, dass der Messbereich der Leuchtdichtekamera des Sachverständigen Dr. …(B) von 1,9 x 107 cd/m² überschritten wurde.
Zwar kann auch leichte Bewölkung die Blendung deutlich reduzieren, es ergeben sich aber bei einer möglichen Überschreitung der Absolutblendung um das Vielfache häufig gesundheitsschädigende oder zumindest nicht hinnehmbare Blendungsintensitäten. Dabei kann ein Nachbar die Blendungen zwar abwehren, indem er in den Zeiten der möglichen Blendungen die Räume durch Jalousien verdunkelt bzw. sich nicht auf Balkonen oder sonstigen Freiflächen aufhält, die zum weiteren Wohnumfeld gehören, bzw. seine Blickrichtung von der Blendung abwendet. Dies ist ihm ohne besondere Duldungspflicht, wie sie durch Verwirkung oder Rechtsverlust nach Treu und Glauben (s.o. I.) gegeben sind, aber nicht zumutbar, wenn die Blendzeiten über einen untergeordneten Zeitraum hinausgehen.
b. Den noch zumutbaren Zeitraum geben die Sachverständigen unter Bezugnahme auf die LAI-Publikation „Hinweise zur Messung, Beurteilung und Minderung von Lichtimmissionen“ (LAI-Hinweise vom 13.9.2012, Anhang 2) mit 30 min/Tag und 30 h/Jahr an. Ausgegangen wird dabei von der möglichen astronomischen Blenddauer und nicht von der meteorologischen Blenddauer, sodass Zeiten mit Bewölkung nicht abgezogen werden müssen.
Die LAI-Hinweise stellen aber keine normkonkretisierende Vorschrift wie bei den Lärmimmissionen die TA Lärm (BayVerfGH, B.v. 20.9.2015, Vf. 9-VII-13, Vf. 4-VII-14, Vf. 10-VII-14, juris) dar. Auch kann ein Vergleich mit der Geruchsimmissionsrichtlinie GIRL nur bedingt erfolgen. Zur Feststellung der Zumutbarkeit von Gerüchen nach der GIRL führte das Bundesverwaltungsgericht (B.v. 13.1.2016, 7 B 38/15, juris) aus, es handele sich um „ein technisches Regelwerk, dessen Werte auf den Erkenntnissen und Erfahrungen von Experten beruhen und das insoweit die Bedeutung eines antizipierten generellen Sachverständigengutachtens hat. Ihre Auslegung ist keine Rechtsanwendung, sondern Tatsachenfeststellung und daher nicht revisibel.“
Die LAI-Hinweise zur Zumutbarkeit von Blendungen entsprechen einem derartigen antizipierten Sachverständigengutachten zwar dem Grunde nach, ihnen liegt aber nicht das breite Expertenwissen zugrunde wie der GIRL. Nachvollziehbar beruhen die in den LAI-Hinweisen enthaltenen allgemeinen Hinweise und auch die in Anlage 2 enthaltenen „Empfehlungen zur Ermittlung, Beurteilung und Minderung der Blendwirkung von großflächigen Freiflächen-Photovoltaikanlagen im Rahmen von Baugenehmigungsverfahren“ für die Ermittlung der Blendungen auf dem Sachverstand vieler in diesem Bereich tätiger Experten. Wie der Sachverständige Dr. …(B) in der mündlichen Verhandlung erklärte, wurden die in Anlage 2, 4. als erheblich belästigend angegebenen Blendzeiten von mindestens 30 Minuten pro Tag oder 30 Stunden pro Jahr aber nicht mit hinreichender wissenschaftlicher Untersuchung ermittelt. Der zeitliche Grenzwert wurde zunächst aus dem Bereich der Beurteilung der Zumutbarkeit von Blendwirkungen durch Windkraftanlagen entnommen. Hierbei handelt es sich jedoch um nicht vergleichbare Blendungen, da es sich nicht um Reflexionen handelt, sondern um die natürliche Sonnenstrahlung, die durch die Rotorblätter in kurzen Abständen unterbrochen wird. Dieser „Diskoeffekt“, der auch dann deutlich festgestellt wird, wenn die betroffene Person nicht direkt der Blendung ausgesetzt wird, ist völlig anderer Art als die gleichmäßige Blendung durch Photovoltaikanlagen, die aber durch die Reflexion der wesentlich höher stehenden Sonne eine vielfach höhere Intensität hat als die Sonnenstrahlung kurz vor Sonnenuntergang.
Auch wenn eine Übernahme der zeitlichen Grenzwerte der Blendungen durch Windkraftanlagen damit nicht zulässig ist, kann es dennoch möglich sein, dass diese für die zulässigen Blendzeiten durch Photovoltaikanlagen sachgerecht sind. Um diesen Grenzwerten aber die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zukommen zu lassen, müssten diese auf einem sachverständigen Niveau ermittelt bzw. bestätigt worden sein. Dies wäre nach der Darstellung des Sachverständigen Dr. …(B) nur anhand von wissenschaftlichen Untersuchungen unter Beteiligung einer großen Zahl repräsentativ ermittelter Personen möglich. Da eine derartige Untersuchung nicht vorliegt, können die Grenzwerte nach den LAI-Hinweisen nicht als Ausdruck eines repräsentativen generellen Sachverständigengutachtens herangezogen werden.
Soweit in den LAI-Hinweisen allgemein erklärt wird, dass bei Überschreitung der Blendzeiten von 30 min/Tag oder 30 h/Jahr erhebliche Belästigungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) vorliegen können, kann hieraus auch nicht unmittelbar auf die Unzumutbarkeit nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO geschlossen werden. Unabhängig davon, ob der Begriff der erheblichen Belästigungen nach §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1, 22 BImSchG durch eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift (TA Lärm, OVG Lüneburg, B.v. 11.3.2019, 12 ME 105/18, juris) konkretisiert oder wie z.B. bei der Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL) als antizipiertes Sachverständigengutachten ohne die Funktion einer Rechtsquelle (BVerwG, B.v. 5.8.2015, 4 BN 28/15, juris) bei der Prüfung eines Verstoßes gegen das nachbarschützende bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot herangezogen wird, ist eine Einzelfallprüfung erforderlich. Bei der Beurteilung einer Umwelteinwirkung als erheblich belästigend ist dabei die planungsrechtliche Situation zu beachten (BVerwG, B.v. 3.5.1996, 4 B 50/96, juris), weshalb in der TA Lärm (Nr. 6.1) und in beschränktem Umfang auch in der GIRL (Tabelle 1) je nach Baugebiet unterschiedlich hohe Immissionen zugelassen werden. Dies erscheint auch hinsichtlich der Blendzeiten erforderlich, da je nach Baugebiet, §§ 1 Abs. 2, 2 bis 11 BauNVO, sonstige Gewerbebetriebe, zu denen auch gewerblich genutzte Photovoltaikanlagen gehören, nur in unterschiedlich störendem Umfang zulässig sind. So dürfen Gewerbebetriebe im allgemeinen Wohngebiet das Wohnen nicht stören, § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO, während sie im vorliegenden faktischen Dorfgebiet, § 5 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, zulässig sind, wenn sie nicht wesentlich stören. In Gewerbegebieten sind nicht erheblich belästigende Gewerbebetriebe zulässig, § 8 Abs. 1 BauNVO.
Den LAI-Hinweisen kann auch nicht entnommen werden, ob bei der Festlegung der Grenzwerte eine Sozialadäquanz berücksichtigt wurde (BVerwG, B.v. 3.5.1996, 4 B 50/66, juris). Im Allgemeinen werden z.B. Blechdächer als zulässig angesehen, von denen starke Blendungen ausgehen können, wenn auch zu berücksichtigen ist, dass durch natürlich auf Blechdächern entstehende Beläge nach einiger Zeit die Blendwirkungen nachlassen, während Beläge auf Photovoltaikanlagen beseitigt werden. Jedoch können auch derartige Dachbedeckungen im Einzelfall rücksichtslos sein (VGH Mannheim, U.v. 19.7.2007, 3 S 1654/06, zu glasierten Dachziegeln, juris). Auch wenn die Blendwirkungen durch Photovoltaikanlagen nicht verglichen werden können mit als sozialadäquat allgemein zulässigen Lärmimmissionen von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen (was erst ab der Fassung vom 20.7.2011 zur Einfügung des § 22 Abs. 1a BImSchG „… sind im Regelfall keine schädlichen Umwelteinwirkungen …“ führte), können sich zusätzliche Immissionen in begrenztem Umfang auch oberhalb allgemeiner Grenzwerte als zumutbar erweisen, wenn die Anlage als „ortsüblich, wohntypisch und sozialadäquat“ angesehen wird (BVerwG, B.v. 3.5.1996, 4 B 50/96 zu Lärmimmissionen von Wertstoffhöfen, Aufstellung von sechs Sammelcontainern im reinen Wohngebiet). Nicht unberücksichtigt bleibt vorliegend, dass die klimaneutrale Erzeugung von Energie im Interesse der Bundesrepublik Deutschland liegt.
Bei der Prüfung, ob das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot verletzt wird, sind trotz der eingeschränkten Verwertbarkeit die Grenzwerte in den LAI-Hinweisen für das Gericht nicht ohne Bedeutung. Es handelt sich jedoch nur um eine durch sachverständige Personen geäußerte Meinung, die das Gericht bei seiner Entscheidung angemessen berücksichtigt. Da ohne unzumutbaren Mehraufwand, etwa durch eine wissenschaftliche Studie zu den Auswirkungen entsprechender Blendungen auf eine repräsentative Zahl von Personen, eine weitere Klärung der Zumutbarkeit der Blendungen nicht möglich ist, hat das Gericht anhand der vorliegenden Erkenntnisse eine Entscheidung zu treffen. Dabei ist im Rahmen der Einzelfallentscheidung auch zu berücksichtigen, dass vorliegend durch die Größe der verschiedenen Photovoltaikanlagen und ihrer nach Ausrichtung und Entfernung unterschiedlichen Situierung ein Ausnahmefall hinsichtlich der Blendzeiten auf dem Grundstück der Klägerin vorliegt.
Die Blendungen durch Photovoltaikanlagen sind wegen ihrer hohen Intensität nur zeitlich begrenzt zulässig, können aber andererseits nicht generell ausgeschlossen werden. Im vorliegenden faktischen Dorfgebiet ist die Stromerzeugung mit Photovoltaikanlagen als sonstigem Gewerbebetrieb, § 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO, zwar allgemein zulässig (BayVGH, U.v. 30.1.2014, 15 B 11.750, juris), wie bei anderen gewerblichen Betrieben sind in einem Dorfgebiet dem Nachbarn aber lediglich Immissionen zumutbar, die das Wohnen nicht wesentlich stören, § 5 Abs. 1 BauNVO. Es sind deshalb Störungen zulässig, die über das in allgemeinen oder reinen Wohngebieten zulässige Maß hinausgehen.
Auch wenn das Gericht nicht verkennt, dass die Blendungen durch die Photovoltaikanlagen nicht mit den Blendungen bei Windkraftanlagen vergleichbar sind, erscheint es wegen der hohen Intensität durchaus vertretbar, Blendzeiten von über 30 min/Tag und 30 h/Jahr als erhebliche Belästigungen anzusehen (LAI-Hinweise vom 13.9.2012, Anhang 2, 4.). Dabei kann vorliegend die genaue Dauer noch zumutbarer Blendzeiten in einem Dorfgebiet dahinstehen. Auch wenn gegenüber den in den LAI-Hinweisen genannten Werten erheblich höhere Grenzwerte angesetzt werden könnten, ist gegenüber der bestehenden Vorbelastung die Zusatzbelastung durch die Photovoltaikanlagen auf dem Anbau nicht mehr hinzunehmen.
c. Vorliegend verursachen die Photovoltaikanlagen auf dem Anbau das Wohnen wesentlich störende Blendimmissionen, § 5 Abs. 1 BauNVO, die das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot, § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, verletzen.
Bei der zu treffenden Einzelfallentscheidung ist zunächst davon auszugehen, dass die Klägerin wegen der Verwirkung ihrer Abwehrrechte bzw. deren Verlust nach Treu und Glauben (s.o. I.) hinsichtlich der Blendungen von den Photovoltaikanlagen auf dem Dach und den Hallen 1 und 2 keine unmittelbaren Abwehransprüche hat. Die Blendwirkungen stellen jedoch eine hohe Vorbelastung dar, die im Rahmen der Überprüfung der Abwehrrechte hinsichtlich der Photovoltaikanlagen auf dem Anbau zu berücksichtigen sind.
Zwar hat der Sachverständige Dr. …(B) in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erklärt, dass aus den ermittelten Zeiten der Gesamtblendung (Gutachten …(B) vom 18.7.2011) und den Zeiten der Blendungen nur durch die Photovoltaikanlagen auf dem Anbau (Nachtrag …(A) vom 20.5.2012) nicht durch Subtraktion die Blendzeiten durch die Photovoltaikanlagen auf dem Dach und den Hallen 1 und 2 ermittelt werden können, da sich die Blendzeiten teilweise überschneiden. Das bedeutet aber nicht, dass die Blendzeiten von den Photovoltaikanlagen auf dem Dach und den Hallen 1 und 2 niedriger sein können als die Gesamtblenddauer abzüglich der Blendzeiten durch die Photovoltaikanlagen nur auf dem Anbau.
Maßgeblich sind die Blendungen, die in schutzwürdigen Räume, d.h. insbesondere in Kinderzimmern, Schlafzimmern, Wohnzimmern (BayVGH, U.v. 10.5.2016, 2 B 16.231, juris) und sonstigen Räumen auftreten, in denen sich Menschen nicht nur vorübergehend aufhalten. Zu diesen Räumen gehören z.B. auch Wohnküchen und Büros. Alle im Gutachten …(A) gekennzeichneten Immissionsorte sind schutzwürdige Räume. Da sowohl im Erdgeschoss als auch im 1. Obergeschoss zumutbare Blendzeiten, auch wenn nur größenordnungsmäßig von zumutbaren 30 min/Tag oder 30 h/Jahr ausgegangen wird, bei Weitem überschritten werden, kann vorliegend dahinstehen, inwieweit die nicht genehmigte Nutzungsänderung vom nicht schutzwürdigen Speicher zum Wohnzimmer (IO 3) Ansprüche der Klägerin ausschließt.
Sowohl im 1. Obergeschoss als auch teilweise im Erdgeschoss ergaben sich extreme Überschreitungen zumutbarer Blendzeiten mit Jahresblendzeiten gesamt bei den Immissionsorten 4 bis 6 zwischen 301 und 358 Stunden. Selbst wenn die Blenddauer der Photovoltaikanlagen nur vom Anbau mit 51 bis 91 Stunden vollständig abgezogen würde, ergäben sich als Vorbelastung Blendzeiten, die unabhängig von einem in diesem Zusammenhang nicht mehr genauer zu prüfenden Grenzwert diesen um das Vielfache überschreiten.
Bei dieser Vorbelastung ist eine Zusatzbelastung, die nicht nur geringfügig ist, von der Klägerin nicht mehr hinzunehmen. Auch wenn die genaue Zeit der zusätzlichen Blenddauer durch die Photovoltaikanlagen auf dem Anbau nicht ermittelt wurde, ergibt sich insbesondere aus der unterschiedlichen Neigung der Photovoltaikanlagen auf dem Dach und dem Anbau, dass durch die Photovoltaikanlagen auf dem Anbau eine erhebliche zusätzliche Blenddauer gegeben ist.
Gleiches ergibt sich für die Immissionsorte 1 bis 3, auch wenn an diesen die Blenddauer wesentlich geringer ist. Bei den Immissionsorten 1 und 2 sind Blenddauern gesamt von 100 bzw. 105 Stunden jährlich gegeben, die unabhängig von einem noch genauer festzulegenden Grenzwert in der Größenordnung von 30 Stunden jährlich diesen überschreiten. Auch an diesen Immissionsorten kann durch die Blenddauern von 31 bzw. 78 Stunden jährlich durch die Photovoltaikanlagen auf dem Anbau darauf geschlossen werden, dass eine zusätzliche erhebliche Blenddauer eintritt. Lediglich bei Immissionsort 3 bedürfte es einer weiteren Untersuchung, da bei einer Gesamtblenddauer von 95 Stunden und einer Blenddauer durch die Photovoltaikanlagen auf dem Anbau von 13 Stunden nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein überwiegender Teil der zusätzlichen Blendung mit der Blendung durch die anderen Photovoltaikanlagen zusammenfällt und die zusätzliche Belastung der Klägerin nur noch geringfügig ist (vgl. Nr. 3.2.1 Abs. 4 TA Lärm, Nr. 3.3 GIRL, Irrelevanzkriterium). Nachdem zumindest bei den anderen Immissionsorten von einer hohen Überschreitung zumutbarer Blendzeiten ausgegangen werden kann, ist die denkbare nur geringfügige Zusatzbelastung im Bereich des Immissionsortes 6 im Rahmen eines bauaufsichtlichen Einschreitens nur dann zu berücksichtigen, wenn feststellbar ist, dass sich die konkrete Maßnahme nur in geringem Umfang auf den Immissionsort 6 auswirkt.
Bei der Länge der Blenddauern ist nicht ersichtlich, dass sich die Abweichungen der tatsächlichen Bauausführung des klägerischen Hauses von den genehmigten Bauplänen (Erker, Nutzungsänderung) auf die Zumutbarkeit der Blendungen auswirken.
Die im Sachverständigengutachten …(A) ermittelten und vom Sachverständigen Dr. …(B) bestätigten Blenddauern würden zwar noch korrigiert, wenn durch ein 3D-Modell die exakte Lage des Hauses der Klägerin ermittelt und durch eine Vermessung der verwendeten Photovoltaikmodule insbesondere die Streuung der Blendungen erfasst und auf dieser Grundlage ein genaueres Sachverständigengutachten erstellt würde. Die dadurch zu erwartenden Änderungen bei den Blenddauern sind bei der sehr hohen Vorbelastung durch die Photovoltaikanlagen auf dem Dach und den Hallen 1 und 2 und der erheblichen Mehrbelastung durch die Photovoltaikanlagen auf dem Anbau aber deutlich zu gering, als dass das Gericht zu einer anderen Entscheidung kommen könnte. Die Einholung eines weiteren schriftlichen Gutachtens durch den Sachverständigen Dr. …(B) erschien deshalb nicht zweckmäßig.
Von den Blenddauern an den Immissionsorten kann ferner darauf geschlossen werden, dass auch an anderen Orten des klägerischen Grundstücks unzumutbar lange Blendungen erfolgen. Dies gilt insbesondere für den Balkon, der als Teil der Wohnfläche anzusehen ist. Gleiches gilt auch für die Teile des Grundstücks, die als Außenfläche der Wohnnutzung dienen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bis hin zur östlich verlaufenden Straße mit starken Blendungen zu rechnen ist, auf die der Sachverständige Dr. …(B) unter Bezugnahme auf seinen Ortstermin in der mündlichen Verhandlung hinwies.
2. Die langen Blenddauern beeinträchtigen die Klägerin so sehr, dass der Ermessensbereich des Beklagten auf Null reduziert ist.
Wie ausgeführt (s.o. II.1a.) hat die über lange Zeiträume zu erwartende Absolutblendung zur Folge, dass eine nachwirkende Störung der Sehfähigkeit, „z.B. „Schmerzen“ im Auge, Gegenreaktion des Gehirns durch Blinzelreflex oder Wegdrehen des Kopfes, helle Punkte im Sichtfeld, nachdem man in die Sonne geschaut hat“ eintritt. Nicht maßgeblich ist, dass bei der Ortseinsicht des Gerichts am 20.7.2016 der Eindruck entstand, dass die Blendungen nicht besonders stark waren. Dies kann z.B. auf hoher Luftfeuchtigkeit in hohen Luftschichten beruht haben. Bei der Ortseinsicht des Sachverständigen Dr. …(B) ergaben sich demgegenüber Blendstärken, die über dem Messbereich der Leuchtdichtekamera lagen. Diese kann zwar durch Verdunkelung der Räume abgewendet werden. Die langen Blenddauern und ihre sich im Laufe des Jahres verschiebenden Zeiträume erschweren aber die Verdunkelung in den erforderlichen Zeiträumen. Die Verdunkelung muss unter besonderer Berücksichtigung der tiefer als die Immissionsorte liegenden Photovoltaikmodule auf dem Anbau zumindest fast vollständig sein. Dies würde zu einer Einschränkung der Bewohnbarkeit in unzumutbar hohem Maße führen. Das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot, § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, und damit ein Recht der Klägerin als Nachbarin, wird schwerwiegend verletzt.
Da außer durch bauaufsichtliche Maßnahmen, insbesondere kommt eine Genehmigung nicht in Betracht, die Rechtsverletzung nicht beendet werden kann, ist das grundsätzlich bestehende Ermessen des Beklagten bei der Schwere der Rechtsverletzung hinsichtlich bauaufsichtlichem Einschreiten auf Null reduziert.
3. Dem Antrag der Klägerin, den Beklagten zu verpflichten, der Beigeladenen die Beseitigung der Photovoltaikanlagen (auf dem Anbau, s.o. I.) aufzugeben, konnte nicht entsprochen werden, da nicht auszuschließen ist, dass ein die Beigeladene weniger belastendes Mittel zur Erreichung des Zwecks ausreicht, eine nicht nur unerhebliche zusätzliche Belastung durch die Blendungen seitens der Photovoltaikanlagen auf dem Anbau auszuschließen. Denkbar wäre z.B. eine Aufständerung der einzelnen Photovoltaikmodule, wenn dies auch nur geringe Erfolgsaussichten haben dürfte, da ein erheblich anderer Winkel den Nutzen für die Stromerzeugung stark einschränken dürfte.
Denkbar wäre auch die Beschränkung auf eine Teilbeseitigung, wenn die Blendungen von den verbleibenden Photovoltaikmodulen durch einen wirksamen Sichtschutz abgeschirmt werden. Da die gemessenen Blendungen mit mehr als 107 cd/m² über dem Einhundertfachen der Absolutblendung liegen, wäre eine Reduzierung der Blendungen um mehr als 99% erforderlich, was die Errichtung einer Mauer oder einer ähnlichen Sichtbarriere voraussetzen würde. Von diesem Sichtschutz dürften Wirkungen wie von einem Gebäude ausgehen, sodass Abstandsflächen eingehalten werden müssen, Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO.
Da die Anordnung bauaufsichtlicher Maßnahmen nur dann rechtmäßig sein kann, wenn sie auch gegenüber der Beigeladenen verhältnismäßig sind, konnte dem Beklagten damit nicht der Erlass einer Beseitigungsanordnung auferlegt werden. Vorsorglich wird aber darauf hingewiesen, dass die Beigeladene gegen eine Beseitigungsanordnung nicht geltend machen kann, es gebe weniger belastende Maßnahmen, wenn sie nicht selbst konkrete Angaben hierzu macht. Ob und wie z.B. die nur teilweise Beseitigung der Photovoltaikanlagen und Errichtung eines (teilweisen) Sichtschutzes unter Wahrung der Abstandsflächen zum Grundstück der Klägerin für die Beigeladene ein gegenüber der vollständigen Beseitigung weniger einschneidendes Mittel ist, hängt von einer allein von der Beigeladenen zu ermittelnden wirtschaftlichen Betrachtung ab sowie von der Frage, ob die für den Sichtschutz benötigten Grundstücksflächen hierfür verwendet werden können. Soweit hierzu keine konkreten Angaben durch die Beigeladene gemacht werden, dürfte auch eine Beseitigungsanordnung für die Photovoltaikanlagen auf dem Anbau ermessensgerecht sein.
4. Als Handlungsstörer ist die Beigeladene möglicher Adressat einer bauaufsichtlichen Anordnung (Simon/Busse, BayBO, Stand: Okt. 2018, Art. 76, Rdnr. 163 für die Bauherrengemeinschaft in Form einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, m.w.N.).
Sonstige gegen die Photovoltaikanlagen vorgebrachte Gründe sind nicht maßgeblich. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass bei Regen gegenüber anderen harten Dächern unzumutbarer Lärm auftritt.
Rechtmäßig war die Verweisung der Klägerin auf den Zivilrechtsweg hinsichtlich der behaupteten abrutschenden Schneelasten von den Photovoltaikanlagen auf dem Anbau. Aufgrund des großen Abstands des Anbaus von den klägerischen Grundstücken erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass Schneelasten von dem Anbau auf die Grundstücke der Klägerin gelangen.
„Keine gegenüber der Baugenehmigung für den Anbau vom 12.10.2010 (rechtskräftig nach Gerichtsbescheid VG Regensburg vom 10.5.2011, RN 6 K 10.1835, Ablehnung der Zulassung der Berufung BayVGH, B.v. 10.10.2013, 15 ZB 11.1416) geänderte baurechtliche Situation ergibt sich hinsichtlich der behaupteten einmauernden Wirkung, da von allen Gebäuden, zu deren Teil die Photovoltaikanlagen wurden, die Abstandsflächen eingehalten wurden.
Die nicht mehr beantragte Nutzungsuntersagung für die Photovoltaikanlagen würde an der Blendung nichts ändern.
III.
Nach allem konnte die Klage nur teilweise Erfolg haben und war im Übrigen abzuweisen. Maßgeblich für die Kostenentscheidung (§§ 154 Abs. 1, 155 VwGO) war das Verhältnis des Obsiegens bzw. Unterliegens der Klägerin bzw. des Beklagten, wobei sich das Gericht an der Größe der Photovoltaikanlagen orientiert hat. Danach hat die Klägerin etwa zu einem Drittel (Anbau) Erfolg, während sie zu zwei Dritteln (Dach, Hallen 1 und 2) unterlegen ist.
Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat das Gericht eine Billigkeitsentscheidung zu treffen, § 162 Abs. 3 VwGO. In der Regel folgt diese der Kostenverteilung zwischen Kläger- und Beklagtenseite. Vorliegend war zu berücksichtigen, dass die Beigeladene durch eine rechtswidrige Ausführung von Baumaßnahmen durch die Anbringung von Photovoltaikanlagen auf den Hallen 1 und 2 und dem Anbau so schuldhaft zu den entstandenen Kosten beigetragen hat, dass eine Auferlegung von Kosten nach § 155 Abs. 4 VwGO in Betracht kam. Bei der Gesamtbeurteilung erschien es angemessen, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für nicht erstattungsfähig zu erklären, ihr aber andererseits auch nicht einen Teil der Verfahrenskosten bzw. der außergerichtlichen Kosten der Klägerin aufzuerlegen.
Die Kosten des Sachverständigen Dr. …(B) sind Teil der Gerichtskosten. Die von einem Beteiligten veranlassten Kosten für ein privat in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten sind demgegenüber in aller Regel nicht als außergerichtliche Kosten erstattungsfähig. Ausnahmsweise können die Kosten für das Sachverständigengutachten …(A) vom 18.7.2011, mit Nachtrag vom 20.5.2012, im Rahmen der außergerichtlichen Kosten mit dem Kostenfestsetzungsantrag anteilsmäßig geltend gemacht werden. Dies ist vorliegend angemessen, da sich der vom Gericht beauftragte Sachverständige Dr. …(B) im Wesentlichen auf die Darstellungen des Sachverständigen …(A) bezogen hat. Dies führte auch zu einer Reduzierung der Kosten des Sachverständigen Dr. …(B) in etwa der Höhe der Kosten für das Sachverständigengutachten (A) … Die Kosten des Sachverständigen (A) … müssen dabei nach ihrer Höhe nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) erstattungsfähig sein.
Abgesehen davon, dass die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht erstattungsfähig sind, ergibt sich demgegenüber kein Anspruch hinsichtlich der Kosten für das Gutachten …(C) vom 19.3.2015, da dieses gegenüber dem Gutachten (A) … keine weiteren Erkenntnisse gebracht hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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