Baurecht

Verschattung eines Nachbargrundstücks – Fällung einer Weißtanne

Aktenzeichen  AN 11 K 17.00371

Datum:
11.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 10624
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BaumSchVO § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 3
BauNVO § 3, § 4 Nr. 4
BayVwVfG Art. 24 Abs. 1
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

1 Eine unzumutbare Beeinträchtigung aufgrund der Verschattungswirkung eines Baumes kommt in Betracht, wenn die Wohnräume auch während des Tages ausschließlich mit künstlichem Licht genutzt werden können. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine offensichtlich nicht beabsichtigte Härte ist bodenbezogen und nicht personenbezogen zu ermitteln (ebenso BayVGH BeckRS 2012, 52928. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

A.
Gegenstand der Klage ist – unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 3. Februar 2017 – im Hauptantrag das Ziel der Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der Genehmigung zur Fällung einer Weißtanne und im Hilfsantrag das Begehren der Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.
Die Klage ist im Haupt- und auch im Hilfsantrag zulässig, insbesondere statthaft als Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO (Hauptantrag) bzw. § 42 Abs. 1 Alt. 2, § 113 Abs. 5 Satz 2 (Hilfsantrag). Die Monatsfrist des § 74 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 VwGO wurde mit der am 27. Februar 2017 eingegangenen Klage gegen den Bescheid vom 3. Februar 2017 eingehalten. Die übrigen Prozessvoraussetzungen sind unproblematisch gegeben.
B.
Die Klage bleibt jedoch insgesamt ohne Erfolg, da der Klägerin kein Anspruch auf Fällgenehmigung im Sinn einer Spruchreife nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO zusteht. Ebenso hat die Klägerin keinen Anspruch auf Neubescheidung nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Da es, wie nachfolgend aufgezeigt, bereits an den tatbestandlichen Kriterien für eine Baumfällung fehlt, können die Argumente zum Hauptantrag und zum Hilfsantrag zusammengefasst dargestellt werden.
I.
Zwar bestehen hinsichtlich der Passivlegitimation der Beklagten im Sinn von § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO keine Bedenken, auch bestehen im Hinblick auf die formelle Begründetheit keine Anspruchshindernisse. Die Klägerin hat mit Antrag vom 16. Januar 2017, eingegangen bei der zuständigen Behörde am 19. Januar 2017, die begehrte Fällung der Weißtanne mit den nach § 5 Abs. 1 der Verordnung zum Schutz des Baumbestandes im Stadtgebiet … (BaumSchVO) erforderlichen Angaben angezeigt. Die Klägerin ist als Grundstückseigentümerin auch anzeigeberechtigt gemäß § 5 Abs. 2 BaumSchVO.
II.
In materieller Hinsicht besitzt die Klägerin jedoch weder einen spruchreifen Anspruch auf Fällgenehmigung für die Weißtanne noch einen Anspruch auf Neubescheidung über das Fällbegehren.
Das Gericht nimmt diesbezüglich Bezug auf die zutreffende Begründung im Bescheid der Beklagten vom 3. Februar 2017, § 117 Abs. 5 VwGO. Ergänzend wird wie folgt ausgeführt:
1.
Eine Genehmigung nach § 4 Nr. 1 BaumSchVO scheidet offensichtlich aus, da das Grundstück bereits mit einer Doppelhaushälfte mit Garagen bebaut ist.
2.
Eine Genehmigung nach § 4 Nr. 2 BaumSchVO kommt ebenfalls nicht in Betracht. Danach kann die Fällung genehmigt werden, wenn anderenfalls der Bestand oder die Nutzbarkeit eines vorhandenen Gebäudes oder einer sonstigen baulichen Anlage bzw. eine bereits ausgeübte gewerbliche Nutzung eines Grundstücks in unzumutbarer Weise beeinträchtigt würde.
Die von der Klägerin vorgetragene Verschattungswirkung führt nicht zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzbarkeit ihres Wohngebäudes bzw. ihres Grundstücks. Eine solche unzumutbare Beeinträchtigung käme in Betracht, wenn die Wohnräume der Klägerin auch während des Tages ausschließlich mit künstlichem Licht genutzt werden könnten. Davon kann vorliegend nicht ansatzweise die Rede sein. Auf dem von der Klägerin selbst vorgelegten Luftbild (Bl. 35 der Gerichtsakte) ist deutlich zu erkennen, dass nahezu das gesamte Grundstück der Klägerin besonnt wird, insbesondere stehen die Terrasse und das Wohngebäude vollständig in der Sonne. Der Schatten der Weißtanne fällt hauptsächlich auf die Garagen bzw. das Nachbargrundstück. Auch auf den von der Klägerin vorgelegten Fotos (Bl. 38 und 39 der Gerichtsakte) ist gut zu erkennen, dass selbst in den Wintermonaten eine ausreichende Besonnung des Grundstücks und des Wohnhauses gegeben ist. Der Vortrag der Klägerin, dass ein Aufenthalt auf der Terrasse nur im Schattenwurf des Baumes möglich sei und dass lediglich vereinzelte Sonnenstrahlen durch den Baum auf die Terrasse und in das Wohngebäude der Klägerin dringen würden, ist nicht nachvollziehbar. Aufgrund der Tatsache, dass der Schatten mit der Drehung der Erde im Laufe des Tages über das Grundstück „wandert“, gibt es naturgemäß einen Zeitraum, in dem der Schatten vollständig auf das Haus der Klägerin fällt. Genauso gibt es aber einen Zeitraum, in dem der Schatten vollständig in eine andere Richtung fällt.
Eine unzumutbare Beeinträchtigung ergibt sich auch nicht aufgrund der von der Klägerin vorgetragenen Gefährdung für Personen und Gebäude durch Astbrüche. Die Bevollmächtigte der Klägerin hat im Klagebegründungsschriftsatz vom 28. Februar 2017 zutreffend ausgeführt, dass es sich hierbei um ein allgemeines Lebensrisiko handelt. Die Gefahr ist im vorliegenden Fall nicht derart hoch und gravierend, dass man zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung kommen müsste. Die Klägerin hat lediglich eine abstrakte Gefahr geltend gemacht, indem sie vorgetragen hat, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass Äste auf sich im Garten aufhaltende Personen herabfielen. Konkrete Schadensfälle wurden nicht dargelegt. Der Erlaubnistatbestand ist daher nicht erfüllt (vgl. hierzu auch VG Ansbach, U.v. 20.3.2013 – AN 11 K 12.01516 – juris Rn. 22).
Weiter ergibt sich auch aus der von der Klägerin vorgetragenen Wespenallergie keine unzumutbare Beeinträchtigung im Sinn des § 4 Nr. 2 BaumSchVO. Zum einen handelt es sich hierbei um eine unsubstantiierte Behauptung der Klägerin; ein ärztliches Attest, welches die geltend gemachte Wespenallergie bestätigen würde, wurde nicht vorgelegt. Zum anderen ist hier ebenfalls auf das allgemeine Lebensrisiko zu verweisen, welches vorliegend zudem gering sein dürfte, da die Weißtanne nicht unmittelbar neben dem Wohnhaus bzw. der Terrasse der Klägerin steht, sondern etwa 15 – 20 m davon entfernt ist.
Schließlich ergibt sich auch aus dem Vorbringen der Klägerin, dass der Garten aufgrund der Wurzeln der Weißtanne nicht nach ihren Vorstellungen gestaltet werden könne, keine unzumutbare Beeinträchtigung. Es mag durchaus sein, dass es – gerade in unmittelbarer Nähe des Baumes – schwierig ist, eine Rasenfläche anzulegen oder andere Bäume und Sträucher zu pflanzen. Die Schwelle einer unzumutbaren Beeinträchtigung ist damit jedoch bei Weitem nicht erreicht, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das klägerische Grundstück eine Länge von über 40 m und eine Fläche von 570 m² aufweist, sodass noch genug Raum für eine individuelle Gartengestaltung bleibt. In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen, dass Art. 14 GG keine ungehinderte privatnützige Verwendung des Eigentums garantiert, sondern dass es nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Aufgabe des Gesetzgebers ist, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. Bei der Baumschutzverordnung der Beklagten handelt es sich um eine solche zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung.
3.
Eine Genehmigung nach § 4 Nr. 3 BaumSchVO kommt ebenfalls nicht in Betracht. Danach kann die Genehmigung erteilt werden, wenn die Einhaltung der Verbote nach § 3 Abs. 1 BaumSchVO zu einer sonst nicht beabsichtigten Härte führen würde.
Die von der Klägerin geltend gemachte Wespenallergie führt nicht zu einer unbeabsichtigten Härte. Sie wurde – wie bereits unter Ziffer 2 ausgeführt – nicht substantiiert dargelegt. Doch selbst bei Unterstellung einer Wespenallergie würde keine unbeabsichtigte Härte im Sinn des § 4 Nr. 3 BaumSchVO vorliegen. Persönliche, finanzielle, familiäre oder gesundheitliche Dispositionen des Betroffenen sind im Rahmen einer Entscheidung über die ausnahmsweise Zulassung des Fällens eines schutzwürdigen Baums nicht zu berücksichtigen. Eine offensichtlich nicht beabsichtigte Härte ist bodenbezogen und nicht personenbezogen zu ermitteln (BayVGH, U.v. 25.4.2012 – 14 B 10.1750 – juris Rn. 50 m.w.N.). Die Begründung, mit der der Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung eine Bodenbezogenheit herleiten wollte, ist nicht nachvollziehbar. Es mag sein, dass sich Wespen gerne in Bäumen niederlassen und dass Wespen auch für Nicht-Allergiker eine Belästigung darstellen können, dies ändert jedoch nichts daran, dass es sich bei einer Wespenallergie um eine individuelle gesundheitliche Veranlagung handelt, die keinerlei Bodenbezug aufweist.
Die vorgetragene Verschattung und die angebliche Unmöglichkeit, den Garten nach den Vorstellungen der Klägerin zu gestalten und zu nutzen, können ebenfalls keine unbeabsichtigte Härte begründen. Wie bereits ausgeführt, ist die Verschattung bei Weitem nicht so gravierend, wie von der Klägerin behauptet. Hinsichtlich der Gartennutzbarkeit ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin im Schriftsatz vom 28. Februar 2017 selbst vorträgt, dass sie einen vergleichsweise großen Gartenanteil habe. Das Gericht teilt diese Auffassung. Nachdem von der Gesamtgrundstücksfläche von 570 m² nur – nach eigenen Angaben der Klägerin – 130 m² überbaut sind, bleiben noch 440 m² Fläche. Trotz der Einschränkungen, die sich durch das Wurzelwerk der Weißtanne ergeben, ist daher aufgrund der Größe des Gartens eine sinnvolle Nutzung ohne Weiteres möglich.
Schließlich führt auch die vom Vertreter der Klägerin erstmals in der mündlichen Verhandlung behauptete Wertminderung des Grundstücks nicht zu einer unbeabsichtigten Härte im Sinn des § 4 Nr. 3 BaumSchVO. Eine Wertminderung wurde schon nicht substantiiert dargelegt. Im Übrigen teilt das Gericht die Auffassung der Beklagtenseite, dass sich eine Beschattung durch einen großen Baum im Sommer auch positiv darstellen kann, sodass nicht der Rückschluss gezogen werden kann, dass ein alter Baumbestand immer den Wert eines Grundstücks mindert; das Gegenteil kann der Fall sein.
4.
Auch nach § 4 Nr. 4 BaumSchVO kommt keine Genehmigung in Betracht. Danach kann die Fällung genehmigt werden, wenn der Eingriff erforderlich ist, um eine standortgerechte Bepflanzung des Grundstücks oder seiner unmittelbaren Umgebung sicherzustellen oder anderweitigen Belangen des Natur- und Landschaftsschutzes Rechnung zu tragen.
Eine Fällung der Weißtanne ist nicht erforderlich ist, um eine standortgerechte Bepflanzung zu ermöglichen, da es sich bei der Weißtanne schon um eine standortgerechte Bepflanzung handelt. Eine Weißtanne ist eine einheimische Nadelbaumart, die im Gemeindegebiet der Beklagten häufig zu finden ist. Dem von der Klägerin vorgelegten Luftbild (Bl. 35 der Gerichtsakte) kann entnommen werden, dass das Quartier, in dem sich das klägerische Grundstück befindet, eine Vielzahl von – teilweise sehr großen – Bäumen aufweist. Auf dem Foto auf Seite 38 der Gerichtsakte ist deutlich zu sehen, dass sich sogar in unmittelbarer Nähe zum klägerischen Grundstück mehrere große Nadelbäume befinden. Der Beklagten ist somit zuzustimmen, dass es sich bei der Weißtanne auf dem klägerischen Grundstück – trotz der stattlichen Höhe – nicht um eine standortfremde Bepflanzung handelt.
5.
Eine Genehmigung nach § 4 Nr. 5 BaumSchVO wegen der Erforderlichkeit aus überwiegenden Gründen des Allgemeinwohls kommt nicht in Betracht und wurde auch nicht geltend gemacht.
6.
Schließlich kann auch keine Genehmigung nach § 4 Nr. 6 BaumSchVO erteilt werden. Die Weißtanne weist nach Inaugenscheinnahme der Beklagten einen guten Gesundheitszustand auf. Im Übrigen wurde von der Klägerin auch nicht geltend gemacht, dass die Erhaltung des Baumes wegen Erkrankung oder anderer Schäden nicht mit zumutbarem Aufwand möglich ist.
7.
Die Genehmigungsvoraussetzungen sind somit schon auf tatbestandlicher Ebene nicht erfüllt, sodass sich eine gerichtliche Überprüfung der Ermessensebene erübrigt.
Abschließend ist nur noch anzumerken, dass die Beklagte nach Auffassung des Gerichts nicht gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des Art. 24 Abs. 1 BayVwVfG verstoßen hat. Es ist zwar richtig, dass die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid nur auf den Aspekt der „Standortfremdheit“ eingegangen ist, etwas anderes hat die Klägerin in dem von ihr unterschriebenen Antragsformular aber auch nicht erwähnt. Im Rahmen der Amtsermittlung darf die Behörde von typischen Lebenssachverhalten ausgehen, die eine Einzelfallprüfung erst erforderlich machen, wenn sich konkrete Anhaltspunkte ergeben (Kallerhoff/Fellenberg in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 24 Rn. 26). Für die Beklagte drängte sich in keiner Weise auf, dass die Klägerin – möglicherweise – an einer Wespenallergie leidet, dass sie sich aufgrund des Wurzelwerks in ihren Gartennutzungsmöglichkeiten eingeschränkt sieht oder dass sie eine Wertminderung des Grundstücks befürchtet.
Nach alledem ist die Klage vollumfänglich abzuweisen.
8.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt geht zurück auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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