Baurecht

Verunstaltende Wirkung einer Werbeanlage

Aktenzeichen  Au 5 K 19.269

Datum:
23.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 945
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 2
BayBO Art. 8 S. 2, Art. 68 Abs. 1 S. 1
BauNVO § 6

 

Leitsatz

In Bezug auf Werbeanlagen liegt eine Verunstaltung des Anbringungsortes dann vor, wenn die Werbeanlage die entsprechende Wand zu einem Werbeträger umfunktioniert oder einem vorhandenen ruhigen Erscheinungsbild einen Fremdkörper aufsetzt und dieses damit empfindlich stört (vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2018 – 9 ZB 15.1911, BeckRS 2018, 482).  (Rn. 9) (red. LS Alexander Tauchert)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Erteilung der beantragten bauaufsichtlichen Genehmigung zur Errichtung einer beleuchteten Werbetafel an der nördlichen Außenwand des Gebäudes auf dem Grundstück, Fl.Nr. … der Gemarkung … (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Über die Klage konnte ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten im Augenscheinstermin auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO) und sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben.
1. Die Klage ist unbegründet.
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO hat der Bauherr einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.
Die beantragte Werbeanlage ist nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtig. Es liegt keine Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 12 BayBO vor. Das Vorhaben ist jedoch nicht genehmigungsfähig.
Da es sich um keinen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt, prüft die Bauaufsichtsbehörde nach Art. 59 BayBO im vereinfachten Verfahren die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB, den Vorschriften über Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO, den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO, beantragte Abweichungen im Sinne des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird. Nachdem die Beklagte die Ablehnung des Bauantrags auf das Verunstaltungsgebot des Art. 8 BayBO gestützt hat und insofern von dem ihr eingeräumten Ablehnungsrecht in Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 BayBO Gebrauch gemacht hat, ist auch diese Vorschrift Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung.
a) Die geplante Werbeanlage steht bauplanungsrechtlich im Einklang mit § 34 BauGB. Die nähere Umgebung entspricht, wie auch der durchgeführte Augenschein bestätigt hat, einem Mischgebiet i.S. des § 6 Baunutzungsverordnung (BauNVO). In diesem ist die Werbeanlage als gewerbliche Hauptnutzung nach § 34 Abs. 2 BauGB, § 6 Abs. 2 BauNVO nach ihrer Art allgemein zulässig. Auch im Übrigen fügt sich die Werbeanlage nach den in § 34 Abs. 1 BauGB aufgestellten, bauplanungsrechtlichen Kriterien in die nähere Umgebung ein.
b) Die streitgegenständliche Werbeanlage verstößt jedoch gegen das bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot des Art. 8 Satz 2 BayBO.
Der unbestimmte Rechtsbegriff der Verunstaltung ist erfüllt, wenn die zur Prüfung stehende Anlage das ästhetische Empfinden eines für solche Eindrücke aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachters nicht nur beeinträchtigt, sondern verletzt (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand: August 2019, Art. 8 Rn. 54). In Bezug auf Werbeanlagen liegt nach der Rechtsprechung eine Verunstaltung des Anbringungsortes dann vor, wenn die Werbeanlage die entsprechende Wand zu einem Werbeträger umfunktioniert oder einem vorhandenen ruhigen Erscheinungsbild einen Fremdkörper aufsetzt und dieses damit empfindlich stört (BayVGH, B.v. 12.1.2018 – 9 ZB 15.1911 – juris Rn. 9; B.v. 16.2.2016 – 2 ZB 15.2503 – juris Rn. 3; U.v. 11.11.2014 – 15 B 12.2765 – juris Rn. 15; OVG Berlin, B.v. 7.1.2002 – 2 SN 30.01 – juris Rn. 16).
Nach diesen Maßstäben würde die beantragte Werbeanlage verunstaltend wirken, weil sie in ihrer konkreten Ausgestaltung an dem Anbringungsort als unästhetischer Fremdkörper erscheint, der den maßvollen Kontrast zur vorhandenen näheren Umgebung nicht mehr wahrt und den Eindruck der Disharmonie hervorruft. Zwar würde die Werbeanlage nur einen Teil der nördlichen Außenfassade des Gebäudes …Str. … in Anspruch nehmen. Aufgrund ihrer Größe, der Anbringungshöhe und der unsymmetrischen Anordnung am rechten Rand der Fassade entlang der Gebäudeaußenkante würde sie jedoch das ästhetische Erscheinungsbild der gesamten Fassade erheblich stören. Zwar ist das Gebäude …Str. … nicht als architektonisch besonders wertvoll oder als aufgrund seiner äußeren Erscheinung als besonders ansprechend einzustufen. Hierauf kommt es jedoch nicht entscheidend an (BayVGH, B.v. 12.1.2018 a.a.O. Rn. 11). Die Nordfassade, an der die Werbeanlage angebracht werden soll, weist bisher ein ruhiges und harmonisches Erscheinungsbild auf. Während im Giebelbereich zwei Fenster symmetrisch angeordnet sind, wurde im Erdgeschoss sowie im 1. und 2. Obergeschoss jeweils ein Fenster mittig angebracht. Sämtliche Fenster sind in rechteckiger Form ausgeführt und ergeben in ihrer Anordnung und Proportion ein stimmiges, harmonisches Erscheinungsbild. Verbunden mit der dezenten, hellen Farbgestaltung der Fassade und dem auch an der nördlichen Außenwand in Erscheinung tretenden Krüppelwalmdach bietet sich eine ruhige und zurückhaltende Optik, welche auch dem Auge bislang einen Ruhepunkt bietet. Dieses bislang geordnete und zurückhaltende Erscheinungsbild würde durch die geplante Werbeanlage verletzt und im konkreten Fall als belastend und verunstaltend empfunden. Dies gilt zum einen im Hinblick auf die Größe und die Anbringungshöhe der Anlage. Die Werbetafel mit ihren Außenmaßen von 3,82 m Breite x 2,82 m Höhe (s. Bauzeichnung) würde nicht nur den Erdgeschossbereich, sondern vor allem auch den Bereich des 1. Obergeschosses deutlich dominieren. Von der ruhigen Fassade würde sich die Werbeanlage in der konkreten Ausgestaltung als Fremdkörper abheben. Dieser Eindruck wird durch die Möglichkeit der Beleuchtung noch verstärkt. Zudem soll die Werbeanlage am rechten Rand der Außenfassade entlang der straßenseitig gelegenen Gebäudeaußenkante angebracht werden. Durch die dominante Verschiebung des gestalterischen Schwerpunkts würde das bisher harmonische und symmetrische Erscheinungsbild der Fassade erheblich gestört (BayVGH, B.v. 12.1.2018 a.a.O. Rn. 10). Es entstünde der Eindruck, als ob die Fassade zum bloßen „Trägerbauwerk“ für die Werbeanlage umfunktioniert würde. Hinzu kommt, dass das Gebäude …Str. … wegen des leicht in Richtung Süden ansteigenden Straßenverlaufs und der Linkskurve, die die Straße hinter dem Gebäude nimmt, einen optischen Abschluss des Straßenverlaufs bildet, der den Blick zwangsläufig auf sich zieht. Gerade im Hinblick auf die in der näheren Umgebung bereits vorhandenen Werbeanlagen, insbesondere im Bereich des benachbarten Netto-Marktes, die in ihrer unterschiedlichen Ausgestaltung und Größe Unruhe in die Umgebung bringen, wirkt die zurückhaltende, harmonische Nordfassade des Gebäudes …Str. … hier bislang als „architektonische Beruhigungsfläche“. Die geplante Werbeanlage würde diesen Eindruck empfindlich stören und damit als unästhetischer Fremdkörper wirken. Zusätzliche gestalterische Unruhe brächte sie auch deshalb in das Gebiet, weil mit ihr erstmals, wie sich auch beim Augenscheinstermin ergeben hat, in der maßgeblichen näheren Umgebung gewerbliche Nutzung nach außen wahrnehmbar den Bereich des Erdgeschosses verlassen würde und in den bislang gewerbefreien Bereich des Obergeschosses eindringen würde. Bei einer Gesamtbetrachtung verstößt das Vorhaben damit gegen das Verunstaltungsverbot in Art. 8 Satz 2 BayBO, so dass die Baugenehmigung von der Beklagten zu Recht nicht erteilt wurde.
Nach alledem war die Klage als unbegründet abzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).


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