Baurecht

Verwirkung des Klagerechts

Aktenzeichen  Au 6 K 17.1736

Datum:
17.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6879
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242
VwGO § 43
BayStrWG Art. 6 Abs. 1

 

Leitsatz

Von einer auch im Verwaltungsprozess anwendbaren Verwirkung (§ 242 BGB) des Klagerechts kann auch dann ausgegangen werden, wenn zwar die ansonsten für dieses Rechtsinstitut gleichrangig maßgeblichen besonderen Umstände in den Hintergrund treten, der Betroffene aber eine derart lange Zeit abgewartet hat, dass mit einem Tätigwerden nicht mehr zu rechnen war. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist bereits unzulässig und hat daher keinen Erfolg. Darüber hinaus wäre sie auch unbegründet.
1. Die Klage ist unzulässig.
a) Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Widmung des Grundstücks Fl.Nr. B aus dem Jahr 1986 rechtswidrig war. Versteht man das Klageziel dahingehend, dass wegen des beträchtlichen Zeitablaufs seit Vornahme der streitgegen-ständlichen Verfügung im Jahr 1986 eine grundsätzlich vorrangige Anfech-tungsklage wegen voraussichtlicher Verfristung (§ 74 VwGO) hier nicht gewollt und die Feststellung insbesondere auf die Nichtigkeit der damaligen Widmung wegen fehlender dinglicher Befugnis über das gewidmete Grundstück gestützt wird, ist die Klage als allgemeine Feststellungsklage statthaft.
b) Hier hat der Kläger im Zeitpunkt der Klageerhebung am 21. November 2017 sein Klagerecht verwirkt.
Nach dem auch im Verwaltungsrecht geltenden, aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ableitbaren Rechtsgedanken der Verwirkung (vgl. nur BVerwG, B.v. 11.6.2010 – 6 B 86.09 – juris Rn. 11) kann ein Kläger sein Recht zur Erhebung der Klage nicht mehr ausüben, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten (Umstandsmoment), die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Letzteres ist nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anzunehmen, wenn ein Antragsteller unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des geltend gemachten Rechts unternommen zu werden pflegt (vgl. BVerfG, B.v. 4.3.2008 – 2 BvR 2111/07 – BVerfGE 13, 382 Rn. 25 m.w.N.; BayVerfGH, E.v. 9.6.2015 – Vf. 17-VII-13 – BayVBl 2015, 770 m.w.N.; vgl. auch BayVGH, B.v. 9.10.2014 – 8 B 12.1546 – NVwZ-RR 2015, 277 m.w.N.; U.v. 26.2.2013 – 8 B 11.1708 – juris Rn. 29; B.v. 2.9.2011 – 7 ZB 11.1033 – BayVBl 2012, 181).
Auf der Basis dieser Grundsätze kann von einer Verwirkung auch dann ausgegangen werden, wenn zwar das Umstandsmoment in den Hintergrund tritt, aber der Betroffene eine derart lange Zeit abgewartet hat, dass mit einem Tätigwerden schlechthin nicht mehr zu rechnen war (vgl. BVerfG, B.v. 4.3.2008 -2 BvR 2111/07 – BVerfGE 13, 382 Rn. 30 unter Bezugnahme auf BVerfG, B.v. 6.3.2006 – 2 BvR 371/06 – juris Rn. 5 f.). Dem Umstandsmoment kommt nach dem Verstreichenlassen eines Zeitraums, nach dem mit einem Tätigwerden schlechthin nicht mehr zu rechnen war, gegenüber dem Zeitmoment mithin kein maßgebliches Gewicht zu. Hinzu kommt, dass bei der Verwirkung prozessualer Befugnisse im öffentlichen Recht nicht nur ein schutzwürdiges Vertrauen der Gegenpartei auf das Untätigbleiben des Berechtigten, sondern auch das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens es rechtfertigen, die Anrufung eines Gerichts nach einer langen Zeit der Untätigkeit als unzulässig anzusehen (vgl. BVerfG, B.v. 26.1.1972 – 2 BvR 255/67 – BVerfGE 32, 305/309).
Hier hat der Kläger mit der Feststellung, dass die Widmung der Straße Fl.Nr. B rechtswidrig sei, eine derart lange Zeit abgewartet, dass mit einem derartigen Tätigwerden auf dem Klageweg schlechthin nicht mehr zu rechnen war. Denn der Kläger hat sich bereits in der Vergangenheit gegen die Neuordnung der Grundstücksflächen mit Klagen aus den Jahren 1985 bzw.1991 gerichtlich gewendet, die Widmung des Grundstücks Fl.Nr. B bzw. die Aufstufung im Jahr 1986 indes nie angegriffen, obwohl damals wie heute Kern der Argumentation ist, 23 der Beklagte sei zu Unrecht als Eigentümer der streitgegenständlichen Straßenverkehrsfläche im Grundbuch eingetragen und damit habe die Straße in ihrer jetzigen tatsächlichen Lage keinen rechtlichen Bestand. Dem steht die Widmungsfiktion des Art. 67 Abs. 4 BayStrWG aber bereits entgegen. Nach einer solchen, über mehr als drei Jahrzehnte reichenden Zeitspanne, in der auch die absolute Verjährungsfrist des § 197 Abs. 1 BGB abgelaufen wäre, brauchte der Beklagte mit einem derartigen Tätigwerden des Klägers auf dem Klageweg schlechthin nicht mehr zu rechnen. Nach dieser außerordentlich langen Zeit durften vielmehr sowohl der Beklagte als auch die Rechtsgemeinschaft insgesamt auf den rechtlichen Bestand der streitbefangenen Eintragung im Bestandsverzeichnis für Gemeindeverbindungsstraßen des Beklagten vertrauen. Auch wenn die Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO keiner Klagefrist unterliegt, gilt der Rechtsgrundsatz, dass auch ein an sich unbefristeter Antrag nicht nach Belieben hinausgezögert werden kann (vgl. BVerfG, B.v. 26.1.1972 – 2 BvR 255/67 – BVerfGE 32, 305/309 m.w.N.).
2. Im Übrigen wäre die Klage auch unbegründet.
Am 29. Dezember 1986 wurde vom Gemeinderat des Beklagten der im Flurbereinigungsverfahren ausgebaute öffentliche Feld- und Wald Weg zur Gemeindeverbindungs Straße aufgestuft und die betroffene Flurstücksnummer geändert und das zugehörige Grundstück damit konkludent gewidmet (Art. 6 Abs. 1 BayStrWG). Unabhängig davon, dass der Beklagte nicht gehalten ist, sämtliche Widmungsunterlagen noch nach einem Zeitraum von mehr als 30 Jahren vorzuhalten (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 21.11.2012 – 8 ZB 11.2367 – juris Rn. 7), um eine vollumfängliche Prüfung aller relevanten Aspekte zu gewähren, scheiterte eine Widmung des streitgegenständlichen Straßenabschnitts jedenfalls nicht an der – für den Kläger wesentlichen Frage der – fehlenden dinglichen Befugnis am betroffenen Grundstück. Der Beklagte war bereits damals im Grundbuch als Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. B der Gemarkung S… eingetragen. Dem Grundbuch kommt als öffentliches Register insoweit ein öffentlicher Glaube zu, § 891 BGB.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.Vm. §§ 708 ff. ZPO.


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