Baurecht

Vorausleistung auf Erschließungsbeitrag, erstmalige Herstellung einer Erschließungsstraße durch Flurbereinigung (verneint), 20-jährige Ausschlussfrist bei bestehender Vorteilslage (verneint)

Aktenzeichen  B 4 K 20.311

Datum:
19.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 47180
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5a Abs. 1 und 2
BauGB § 123 Abs. 1 und 2
BauGB § 133 Abs. 3 S. 2
Art. 13 Abs. 1 Nr. 4b
KAG bb

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I. Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 27.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts …vom 28.02.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, § 114 Satz 1 VwGO).
1. Nach Art. 5a Abs. 1 KAG, § 127 Abs. 1 BauGB erheben die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag. Erschließungsanlagen in diesem Sinne sind u.a. die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen (§ 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB). Nach § 132 BauGB regeln die Gemeinden durch Satzung u.a. die Art und den Umfang der Erschließungsanlagen sowie die Merkmale der endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage. Gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB entsteht die Beitragspflicht mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage. Nach § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB können für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag bis zur Höhe des voraussichtlichen endgültigen Erschließungsbeitrags verlangt werden, wenn mit der Herstellung der Erschließungsanlage begonnen worden ist und die endgültige Herstellung innerhalb von vier Jahren zu erwarten ist.
Der Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 27.05.2019 findet demzufolge seine Rechtsgrundlage in Art. 5a KAG i.V.m. § 133 Abs. 3 BauGB und § 12 der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen der Beklagten vom 15.03.2019 (Erschließungsbeitragssatzung – EBS).
2. Die dem Vorausleistungsbescheid zugrundeliegende Straßenbaumaßnahme aus dem Jahr 2017 stellt die erstmalige Herstellung einer Anbaustraße dar, für die gemäß § 127 Abs. 1 BauGB, § 1 EBS zu Recht Erschließungsbeiträge erhoben werden.
2.1 Maßgebliche Erschließungsanlage ist die bogenförmige sog. „… straße“, laut Bescheid offiziell: „…“, die aus den Fl.-Nrn. C. …(teilw.), B. … und D. … (teilw.) besteht. Sie beginnt am westlichen Ende ab der Abzweigung von der Ortsdurchfahrt Fl.-Nr. E. …, verläuft ca. 80m nach Norden, schwenkt in Richtung Osten und verläuft ca. 258m geradeaus, bevor sie nach Süden führt und nach ca. 50m wieder auf die Ortsdurchfahrt trifft. Gegen diese Anlagenbildung bestehen unter dem Gesichtspunkt der „natürlichen Betrachtungsweise“ (vgl. BVerwG B.v. 09.01.2013 – 9 B 33.12; juris) keine Bedenken.
Wie aus den in der Beiakte befindlichen und den mit Schriftsatz vom 15.05.2021 dem Gericht vorgelegten Fotos ersichtlich, bestand die … straße vor der Baumaßnahme aus einer Breite von 2,60 – 3,00m, hatte bis auf den jeweiligen Einmündungsbereich in die Ortsdurchfahrt keine Straßenentwässerungseinrichtung mit Randsteinen und Regenabläufen sowie keinerlei Straßenbeleuchtung. Zum Versickern des Niederschlagswassers dienten die beiderseits vorhandenen grasbewachsenen Seitenstreifen sowie teilweise ein niedriger Straßengraben entlang der nördlich gelegenen landwirtschaftlichen Flächen.
2.2. Die Auffassung der Klägerseite, dass die … straße bereits vormals, spätestens mit Abschluss der Dorferneuerungsmaßnahme 1993 „erstmalig hergestellt“ war und deshalb nicht mehr dem Erschließungsbeitragsrecht unterliegt, teilt die Kammer nicht.
Die Erschließung ist gemäß § 123 Abs. 1 BauGB grundsätzlich Aufgabe der Gemeinden, es sei denn, sie obliegt nach anderen gesetzlichen Vorschriften oder öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen einem anderen.
Auch wenn § 123 Abs. 1 BauGB vorsieht, dass ein anderer Hoheitsträger als die Gemeinde in Erfüllung seiner Erschließungslast die erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage durchführt, muss damit doch eine „Erschließung“ einhergehen, d. h. es muss in der Verpflichtung und Intention des Hoheitsträgers liegen, eine „zum Anbau bestimmte Straße“ i. S. d. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB herzustellen.
2.2.1 Es kann schon nicht festgestellt werden, dass es bei der ersten Flurbereinigungsmaßnahme aus den Jahren 1963 bis 1973 der Teilnehmergemeinschaft der Flurbereinigung nach gesetzlichen Vorschriften oblegen hat, eine Erschließungsstraße herzustellen. Gemäß § 1 FlurbG dient die Flurbereinigung der Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbedingungen in der Land- und Forstwirtschaft sowie der Förderung de4r allgemeinen Landeskultur und der Landentwicklung. Wenn im Rahmen der damaligen Maßnahme Wege ausgebaut wurden, dienten sie nicht der Erschließung zum Zwecke der Bebauung. Aus dem als Anlage 4 zum Schriftsatz vom 04.05.2020 (Gerichtsakte Bl. 35) beigefügten Auszug aus dem Flurbereinigungsplan ist eindeutig ersichtlich, dass die der heutigen … straße entsprechenden Wege komplett im Außenbereich verliefen. Die damals am südlichen Wegrand der Fl.-Nr. B. … bereits bestehenden Anwesen Fl.-Nrn. A. …, F. … und G. …lagen an der Ortsdurchfahrt und waren durch diese verkehrsmäßig erschlossen. Sie hatten nur zusätzlich über den Feldweg eine direkte Zufahrtsmöglichkeit in den landwirtschaftlich genutzten Außenbereich.
2.2.2 Auch bei der Dorferneuerungsmaßnahme 1989 bis 1993 oblag es der Flurbereinigung nicht, eine Erschließungsstraße herzustellen.
Nach der Gemeinsamen Bekanntmachung der Bayerischen Staatsministerien des Innern, für Unterricht und Kultus und für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 06.06.1978, Az.: II B 4 – 9130/1-170, IV/2 – 7/171 456 und N 3 – 5671/71, (juris, Ziff. IV, 7), ist die Dorferneuerung eine wirkungsvolle Maßnahme zur integralen Verbesserung der Agrarstruktur und der Lebensverhältnisse auf dem Lande, sowie ein Beitrag zur Landentwicklung. Bei den Maßnahmen der Dorferneuerung ist im Rahmen der Ordnungsmaßnahmen neben der Erhaltung und Sicherung einzelner Bauten vor allem auf die Gestaltung und Erhaltung des Ortsbildes zu achten. Bei einer umfassenden Dorferneuerung wird vom Vorstand der Teilnehmergemeinschaft gemeinsam mit der Gemeinde unter rechtzeitiger Beteiligung der Träger öffentlicher Belange, die durch die Maßnahmen berührt sein können, ein Dorferneuerungsplan aufgestellt. Dieser dient auch der gegenseitigen Abstimmung der Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und der städtebaulichen Maßnahmen sowie anderer Vorhaben öffentlicher und privater Träger im Ortsbereich. Im Dorferneuerungsplan sollen die agrarstrukturell begründeten Neugestaltungsmaßnahmen mit den städtebaulich begründeten Ordnungs- und Gestaltungsmaßnahmen der Gemeinde im Sinne eines städtebaulichen Rahmenkonzeptes verbunden werden, das Grundlage für die verbindliche Bauleitplanung ist.
Die von Klägerseite vorgelegten Unterlagen zur Dorferneuerungsmaßnahme – Katasterkarte und Textteil zum Flurbereinigungsplan vom 06.09.1993 (Anlagen 5 und 6 zum o.g. Schriftsatz; Bl. 36-43 Gerichtsakte) – lassen weder darauf schließen, dass die Teilnehmergemeinschaft gesetzlich verpflichtet war oder auch nur den Willen hatte, eine Erschließungsstraße herzustellen, noch dass sie dazu einen Auftrag der Gemeinde hatte. Der Textteil enthält unter Ziff. 17.1.1 lediglich die Feststellung, dass die folgenden Straßen und Wege im Verfahrensgebiet gewidmet sind. Benannt sind dabei „die nach den Merkmalen der Verordnung vom 19.11.1968 (GVBl.S. 413) ausgebauten öffentlichen Feld- und Waldwege FlstNr. B. …, C. …, D. …, u.a., Eigentümer: Stadt …“. Unter Ziff. 17.1.2 wird ausgeführt: „Die Straßenbaulast der im Verfahren …ausgewiesenen öffentlichen Feld- und Waldwege, die nach den Merkmalen der Verordnung … ausgebaut wurden, ist kraft Gesetzes (Art. 54 Abs. 2 BayStrWG) mit der Beendigung des Ausbaus bzw. mit der Verkehrsübergabe auf die Stadt … übergegangen“. Dass im Zuge dieser Dorferneuerung ein Ausbau der streitgegenständlichen Wegeflächen stattgefunden hat, konnte die Beklagte nach eigenen Angaben nicht feststellen. Die Klägerseite trägt vor, es sei eine Verbreiterung des Weges erfolgt. Ausgehend von der Katasterkarte (Anlage 5) und den dort ersichtlichen schwarz hervorgehobenen Wegelinien, kann nicht ausgeschlossen werden, dass an diesen Wegen Ausbaumaßnahmen stattgefunden haben. Unterstellt, dies war der Fall, so hat es sich um Ausbaumaßnahmen „nach den Merkmalen der Verordnung vom 19. November 1968“ gehandelt, also um den Ausbau öffentlicher Feld- und Waldwege, nicht um die Herstellung einer zum Anbau bestimmten Erschließungsstraße. Eine Straße ist nur „zum Anbau bestimmt“ im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB, wenn und soweit an sie angebaut werden darf, d. h. wenn und soweit sie die an sie angrenzenden Grundstücke nach Maßgabe der §§ 30 ff. BauGB bebaubar oder sonstwie in nach § 133 Abs. 1 BauGB beachtlicher Weise nutzbar macht (BVerwG, U.v. 06.12.1996 – 8 C 32.95 -, BVerwGE 102, 294).
Aus dem Katasterplan von 1993 ist auch keine beginnende Bebauung entlang des Weges im Sinne einer Innenbereichsentwicklung erkennbar. Die Beklagte hat die Bebauungsentwicklung in einem als Anlage B 2 zum Schriftsatz vom 15.05.2021 vorgelegten Lageplan aufgezeigt. Demnach sind nach 1993 lediglich fünf Wohngebäude an der … straße errichtet worden (1994, 1997, 1999, 2000, 2008). Ob die Baugenehmigungen bauplanungsrechtlich rechtmäßig erteilt wurden, sei dahingestellt.
2.2.3 Darüber hinaus liegen aber auch die Voraussetzungen des § 123 Abs. 2 BauGB nicht vor.
Ein nach § 123 Abs. 1 BauGB zuständiger Träger soll die Erschließungsanlage nach Maßgabe des § 123 Abs. 2 BauGB „entsprechend den Erfordernissen der Bebauung und des Verkehrs“ herstellen. Zwar müssen bei der erstmaligen Herstellung einer Erschließungsanlage durch einen anderen Träger als die Gemeinde die in § 123 Abs. 2 BauGB genannten Erfordernisse der Bebauung und des Verkehrs nicht identisch sein mit den Merkmalen der endgültigen Herstellung im Sinne von § 132 Nr. 4, § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB, die die Gemeinde, in deren Straßenbaulast die Erschließungsanlage nach ihrer Erstherstellung (später) fällt, in ihrer Erschließungsbeitragssatzung festgelegt hat (BVerwG, B.v. 06.05.2008 – 9 B 18/08 -, juris. Rn. 6), die Erschließungsanlage muss aber den Erfordernissen gerecht werden, die durch den zu erwartenden Verkehr in dem betreffenden Gebiet gestellt werden, und sie muss das zu vermitteln geeignet sein, was eine Bebauung der anliegenden Grundstücke und in der Folge die funktionsgerechte Nutzbarkeit der auf den Grundstücken genehmigten baulichen Anlagen ermöglicht. Mit den in § 123 Abs. 2 BauGB genannten Herstellungserfordernissen sind lediglich Mindestbedingungen beschrieben (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 5 Rn. 18). Aus der weiteren Vorgabe, dass die Erschließungsanlagen spätestens bis zur Fertigstellung der anzuschließenden baulichen Anlagen nutzbar sein sollen, folgt, dass sie noch nicht endgültig hergestellt sein müssen im Sinne von § 133 Abs. 2 BauGB, sondern lediglich eine gefahrlose und funktionsfähige Erschließung gewährleisten sollen (BVerwG, B.v. 06.05.2008, a.a.O., Rn. 7, BVerwG, B.v. 13.09.2018 – 9 B 34/17 – juris, Rn. 9).
Die Klägerseite sieht es im Sinne des § 123 Abs. 2 BauGB als ausreichend an, dass die Merkmale der Verordnung vom 19.11.1968 erfüllt waren, als da sind: eine Entwässerung, die Niederschlagswasser schadlos ableitet, eine Tragschicht, die eine Achslast von mindestens 3,0 t schadlos aufnehmen kann, eine Deckschicht, die vor dem Abrieb durch den Verkehr und vor dem Eindringen von Wasser und Schmutz schützt sowie eine Fahrbahnbreite von mindestens 2,5 m.
Damit waren nach Ansicht der Kammer die Mindestanforderungen an eine zum Anbau bestimmte Erschließungsstraße aber nicht gegeben, weil nur eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit vorlag.
Selbst wenn man den Ausbauzustand der Fahrbahn des Feld- und Waldwegs hinsichtlich Trag- und Deckschicht als genügend ansehen wollte, ist eine Ausbaubreite von 2,60m bis 3,00m nicht ausreichend, um einen gefahrlosen Begegnungsverkehr auf einer Erschließungsstraße zu gewährleisten. Außerdem war eine Anlage zur Beseitigung des Straßenoberflächenwassers nicht durchgehend und den Erfordernissen des Verkehrs entsprechend vorhanden. Eine bloße Versickerung in Gräben stellte weder in den siebziger noch in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine ordnungsgemäße Straßenentwässerung dar. Hinzu kommt das gänzliche Fehlen einer Straßenbeleuchtung. Insbesondere auf der ca. 260m langen Strecke der Fl.-Nr. B. … ist ohne Beleuchtung ein ungefährdeter Haus-zu-Haus-Verkehr nicht gegeben (vgl. BayVGH, B.v. 29.06.2016 – 6 ZB 15.2786, juris). Eine Straßenbeleuchtung war bereits in den 70er Jahren allgemeiner Ausbaustandard für Erschließungsstraßen (vgl. BayVGH, B.v. 13.02.1995 – 6 CS 94.3674, BeckRS 1995, 14269). Das Argument der Klägerseite, dass § 123 Abs. 2 BauGB auf eine kostengünstige Herstellung gerichtet sei, weshalb es auf eine Beleuchtung nicht ankomme, liegt neben der Sache. Es muss zumindest überhaupt eine, wenn auch ggf. „kostengünstige“ Beleuchtung vorhanden sein, um den Erfordernissen des Verkehrs zu entsprechen.
Somit führen die Flurbereinigungsmaßnahmen nicht dazu, dass von einer erstmalig hergestellten Erschließungsanlage auszugehen ist und das Erschließungsbeitragsrecht nicht mehr zur Anwendung kommt.
3. Gegen die Beitragserhebung kann auch nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass die Ausschlussfrist von 20 Jahren nach Eintritt der Vorteilslage verstrichen ist.
Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG ist die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig.
Hintergrund dieser ab 01.04.2014 geltenden Regelung war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 05.03.2013, in der festgelegt wurde, dass das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit gesetzliche Regelungen verlangt, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dem Gesetzgeber obliege es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an der Erhebung von Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann (BVerfG, B.v. 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 – juris Rn. 40ff.).
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gewährleistet Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. bb) KAG eine bestimmbare zeitliche Obergrenze in Gestalt einer Ausschlussfrist, die durch den Eintritt der Vorteilslage ausgelöst wird und nach deren Ablauf eine Beitragserhebung zwingend und ausnahmslos ausscheidet, auch dann, wenn die Beitragsschuld noch nicht entstanden ist und deshalb auch noch nicht hätte festgesetzt werden dürfen und verjähren können.
Der Begriff der Vorteilslage knüpft dabei an rein tatsächliche, für den möglichen Beitragsschuldner erkennbare Gegebenheiten an und lässt rechtliche Entstehungsvoraussetzungen für die Beitragsschuld außen vor. Demnach kommt es für die Ausschlussfrist mit Blick auf die beitragsfähige Erschließungsanlage auf die tatsächliche – bautechnische – Durchführung der jeweiligen Erschließungsmaßnahme an, nicht aber auf die rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten, wie die Widmung der Anlage, die planungsrechtliche Rechtmäßigkeit ihrer Herstellung, die Wirksamkeit der Beitragssatzung oder den vollständigen Grunderwerb als Merkmal der endgültigen Herstellung.
Der Eintritt der Vorteilslage beurteilt sich nicht nach – kaum greifbaren – allgemeinen Vorstellungen von einer „Benutzbarkeit“ und „Gebrauchsfertigkeit“ der Anlage oder einer „ausreichenden Erschließung“ der angrenzenden Grundstücke. Vielmehr ist die konkrete Planung der Gemeinde für die jeweilige Anlage der Beurteilungsmaßstab, denn allein die Gemeinde entscheidet im Rahmen der ihr obliegenden Erschließungsaufgabe und der sich daraus ergebenden gesetzlichen Schranken über Art und Umfang der von ihr für erforderlich gehaltenen Erschließungsanlagen. Entscheidend kommt es darauf an, ob die wirksame, konkrete gemeindliche Planung für die Erschließungsmaßnahme sowohl im räumlichen Umfang als auch in der bautechnischen Ausführung bislang nur provisorisch ausgeführt oder schon vollständig umgesetzt ist (vgl. BayVGH, U.v. 24.02.2017 – 6 BV 15.1000 – juris Rn. 30f.; B.v. 04.05.2017 – 6 ZB 17.546 – juris Rn. 10f.).
Gemessen daran, ist die 20jährige Ausschlussfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG nicht abgelaufen, weil die technische Fertigstellung der Erschließungsstraße gemäß dem gemeindlichen Bauprogramm nicht vor 2019 erfolgt ist. Auf den erst im Februar 2020 beschlossenen Bebauungsplan „…“ und die noch ausstehende Widmung des Feld- und Waldwegs zur Ortsstraße kommt es nicht an.
Der Flurbereinigungsweg entsprach erkennbar nicht dem technischen Ausbauprogramm der Beklagten für Anbaustraßen. Die Satzungsbestimmung des § 9 Abs. 1 Nr. 2 EBS sieht für die endgültige Herstellung von Anbaustraßen unter anderem eine Straßenentwässerung und eine Beleuchtung vor. Welchen konkreten technischen Anforderungen diese Teileinrichtungen genügen müssen, um als endgültig hergestellt zu gelten, ist in der Satzung nicht näher umschrieben. Das ist auch nicht erforderlich. Herstellungsmerkmale sollen es den Beitragspflichtigen ermöglichen, durch einen Vergleich des satzungsmäßig festgelegten Bauprogramms mit dem tatsächlichen Zustand, in dem sich die gebaute Anlage befindet, ein Bild darüber zu verschaffen, ob die Anlage endgültig hergestellt ist oder nicht (BVerwG, U.v. 15.05.2013 – 9 C 3/12 -, juris, Rn. 16). Mit dieser auf Laien abstellenden Zielrichtung wäre es nicht zu vereinbaren, das Merkmal Beleuchtung oder Straßenentwässerung in dem Sinn zu verstehen, dass es um Ausbaustandards unter Beachtung bestimmter technischer Regelwerke ginge. Allerdings ist nach ständiger Rechtsprechung des BayVGH – unabhängig von der Einhaltung der jeweils gültigen technischen Regelwerke – von einer ordnungsgemäßen Straßenentwässerung und Beleuchtung im Sinn der Satzungsbestimmung nur dann auszugehen, wenn eine funktionsfähige, der Straßenlänge und den örtlichen Verhältnissen angepasste Beleuchtung und Straßenentwässerung vorhanden ist (BayVGH, B.v. 04.05.2017 – a.a.O. – juris Rn. 14; B.v. 29.06.2016 – 6 ZB 15.2786 – juris Rn. 7). Das bedeutet, dass diese beiden Teileinrichtungen grundsätzlich durchgehend auf der gesamten Länge der Erschließungsanlage vorhanden sein müssen.
Diese Voraussetzungen waren bei dem Flurbereinigungsweg – wie bereits oben 2.2.3 ausgeführt – vor der erstmaligen Herstellung durch die Beklagte im Hinblick auf eine verkehrstechnisch erforderliche Ausbaubreite, eine funktionsfähige Straßenentwässerung und eine nicht vorhandene Straßenbeleuchtung nicht gegeben. Dies war auch für jeden laienhaften Betrachter erkennbar.
4. Ohne Belang ist der Umstand, dass die „… straße nördlich der Ortsdurchfahrt“ in der Anlage zur Straßenausbaubeitragssatzung der Beklagten vom 12.12.1990 (Anlage 7 zum Schriftsatz vom 04.05.2020; Bl. 44ff. Gerichtsakte) als Anliegerstraße aufgeführt ist. Daraus folgt keine rechtlich bindende Festlegung. Die Frage, ob auf eine von der Gemeinde abgerechnete Anlage das (vorrangige) Erschließungsbeitrags- oder das Ausbaubeitragsrecht anwendbar ist, unterliegt der vollen verwaltungsgerichtlichen Überprüfung. So kann ein rechtsirrtümlich erhobener Straßenausbaubeitrag im gerichtlichen Verfahren als Erschließungsbeitrag aufrechterhalten werden. Gleiches gilt für den umgekehrten Fall (BVerwG, U.v. 19.08.1988, BVerwGE 80, 96 = NVwZ 1989, 471; juris).
5. In welcher Höhe Vorausleistungen erhoben werden, steht im Ermessen der Gemeinde. Dass die Beklagte hier lediglich 5% der erwarteten Kosten dem Vorausleistungsbescheid zugrunde gelegt hat, um Rechtsbehelfskosten für die Beitragspflichtigen gering zu halten, ist zumindest ein sachlicher Grund, der den Kläger jedenfalls nicht beschwert. Die endgültige Beitragspflicht ist auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht entstanden, da es trotz technischer Fertigstellung der Anlage bis heute an der erforderlichen Widmung fehlt (BayVGH, U.v. 13.12.2016 – 6 B 16.978 -, juris).
Die Klage war somit abzuweisen.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.


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