Baurecht

Voraussetzung und Dokumentation bei einer Direktvergabe – Dienstleistungskonzession

Aktenzeichen  Verg 16/19

Datum:
14.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
VergabeR – 2020, 241
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
PBefG § 8a Abs. 3, Abs. 4
GWB § 105 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2
VO (EG) Nr. 1370/2007 Art. 5 Abs. 1, Abs. 4, Art. 7 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Den öffentlichen Auftraggeber trifft mit der Vorinformation nach Art. 7 II VO (EG) Nr. 1370/2007 eine Dokumentationspflicht, aus der sich die Gründe für eine Direktvergabe errgeben. Die Begründung muss insbesondere belastbare Angaben zur Übernahme des Betriebsrisikos durch den Dienstleistungsnehmer enthalten und es muss sich aus ihr ergeben, dass die zuständige Behörde sich ihrer Entscheidungsfreiheit im Rahmen des Art. 5 IV 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 bewusst war. (Rn. 28 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Konzessionsnehmer übernimmt nach § 105 II S. 2 Nr. 1 GWB das Betriebsrisiko, wenn nicht gewährleistet ist, dass die Investitionsaufwendungen oder Betriebskosten wieder erwirtschaftet werden können. Sind Zuzahlung vorgesehen, kann der Vertrag jedenfalls dann nicht als Dienstleistungskonzession vom Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB ausgenommen werden, wenn die Zuzahlung ein solches Gewicht hat, dass ihr bei wertender Betrachtung kein bloßer Zuschusscharakter mehr beigemessen werden kann. (Rn. 33 – 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Indizien für eine Umgehung der wettbewerblichen Vergabe gemäß Art. 5 III VO (EG) Nr. 1370/2007 können bei der Vergabe von Personennahverkehrsleistungen ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen mehreren Bagatell-Direktvergaben an dasselbe Unternehmen oder die Tatsache sein, dass die Verkehrsleistungen aus mehreren Direktvergaben zusammengefasst ein einheitliches, in sich abgeschlossenes Verkehrsnetz bilden und sachliche Gründe für ein Bagatell-Direktvergaben nicht ersichtlich sind. (Rn. 41 – 42) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der öffentliche Auftraggeber hat bei der Vergabe von Verkehrsdienstleistungen gemäß § 8a III PBefG Ermessen, ob er von der Option der Direktvergabe Gebrauch machen will oder ein wettbewerbliches Vergabeverfahren nach Art. 5 III VO (EG) Nr. 1370/2007 durchführen möchte. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RMF-SG21-3194-4-13 2019-06-04 Bes VKNORDBAYERN Vergabekammer Ansbach

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer Nordbayern vom 4. Juni 2019, Az. RMF-SG21-3194-4-13 in den Ziffern 1. bis 3. aufgehoben.
II. Der Antragsgegner wird verpflichtet, bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren in den Stand vor der Bekanntmachung der Vorinformation über die Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 für den Betrieb des Linienverkehrs auf den VGN-Linien 396 und 397 zurückzuversetzen und bei erneuter Durchführung die Rechtsauffassung des Vergabesenats zu berücksichtigen.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich des Verfahrens nach § 173 GWB tragen die Antragstellerin zu 1/4 und der Antragsgegner und die Beigeladene zu je 3/8.
Die Antragstellerin trägt die notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren zu 1/4.
Der Antragsgegner und Beigeladene tragen die notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren zu je 3/8.
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer tragen die Antragstellerin zu 1/4 und der Antragsgegner zu 3/4. Die Antragstellerin trägt von den notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners vor der Vergabekammer 1/4. Der Antragsgegner trägt von den notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin vor der Vergabekammer 3/4.
Im Übrigen tragen die Verfahrensbeteiligten ihre notwendigen Aufwendungen selbst.
IV. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 95.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsgegner hat mit zwei EU weiten Vorinformation ohne Aufruf zum Wettbewerb vom 23. November 2018 – neben fünf weiteren Vorinformationen – die Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 für den Betrieb zweier Buslinien bekannt gegeben. Die Vorinformation 2018/S. 226-518345 bezieht sich auf die VGN-Linie 396 B. – M./E. – G., die Vorinformation 2018/S. 226-518346 auf die VGN-Linie 397 B. – P. – G. In Ziffer II.1.3. dieser Bekanntmachungen unter Art des Auftrags „Busverkehr (innerstädtisch/regional)“ angegeben. Nach Ziffer II.2.7 ist voraussichtlicher Vertragsbeginn jeweils der 1. Dezember 2019; die Laufzeit beträgt danach 96 Monate.
Mit Schreiben vom 5. Dezember 2018 hat die Antragstellerin bei dem Antragsgegner um eine Bestätigung gebeten, mindestens drei Angebote von geeigneten und leistungsfähigen Anbietern einzuholen, und zugleich ihr Interesse daran bekundet, die Linien zu bedienen. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2018 hat der Antragsgegner mitgeteilt, er erteile keine Auskunft darüber, ob und wie viele Unternehmen zur Abgabe von Angeboten aufgefordert worden seien. Mit Schreiben vom 18. Januar 2019 hat die Antragstellerin entgegnet, der Antragsgegner sei verpflichtet, wettbewerblich vorzugehen. Er sei nicht berechtigt, öffentliche Dienstleistungsaufträge aufzuspalten, um die Wertgrenzen zu umgehen. Bei den Linien 396 und 397 handele es sich um ein faktisches Bündel. Der Antragsgegner hat die Rüge mit Schreiben vom 19. Februar 2019 zurückgewiesen. Eine Direktvergabe nach Art. 5 VO (EG) Nr. 1370/2007 sei zulässig. Es liege jeweils eine Dienstleistungskonzession vor, da der Auftragnehmer zum überwiegenden Teil das wirtschaftliche Risiko für den Betrieb der beiden Linien trage. Eine Stückelung der Linien habe nicht stattgefunden.
Am 5. März 2019 hat die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag gestellt und beantragt,
dem Antragsgegner zu untersagen, bezüglich der Linien 396 und 397 einen Auftrag direkt zu erteilen, insbesondere ohne zuvor mit mehreren Anbietern ein Wettbewerbsverfahren durchgeführt zu haben.
Zur Begründung hat die Antragstellerin insbesondere ausgeführt, die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 lägen nicht vor. Es bestehe kein Betriebsrisiko der Beigeladenen, denn 80% bis 90% der Kunden auf den beiden Linien seien Schüler. Die Erlöse seien über Jahre hinaus planbar und unterlägen keinen Risiken. Es fehle offenbar ein ausgehandelter Vertragsentwurf, anhand dessen sich die zu übernehmenden Risiken überhaupt beurteilen ließen. Es sei eine pauschale Zuschussabsprache getroffen worden, wie sie wohl schon bisher üblich gewesen sei. Eine Direktvergabe verletze das Grundrecht der Berufsfreiheit und Chancengleichheit. § 8a Abs. 3 PBefG sei insofern einzuschränken. Eine Direktvergabe ohne Einholung von Vergleichsangeboten verstoße zudem gegen das Haushaltsrecht; dies sei bieterschützend. Es liege eine bewusste Umgehung des Verbots der Teilung von Aufträgen entsprechend Erwägungsgrund 23 der VO (EG) Nr. 1370/2007 vor. Die Vergabestelle hätte nach der Intention des § 8 Abs. 3, § 9 Abs. 2 und § 13 Abs. 2 Nr. 3 lit d) PBefG Linienbündel bilden sollen. Die Direktvergabe sei zudem unter fehlerhafter Ermessenausübung erfolgt. § 8a Abs. 4 PBefG lenke das Ermessen der Vergabestelle zur besonderen Berücksichtigung von kleinen und mittleren Unternehmen.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Nachprüfungsantrag kostenpflichtig zurückzuweisen.
Er hat insbesondere entgegnet, die streitgegenständlichen Verträge erfüllten die Voraussetzungen einer Dienstleistungskonzession. Dies sei in den Vergabeakten dokumentiert. Es werde ein der Höhe nach begrenzter Ausgleichsbetrag zugesichert, der ausweislich der Vergabeakten niedriger sei als die geschätzten Fahrgeldeinnahmen. Bei einer geringen Wettbewerbsintensität, wie sie der Markt für Dienstleistungen des öffentlichen Personennahverkehrs typischerweise aufweise, sei von einem wesentlichen Risiko ab einer Untergrenze von mindestens 50% der risikobehafteten Einnahmen auszugehen. Es komme nicht darauf an, ob das Risiko des Auftragnehmers in anderer Hinsicht vermindert sei; im Übrigen seien die Schülerzahlen seit Jahren stark rückläufig. Die Direktvergabe sei gemäß § 8a Abs. 3 PBefG nach deutschem Recht zulässig. Die Berufsfreiheit sei hierdurch nicht verletzt. Jeder Mitbewerber habe die Möglichkeit, einen Antrag auf Erteilung einer Genehmigung eines eigenwirtschaftlichen Verkehrs zu stellen oder eine Interessensbekundung mit einem niedrigeren Ausgleichsbedarf anzumelden. Haushaltsrecht werde im Vergaberecht nicht geprüft. Es gebe vorliegend kein Linienbündel. Es sei somit keine Aufteilung erfolgt, um ein wettbewerbliches Vergabeverfahren zu vermeiden. Mangels eines Konkurrentenantrags sei ein Ermessen nicht eröffnet.
Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 4. Juni 2019 den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückgewiesen. Bei den zu vergebenden Linien 396 und 397 handele es sich um Direktvergaben i. S. d. Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007. Die Möglichkeit der Direktvergabe sei nur bei Dienstleistungskonzessionen, nicht dagegen bei entgeltlichen Dienstleistungsaufträgen i. S. d. § 103 Abs. 1 GWB gegeben. Maßgeblich für das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession sei, ob der Auftragnehmer das Betriebsrisiko vollständig oder zumindest einen wesentlichen Teil davon trage. Ob und inwieweit der Konzessionär bei der Verwertung der ihm übertragenen Leistung tatsächlich den Risiken des Marktes ausgesetzt sei und das Betriebsrisiko ganz oder zumindest zu einem wesentlichen Teil übernehme, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei der hierfür erforderlichen Gesamtbetrachtung aller Umstände seien insbesondere die in Bezug auf den Vertragsgegenstand herrschenden Marktbedingungen und vertraglichen Vereinbarungen in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011, X ZB 4/10). Zwar werde in der Rechtsprechung als ein geeignetes Abgrenzungskriterium zwischen Dienstleistungsauftrag und Dienstleistungskonzession die Höhe des Anteils der Ausgleichszahlung bzw. des Zuschusses an den prognostizierten Gesamtkosten angesehen, eine festgelegte rechnerische Quote bestehe hingegen nicht. Bei beiden Linien liege eine Dienstleistungskonzession vor. Den Vergabeunterlagen sei zu entnehmen, dass für die Linie 396 im Jahr 2020 der Zuschuss des Auftraggebers überschlägig ca. 20% der prognostizierten Gesamtkosten und für die Linie 397 ca. 40% der prognostizierten Gesamtkosten betrage. Den Vergabeunterlagen sei eine Aufstellung fester Geldbeträge zu entnehmen, welche der Auftraggeber nach dem beiliegenden Vertragsentwurf an die Beigeladene in den Jahren 2020 bis 2029 jeweils als Ausgleichsbetrag zahle. Im Übrigen sei der Verkehrsunternehmer bei seiner Kalkulation von den künftigen Fahrgeldeinnahmen abhängig. Aufgrund der vorgelegten Zahlen gehe die Vergabekammer davon aus, dass die aus der Erbringung der Dienstleistungen möglichen Einkünfte noch eine äquivalente Gegenleistung im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darstellten. Die vereinbarten Ausgleichszahlungen hätten jeweils bloßen Zuschusscharakter. Die Vergabekammer gehe nicht von einer festen Quote zwischen Zuschuss und prognostizierten Gesamtkostenkosten aus. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Beschluss vom 2. März 2011, Verg 48/10) sei die Prognose der über 50-%igen Kostendeckung durch Fahrgeldeinnahme jedoch ein wichtiger Aspekt der erforderlichen Gesamtbetrachtung im Einzelfall. Im Ergebnis bleibe es vertragsgemäß das Risiko des Auftragnehmers, genügend Einnahmen zu erzielen. Es komme nicht darauf an, ob in Zukunft erhebliche Schwankungen bei den Fahrgeldeinnahmen zu erwarten seien oder nicht. Risiken, die aus außerhalb des Auftrags liegenden Umständen verringert seien, seien für die Risikobetrachtung irrelevant (OLG Düsseldorf Beschluss vom 2. März 2011, Verg 48/10).
Gegen die Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, die sie mit einem Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung verbunden hat.
Sie argumentiert insbesondere, bei den Verträgen, die der Antragsgegner an die Beigeladene vergeben wolle, handele es sich nicht um Dienstleistungskonzessionen, sondern um Dienstleistungsaufträge gemäß § 103 Abs. 4 GWB, so dass Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 nicht anwendbar sei. Mit der Annahme, die Fahrgeldeinnahmen, die die Beigeladene auf den Linien 396 und 397 erzielen könne, stellten eine äquivalente Gegenleistung für die Beförderungsleitung dar, habe die Vergabekammer sowohl die tatsächlichen Verhältnisse als auch die vom Bundesgerichtshof im Beschluss vom 8. Februar 2011 (X ZB 4/10) genannten Maßstäbe für die Abgrenzung zwischen Dienstleistungskonzession einerseits und öffentlichem Dienstleistungsauftrag andererseits verkannt. Aus den extrem niedrigen Gewinnmargen bei der Erbringung von Busverkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr folge, dass die Fahrgeldeinnahmen, die die Beigeladene auf den beiden Linien erzielen werde, bei weitem nicht ausreichten, um die Betriebskosten abzudecken. Ohne die vorgesehenen Zuschüsse sei die Auskömmlichkeit der Leistung für die Beigeladene nicht sichergestellt. Für die Einschätzung der Vergabekammer, die Fahrgeldeinnahmen seien ein angemessenes Äquivalent für die von der Beigeladenen zu erbringenden Betriebsleistungen, fehlten jegliche Anhaltspunkte. Wenn nicht sicher abgegrenzt werden könne, ob es sich im Einzelfall um einen Dienstleistungsauftrag oder um eine Dienstleistungskonzession handele, sei im Zweifel von einem Dienstleistungsauftrag auszugehen.
Außerdem seien die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 nicht erfüllt. Die Beweislast für die Einhaltung der dort genannten Schwellenwerte träfe den Antragsgegner. Voraussetzung einer Direktvergabe sei, dass der Auftragnehmer seine öffentlichen Personenverkehrsdienste ausschließlich innerhalb des Zuständigkeitsgebiets der zuständigen Behörde ausführe. Dies folge aus einer analogen Anwendung des Art. 5 Abs. 2 UAbs. 3 lit. b VO (EG) Nr. 1370/2007. Die Beigeladene führe Personenbeförderungsleistungen mit Bussen jedoch nicht nur im Bezirk des Antragsgegners aus, sondern in verschiedenen Teilen Bayerns, Baden-Württembergs und Thüringens. Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 erlaube nach dem Normzweck nur Direktvergaben an kleine und mittlerer Unternehmen, was die Beigeladene nicht sei. Wenn sich – wie im vorliegenden Fall – mehrere Unternehmen dafür interessierten, als Auftragnehmer einer Direktvergabe gemäß Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 Beförderungsleistungen mit Bussen zu erbringen, müsse die zuständige Behörde eine ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung unter den interessierten Bewerbern treffen, dies folge aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 12 GG. Die beabsichtigte Direktvergabe sei auch deshalb rechtswidrig, weil der Antragsgegner eine solche Ermessensentscheidung nicht getroffen habe.
Schließlich habe der Antragsgegner gegen das unionsrechtliche Umgehungsverbot verstoßen, indem er neben den streitgegenständlichen beabsichtigen Direktvergaben, fünf weitere Direktvergaben gemäß Art. 5 Abs. 4 VO(EG) Nr. 1370/2007 angekündigt habe, um zu erreichen, dass die in dieser Vorschrift genannten Wertgrenzen für die Zulässigkeit von Direktvergaben bei einer Betrachtung der einzelnen Aufträge eingehalten seien, obwohl sie bei einer Gesamtbetrachtung überschritten wären.
Die Antragstellerin ficht den Beschluss der Vergabekammer vom 4. Juni 2019, RMF-FG21-3194-4-13 in vollem Umfang an und beantragt in der Sache,
1.dem Antragsgegner zu untersagen, einen Auftrag über den Betrieb des Linienverkehrs mit Bussen auf der Linie 396 (B. – M./E. – G.) entsprechend der am 23. November 2018 veröffentlichten Vorinformation 2018/S. 226-518345 direkt nach Art. 5 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 170/2007 an die Beigeladene zu vergeben;
2.dem Antragsgegner zu untersagen, einen Auftrag über den Betrieb des Linienverkehrs mit Bussen auf der Linie 397 (B. – P. – G.) entsprechend der am 23. November 2018 veröffentlichten Vorinformation 2018/S. 226-518346 direkt nach Art. 5 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 170/2007 an die Beigeladene zu vergeben;
3.dem Antragsgegner aufzugeben, für den Fall, dass er an den in den Anträgen zu 1. und zu 2. genannten Beschaffungsvorhaben festhält, die Aufträge jeweils nur nach vorheriger Durchführung eines Vergabeverfahrens nach den Vorschriften des Teils 4 des Gesetzes gegen den Wettbewerbsbeschränkungen zu vergeben.
Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigen die angegriffene Entscheidung. Sie haben sich gegen die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde gemäß § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB mit der Begründung gewandt, die sofortige Beschwerde habe keine Aussicht auf Erfolg, so dass es keiner weiteren Interessenabwägung bedürfe.
Es liege unzweifelhaft eine Dienstleistungskonzession vor. Die Argumentation des Antragstellers, wonach aus einer geringen Gewinnmarge folge, dass ein Zuschuss in Höhe von 20% oder 40% dazu führe, dass die Fahrgeldeinnahmen kein angemessenes Äquivalent für die zu erbringende Betriebsleistung seien, entbehre jeder Logik. Ausgleichszahlungen des Auftraggebers stünden der Annahme einer Dienstleistungskonzession nicht entgegen, sofern der Leistungserbringer weiterhin das überwiegende wirtschaftliche Risiko trage. Der Beigeladenen werde seitens des Landkreises keine bestimmte Gesamteinnahme, sondern lediglich ein der Höhe nach begrenzter Zuschuss zugesichert, so dass sie infolge der Ausgleichszahlungen nicht von den marktwirtschaftlichen Risiken befreit sei und ein nicht zu vernachlässigendes Verlustrisiko trage. Die Kosten der Beigeladenen müssten zu 60% bzw. zu 80% aus den Fahrgeldeinnahmen erwirtschaftet werden. Diese schwankenden und voll dem Betriebsrisiko unterliegenden Einnahmen deckten damit den weit überwiegenden Teil der Kosten ab. Auch für die weiteren Jahre bis 2029 sei den Vergabeunterlagen die Aufstellung fester Geldbeträge zu entnehmen, die als Ausgleichszahlung zu leisten seien. Diese Zahlen machten deutlich, dass die Beigeladene in ihrer Kalkulation überwiegend von den zukünftig zu erwartenden Fahrgeldeinnahmen abhängig und somit während des gesamten Vertragszeitraums das Risiko trage, nicht genügend Einnahmen zu erzielen und in eine Verlustsituation zu geraten, ohne dass ein mögliches Defizit seitens des Auftraggebers auszugleichen sei. Unerheblich sei, dass ein Teil der Fahrgeldeinnahmen aus Ausgleichszahlungen für die Schülerbeförderung bestehe.
Der Tatbestand des Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 sei erfüllt. Für eine analoge Anwendung des Art. 5 Abs. 2 UAbs. 3 lit. b VO (EG) Nr. 1370/2007 sei mangels einer planwidrigen Regelungslücke kein Raum. Nicht nachvollziehbar sei der Einwand der Antragstellerin, Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 erlaube ausschließlich Direktvergaben an kleine und mittlere Unternehmen. Art. 5 Abs. 4 (VO EG) Nr. 1370/2007 lege in seinen beiden Unterabsätzen vielmehr in Abhängigkeit von der Größe des Verkehrsunternehmens gestaffelte Schwellenwerte für das Vorliegen eines Bagatellauftrags fest.
Aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG folge kein nationalrechtliches Verbot der Direktvergabe von Kleinaufträgen. Gemäß § 8a Abs. 3 PBefG sei die zuständige Behörde unter den in der VO (EG) Nr. 1370/2007 genannten Voraussetzungen befugt, Verkehrsdienstleistungen auch nach Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 direkt zu vergeben. Eine von der Antragstellerin behauptete Verletzung von Grundrechten infolge der Direktvergabe sei nicht ersichtlich. Der Schutzbereich der Berufsfreiheit sei durch die Wahrnehmung der Option zur Direktvergabe nicht tangiert. Durch die Vorinformationspflicht nach Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 sei sichergestellt, dass Unternehmen, die ein Interesse an der Erbringung der veröffentlichten Personenverkehrsdienste hätten, ein entsprechendes Angebot bei der zuständigen Behörde abgeben können. Machten mehrere Unternehmen davon Gebrauch, sei die zuständige Behörde verpflichtet, eine nachvollziehbare Auswahlentscheidung zu treffen, indem sie den Bewerber auswähle, der das wirtschaftlich beste Angebot abgegeben habe. Art. 12 Abs. 1 GG schütze die Berufsfreiheit nur insoweit, als eine Teilnahme am Wettbewerb möglich sein müsse. Es sei auch nicht erkennbar, dass die Antragstellerin innerhalb des von dem Auftraggeber gewählten Verfahrens der Direktvergabe nicht die gleiche Chance wie die Beigeladene gehabt hätte, den Auftrag zu erhalten. Ihr hätte es frei gestanden, ein eigenes Angebot einzureichen und dadurch den Auftraggeber zu einer an sachlichen Kriterien orientierten Auswahlentscheidung zu verpflichten. Es liege kein Ermessensausfall vor; mangels eines Antrags der Antragstellerin habe von vornherein keine Möglichkeit bestanden, deren Interessen in einer Auswahlentscheidung zu berücksichtigen.
Die Argumentation, wonach das unionsrechtliche Umgehungsverbot die Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens gebiete, sei unzutreffend. Eine nach Erwägungsgrund 23 der VO (EG) Nr. 1370/2007 unzulässige Aufteilung könne schon deshalb ausgeschlossen werden, weil die Netze bereits aufgeteilt seien und verschiedene Betreiber über unterschiedliche Linienverkehrsgenehmigungen verfügten. Der Antragsgegner sei nicht verpflichtet, ein schon in der Vergangenheit zwischen verschiedenen Betreibern aufgeteiltes Netz mit nur einem Betreiber zusammenzuführen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 3. Juli 2019 dem Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde gemäß § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache stattgegeben.
Ergänzend wird auf die Entscheidung der Vergabekammer und die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten Bezug genommen.
II.
Die nach § 8a Abs. 7 PBefG i. V. m. § 171 GWB statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat auch in der Sache überwiegend Erfolg. Die Antragstellerin ist dadurch in ihren Rechten verletzt, dass die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Antragsgegners zur Direktvergabe aufgrund der Dokumentation in der Vergabeakte nicht nachvollzogen werden kann. Der Antrag der Antragstellerin auf eine Vergabe aufgrund einer europaweiten Ausschreibung bleibt erfolglos, da es der Vergabestelle obliegt, bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht zu prüfen und zu dokumentieren, ob eine Direktvergabe vorgenommen werden kann und soll. Eine rechtmäßige Direktvergabe erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen.
1. Der Nachprüfungsantrag ist aus den von der Vergabekammer dargelegten Gründen zulässig. Insbesondere stellt die gemäß Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 bekannt gemachte Absicht einer Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 eine gemäß § 8a Abs. 7 PBefG i. V. m. §§ 155 ff GWB von der Vergabekammern nachprüfungsfähige Entscheidung dar (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 10. November 2015, 11 Verg 8/15, juris 30 ff.).
2. Der Nachprüfungsantrag hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.
Für den Betrieb des Linienverkehrs auf den VGN-Linien Nr. 396 und 397 ist eine Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 i. V. m. § 8a Abs. 3 PBefG zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, mangels Angabe prüfungsfähiger Tatsachen, auf deren Basis die Absicht zur Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 nachvollzogen werden könnte, hat der Nachprüfungsantrag in der Sache insoweit Erfolg als das Vergabeverfahren in den Stand vor der Bekanntmachung der Vorinformation zurückzuversetzen ist. Zwar führt nicht jeder Dokumentationsmangel dazu, dass eine Wiederholung der betreffenden Verfahrensabschnitte anzuordnen ist (Senatsbeschl. v. 9. März 2018, Verg 10/17, juris Rn. 55 m. w. N.). Hier liegt jedoch kein Fall einer zulässigen Nachholung einer „versäumten“ Dokumentation vor.
2.1. Eine Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 ist nur dann möglich, wenn das jeweilige nationale Recht eine Vergabe ohne vorheriges wettbewerbliches Verfahren zulässt.
Einfachgesetzlich sind Unterschwellenvergaben durch § 8a Abs. 3 PBefG, an dessen Verfassungsmäßigkeit der Senat keine Zweifel hat (Beschl. v. 31. März 2016, Verg 14/15, NZBau 2016, 583, juris Rn. 240 ff.) unter den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 ausdrücklich erlaubt.
Personenverkehrsdienste, die als Dienstleistungskonzessionen vergeben werden, fallen in den Anwendungsbereich dieser Norm (Prieß in Linke, VO (EG) 1370/2007, 2. Aufl. 2019, Art. 5 Rn. 1, 44 ff.). Das zentrale Abgrenzungskriterium zwischen Dienstleistungsauftrag und Dienstleistungskonzession ist die Übernahme des Betriebsrisikos durch den Dienstleistungsnehmer (Prieß, a. a. O. Rn. 50; Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 105 Rn. 20). Insoweit wird auf die Ausführungen in Ziffer 2.2.1.1. verwiesen.
2.2. Den öffentlichen Auftraggeber trifft mit der Vorinformation nach Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 eine Dokumentationspflicht, welche sich auf die Gründe für die Entscheidung, die streitgegenständlichen Leistungen direkt zu vergeben, erstreckt. Zur Gewährleistung effektiven, in Art. 5 Abs. 7 VO (EG) Nr. 1370/2007 ausdrücklich vorgesehenen Rechtsschutzes, muss die Begründung über die bloße Behauptung, es soll im Wege der Direktvergabe vorgegangen werden, hinausgehen. Nur wenn die Gründe sich auch darauf erstrecken, aus welchen konkreten Erwägungen heraus nach Auffassung der Behörde die Voraussetzungen für die beabsichtigte Direktvergabe vorliegen, wird der interessierte Bieter in die Lage versetzt, die Rechtmäßigkeit des angekündigten Verhaltens überprüfen zu können. Die Begründung muss demnach eine argumentative Tiefe aufweisen, die objektiv nachvollziehbare Angaben enthält, aus denen auf das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen Direktvergabeart geschlossen werden kann (OLG Frankfurt, Beschluss vom 10. November 2015, 11 Verg 8/15, juris Rn. 48; Zuck in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl. 2018, VO (EG) 1370/2007 Art. 7 Rn. 12; Fehling in Linke, VO (EG) 1370/2007, Art. 7 Rn. 51d; Berschin in Münchner Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2019, VO (EG) Nr. 1370/2007 Art. 7 Rn. 12). Dies ergibt sich auch aus dem vergaberechtlichen Transparenzgrundsatz (Art. 97 Abs. 1 GWB), dem bei einer – hier beabsichtigten – wettbewerbsfreien Direktvergabe besondere Bedeutung zukommt (vgl. VK Hessen, Beschluss vom 23. Februar 2017, 9d – VK – 33/2016, juris Rn. 111 m. w. N.).
Die Dokumentation dient der Nachvollziehbarkeit, ob die zuständige Behörde die tatbestandlichen Voraussetzungen der beabsichtigten Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007, hier insbesondere die einer Dienstleistungskonzession sorgfältig geprüft hat und von ihrem Wahlrecht bewusst Gebrauch gemacht (VK Hessen a. a. O.). Die Anwendbarkeit des Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007, der die Direktvergabe von Aufträgen unterhalb bestimmter Schwellwerte an dritte Betreiber zulässt, setzt – wovon die Vergabekammer zutreffend ausgeht – nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und 3 VO (EG) Nr. 1370/2007 voraus, dass es sich um Dienstleistungskonzessionen handelt (EuGH, Urt. v. 27.10.2016, C-292/15, NZBau 2017, 48, Rn. 39). Es sind somit belastbare Angaben zur Übernahme des Betriebsrisikos durch den Dienstleistungsnehmer erforderlich (s. u. Ziffer 2.2.1.). Hinsichtlich der Einhaltung der in Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 genannten Schwellenwerte ist von der zuständigen Behörde in den Blick zu nehmen, dass es ihr nach Erwägungsgrund 23 der Verordnung nicht gestattet ist, Aufträge oder Netze so aufzuteilen, um so ein wettbewerbliches Vergabeverfahren zu vermeiden (s. u. Ziffer 2.2.2.). Schließlich muss sich aus der Dokumentation ergeben, dass die zuständige Behörde sich ihrer Entscheidungsfreiheit im Rahmen des Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 bewusst war (s. u. Ziffer 2.2.3.).
2.2.1. Anhand der vorliegenden Informationen lässt sich nicht feststellen, dass die beabsichtigten Verträge als Dienstleistungskonzessionen anzusehen sind.
2.2.1.1. Für den Begriff der Dienstleistungskonzession gilt die Legaldefinition des Art. 5 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b) RL 2014/23/EU, auf den Art. 5 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 im Rahmen der dynamischen Verweisung (vgl. Nr. 2.1.1. Auslegungsleitlinien der Kommission, 2014/C 92/01) verweist und der in § 105 Abs. 1 Nr. 2 GWB umgesetzt wurde. Danach ist eine Dienstleistungskonzessionen ein entgeltlicher, schriftlich geschlossener Vertrag, wobei die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Verwertung der vertragsgegenständlichen Dienstleistungen oder in diesem Recht zuzüglich einer Zahlung besteht. Aufgrund der explizit genannten zweiten Alternative steht eine – hier nach dem der Vergabestelle von der Beigeladenen übersandten Mustervertrag vorgesehene – Zuschusszahlung der Annahme einer Dienstleitungskonzession nicht von vorhinein entgegen. Gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen sind dadurch gekennzeichnet, dass die aus dem Recht der Nutzung resultierenden Fahrgeldeinnahmen als Gegenleistung für einen wirtschaftlichen Betrieb nicht ausreichen (Fehling in Heinze/Fehling/Fiedler, 2. Aufl. 2014, PBefG § 8a Rn. 29).
Nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b) RL 2014/23/EU geht auf den Konzessionsnehmer mit der Vergabe einer Dienstleistungskonzession das Betriebsrisiko für die Verwertung der Dienstleistungen über, wobei es sich um ein Nachfrage- und/oder ein Angebotsrisiko handeln kann. Das Betriebsrisiko gilt als vom Konzessionsnehmer getragen, wenn unter normalen Betriebsbedingungen nicht garantiert ist, dass die Investitionsaufwendungen oder die Kosten für den die Erbringung der Dienstleistungen, die Gegenstand der Konzession sind, wieder erwirtschaftet werden können. Der Teil des auf den Konzessionsnehmer übergegangenen Risikos umfasst es, den Unwägbarkeiten des Marktes tatsächlich ausgesetzt zu sein, so dass potenzielle geschätzte Verluste des Konzessionsnehmers nicht rein nominell oder vernachlässigbar sind.
§ 105 Abs. 2 GWB kodifiziert im Wesentlichen die durch den EuGH entwickelten Kriterien zum Übergang des Betriebsrisikos (Mohr in Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2018, § 105, Rn. 83). Der Konzessionsnehmer übernimmt nach § 105 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 GWB das Betriebsrisiko, wenn unter normalen Betriebsbedingungen nicht gewährleistet ist, dass die Investitionsaufwendungen oder die Kosten für den Betrieb der Dienstleistung wieder erwirtschaftet werden können. Es muss ein nicht ausgeschlossenes Risiko bestehen, dass die investierten Kosten einschließlich der Betriebskosten nicht verdient werden und dadurch die Konzession auch mit Verlust abgeschlossen wird. Ein Risiko der Gewinnschmälerung oder eines Gewinnausfalls an sich ist nicht ausreichend. Genauso ist ein etwaiges Kalkulationsrisiko auf der Kostenseite nicht ausreichend, da dies bei jeder Vergabe immanent ist (Erwägungsgrund 20 RL 2014/23/EU). Nach § 105 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 GWB wird das Betriebsrisiko näher bestimmt als das Risiko den „Unwägbarkeiten des Marktes tatsächlich ausgesetzt“ zu sein, so dass potentielle geschätzte Verluste des Konzessionsnehmers nicht vernachlässigbar sind. Den Begriff der „Unwägbarkeiten des Marktes“ verwendete der EuGH explizit in seinem Rettungsdienst-Stadler-Urteil vom 10. März 2011 (Mohr a. a. O. Rn. 86): Das wirtschaftliche Risiko sei zu verstehen als „das Risiko den Unwägbarkeiten des Marktes ausgesetzt zu sein“. Dieses Risiko liege insbesondere in „der Konkurrenz durch andere Wirtschaftsteilnehmer, dem Risiko eines Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage, dem Risiko der Zahlungsunfähigkeit derjenigen, die die Bezahlung der erbrachten Dienstleistungen schulden, dem Risiko einer nicht vollständigen Deckung der Betriebsausgaben durch die Einnahmen oder dem Risiko der Haftung für einen Schaden im Zusammenhang mit einem Fehlverhalten bei der Erbringung der Dienstleistung“ (EuGH, Urt. v. 10. März 2011, C-274/09, juris Rn. 37).
Ob und inwieweit der Konzessionär bei der Verwertung der ihm übertragenen Leistung tatsächlich den Risiken des Marktes ausgesetzt ist und er das Betriebsrisiko ganz oder zumindest zu einem wesentlichen Teil übernimmt, hängt nach der für die nationalen Gerichte verbindlichen Rechtsprechung des EUGH von den Umständen des Einzelfalls ab. Ist – wie hier – eine Zuzahlung vorgesehen, kann der Vertrag nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls dann nicht als Dienstleistungskonzession vom Anwendungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausgenommen werden, wenn die zusätzliche Vergütung oder (Aufwands-)Entschädigung ein solches Gewicht hat, dass ihr bei wertender Betrachtung kein bloßer Zuschusscharakter mehr beigemessen werden kann. Wann eine Zuzahlung im vorgenannten Sinne im Vordergrund steht und überwiegt, lässt sich wegen der Unterschiedlichkeit der möglichen Fallgestaltungen ebenso wenig einheitlich durch eine rechnerische Quote festlegen, wie sich auch sonst eine schematische Lösung verbietet. Es bedarf auch insoweit stets einer alle Umstände des Einzelfalls einbeziehenden Gesamtschau (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011, X ZB 4/10, BGHZ 188, 200-233, Rn. 33 ff.)
Bei der gebotenen Einzelfallbetrachtung sind die für den Vertragsgegenstand geltenden Marktbedingungen sowie die vertraglichen Vereinbarungen in ihrer Gesamtheit zu würdigen (BGH a a. O. Rn. 35; Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rn. 20).
2.2.1.2. Vorliegend enthält der Entwurf eines Mustervertrages zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen einen Hinweis auf die Voraussetzungen einer Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007, verbunden mit der Anmerkung, der Vertrag müsse den Charakter einer Dienstleistungskonzession aufweisen. Dass die Vertragsparteien die Kriterien einer Dienstleistungskonzession bei der Vertragsgestaltung einhalten wollen, genügt indes noch nicht (Berschin in Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, VO (EG) Nr. 1370/2007 Art. 5 Rn. 7).
Dass der Antragsgegner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die Voraussetzungen einer Dienstleistungskonzession sorgfältig geprüft und zusammen mit den von der Beigeladenen übersandten Unterlagen die herrschenden Marktbedingungen in den Blick genommen hat, lässt sich der Vergabeakte nicht entnehmen.
Ohne Erfolg wendet die Beigeladene ein, der vorliegende Fall unterscheide sich von dem der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 11. November 2015 (11 Verg 8/15) zugrundeliegenden. Dort ist zwar nach den Entscheidungsgründen noch vollständig offengeblieben, zu welchen tatsächlichen Konditionen die Vergabestelle bereit wäre, der Beigeladenen oder einem Dritten ein Vertragsangebot zu unterbreiten (juris Rn. 52), während hier die Beigeladene zumindest einen rudimentären Mustervertragsentwurf übersandt hat, dem sich allerdings lediglich entnehmen lässt, dass linienbezogen eine Ausgleichszahlung in Höhe von „XYZ EUR p.a.“ zu zahlen ist oder eine Gesamtsumme für alle Linien genannt werden soll. Dies spricht zwar für die Vereinbarung „fester Zuschussbeträge“, andererseits soll sich der Zuschuss ausweislich des Anschreibens der Beigeladenen, mit dem der Entwurf eines Mustervertrags übersandt wurde, nach einem Kostenindex erhöhen, wobei ein Mindestfaktor genannt ist. Steigende Kosten, die in den Index einfließen, würden somit zu höheren Zuschüssen führen. Nach der von der Beigeladenen für das Jahr 2010 vorgenommenen Kalkulation der Ausgleichsleistung beträgt diese bei der Linie 396 ca. 22% und bei der Linie 397 ca. 48% der prognostizierten Gesamtkosten. Auf die „Aufstellung fester Geldbeträge“, die der Auftraggeber nach Ansicht der Vergabekammer in den Jahren 2010 bis 2029 jeweils an die Beigeladene zahlt, wird in dem Vertragsentwurf nicht Bezug genommen. Diese Aufstellung enthält Zuschussbeträge, die sich bei einer linearen Steigerung ergeben, wobei die Zahlen für 2020 für die beiden streitgegenständlichen Linien nicht den für dieses Jahr vorgenommenen Berechnungen entsprechen. Unklar bleibt somit schon, von welchen Vertragskonditionen der Antragsgegner bei seiner Entscheidung zur Direktvergabe ausging, auch wenn zumindest eine Größenordnung der Zuschüsse erkennbar ist. Der Vergabeakte lässt sich weder entnehmen, auf welcher Annahme die prognostizierte Steigerung der Zuschüsse beruht, noch dass der Antragsgegner die von der Beigeladenen für das Jahr 2020 vorgelegten Kalkulationen hinterfragt hätte.
Die Übernahme eines relevanten Betriebsrisikos durch die Beigeladene über die Gesamtlaufzeit der beabsichtigten Direktvergabe kann damit nicht festgestellt werden.
2.2.2. Eine Prüfung, dass es sich bei den sieben Strecken, für deren beabsichtigte Direktvergabe zeitgleich jeweils eine Vorinformation bekanntgemacht wurde, nicht um eine verbotene Aufteilung handelt, ergibt sich aus der Vergabeakte nicht.
Das Verbot der Umgehung gemeinschaftsrechtlicher Pflichten und Verbote ist ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, den die europäischen Gerichte in ständiger Rechtsprechung anwenden. Deshalb darf ein Auftrag nicht in mehrere Bagatell-Vergaben aufgeteilt werden in der Absicht, die Vorschriften der Verordnung über die wettbewerbliche Vergabe gemäß Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1370/2007 zu umgehen. Satz 3 des Erwägungsgrunds 23 der VO (EG) Nr. 1370/2007 stellt das ausdrücklich klar (Prieß in Linke, VO (EG) 1370/2007, Art. 5 Rn. 203; Zuck in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VO (EG) 1370/2007 Art. 5 Rn. 77; Berschin in Münchner Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, VO (EG) Nr. 1370/2007 Art. 5 Rn. 49). Indizien für eine Umgehung können etwa ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen mehreren Bagatell-Direktvergaben an dasselbe Unternehmen oder die Tatsache sein, dass die Verkehrsleistungen aus mehreren Direktvergaben zusammengefasst ein einheitliches, in sich abgeschlossenes Verkehrsnetz bilden und nicht ersichtlich ist, aus welchen sachlich-verkehrlichen Gründen statt einer Gesamtvergabe mehrere Bagatell-Direktvergaben vorgenommen worden sind (Prieß a. a. O.).
Die beabsichtigte zeitgleiche Direktvergabe von sieben Linien an die Beigeladene wird in der Vergabeakte unter dem Gesichtspunkt der Einhaltung der Schwellenwerte bzw. des Aufteilungsverbotes nicht thematisiert, obwohl hierfür aufgrund der aufgezeigten objektiven Umständen Veranlassung bestanden hätte. Der Mustervertrag enthält die Anmerkung, es könne ggf. auch nur die Gesamtsumme aller Ausgleichzahlungen genannt werden. Zwar können auch mehrere, kumulativ den Schwellenwert überschreitenden Unterschwellenvergaben an dasselbe Unternehmen zulässig sein. Der Vergabeakte lässt sich lediglich entnehmen, dass es sich um Überlandlinien und nicht nur um Stadtverkehr handelt, bei dem eine Umgehung der wettbewerblichen Vergabeverfahren auf der Hand läge (vgl. Zuck a. a. O. Rn. 79) und dass schon bislang bestehende Linien fortgeführt werden sollen. Unklar bleibt neben dem genauen Streckenverlauf insbesondere, ob die Fahrpläne aufeinander abgestimmt sind.
2.2.3. Schließlich ist nicht ersichtlich, dass sich der Antragsgegner seiner Entscheidungsfreiheit bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 bewusst war.
Unter den in Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 genannten Voraussetzungen kann die zuständige Behörde entscheiden, öffentliche Dienstleistungsaufträge direkt zu vergeben.
Aus der Formulierung „kann“ in Art. 5 Abs. 4 UAbs. 1 VO (EG) Nr. 1370/2007 ergibt sich, dass die zuständige Behörde sich auch für die Vergabe im Wege eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens entscheiden kann (Prieß in Linke, VO (EG) 1370/2007, Art. 5 Rn. 193). Sie muss ihre Entscheidungsfreiheit pflichtgemäß und rechtsfehlerfrei ausüben. Das bedeutet, sie muss in Kenntnis ihrer Entscheidungsfreiheit handeln, darf nur die nach der VO (EG) Nr. 1370/2007 zulässigen Entscheidungen treffen und muss diese Entscheidungen auf der richtigen Tatsachengrundlage und ohne unsachgemäße Erwägungen treffen (Prieß a. a. O. Rn. 195).
Entsprechendes ergibt sich aus § 8a Abs. 3 PBefG, wonach die zuständige Behörde unter den in der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 genannten Voraussetzungen „befugt“ ist, Verkehrsleistungen im Nahverkehr nach Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 direkt zu vergeben. Die zuständige Behörde besitzt also Ermessen, ob sie von dieser Option der Direktvergabe Gebrauch machen will oder ein wettbewerbliches Vergabeverfahren nach Art. 5 Abs. 3 der VO (EG) Nr. 1370/2007 i.V.m. § 8b PBefG durchführen möchte (Fehling in Heinze/Fehling/Fiedler, Personenbeförderungsgesetz, § 8a Rn. 48).
Der Vergabeakte lässt sich lediglich der Wunsch des Antragsgegners entnehmen, durch Annahme des Angebots der Beigeladenen auch für die Zukunft ein qualitativ hochwertiges Nahverkehrsangebot zu sichern.
3. Keinen Erfolg hat der Nachprüfungsantrag, soweit die Antragstellerin begehrt, dem Antragsgegner bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht aufzugeben, die Aufträge jeweils nur nach vorheriger Durchführung eines Vergabeverfahrens nach den Vorschriften des Teils 4 des Gesetzes gegen den Wettbewerbsbeschränkungen zu vergeben.
Es obliegt zunächst der Vergabestelle, die Voraussetzungen einer Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 zu prüfen und – auf der richtigen Tatsachengrundlage und ohne unsachgemäße Erwägungen – zu entscheiden, ob sie ggf. diese Möglichkeit nutzen will. Über die dann unter Umständen im Rahmen einer Direktvergabe zu treffende Auswahlentscheidung hat der Senat derzeit nicht zu befinden.
Auf die Argumentation der Antragstellerin, eine Direktvergabe käme nur an kleine und mittlere Unternehmen in Betracht, der der Senat angesichts des klaren Wortlauts der Regelung nicht zu folgen vermag, kommt es somit nicht an. Ein Gebot des Mittelstandsschutzes lässt sich Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 oder allgemein der Verordnung nicht entnehmen (Prieß in Linke, VO (EG) 1370/2007, Art. 5 Rn. 182w).
Schließlich besteht entgegen der Ansicht der Antragstellerin kein Anlass, Art. 5 Abs. 2 lit. b VO (EG) Nr. 1370/2007 auf die Fälle des Abs. 4, die keine Inhouse-Vergaben betreffen, entsprechend anzuwenden.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens und der notwendigen Auslagen der Beteiligten ergeht gemäß § 175 Abs. 2 i. V. m. § 78 GWB. Die Kostentragungspflicht umfasst auch das Verfahren nach § 173 GWB.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 50 Abs. 2 GKG i. V. m. § 3 Abs. 11 Nr. 2 VgV.


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