Baurecht

Voraussetzungen für Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  9 ZB 20.2910, 9 ZB 20.2911

Datum:
21.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 3165
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 42 Abs. 2, § 124 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 5, § 124a Abs. 4 S. 4
BGB § 917

 

Leitsatz

1. Die ausdrückliche Betonung des Umstands, es handele sich um einen „Ausnahmefall“, deutet bereits darauf hin, dass die aufgeworfene Frage nur anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls, nicht jedoch grundsätzlich und fallübergreifend geklärt werden kann, sodass von einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht ausgegangen werden kann. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist eine angegriffene Entscheidung auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, setzt die Zulassung der Berufung voraus, dass für jeden dieser Gründe die Zulassungsvoraussetzungen entsprechend den Anforderungen des § 124a Abs. 4 S. 4 VwGO dargelegt werden. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 5 K 19.21 2020-10-08 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Verfahren 9 ZB 20.2910 und 9 ZB 20.2911 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Anträge auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.
III. Der Kläger trägt die Kosten der Zulassungsverfahren einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
IV. Der Streitwert für die Zulassungsverfahren wird bis zu ihrer Verbindung auf jeweils 10.000 € und nach der Verbindung auf insgesamt 20.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen zwei der Beigeladenen erteilte Baugenehmigungen (Neubau eines Hotels bzw. eines Bürogebäudes) auf einem in Beider Teileigentum stehenden Grundstück. Er ist der Auffassung, die Baugenehmigungen seien rechtswidrig, weil sie ihn aufgrund unzureichender Erschließung des im Sondereigentum der Beigeladenen stehenden Grundstücksteils unmittelbar zur Duldung eines Notwegerechts gemäß § 917 BGB zwängen. Das Verwaltungsgericht hat seine entsprechenden Klagen als unzulässig abgewiesen, weil dem Kläger die Klagebefugnis i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO fehle. Sondereigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz schließe die Geltendmachung öffentlich-rechtlicher Nachbarschutzrechte innerhalb der Gemeinschaft der Miteigentümer ein- und desselben Grundstücks grundsätzlich aus. Insoweit enthalte das Wohnungseigentumsgesetz spezielle, den Inhalt des Sondereigentums bestimmende, materielle und verfahrensrechtliche Regelungen, weswegen der Kläger gehalten sei, seine geltend gemachten Abwehransprüche gegen die Beigeladene in einem bereits anhängigen, zivilrechtlichen Verfahren weiter zu betreiben.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seinen Anträgen auf Zulassung der Berufung. Er ist der Auffassung, die Rechtssachen hätten grundsätzliche Bedeutung und das Urteil des Verwaltungsgerichts sei verfahrensfehlerhaft.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
1. Die Verfahren konnten aus prozessökonomischen Gründen gem. § 93 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden werden. Sie betreffen dasselbe Grundstück und werfen die gleichen Rechtsfragen auf.
2. Die Anträge auf Zulassung der Berufung haben keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sowie das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) bereits nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO entsprechenden Weise dargelegt sind bzw. jedenfalls nicht vorliegen.
a) Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erfordert, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 22.1.2019 – 5 B 1.19 D – juris Rn. 2 m.w.N.; B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – BayVBl 2016, 104 Rn. 6 m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.6.2018 – 14 ZB 17.390 – juris Rn. 14 m.w.N.). Um den auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, (2.) ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, (3.) erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und (4.) darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Der Kläger hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob „ein belasteter Sondereigentümer einer Mehrhausanlage im Ausnahmefall der notwegerheblichen Rechtswidrigkeit einer Baugenehmigung zugunsten eines Sondereigentümers einer angrenzenden Sondernutzungsfläche desselben WEG-Grundstücks in einer öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzklage klagebefugt i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO“ ist. Er macht im Wesentlichen geltend, sein Fall stelle einen Ausnahmefall der notwegerheblichen Rechtswidrigkeit einer Baugenehmigung dar, für den das Zivilrecht in Form des Wohnungseigentumsgesetzes keinen – vollständigen – Drittschutz gewähre, weshalb es auch keine Überlagerung bzw. Verdrängung etwaiger öffentlich-rechtlicher Drittschutzansprüche durch das Zivilrecht geben könne.
Mit diesem Vorbringen ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Abgesehen davon, dass die ausdrückliche Betonung des Umstands, es handele sich hier um einen „Ausnahmefall“, bereits darauf hindeutet, dass die aufgeworfene Frage nur anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls, nicht jedoch grundsätzlich und fallübergreifend geklärt werden kann, ist die vom Kläger als grundsätzlich erachtete Frage jedenfalls nicht entscheidungserheblich. Denn das Verwaltungsgericht hat nicht nur auf einen Vorrang des Zivilrechts erkannt und deutliche Zweifel geäußert, ob – namentlich mit Blick auf die konkreten örtlichen Gegebenheiten sowie die Einschränkungen, denen die Sondereigentumsfläche des Klägers nach der gültigen Teilungserklärung unterliegt – die Einräumung eines Notwegerechts zugunsten der Beigeladenen (und damit die Duldung dieses Rechts durch den Kläger) überhaupt erforderlich ist. Sondern es hat darüber hinaus in einer weiteren Begründung – selbstständig tragend – festgestellt, die im Streit stehenden Baugenehmigungen seien für die mögliche Entstehung eines Notwegerechts jedenfalls nicht ursächlich. Insoweit hat die Kammer „im Übrigen“ darauf hingewiesen, „dass – selbst wenn man entgegen den vorstehenden Ausführungen von der Möglichkeit eines vom Antragsteller (Kläger) zu duldenden Notwegerechts ausgeht – ein solches jedenfalls nicht erst durch die Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigungen entstehen konnte. Vielmehr ist in diesem Fall die „notwendige Verbindung“ im Sinne von § 917 BGB bereits aufgrund der privatrechtlichen Teilungserklärung nach § 8 WEG samt Gemeinschaftsordnung vom 25. Oktober 2012 entfallen, weshalb es an der notwendigen Kausalität zwischen der Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung und der Entstehung eines Notwegerechts fehlt“ (S. 18 bzw. S. 21 des jeweiligen Urteilsabdrucks). Angesichts dessen liegt die seitens des Klägers geltend gemachte und mit der aufgeworfenen Rechtsfrage vorausgesetzte „notwegerhebliche Rechtswidrigkeit“ (vgl. zu diesem Begriff: BayVGH, B. v. 30.9.2019 – 9 CS 19.967 – juris) der streitgegenständlichen Baugenehmigungen gar nicht vor. Zu diesen Ausführungen des Verwaltungsgerichts verhält sich das Zulassungsvorbringen nicht. Ist aber eine angegriffene Entscheidung – wie hier – auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, setzt die Zulassung der Berufung voraus, dass für jeden dieser Gründe die Zulassungsvoraussetzungen entsprechend den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt werden (vgl. W.-R. Schenke in: Kopp, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 124 a Rn. 7). Das ist hier nicht der Fall.
b) Einen Verfahrensmangel i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, auf dem das Urteil beruhen kann, hat der Kläger ebenfalls nicht dargelegt. Er macht geltend, die angegriffene Entscheidung verletze sein Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, weil wesentliche Elemente seines Vortrags nicht berücksichtigt worden seien.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409). Es gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes, dass ein Kläger die Möglichkeit haben muss, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (BVerfG, B.v. 21.4.1982 – 2 BvR 810/81 – BVerfGE 60, 305). Die Gerichte brauchen sich jedoch nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Etwas anderes gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerwG, B.v. 2.5.2017 – 5 B 75.15 D – juris Rn. 11 m.w.N.).
Dass Letzteres der Fall sein könnte, ergibt sich nicht aus dem lediglich pauschalen Vorbringen des Klägers, das Verwaltungsgericht habe die angefochtene Entscheidung allein mit Argumenten aus dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes begründet und diese lediglich um einige „Schlagworte“ aus der bestätigenden Beschwerdeentscheidung des erkennenden Senats (B. v. 30.9.2019 – 9 CS 19.967) „ergänzt“, vor allem aber einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht hinreichend berücksichtigt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Beigeladene hat sich im Zulassungsverfahren geäußert und einen Antrag gestellt. Es entspricht deshalb der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten erstattet erhält (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der aktuellen Fassung 2013 und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren, gegen die keine Einwände erhoben wurden.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben