Baurecht

Vorbescheid für Nutzungsänderung von Geschäftsräumen einer Bank in Shop für Sportwetten

Aktenzeichen  AN 9 K 19.01782

Datum:
9.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28334
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 2
BayBO Art. 71
BauNVO § 4 Abs. 2 Nr. 2, § 6

 

Leitsatz

1. Eine Vergnügungsstätte und nicht lediglich eine Wettannahmestelle, die darauf angelegt ist, Wetten entgegenzunehmen und weiterzuleiten sowie Gewinne auszuzahlen, liegt vor, wenn die Kunden durch die konkrete Ausgestaltung, insbesondere durch das unmittelbare Nebeneinander von Wettannahmestelle und Liveübertragung von Sportereignissen mit gastronomischem Angebot dazu animiert werden, sich länger aufzuhalten, die Sportereignisse, auf die sie gewettet haben, in Liveübertragungen zu verfolgen und weiter an angebotenen Wettspielen teilzunehmen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Rahmen einer Gesamtschau ist anhand von objektiven Umständen zu beurteilen, ob eine gastronomische Nutzung und ein Wettbüro mit Übertragung von Sportereignissen in ihren städtebaulichen Auswirkungen als räumlich-funktionale Einheit zu bewerten sind. Das unmittelbare Nebeneinanderliegen zweier Zugänge und eine Toilettenmitbenutzung können als Anzeichen für einen räumlich und funktional einheitlichen Betrieb dienen. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Annahme eines Mischgebiets setzt eine Gleichrangigkeit der beiden Hauptnutzungsarten Wohnen und Gewerbe voraus. Dies bedeutet zwar weder nach der Anzahl noch nach der beanspruchten Fläche ein bestimmtes „Mischungsverhältnis“. Jedoch darf keine der beiden Hauptnutzungsarten ein deutliches Übergewicht über die andere haben bzw. optisch eindeutig dominieren. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Abgrenzung der Schank- und Speisewirtschaft von der Vergnügungsstätte ist nach dem Schwerpunkt des Betriebs zu beurteilen, wenn in Schank- und Speisewirtschaften Nutzungselemente vorhanden sind, die einer Vergnügungsstätten entsprechen, und diese Nutzungselemente ein Übergewicht oder eine Prägung des Betriebs zur Folge haben. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 13. September 2020 wird die Beklagte verpflichtet, den am 29. November 2018 von dem Kläger beantragten Vorbescheid zu Frage 1) zu erteilen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H.
des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Klagegegenstand ist nach dem Klageantrag der Antrag des Klägers vom 28. November 2018 auf Erteilung des Vorbescheides mit dem Inhalt der Frage 1 zur planungsrechtlichen Zulässigkeit des Bauvorhabens „Nutzungsänderung von Geschäftsräumen einer Bank zu einem Shop für Sportwetten“ im Erdgeschoss des Baugrundstückes FlNr. …, Gemarkung …, … in … Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung des Vorbescheides für das oben genannte Bauvorhaben. Der Hauptantrag in Gestalt der Verpflichtungsklage nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13. September 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Die im Wege des Vorbescheides nach Art. 71 BayBO abgefragte, mit der Klage allein geltend gemachte, planungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens entsprechend der Frage 1 des Klägers vom 28. November 2018 liegt vor. Das beantragte Bauvorhaben ist planungsrechtlich nach § 34 Abs. 1 BauGB zulässig.
1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung des Vorbescheides für das Bauvorhaben „Nutzungsänderung in einen Shop für Sportwetten“ im Erdgeschoss des streitgegenständlichen Grundstücks im Rahmen der zu entscheidende Frage 1 hinsichtlich der planungsrechtlichen Zulässigkeit. Das beantragte Bauvorhaben ist als Vergnügungsstätte einzustufen (vgl. nachfolgend 2.1). In der maßgeblichen näheren Umgebung (vgl. nachfolgend 2.2), die einer sog Gemengelage entspricht (vgl. nachfolgend 2.3), fügt sich das streitgegenständliche Bauvorhaben nach § 34 Abs. 1 BauGB ein (vgl. nachfolgend 2.4).
1.1 Das beantragte Bauvorhaben des Klägers, das aufgrund der bestimmten Bauantragsunterlagen konkret prüfbar (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 14.5.2007 – 1 ZB 06.225 – juris; OVG Münster, B.v. 20.2.2004 NVwZ-RR 2004, Seite 558) ist, stellt ein Wettbüro in Form einer Vergnügungsstätte dar. Entgegen den Ausführungen des Klägers ist nicht lediglich von einer Wettannahmestelle auszugehen (vgl. nachfolgend 2.1.1); eine räumliche und funktionale Einheit zu der ebenfalls in dem Gebäude befindlichen Pilsbar „…“ – wie von der Beklagten vorgetragen – ist jedoch nicht erkennbar (vgl. nachfolgend 2.1.2).
1.1.1 Entsprechend der eingereichten Bauantragsunterlagen, insbesondere der konkreten Betriebsbeschreibung des Klägers vom 28. November 2018, ist vorliegend bei dem streitgegenständlichen Bauvorhaben von einem Wettbüro in Form einer Vergnügungsstätte auszugehen.
Eine Vergnügungsstätte und nicht lediglich eine Wettannahmestelle, die darauf angelegt ist, Wetten entgegenzunehmen und weiterzuleiten sowie Gewinne auszuzahlen, liegt dann vor, wenn die Kunden durch die konkrete Ausgestaltung, insbesondere durch das unmittelbare Nebeneinander von Wettannahmestelle und Liveübertragung von Sportereignissen mit gastronomischen Angebot dazu animiert werden, sich dort länger aufzuhalten, die Sportereignisse, auf die sie gewettet haben, in Liveübertragungen auf Fernsehmonitoren zu verfolgen und weiter an den angebotenen Wettspielen teilzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2016 – 9 ZB 14.1146 – juris; B.v. 21.5.2015 – 15 CS 15.9 – juris, Rn. 14; B.v. 25.4.2013 – 15 ZB 13.274 – juris; OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 6.10.2015 – 10 B 1.14 – juris, Rn. 42; OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 14.4.2011 – 8 B 10278/11 – juris). Für ein Kerngebiet typisch ist eine solche Vergnügungsstätte dann, wenn sie als zentraler Dienstleistungsbetrieb auf dem Unterhaltungssektor einen größeren Einzugsbereich hat und für ein größeres allgemeineres Publikum erreichbar sein soll, wobei die Größe des Betriebes eine maßgebende Rolle spielt (vgl. BayVGH, B.v. 13.5.2016 – 9 ZB 14.1419 – juris; vorgehend VG Ansbach, U.v. 9.4.2014 – UAN 9 K 13.01321 – juris, Rn. 33).
Nach diesen Vorgaben stellt das Bauvorhaben „Shop für Sportwetten“ ein Wettbüro dar. Gemäß der mit dem Vorbescheidsantrag vorgelegten Betriebsbeschreibung vom 28. November 2018 werden in den Räumlichkeiten im Erdgeschoss – bestehend aus zwei Gasträume mit insgesamt 91 m² – Wettscheine angenommen, wobei das Mitverfolgen der Wettereignisse im Mittelpunkt steht, da die aktuellen sportlichen Veranstaltungen auf großen Flachbildschirmen, die die aktuellen Sportereignisse live übertragen, mitverfolgt werden können. Die vorhandenen Sitzmöglichkeiten und das (beschränkte) gastronomische Angebot – in Gestalt von Heißgetränken und alkoholfreien Getränken am Automaten – bieten Anreize zum Verweilen während der Betriebszeit von 10:00 Uhr bis 23:00 Uhr und stellen einen kommerziellen Unterhaltungssektor dar, wie für eine Vergnügungsstätte typisch.
Im Übrigen geht auch der Kläger in seinem Schriftsatz vom 17. März 2020 davon aus, dass es sich bei dem streitigen Bauvorhaben um eine Vergnügungsstätte handelt.
Aufgrund der Größe der Gasträume von insgesamt 91 m² liegen keine Anhaltspunkte vor, von einer kerngebietstypischen Vergnügungsstätte auszugehen (vgl. hierzu BVerwG vom 28.07.1988 – NVwZ 1989,50; BayVGH, U.v. 24.11.2010 – 9 B 10.363 – juris; B.v. 19.06.2012 – 9 ZB 09.11 – juris; VG München, U.v. 24.6.2013 – M 8 K 12.4195).
1.1.2 Entgegen dem Vortrag der Beklagten kein räumlich und funktional einheitlicher Betrieb der Nutzungseinheit „Wettbüro“ und der im Erdgeschoss links des Baugrundstückes betriebenen Pilsbar „…“ erkennbar.
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes ist im Rahmen einer Gesamtschau anhand von objektiven Umständen zu beurteilen, ob eine gastronomische Nutzung und ein Wettbüro mit Übertragung von Sportereignissen in ihren städtebaulichen Auswirkungen als räumlich funktionale Einheit zu bewerten sind (BayVGH, B.v. 13.5.2016 – 9 ZB 14.1419 – juris). Das unmittelbare Nebeneinanderliegen zweier Zugänge und eine Toilettenmitbenutzung können als Anzeichen für einen räumlich und funktional einheitlichen Betrieb dienen. Im Rahmen einer Gesamtschau ist neben der räumlichen Situation jedoch vor allem auch zu berücksichtigen, ob sich die Nutzungen „in geradezu idealer Weise ergänzen“ und nach außen hin einheitlich in Erscheinung treten (vgl. BayVGH, B.v. 13.5.2016 – 9 ZB 14.1419 – juris; vorgehend VG Ansbach, U.v. 9.4.2014 – AN 9 K 13.01321 – juris, Rn. 33; VG Ansbach, U.v. 21.12.2016 – AN 9 K 15.2594- juris). Dass beide Einheiten infolge einer räumlich bzw. funktionalen Verbindung durch eine jeweils größere Attraktivität voneinander profitieren, kann für die Annahme einer Betriebseinheit in städtebaulicher Hinsicht von Bedeutung sein (vgl. BVerwG, B.v. 29.10.1992 – 4 B 103/92 – juris).
Aufgrund der Inaugenscheinnahme des streitgegenständlichen Baugrundstücks ist im konkreten Fall nicht von einem räumlichen und funktionalen Zusammenhang der beiden Nutzungen der Pilsbar einerseits und des geplanten Wettbüros andererseits auszugehen.
Beide Nutzungen verfügen über einen eigenen Toilettenbereich und werden von unterschiedlichen Inhabern betrieben. Beide Nutzungen weisen auch weitgehend keine identischen Öffnungszeiten auf, da entsprechend der Betriebsbeschreibung des Klägers vom 28. November 2018 das Wettbüro täglich bis 23:00 Uhr geöffnet sein soll, demgegenüber ist die Pilsbar – mangels konkreter Regelungen im Genehmigungsbescheid der Beklagten vom 15. Juli 1969 – täglich von 9:30 Uhr bis 4:30 Uhr geöffnet. Beide Nutzungen haben zudem unterschiedliche Eingänge – die Pilsbar in der …, das geplante Wettbüro in der … – und zum mittigen Eingangsbereich, der in die Obergeschosse führt, besteht lediglich beidseitig eine Fluchttüre, ohne Zugangsmöglichkeit vom Treppenhaus aus. Allein die mögliche Ergänzung der Angebote beider Einheiten, die zusammen eine gesteigerte Attraktivität dem Kunden ermöglicht, ist damit nicht ausschlaggebend.
2. Die maßgebliche nähere Umgebung des Baugrundstücks im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ergibt sich im vorliegenden Fall aus dem vorliegenden Straßengeviert, in dem sich das streitgegenständliche Bauvorhaben befindet, sowie aus der gegenüberliegenden Straßenseite der … bis hin zur … Als für ein Bauvorhaben maßgebliche nähere Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist der den Vorhabenstandort umgebende Bereich anzusehen, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf ihn auswirken kann und soweit er seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des Vorhabengrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Die Grenzen der näheren Umgebung im Sinne des § 34 BauGB lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (vgl. BayVGH, U.v. 24.11.2010 – 9 B 10.363 – juris). Damit sind die Grundstücke in der Umgebung insoweit zu berücksichtigen, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann und zum anderen insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Eine Straße kann dabei ein trennendes oder verbindendes Element sein (BVerwG v. 25.5.1978, 4 C 9.77, Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 34, Rn. 36; VG Ansbach, U.v. 14.11.2018 – AN 9 K 16.641 – juris).
Aufgrund der durchgeführten Inaugenscheinnahme ergibt sich die maßgebliche nähere Umgebung aus dem Straßengeviert, begrenzt durch die … im Norden, die … im Westen, die … im Süden und die … im Osten. In diesem Straßengeviert liegt das klägerische Baugrundstück.
Die Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite der … bis zur … sind angesichts der unmittelbaren Nähe und Blickmöglichkeit zum Baugrundstück zur näheren Umgebung zu rechnen. Auf der gegenüberliegenden Seite der … befindet sich in den fünfgeschossigen Gebäuden reine Wohnnutzung, mit Ausnahme des Erdgeschosses in der … (Geschäft für Fenster und Türen) sowie eines Wollwarengeschäfts im Erdgeschoss der … Die Bebauung und Nutzung jenseits der … prägen demgegenüber nach Auffassung der Kammer als Ergebnis des Augenscheins das Baugrundstück nicht in maßgeblicher Weise. Die … besitzt in Höhe des Baugrundstückes nach Auffassung der Kammer trennende Wirkung.
Es besteht eine funktionelle Trennung durch die …, insbesondere durch die Fahrbahnbreite und den Ausbauzustand der … und optisch durch die Grünfläche sowie das zurückgesetzte Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite der … Die … ist eine breit angelegte Ausfall straße, die im hier maßgeblichen Bereich als Hauptverkehrs straße mit beidseitig zweispurigen Fahrbahnen sowie Gehwegen ausgestattet ist. In der Mitte zwischen den Richtungsfahrbahnen befindet sich ein baulich abgesetzter Gleiskörper mit Straßenbahnschienen in beide Richtungen. Das gegenüberliegende Gebäude der Bundesagentur für Arbeit ist zurückgesetzt und wird durch einen vorgelagerten Grünbereich abgeschirmt. Allein die mögliche Fahrbahnquerung durch Ampelschaltung für Fußgänger, die von der anderen Straßenseite der … zum Vorhaben gelangen wollen, steht der trennenden Wirkung nicht entgegen.
In der Folge haben die gewerblichen Nutzungen – wie das … oder das Gebäude der … -auf der gegenüberliegenden Straßenseite der …, keine Auswirkungen auf die vorliegende Gebietseinstufung.
3. Die Kammer geht davon aus, dass sich die hier maßgebliche Umgebung um das Baugrundstück nicht in den Typenkatalog der §§ 2 – 11 BauNVO einstufen lässt, sodass kein Baugebiet im Sinne dieser Vorschriften vorliegt, sondern eine Gemengelage, bei der die Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB zu prüfen ist.
Angesichts der beim Augenschein festgestellten Nutzungen in der oben eingegrenzten Bezugsumgebung kommt die Kammer zu der Überzeugung, dass es sich vorliegend weder um ein Mischgebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 BauNVO (vgl. nachfolgend 2.3.1) noch um ein allgemeines Wohngebiet § 4 BauNVO (vgl. nachfolgend 2.3.2) handelt.
3.1 Das deutliche Überwiegen der Wohnnutzung, insbesondere auch die rein wohngenutzten Gebäude im Bereich des vorliegenden Straßengevierts – wie oben dargestellt – sprechen gegen die Annahme eines Mischgebietes nach § 6 BauNVO; von einer gleichwertigen Verteilung von Wohnen und Gewerbe, wie für ein Mischgebiet erforderlich, kann daher nicht gesprochen werden.
Die Annahme eines Mischgebiets setzt eine Gleichrangigkeit der beiden Hauptnutzungsarten Wohnen und Gewerbe voraus. Dies bedeutet zwar weder nach der Anzahl noch nach der beanspruchten Fläche ein bestimmtes „Mischungsverhältnis“. Jedoch darf keine der beiden Hauptnutzungsarten ein deutliches Übergewicht über die andere haben bzw. optisch eindeutig dominieren (vgl. hierzu BVerwG vom 28.4.1972 BVerwGE 40, 94 f.; BVerwG vom 25.11.1993 BVerwGE 68, 207 f.; VG Ansbach, U.v. 21.06.2017 – AN 9 K 15.1072 – juris Rn. 11).
Die überwiegende Nutzung in dem Karree, dessen Gebäude fünfgeschossig sind, dient dem reinen Wohnen mit Ausnahme der folgenden im einzelnen aufgeführten Geschäftsbetriebe:
Neben dem Baugrundstück in der … befindet sich im Erdgeschoss ein SB-Service der … Im Gebäude in der … ist im zweiten Geschoss eine Zahnarztpraxis. In der … befindet sich im Erdgeschoss ein Sanitätshaus, Im Rückgebäude dieser Hausnummer befindet sich über zwei Geschossen die Besitz- und Verwaltungsgesellschaft der … sowie ein Architektenbüro. Ebenfalls in der … befindet sich ein kleines Friseurgeschäft. Während das Gebäude in der … der reinen Wohnnutzung dient, befindet sich in der … im Erdgeschoss ein Friseurgeschäft sowie ein Abbruch- und Sanierungsgeschäft. An der Kreuzung … findet sich ein spanisches Restaurant. Im Folgenden sind entlang der … sowie der … reine fünfgeschossige Wohnhäuser vorzufinden. An der Ecke … … findet sich im Erdgeschoss das Café „…“. Ein kleines Fliesengeschäft mit Ausstellungsraum befindet sich in der … Ein Ladengeschäft im Erdgeschoss der … steht leer. Die fünf Geschosse der … und * dienen der reinen Wohnnutzung. Im Erdgeschoss linksseitig der … wird die Pilsbar „…“ betrieben.
Der Anteil der für das Wohnen genutzten Fläche ist damit deutlich größer als der Anteil der gewerblich genutzten Fläche.
3.2 Das streitgegenständliche Baugrundstück liegt auch nicht in einem allgemeinen Wohngebiet, § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 4 BauNVO.
Zwar findet sich überwiegend nach den oben genannten Darstellungen in der näheren Umgebung des Baugrundstückes Wohnnutzung, dies vor allem in den jeweils vier Obergeschossen der Gebäude. Der Annahme eines allgemeinen Wohngebietes widerspricht jedoch die genehmigte Pilsbar „…“ im gleichen Gebäude FlNr. … wie das geplante Bauvorhaben. Die mit Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 1969 genehmigte Pilsbar stellt eine Vergnügungsstätte dar, die in einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 BauNVO unzulässig ist. Nach Überzeugung der Kammer handelt es sich bei der Pilsbar „…“ insbesondere nicht um eine Schank- und Speisewirtschaft nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO.
Der planungsrechtliche Begriff Schank- und Speisewirtschaft, der in der BauNVO nicht definiert ist, beinhaltet Gewerbebetriebe, in denen Getränke aller Art allein oder zusammen mit zubereiteten Speisen an Gäste zum Zwecke des Verzehrs in den Wirtschaftsräumen, gegebenenfalls auch im Freien, verabreicht werden. Die Bezeichnung der Anlage ist für die rechtliche Qualifikation unerheblich, sodass zu den Schankund Speisewirtschaften zum Beispiel Wirtshäuser, Gaststätten, Restaurants, Cafés, Schnell- und Stehimbisse, Kneipen, Weinstuben, Bierstuben, Biergärten, Ausflugslokale und Eisdielen zählen (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, 2020, § 4 Rn. 57, 58). Die Abgrenzung der Schank- und Speisewirtschaft von der Vergnügungsstätte ist nach dem Schwerpunkt des Betriebes zu beurteilen, wenn in Schank- und Speisewirtschaften Nutzungselemente vorhanden sind, die einer Vergnügungsstätten entsprechen, und diese Nutzungselemente ein Übergewicht oder eine Prägung des Betriebs zur Folge haben. In solchen „Mischnutzungsverhältnissen“ kann eine Einrichtung, in der auch Speisen und Getränke angeboten werden, als Vergnügungsstätte zu beurteilen sein, vor allem dann, wenn die reine Bewirtung der Besucher durch die angebotenen Nutzungen in den Hintergrund tritt (VG Ansbach, U.v. 17.10.2012 – AN 9 K 12.00384 – juris) und das Vorhandensein von Spielmöglichkeiten (zum Beispiel Dart, Geldspielgeräte, Tischfußball) dem Betrieb nach den Verhältnissen des Einzelfalls ein insgesamt gaststättenfremdes Gepräge geben (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, 2020, § 4 Rn. 12).
Nach dieser Maßgabe handelt es sich im konkreten Fall der Pilsbar „…“ um eine Vergnügungsstätte und nicht um eine Schank- und Speisewirtschaft. Die Pilsbar ist aufgrund ihrer Öffnungszeit bis 4:30 Uhr und Nutzung, da sie gerade in der Nachtzeit aufgrund der großen Fenster und der Beleuchtung, aber auch infolge der Spielnutzungen besonders die Besucher auch außerhalb der näheren Umgebung anzieht, als Vergnügungsstätte einzustufen. Keinesfalls stellt sie eine im allgemeinen Wohngebiet gebietsverträgliche Schank- und Speisewirtschaft im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO dar, da sie nicht der Versorgung des Gebietes dient.
Die Pilsbar wurde mit Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 1969 mit einem Gastzimmer von 75 m² genehmigt. Die konkrete Öffnungszeit der Pilsbar, die seit vielen Jahren dort betrieben wird, ergibt sich nicht aus dem Genehmigungsbescheid. Aufgrund der Verkürzung der Sperrzeit für Gaststättenbetriebe in Bayern zum 1. Januar 2005 darf die Pilsbar mit Ausnahme der Sperrzeit von 5.00 – 6:00 Uhr – geöffnet sein. Aufgrund der Inaugenscheinnahme hat die Pilsbar täglich bis 4:30 Uhr geöffnet, dies wird seitens der Beklagten auch nicht beanstandet.
Im hinteren Bereich des Gastraumes befinden sich zwei elektrisch betriebene Dartspielgeräte sowie im vorderen Bereich drei Geldspielautomaten, die den Kunden als Vergnügen dienen und zum längeren Verweilen einladen. Die zentrale und hervorgehobene Lage der Pilsbar an der Ecke … mit Werbeschriften und Beleuchtung zieht zudem einen größeren Kundenkreis an, sodass von einer prägenden Wirkung auszugehen ist. Bei der Größe des Gastraumes von 75 m² entfalten die Geldspielgeräte und die zwei hervorstechenden Dartspielgeräte auch eine prägende Dominanz, da sie optisch maßgeblich durch ihre Ausgestaltung und Nutzung durch die Kunden die Räumlichkeit prägen (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 15.09.2010 – 3 S 1105/10 – juris; VG Stuttgart, U.v. 15.04.2014 – 5 K 1953/13 – juris). Daher ist auch damit zu rechnen, dass die Pilsbar von ihren Kunden gerade auch wegen der Spielmöglichkeit aufgesucht wird.
Die Pilsbar liegt zudem an der viel befahrenen … und sticht aufgrund ihrer räumlichen Lage an der Ecke H1. Straße heraus, zumal im „Außenbereich“ Tische und Stühle sowie große Sonnenschirme die Aufmerksamkeit auf das Vorhaben lenken. Von einem örtlich begrenzten Einzugsbereich der Besucher kann daher nicht mehr ausgegangen werden. Dies gilt vor allem aufgrund der hervorstechenden Lage und Beleuchtung der Pilsbar zur Nachtzeit. Mit dem besonders schutzwürdigen Ruhebedürfnis der Bewohner ab 22:00 Uhr in einem allgemeinen Wohngebiet ist diese Nutzung keinesfalls in Einklang zu bringen.
4. Das streitgegenständliche Wettbüro in Gestalt der Vergnügungsstätte fügt sich nach Art der baulichen Nutzung in die in der Umgebung vorhandene Bau- und Nutzungsstruktur gemäß § 34 Abs. 1 BauGB ein.
Für das streitgegenständliche Bauvorhaben des Wettbüros als Vergnügungsstätte bedeutet dies, dass eine Rahmenverträglichkeit hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung vorliegt, da in der näheren Umgebung bereits eine weitere Vergnügungsstätte vorhanden ist. Zur Begründung wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
Es besteht letztendlich nicht die Gefahr einer Überschreitung des von der Bebauung bisher eingehaltenen Rahmens dahingehend, dass der gegebene Zustand in negativer Hinsicht in Bewegung und damit in Unordnung gebracht wird.
Nur wenn eine entsprechende Entwicklung unter Berücksichtigung der konkreten Eigenart der näheren Umgebung und der konkreten Umstände ausgeschlossen werden kann oder doch wenig wahrscheinlich erscheint, kann trotz Überschreitens des Rahmens eine planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens gegeben sein (vgl. BVerwG vom 15.12.1994 a. a. O.; VG München, U.v. 22.04.2013 – M 8 K 12.1540 – juris). Durch die Zulassung des Wettbüros ist nicht zu befürchten, dass sich dies negativ auf die Umgebung auswirkt, indem ein sogenannter Tradingdown-Effekt ausgelöst wird (vgl. BVerwG vom 21.12.1992 Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 15; VGH München, B.v. 13.01.2012 – 14 B 11/1256 – juris).
Das geplante Wettbüro befindet sich auf der lärmintensiveren Seite der … und ist damit weniger der etwas ruhigeren … zugewandt. Das Wettbüro im Erdgeschoss rechts ist in räumlicher Hinsicht mit 91 m² nicht überdimensional. Die tägliche Betriebszeit des geplanten Wettbüros ist entsprechend der Betriebsbeschreibung des Klägers vom 28. November 2018 von täglich 10 bis 23:00 Uhr wesentlich geringer gegenüber der seit vielen Jahren dort betriebenen Pilsbar, die bis 4:30 Uhr geöffnet hat, die Belästigung für die Wohnbebauung durch die Besucher des Wettbüros ist allein deshalb deutlich geringer als die durch die Besucher der Pilsbar.
Nachdem damit die Anspruchsvoraussetzungen für den begehrten Vorbescheid vorliegen, ist die Klage im Hauptantrag erfolgreich, in der Folge war über den hilfsweise gestellten Antrag nicht mehr zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz1 und Abs. 2 VwGO i. V. m. § 709 Satz 1 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO vorliegt. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch weicht das vorliegende Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs oder anderen höchstrichterlichen Entscheidungen ab.


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