Baurecht

Vorläufige Besitzeinweisung für Hochwasserschutzmaßnahmen

Aktenzeichen  8 A 19.40015

Datum:
29.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 43061
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayEG Art. 19 Abs. 1, Art. 28 S. 1, S. 2, Art. 39 Abs. 7
WaStrG § 20 Abs. 3 S.1
WHG § 6 Abs. 1, § 71a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, Abs. 3
BayWG Art. 43, Art. 67
RDGEG § 3, § 5

 

Leitsatz

1. Ein Besitzeinweisungsbeschluss muss hinreichend bestimmt sein. Er muss zum einen den Adressaten in die Lage versetzen zu erkennen, was von ihm gefordert wird, zum anderen muss er eine geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein.  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist der sofortige Beginn der Bauarbeiten aus Gründen wirksamen Hochwasserschutzes geboten, setzt dies ua voraus, dass notwendige Vorarbeiten und Bauarbeiten auf dem betreffenden Grundstück nach Bauablaufplan unmittelbar bevorstehen und keine erheblichen Hindernisse für deren Realisierung vorliegen. (Rn. 32 – 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Schutz vor Hochwasser und Überschwemmungen stellt ein maßgebliches Ziel des WHG und des BayWG dar und ist wesentlicher Bestandteil des wasserrechtlichen Bewirtschaftungssystems. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
4. § 71a WHG setzt lediglich die Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses, nicht aber dessen Rechtmäßigkeit voraus. Im Verfahren der vorzeitigen Besitzeinweisung können keine Einwendungen gegen die Planfeststellung erhoben werden. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Ziffer I und II des Besitzeinweisungsbeschlusses des Landratsamts Rosenheim vom 4. Februar 2019 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 71a Abs. 1 WHG hat das Landratsamt als nach § 71a Abs. 3 WHG i.V.m. Art. 19 Abs. 1, Art. 39 Abs. 7 BayEG zuständige Enteignungsbehörde den Träger eines Vorhabens u.a. des Hochwasserschutzes auf Antrag nach Feststellung des Plans in den Besitz einzuweisen, wenn der Eigentümer oder Besitzer eines für das Vorhaben benötigten Grundstücks sich weigert, den Besitz durch Vereinbarung unter Vorbehalt aller Entschädigungsansprüche dem Vorhabensträger zu überlassen (§ 71a Abs. 1 Nr. 1 WHG), der sofortige Beginn von Bauarbeiten aus Gründen eines wirksamen Hochwasserschutzes geboten ist (§ 71a Abs. 1 Nr. 2 WHG) und der Planfeststellungsbeschluss vollziehbar ist (§ 71a Abs. 1 Nr. 3 WHG).
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
I.
Der Besitzeinweisungsbeschluss ist formell rechtmäßig. Es stellt keinen Verfahrensfehler dar, dass die Enteignungsbehörde den Antrag der Klägerin abgelehnt hat, den Zustand des betroffenen Grundstücks im Rahmen eines Beweissicherungsverfahrens vorab feststellen zu lassen (vgl. § 71a Abs. 2 WHG, § 20 Abs. 3 Satz 1 WaStrG).
Dabei kann dahinstehen, ob die Enteignungsbehörde den Antrag zu Recht als grundlos mit Verzögerungsabsicht gestellt und daher als rechtsmissbräuchlich gewertet hat, weil sie den Zustand der Grundstücke bereits in einem Sachverständigengutachten vom 2. Juni 2016 mit einer Wertfortschreibung vom 27. August 2018 hatte feststellen lassen. Denn sie hat dessen ungeachtet in der mündlichen Verhandlung über den Besitzeinweisungsantrag zugesagt, dass sie in Bezug auf den gemeindlichen Kanal im Baubereich sowie hinsichtlich der betroffenen gemeindlichen Straßen eine Zustandsfeststellung durch einen von der Klägerin zu benennenden Sachverständigen durchführen lassen werde (vgl. S. 4 der Niederschrift über die mündlichen Verhandlung am 25.1.2019, Bl. 55 der Behördenakte zum Besitzeinweisungsverfahren Gemeinde F…). Aus dem Vorbringen der Beteiligten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. dort Stellungnahme des WWA vom 31.7.2019 [S. 8 und 12]) sowie aus dem dazu vorgelegten Gutachten des Dipl.Ing. Lochner vom 9. Mai 2019 ergibt sich, dass dies auch umgesetzt wurde.
Ein möglicher Verfahrensfehler wäre jedenfalls unbeachtlich (Art. 46 BayVwVfG). Die Zustandsermittlung betrifft lediglich das nachfolgende Verfahren der Bemessung der Besitzeinweisungsentschädigung; die Rechtmäßigkeit des Besitzeinweisungsbeschlusses wird hierdurch nicht berührt (vgl. BayVGH, B.v. 21.9.2015 – 8 CS 15.1776 u.a. – juris Rn. 9 m.w.N. zu Art. 24 Abs. 2 Satz 2, Art. 39 Abs. 7 BayEG; OVG NW, B.v. 16.9.2010 – 11 B 1179/10 – juris Rn. 28 zu § 18f Abs. 3 FStrG).
II.
Der sinngemäß vorgetragene Einwand, der Besitzeinweisungsbeschluss beruhe auf veralteten und unvollständigen Plänen und Antragsunterlagen, greift nicht durch.
Die Klägerin bezieht sich insoweit auf den von ihr mit dem Ehepaar N… abgeschlossenen Grundstückstauschvertrag vom 16. August 2018, wodurch sie „grundbuchrechtlich noch nicht vollzogenes Eigentum“ an zwei aus den Grundstücken FlNr. … und … herausgemessenen und als FlNr. … und … neugebildeten Teilflächen von insgesamt ca. 230 m2 erworben habe. Eine entsprechende Auflassungsvormerkung wurde am 21. November 2018 in das Grundbuch eingetragen. In den mit dem Besitzeinweisungsantrag vom 29. November 2018 vorgelegten Plänen, auf die sich der Besitzeinweisungsbeschluss bezieht, sind die neugebildeten Grundstücke nicht ausgewiesen; da die mit dem Antrag vorgelegten Grundbuchauszüge vom 8. bzw. 25. Oktober 2018 stammen und die Vertragsparteien hinsichtlich des Grundstückstauschs Stillschweigen vereinbart hatten, wurde dieser Sachverhalt erst durch die im Rahmen des Besitzeinweisungsverfahrens erfolgte Stellungnahme der Klägerin vom 21. Januar 2019 bekannt.
Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf die Fehlerhaftigkeit der im Besitzeinweisungsverfahren verwandten Unterlagen berufen. Weder die Grundstücke FlNr. … und … noch die Grundstücke FlNr. … und … sind Gegenstand des vorliegenden Besitzeinweisungsverfahrens; dieses betrifft vielmehr ausschließlich das Grundstück FlNr. … Es ist daher offensichtlich, dass die hier gerügte Unrichtigkeit der Pläne die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst haben kann, sollte der Einwand auf einen Verfahrensfehler abzielen (Art. 46 BayVwVfG). Aus denselben Gründen liegt auch kein inhaltlicher Fehler vor.
Hinzu kommt, dass das Wasserwirtschaftsamt das Besitzeinweisungsverfahren hinsichtlich der FlNr. … und … für erledigt erklärt hat, weil diese Teilflächen nicht zur Realisierung des Vorhabens benötigt werden (vgl. Besitzeinweisungsbeschlüsse vom 5. Februar 2019 im Verfahren N… und Gemeinde F…).
III.
Der Besitzeinweisungsbeschluss ist auch im Übrigen rechtmäßig. Die von der Klägerin erhobenen weiteren materiell-rechtlichen Einwendungen vermögen der Klage nicht zum Erfolg verhelfen.
1. Es bestehen keine rechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Bestimmtheit des angefochtenen Besitzeinweisungsbeschlusses.
Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG – der von der Klägerin herangezogene Art. 31 Abs. 2 Satz 1 BayEG findet keine Anwendung, auch wenn die hier einschlägige Bestimmung des § 71a WHG in ihrem Absatz 3 ergänzend auf landesrechtliche Bestimmungen verweist (vgl. Art. 39 Abs. 7 BayEG) – muss der Besitzeinweisungsbeschluss hinreichend bestimmt sein. Dies erfordert, dass er zum einen den Adressaten in die Lage versetzt zu erkennen, was von ihm gefordert wird, zum anderen muss er eine geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 9.7.2019 – 9 B 29.18 – juris Rn. 9 m.w.N.).
Die Klägerin rügt, dass der Besitzeinweisungsbeschluss die konkret betroffenen Grundstücksteilflächen nicht hinreichend bestimmt festlege. Dem kann nicht gefolgt werden. Der Besitzeinweisungsbeschluss benennt nicht nur die Größe der betroffenen Teilfläche des Grundstücks FlNr. …, sondern bezieht sich zudem auf die farblichen Markierungen in den Lageplänen (Maßstab 1:1000 und 1:500), die dem Besitzeinweisungsantrag vom 29. November 2018 als Anlagen Nr. 3c und 3d beigefügt und der Klägerin mit der Bekanntmachung und Ladung vom 17. Dezember 2018 (vgl. Bl. 10 der Behördenakte) übersandt worden waren; den Erhalt hat die Klägerin mit Empfangsbekenntnis bestätigt (vgl. Bl. 22 der Behördenakte). Aus diesen ist ohne Weiteres zu erkennen, welche Bereiche des Grundstücks des Beigeladenen zu 1 von der Besitzeinweisung betroffen sind. Soweit die Klägerin in ihrer Klageschrift auf einen Plan mit handschriftlichen Vermerken Bezug nimmt, betrifft dies nicht das vorliegende, sondern ein anderes Verfahren, das die oben (vgl. unter II) genannten Grundstücke zum Gegenstand hat (vgl. Bl. 91 und 99 der Behördenakte zum Besitzeinweisungsverfahren N…).
2. Die oben genannten Voraussetzungen des § 71a Abs. 1 WHG liegen hier vor.
2.1 Die Besitzeinweisung betrifft Flächen, die der Beklagte zur Verwirklichung eines Vorhabens zum Hochwasserschutz benötigt, ihm vom Eigentümer und Besitzer jedoch nicht freiwillig überlassen werden (§ 71a Abs. 1 Nr. 1 WHG).
Der Planfeststellungsbeschluss (PFB) der Regierung von Oberbayern vom 19. Dezember 2014 in der Gestalt des Planergänzungsbeschlusses (PEG) vom 22. Dezember 2017 sieht die Errichtung eines Hochwasserrückhaltebeckens vor. Der Plan umfasst gemäß Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayVwVfG auch die Bauarbeiten zur Errichtung des Mastfundaments 8A auf dem von der Besitzeinweisung betroffenen Grundstück für die zur Umsetzung des Vorhabens notwendigen Verlegung der 110-kV-Leitung (vgl. S. 15 des PFB vom 19.12.2014 unter III.3 sowie Planunterlage Nr. 6.2.4).
Nach den Ausführungen im Planfeststellungsbeschluss vom 19. Dezember 2014 ist das Vorhaben Teil des Gesamtprojekts „Hochwasserschutz im unterem Mangfalltal“, das aus dem Ausbau der Deichstrecke zwischen Feldkirchen-Westerham und Rosenheim auf das Bemessungshochwasser HQ-100 zuzüglich eines Freibords von 1 m (sog. „Linienausbau“) und dem Bau des streitgegenständlichen Hochwasserrückhaltebeckens als einem von insgesamt 16 Seitenpoldern besteht. Das planfestgestellte Vorhaben dient dazu, den Hochwasserschutz für die im unteren Mangfalltal liegenden Städte und Gemeinden bei sehr großen Hochwasserabflüssen zu verbessern. Durch die Errichtung des Hochwasserrückhaltebeckens samt Einbindung der Unterwasserbecken der Leitzachwerke kann der Klimazuschlag von 15% zum HQ-100 in diesem Bereich eingehalten und gleichzeitig die durch den Linienausbau bewirkte Abflussverschärfung, die sich nachteilig auf die Unterlieger der Mangfall auswirken würde, wirksam aufgefangen werden.
Die Beigeladenen zu 1 und 2 sowie die Klägerin haben eine freiwillige Besitzüberlassung des Grundstücks FlNr. … zur Durchführung der Arbeiten für die geplante Leitungsverlegung abgelehnt. Ausweislich der vorliegenden Behördenakten hat sich der Vorhabenträger hierum ernsthaft bemüht (vgl. hierzu Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Stand März 2019, § 71a WHG Rn. 6), indem er dem Beigeladenen zu 1 als Eigentümer des Grundstücks FlNr. …, dem Beigeladenen zu 2 als dessen Pächter und der Klägerin vergeblich Entschädigungsangebote unterbreitet hat. Dies wird von der Klägerin auch nicht infrage gestellt.
2.2 Der Planfeststellungsbeschluss vom 19. Dezember 2014 in der Gestalt des Planergänzungsbeschlusses vom 22. Dezember 2017 ist vollziehbar (§ 71a Abs. 1 Nr. 3 WHG). Die Planfeststellungsbehörde hat die sofortige Vollziehung beider Bescheide angeordnet (vgl. S. 412 ff. des PFB vom 19.12.2014 unter E; S. 119 ff. des PEB vom 22.12.2017 unter D); die von dritter Seite gestellten Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen gegen die Planfeststellung sind mit Beschluss des Senats vom 23. Februar 2019 (8 AS 19.40002 u.a. – juris) abgelehnt worden. Mit Urteilen vom heutigen Tag wurden auch die gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 19. Dezember 2014 in der Gestalt des Planergänzungsbeschlusses vom 22. Dezember 2017 erhobenen Klagen abgewiesen (8 A 18.40003 u.a.).
2.3 Der sofortige Beginn der Bauarbeiten ist aus Gründen eines wirksamen Hochwasserschutzes geboten (§ 71a Abs. 1 Nr. 2 WHG). Entgegen dem Vorbringen der Klägerin hat das Landratsamt dies im angefochtenen Besitzeinweisungsbeschluss nicht lediglich pauschal behauptet, sondern ausführlich und zutreffend begründet (vgl. S. 5 bis 7 des Besitzeinweisungsbeschlusses vom 4.2.2019).
2.3.1 Das Gebotensein des sofortigen Beginns der Bauarbeiten setzt unter anderem voraus, dass notwendige Vorarbeiten und Bauarbeiten auf dem betroffenen Grundstück nach dem Bauablaufplan des Vorhabenträgers unmittelbar bevorstehen und keine erheblichen Hindernisse – wie eine fehlende Bereitstellung von Haushaltsmitteln – für deren Realisierung vorliegen (vgl. OVG NW, B.v. 16.9.2010 – 11 B 1179/10 – juris Rn. 17 zu § 18f Abs. 1 S. 1 FStrG). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Dem steht nicht entgegen, dass im grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Besitzeinweisungsbeschlusses (vgl. OVG LSA, B.v. 11.12.2014 – 2 M 139/14 – juris Rn. 7 zum insoweit wortgleichen § 40 Abs. 1 Satz 1 StrG LSA; vgl. auch BayVGH, B.v. 13.2.2003 – 22 A 97.40029 – VGH n.F. 56, 70 = juris Rn. 39 ff. zum Enteignungsbeschluss nach § 11 Abs. 1 und 2 EnWG a.F.) die unmittelbare Ausführung des Vorhabens noch nicht anstand und die tatsächliche Inanspruchnahme des streitbefangenen Grundstücks erst für September geplant war. Wie die Enteignungsbehörde im angefochtenen Besitzeinweisungsbeschluss zutreffend ausführt, zählen zu den erforderlichen Vorarbeiten auch die notwendigen Entscheidungen über die Vergabe der Baumaßnahme, weil die Ausschreibung und Vergabe von Aufträgen anderenfalls ein unkalkulierbares Risiko für den Vorhabenträger wären (vgl. BayVGH, U.v. 11.9.2002 – 8 A 02.40028 – VGH n.F. 56, 4 = juris Rn. 16; B.v. 14.12.2012 – 8 AS 12.40066 – juris Rn. 14; GB v. 19.9.2013 – 8 A 12.40065 – juris Rn. 14, jeweils zu § 18f Abs. 1 Satz 1 FStrG; a.A. Schenk in Sieder/Zeitler/Dahme, WHG und AbwAG, Stand Juni 2018, § 71a WHG Rn. 13). Der Vorhabenträger hat anhand des von ihm vorgelegten Bauzeitenplans nachvollziehbar ausgeführt, dass die Ausschreibung und Vergabe der Arbeiten zur planfestgestellten Verlegung der 110-kV-Leitung zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung über den Antrag auf Besitzeinweisung unmittelbar bevorstanden (vgl. auch Stellungnahme der Vertreterin der in diesem Verfahren Beigeladenen zu 3 vom 7.5.2018); dies wurde von der Klägerin auch nicht infrage gestellt.
Der Träger des Vorhabens hat auch plausibel dargestellt, dass die umgehende Durchführung dieser Maßnahmen zur Einhaltung des Bauzeitenplans notwendig ist. Danach soll das Gesamtprojekt mit einer Gesamtbauzeit von ca. drei Jahren durchgeführt und bis zum 31. Dezember 2021 fertiggestellt werden. Nach den nachvollziehbaren und von der Klägerin auch nicht infrage gestellten Erläuterungen des Vorhabenträgers ist die Gesamtdauer des Projekts abhängig von der Dauer zweier voneinander unabhängiger Teilabschnitte, für die beide jeweils eine Bauzeit von mindestens drei Jahren zu veranschlagen ist. Eine Verzögerung eines Teilabschnitts hätte die Verzögerung der Fertigstellung des gesamten Projekts zur Folge und würde zu erheblichen Mehrkosten führen. Die Verlegung der 110-kV-Leitung ist für den Teilabschnitt „Verlegung der 110-kV-Leitung und Absperrdamm samt Überleitungsbauwerk, Ausleitungsbauwerk Hauptbecken und Straßenanhebung“ maßgeblich, da mit den Schlitzwandarbeiten im Absperrdamm aus arbeitssicherheitstechnischen Gründen erst nach Verlegung der Leitung begonnen werden kann (vgl. Stellungnahme des WWA vom 12.10.2018).
Anhaltspunkte dafür, dass finanzielle Hindernisse für die Realisierung des Vorhabens bestehen, werden von der Klägerin nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.
2.3.2 Die Enteignungsbehörde ist vorliegend zu Recht davon ausgegangen, dass das Interesse der Allgemeinheit an der Umsetzung der genannten (Vor-)Arbeiten das Interesse der Klägerin an der Nichtinanspruchnahme des Grundstücks überwiegt.
Auch soweit man voraussetzt, dass das Gebotensein des sofortigen Baubeginns im Sinne des § 71a Abs. 1 Nr. 2 WHG ein gesteigertes öffentliches Interesse am umgehenden Beginn der Ausführung des Vorhabens aus Gründen eines wirksamen Hochwasserschutzes voraussetzt, das gegenüber dem Interesse des Betroffenen überwiegt (vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2014 – 22 AS 14.40020 – juris Rn. 30 zu § 21 Abs. 1 Satz 1 AEG, dort offen gelassen; OVG NW, U.v. 16.9.2010 – 11 B 1179.10 – juris Rn. 19 f. zu § 18f Abs. 1 Satz 1 FStrG; Schenk in Sieder/Zeitler/Dahme, WHG und AbwAG, § 71a WHG Rn. 17, jeweils m.w.N), ist das Vorliegen dieser Voraussetzung hier zu bejahen. Der Gesetzgeber geht bei planfestgestellten Vorhaben des Hochwasserschutzes davon aus, dass das Vorhaben dem Wohl der Allgemeinheit dient (vgl. § 71 Abs. 2 WHG; BT-Drs. 18/10879 S. 26). Das Gebotensein des sofortigen Beginns der Bauarbeiten muss jedoch auch im Hinblick auf das konkret betroffene Grundstück gegeben sein (Schenk in Sieder/Zeitler/Dahme, WHG und AbwAG, § 71a WHG Rn. 12). Dies ist bei großräumigen Vorhaben nicht kleinräumig zu bewerten, sondern darf praktikable Arbeitseinheiten erfassen; es ist daher nicht erforderlich, dass das in Anspruch genommene Grundstück als allerletztes Grundstück der Verwirklichung des Projekts entgegensteht (vgl. BayVGH, B.v. 23.4.2010 – 22 ZB 10.43 – BayVBl 2011, 569 = juris Rn. 10 zu Art. 39 Abs. 1 Satz 1 BayEG).
Danach überwiegt bei der hier vorzunehmenden Abwägung das Interesse der Allgemeinheit an einem sofortigen Baubeginn das Aufschubinteresse der Klägerin. Hierfür spricht bereits die gesetzgeberische Entscheidung zur Schaffung des § 71a WHG und des darin enthaltenen Beschleunigungsgebots (vgl. § 71a Abs. 2 WHG, § 20 Abs. 2, 4 und 7 WaStrG; BT-Drs. 18/10879 S. 16 f.). Die Gegenüberstellung der betroffenen Belange im hier vorliegenden Fall führt zu keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn man der Ansicht folgen wollte, dass die sofortige Ausführung der geplanten Maßnahmen nur dann im Sinn von § 71a Abs. 1 Nr. 2 WHG geboten ist, wenn das Wohl der Allgemeinheit ohne die vorzeitige Besitzeinweisung in erheblicher, nicht wieder gutzumachender Weise beeinträchtigt würde (vgl. OLG Naumburg, U.v. 9.12.2010 – 2 U 60/10 (Baul) – juris Rn. 38; ablehnend BayVGH, B.v. 4.7.2014 – 22 AS 14.40020 – juris Rn. 32, jeweils zu § 21 Abs. 1 Satz 1 AEG), wäre das Gebotensein des sofortigen Baubeginns aus Gründen eines wirksamen Hochwasserschutzes hier zu bejahen.
Denn nach dem plausiblen Vorbringen des Beklagten wären bei einer aufschiebenden Wirkung der Klage die im Bauzeitenplan vorgesehenen Termine nicht einhaltbar. Dies würde nicht nur zu einer Verzögerung der Arbeiten für den Bauabschnitt „Verlegung der 110-kV-Leitung und Absperrdamm samt Überleitungsbauwerk, Ausleitungsbauwerk Hauptbecken und Straßenanhebung“ führen, da diese erst fortgesetzt werden können, wenn die Leitung verlegt ist. Vielmehr würde sich damit auch die Gesamtbauzeit des Vorhabens verlängern (vgl. oben unter II.4.3.1). Nach den nicht bestrittenen Ausführungen der Enteignungsbehörde wäre in diesem Fall zu befürchten, dass sich die Fertigstellung des Gesamtprojekts „Hochwasserrückhaltebecken Feldolling“, das einen wirksamen Hochwasserschutz im unteren Mangfalltal sicherstellt (vgl. oben unter II.4.1), um mindestens ein Jahr verzögern würde.
Der Schutz vor Hochwasser und Überschwemmungen stellt ein maßgebliches Ziel des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) und des Bayerischen Wassergesetzes (BayWG) dar und ist wesentlicher Bestandteil des wasserrechtlichen Bewirtschaftungssystems. Er wird in verschiedenen Vorschriften explizit angesprochen und als übergeordnete Zielsetzung vorausgesetzt (vgl. etwa § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, §§ 67 ff. WHG, Art. 43 ff. BayWG). Auch im europäischen Recht ist die wirksame Hochwasservorsorge und Begrenzung von Hochwasserschäden von überragender Bedeutung (vgl. die Richtlinie 2007/60/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2007 über die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken, ABl. L 288 vom 6.11.2007 S. 27). Im Falle eines großen Hochwasserereignisses besteht die konkrete Gefahr, dass Menschen zu Tode kommen oder verletzt werden und dass erhebliche Sach- und Umweltschäden entstehen. Damit sind höchstrangige Rechtsgüter betroffen (Art. 2 Abs. 2, Art. 20a GG) und es stehen Ereignisse in Form von Naturkatastrophen im Raum. Auch wenn solch große Hochwasserereignisse statistisch gesehen (noch) relativ selten sind – wenn auch mit steigender Tendenz -, ist es nicht auszuschließen, dass ein solches gerade in dem Zeitraum eintritt, um den sich die Errichtung des Hochwasserrückhaltebeckens verzögert, wenn mit den Bauarbeiten erst nach Eintritt der Rechtskraft des Planfeststellungsbeschlusses begonnen werden dürfte.
Demgegenüber müssen die Interessen der Klägerin zurücktreten. Der Einwand, der Vorhabenträger habe die lange Verfahrensdauer zu vertreten und damit zu erkennen gegeben, dass das dem Planfeststellungsbeschluss zugrundeliegende Hochwasserschutzkonzept nicht eilbedürftig sei, vermag die Dringlichkeit der Baumaßnahme nicht infrage zu stellen. Die Dauer des Verfahrens ist Folge der Komplexität der Planung. Erst mit Erlass des Planergänzungsbeschlusses wurden die rechtlichen Voraussetzungen für eine Umsetzung der Maßnahme geschaffen. Nachdem nicht abschätzbar ist, wann und mit welcher Mächtigkeit das nächste Hochwasser eintritt, müssen angesichts der Gefahren eines nicht vollendeten Hochwasserschutzes die im Bauzeitenplan vorgesehenen Maßnahmen umgehend durchgeführt werden.
Das gilt umso mehr, als die Klägerin durch die vorgesehenen Maßnahmen nur unerheblich beeinträchtigt wird. Die vorzeitige Besitzeinweisung ist nur vorläufig. Würde im Hauptsacheverfahren der Planfeststellungsbeschluss aufgehoben, ist auch der Besitzeinweisungsbeschluss aufzuheben und der vorherige Besitzer wieder in den Besitz einzuweisen. Der Eingewiesene hat für alle durch die vorzeitige Besitzeinweisung entstandenen besonderen Nachteile angemessene Entschädigung zu leisten (§ 71a Abs. 2 WHG, § 20 Abs. 6 WaStrG). Es gibt keinen Grund zu bezweifeln, dass dies erforderlichenfalls technisch und wirtschaftlich umsetzbar wäre.
Es gibt insbesondere auch keine Anhaltspunkte dafür, dass durch die Inanspruchnahme des Grundstücks unumkehrbare vollendete Tatsachen zulasten der Klägerin geschaffen werden. Vielmehr wird das zu ihren Gunsten eingetragene Schmutzwasserableitungsrecht durch die geplanten Maßnahmen nicht tangiert. Der von ihr erstmals im hier anhängigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erhobene Einwand, durch die Errichtung des Mastfundaments 8A sei eine Beschädigung der im streitbefangenen Grundstück verlegten gemeindlichen Abwasserleitung zu befürchten, so dass ihr Selbstverwaltungsrecht im Hinblick auf diese von ihr vorgehaltene Einrichtung der kommunalen Daseinsvorsorge sowie ihre hierauf bezogene zivilrechtliche Position verletzt seien, greift nicht durch. Denn die Klägerin wendet sich mit diesem Vortrag in der Sache gegen die zugrundeliegende Planfeststellung. Im Verfahren der vorzeitigen Besitzeinweisung kommt es hierauf jedoch nicht an, da § 71a WHG lediglich die Vollziehbarkeit der Planfeststellungsbeschlusses, nicht aber dessen Rechtmäßigkeit voraussetzt (§ 71a Abs. 1 Nr. 3 WHG). Für die Enteignungsbehörde ist die für sofort vollziehbar erklärte Entscheidung bindend (§ 71a Abs. 3 WHG, Art. 28 Satz 1, Art. 39 Abs. 7 BayEG). Im Verfahren der vorzeitigen Besitzeinweisung können daher gemäß § 71a Abs. 3 WHG, Art. 28 Satz 2, Art. 39 Abs. 7 BayEG keine Einwendungen gegen die Planfeststellung erhoben werden (vgl. auch OVG LSA, B.v. 22.3.2019 – 2 R 9/19 – juris Rn. 26; BayVGH, B.v. 25.3.2014 – 8 CS 14.331 – juris Rn. 6; B.v. 23.4.2002 – 8 AS 02.40027 – juris Rn. 8, jeweils zu § 18f Abs. 1 FStrG; B.v. 13.5.2013 – 22 AS 13.40009 – DVBl 2013, 993 = juris Rn. 13 zu § 44b Abs. 1 EnWG; B.v. 9.8.2004 – 22 AS 04.40028 – juris Rn. 18 zu § 21 Abs. 1 AEG).
Im Übrigen treffen die von der Klägerin insoweit dargestellten Befürchtungen nicht zu. Wie der Senat in der im vorläufigen Rechtsschutz ergangenen Entscheidung dargelegt hat, beruht dieser Vortrag auf der irrigen Annahme des von der Klägerin beauftragten Sachverständigen, dass die vorhandenen Leitungen mit dem Mastfundament überbaut würden. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Zugänglichkeit sowohl der Gasleitung als auch des gemeindlichen Kanals – dessen Belegenheit die Antragstellerin weder der Planfeststellungsbehörde noch dem Vorhabenträger mitgeteilt hatte und der, wie erst im Besitzeinweisungsverfahren bekannt wurde, unter Verletzung des Schutzbereichs der zu diesem Zeitpunkt bereits errichteten und im Grundbuch eingetragenen Gashochdruckleitung verlegt worden ist – bleibt gegeben; auch eine Beschädigung des Kanals ist nicht zu befürchten. Die Klägerin wird daher weder in der Daseinsvorsorge noch in der ihr eingeräumten persönlichen Dienstbarkeit beeinträchtigt. Auf die Ausführungen im Beschluss vom 18. Oktober 2019 (Az. 8 A 19.40016) wird verwiesen.
Damit erweist sich der Besitzeinweisungsbeschluss, soweit dieser angefochten wurde, als rechtmäßig. Die Klage war daher abzuweisen.
IV.
Die Klägerin trägt als unterliegender Teil nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladenen, die keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben, tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben