Baurecht

Vorteilsbegriff im Straßenreinigungsrecht, Anlieger einer 115 m langen Privatstraße

Aktenzeichen  4 ZB 21.1355

Datum:
5.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12104
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayStrWG Art. 51 Abs. 4, 5

 

Leitsatz

Verfahrensgang

B 4 K 19.118 2021-02-24 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 214,82 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger wenden sich gegen ihre Heranziehung zu einer Straßenreinigungsgebühr mit Bescheid der Beklagten vom 7. Januar 2019.
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung C. Ihr Grundstück liegt zusammen mit vier weiteren Grundstücken an einer ca. 115 Meter langen Privatstraße (FlNr. … und FlNr. …), die parallel zu einer öffentlichen Straße (Fl.Nr. …) von Westen nach Osten verläuft und im Westen auf einer Breite von ca. 6 Metern in die öffentliche Straße mündet. Die Privatstraße ist mit einem Geh- und Fahrtrecht für die fünf anliegenden Grundstücke belastet. Sie stand ursprünglich im Miteigentum der fünf Anlieger, durch zwischenzeitliche Verkäufe der Anliegergrundstücke mit und ohne Übertragung der Wegegrundstücke sind es mittlerweile sechzehn Miteigentümer.
Mit Bescheid vom 5. August 2011 hatte die Beklagte bereits Straßenreinigungsgebühren von den Klägern erhoben. Die Beklagte hob diese Festsetzung mit Bescheid vom 6. Dezember 2011 auf, weil die Zufahrt zum Grundstück über einen Privatweg erfolge.
Mit Bescheid vom 7. Januar 2019 zog die Beklagte die Kläger erneut zu Straßenreinigungsgebühren für das Jahr 2019 in Höhe von 214,82 Euro heran. Bei der Gebührenberechnung wurde die Frontlänge ihres Grundstücks von 23 Metern und die Reinigungsgruppe 2 zu Grunde gelegt.
Das Verwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Klage mit Urteil vom 24. Februar 2021 ab. Der Bescheid sei rechtmäßig, die Kläger seien als Hinterlieger gebührenpflichtig. Für eine entsprechende Heranziehung der erschließungsbeitrags- und straßenausbaubeitragsrechtlichen Rechtsprechung, die auf einen Sondervorteil der Anlieger der anliegenden Grundstücke abstelle und zwischen selbständigen und unselbständigen Privatstraßen unterscheide, sei kein Raum; sie sei mit dem Charakter des Straßenreinigungsrechts als Sicherheitsrecht nicht vereinbar.
Gegen dieses Urteil wenden sich die Kläger mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung.
Die Beklagte tritt dem Antrag entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der besonderen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor.
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Kläger haben keinen einzelnen tragenden Rechtssatz und keine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt (zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BverfGE 151, 173 Rn. 32 m.w.N.).
a) Die Rüge der Kläger, der Vorteilsbegriff aus dem Erschließungsbeitrags- und Straßenausbaubeitragsrecht sei auch im Straßenreinigungsrecht vorteilsgerecht mit der Folge, dass sie als Anlieger einer selbständigen Privatstraße nicht der Verpflichtung zur Straßenreinigung der öffentlichen Straße unterlägen, begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Begriff des Erschlossenseins in Art. 51 Abs. 4 BayStrWG aus Sicht des Straßenreinigungsrechts als Sicherheitsrecht zu beurteilen ist.
Nach Art. 51 Abs. 1 BayStrWG besteht die Verpflichtung der Gemeinden, die öffentlichen Straßen innerhalb der geschlossenen Ortslage zu beleuchten, zu reinigen, zu räumen und zu streuen. Diese Verpflichtung kann aufgrund einer Verordnung nach Art. 51 Abs. 4, 5 BayStrWG auf die Eigentümer von Grundstücken übertragen werden, die innerhalb der geschlossenen Ortslage an öffentliche Straßen angrenzen oder über sie erschlossen werden. In diesem Falle besteht für die Gemeinde die Möglichkeit, unter den Voraussetzungen des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GO durch Satzung die Benutzung einer öffentlichen Straßenreinigungseinrichtung zur Pflicht zu machen. Für die Benutzung einer solchen gemeindlichen Einrichtung kann aufgrund einer Satzung gemäß Art. 8 KAG vom Benutzer eine Gebühr erhoben werden.
Die Beklagte hat ihre Reinigungs- und Sicherungspflicht nach § 3 Abs. 1, § 6 Abs. 1 der Verordnung über die Reinhaltung und Reinigung der öffentlichen Straße und die Sicherung der Gehbahnen im Winter (Straßenreinigungs- und WinterdienstVO) in der Fassung vom 29. November 2018 den Eigentümern und dinglich Nutzungsberechtigten von Grundstücken übertragen, die innerhalb der geschlossenen Ortslage an die öffentliche Straße angrenzen (Vorderlieger) oder die über die Straße mittelbar erschlossen werden (Hinterlieger). Bemessungsgrundlage für die Gebühr ist nach § 3 der Satzung für die Erhebung einer Straßenreinigungsgebühr in der Fassung vom 29. November 2018 (Straßenreinigungs-Gebührensatzung) die auf halbe Meter nach unten abgerundete Straßenfrontlänge, das ist die Länge der gemeinsamen Grenze des Vorderliegergrundstücks mit dem Straßengrundstück. Zur Gebührenschuld bei Vorder- und Hinterliegergrundstücken bestimmt § 6 Abs. 1 der Straßenreinigungs-Gebührensatzung, dass für jeden Gebührenschuldner eine Gebühr in Höhe eines Bruchteils der für die Straßenfrontlänge des Vorderliegergrundstücks anzusetzenden Gebühr entsteht, wenn ein Hinterlieger einem Vorderlieger zugeordnet ist (§ 3 Abs. 2, § 6 Abs. 2 der Straßenreinigungs- und WinterdienstVO). Nach § 3 Abs. 2 Straßenreinigungs- und WinterdienstVO ist der Hinterlieger dem Vorderlieger zugeordnet, über dessen Grundstück er Zugang oder Zufahrt zu derselben öffentlichen Straße nehmen darf, an die auch das Vorderliegergrundstück angrenzt (Satz 3). Als Hinterlieger gelten diejenigen, die über dazwischenliegende Grundstücke in rechtlich zulässiger Weise Zugang oder Zufahrt nehmen dürfen, ohne unmittelbar an eine öffentliche Straße anzugrenzen (Satz 1). Als Hinterlieger gelten auch diejenigen, deren Grundstücke über einen privaten Weg zugänglich sind, über den sie erschlossen werden, ohne unmittelbar an eine öffentliche Straße anzugrenzen (Satz 2).
Hieran gemessen handelt es sich bei dem Grundstück der Kläger um ein Hinterliegergrundstück im Sinne der Verordnung. Das private Wegegrundstück grenzt in voller Länge, nicht nur im Bereich der Einmündung, an die öffentliche Straße an und bildet damit das Vorderliegergrundstück. Diesem Wegegrundstück ist das klägerische Grundstück als Hinterliegergrundstück zugeordnet, weil es über das Vorderliegergrundstück Zugang und Zufahrt zur öffentlichen Straße nimmt.
Die Hinterliegergrundstücke haben, weil sie nur über die öffentliche Straße (Fl.Nr. …) erreicht werden können, einen straßenreinigungsrechtlichen Vorteil von deren Reinigung. Eine Anwendung bauordnungs-, erschließungsbeitrags- oder (früher) straßenausbaurechtlicher Vorteilserwägungen auf das Erschlossensein im Sinn von Art. 54 Abs. 4, 5 BayStrWG hat die bayerische Rechtsprechung schon früh abgelehnt. Die Vorteile einer tatsächlichen Erschließung der Grundstücke, die die Rechtfertigung für die Belastung mit einer Straßenreinigungs- und Sicherungspflicht begründen, verbieten die Übernahme von Vorteilserwägungen aus den genannten Rechtsgebieten (BayVGH, U.v. 20.3.1992 – 8 B 91.2772 – BeckRS 1992,118384 m.w.N.). In besonders gelagerten Fällen ist die Gemeinde lediglich gehalten, das Übermaßverbot zu beachten (BayVGH, U.v. 12.10.2000 – 8 B 00.1025 – juris Rn. 17 m.w.N.).
Der Senat sieht keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen und den straßenreinigungsrechtlichen Vorteilsbegriff entsprechend dem Vorteilsbegriff des Erschließungsbeitrags- oder Straßenausbaubeitragsrechts zu begrenzen. Dem Erschließungsbeitrags- und Straßenausbaubeitragsrecht ist ein enger Vorteilsbegriff immanent, weil es anlagen- und einrichtungsbezogen ist. Eine Heranziehung von Anliegern zu Beiträgen ist grundsätzlich nur für den Aufwand für die jeweilige, selbständige Straße möglich. Im Straßenreinigungsrecht ist dagegen die Umlegung der gemeindlichen Straßenreinigungskosten mittels Benutzungsgebühren auf alle an eine öffentliche Straße angrenzenden Vorder- und Hinterlieger nicht nur nach der bayerischen Rechtslage, sondern auch nach dem Recht anderer Bundesländer üblich (vgl. Brüning in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 6 Rn. 468). Dabei fordern allgemeine Erwägungen zur Unterbrechung des Erschließungszusammenhangs (Brüning in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 6 Rn. 456) nicht die Anwendung erschließungs- oder straßenausbaurechtlicher Maßstäbe auf das Straßenreinigungsrecht. Zwar müssen Hinterlieger in der Regel bereits ihre private Zuwegung zur öffentlichen Straße reinigen. Gleichwohl kommt ihnen ein relevanter Vorteil aus der Anbindung an diese erschließende öffentliche Straße und deren Reinigung und Sicherung zu. Es ist nicht ersichtlich, dass über das Übermaßverbot hinaus eine engere Begrenzung dieser Vorteilslage geboten wäre. Da von der ca. 115 Meter langen Privatstraße lediglich fünf Grundstücke erschlossen werden, kann die von den Klägern angesprochene Problematik von großen, über Privatwege erschlossenen Wohngebieten offenbleiben (s. aber BayVGH, U.v. 12.10.2000 – 8 B 00.1025 – juris Rn. 17). Die Kläger haben weder dargelegt, dass solche Wohngebiete im Stadtgebiet C. vorhanden sind, noch wären sie davon betroffen. Die Erhebung von Straßenreinigungsgebühren von den Klägern begegnet somit keinen Bedenken.
b) Die Kläger rügen die Anwendung des Frontmetermaßstabs, der die Nutzungsintensität der Grundstücke nicht berücksichtige. Bei einer gradlinig im rechten Winkel zur öffentlichen Straße verlaufenden Zuwegung erfolge eine Verteilung nur auf die Vorderlieger.
Der Frontmetermaßstab ist ein in der Rechtsprechung, auf die verwiesen wird, seit langem anerkannter Verteilungsmaßstab für die Veranlagung von Straßenreinigungsgebühren (BayVGH, B.v. 27.11.1996 – 4 B 95.3257 – BeckRS 1996, 15174; B.v. 15.10.2007 – 4 ZB 06.1029 – juris Rn. 6; U.v. 14.8.2008 – 4 B 08.916 – juris Rn. 13 f.; BVerwG, B.v. 19.3.1981 – 8 B 10.81 – ZMR 1981, 303-305). Die Anwendung eines von der Grundstücksnutzung abhängigen Maßstabs ist aus Gründen der Praktikabilität nicht geboten; der gewählte Maßstab muss lediglich einen sachlichen Bezug zum Reinigungsaufwand aufweisen (BayVGH, U.v. 14.8.2008, a.a.O.).
Bei einer im rechten Winkel zur öffentlichen Straße verlaufenden privaten Zuwegung erfolgt die Verteilung ebenfalls nach § 6 Straßenreinigungsgebührensatzung: Vorderliegergrundstück ist auch hier die private Zuwegung, die jedoch nur im Einmündungsbereich an die öffentliche Straße angrenzt. Die Gebühren werden anteilig auf die Hinterliegergrundstücke verteilt (§ 6 Abs. 2 Straßenreinigungsgebührensatzung, § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 2 Straßenreinigungs- und WinterdienstVO).
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2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zulassen. Besondere tatsächliche Schwierigkeiten sind nicht ersichtlich. Die rechtlichen Fragen lassen sich im Zulassungsverfahren auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung ohne weiteres beantworten. Der Durchführung eines Berufungsverfahrens hierzu bedarf es nicht.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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