Baurecht

Werbeanlage außerhalb einer Baugrenze

Aktenzeichen  Au 4 K 17.138

Datum:
12.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauNVO BauNVO § 14, § 23 Abs. 3, Abs. 5
BauGB BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2

 

Leitsatz

Die Privilegierung von Nebenanlagen, welche auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen zugelassen werden können, muss auch bei der Prüfung des Vorliegens einer Funktionslosigkeit der Festsetzung betreffend einer Baugrenze berücksichtigt werden. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung. Dem Vorhaben stehen Vorschriften des Bauplanungsrechts entgegen (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 BayBO). Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 17. August 2015 ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Die beantragte Werbeanlage widerspricht den Festsetzungen des maßgeblichen Bebauungsplans „Gewerbegebiet …“, § 30 Abs. 1 BauGB. Sie überschreitet entgegen § 23 Abs. 3 BauNVO die im Bebauungsplan zur … Straße hin festgesetzten Baugrenze nicht nur, sondern liegt – ausweislich des von der Klägerin mit dem Antrag auf Erteilung einer Befreiung vorgelegten Lageplans (Bl. 4 des entsprechenden Behördenakts) – um ca. 9 m vollständig außerhalb der Baugrenze. Dies gilt unabhängig davon, ob die BauNVO 1968 oder angesichts der Ergänzung dieses Bebauungsplans durch § 2 Abs. 1, § 5 Abs. 3, „Kategorie 4“ des einfachen Bebauungsplans „Werbeanlagensatzung“ der Beigeladenen vom 17. Oktober 2013 die BauNVO 2013 herangezogen wird. Das Verbot des § 23 Abs. 3 BauNVO gilt auch für eine Fremdwerbeanlage, wie sie hier beantragt wurde (vgl. BVerwG, U.v. 7.6.2001 – 4 C-1/01 – juris, LS 2 und Rn. 18).
Die Festsetzung betreffend die Baugrenze ist nicht funktionslos geworden. Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit nur dann außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sich die Festsetzung bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und die Erkennbarkeit dieser Tatsache einen Grad erreicht hat, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt. Entscheidend ist dabei, ob die jeweilige Festsetzung überhaupt noch geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen sinnvollen Beitrag zu leisten (vgl. etwa BayVGH, U.v. 14.12.2016 – 2 B 16.1574 – juris Rn. 33).
Ein solcher Fall ist hier nicht anzunehmen. Allein der Umstand, dass ein einzelnes Gebäude, nämlich jenes auf dem südlich an das Vorhabengrundstück anschließenden Grundstück Fl.Nr., die Baugrenze bereits überschreitet, reicht für die Annahme einer Funktionslosigkeit nicht aus. Die Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird nämlich nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann. Erst wenn die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und so offenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan insoweit eine städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich zu erfüllen vermag, kann von einer Funktionslosigkeit die Rede sein. Das setzt voraus, dass die Festsetzung unabhängig davon, ob sie punktuell durchsetzbar ist, die Fähigkeit verloren hat, die städtebauliche Entwicklung noch in einer bestimmten Richtung zu steuern (BayVGH, B.v. 15.2.2017 – 1 CS 16.2396 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 25.9.2003 – 2 ZB 03.1889 – juris Rn. 3).
Derartiges ergibt sich aus von der Klägerin angeführten Baugrenzenüberschreitung durch das Gebäude auf Fl.Nr. … nicht, zumal die von der Klägerin geltend gemachte deutliche Überschreitung der Baugrenze nur bezüglich des nördlichen Teils des Gebäudes feststellbar ist. Eine Funktionslosigkeit der Baugrenzenfestsetzung ergibt sich auch nicht daraus, dass sich – ohne dass sich die Klägerin hierauf explizit berufen hätte – nach den Erkenntnissen des gerichtlichen Augenscheins sowie des vom Beklagten auf den Befreiungsantrag der Klägerin durchgeführten weiteren Augenscheins (Bl. 59 f. des behördlichen Verfahrensakts) auf dem Vorhabengrundstück selbst sowie auf den nördlich anschließenden Grundstücken einzelne Anlagen (insbesondere [Werbe-] Pylone; Masten) befinden, die ebenfalls außerhalb der festgesetzten Baugrenze liegen. Selbst wenn unterstellt wird, dass diese Anlagen durchgehend die Voraussetzungen für eine bauliche Anlage i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB erfüllen, handelt es sich, insbesondere auch angesichts der Länge des Straßenzugs entlang der … Straße bis zur … Straße im Norden, dem die festgesetzte Baugrenze folgt, um vergleichsweise wenige Fälle. Auch qualitativ verfügen diese Anlagen nicht über ein derartiges Gewicht, dass die städtebauliche Gestaltungsfunktion der festgesetzten Baugrenze, zumal mit der erforderlichen Offenkundigkeit, endgültig zu verneinen wäre. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den genannten Anlagen – abgesehen wohl von den Schuppen auf Fl.Nr. … – durchgehend um Nebenanlagen i.S.d. § 14 BauNVO handelt; das gilt insbesondere für die vorhandenen Werbeanlagen an der Stätte der Leistung (vgl. BVerwG, U.v. 7.6.2001 – 4 C-1/01 – juris Rn. 18). Demgegenüber stellt die von der Klägerin geplante Fremdwerbeanlage eine eigenständige gewerbliche Hauptnutzung dar (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.1992 – 4 C-27/91 – BVerwGE 91, 234 – juris). Gem. § 23 Abs. 5 Satz 1 BauNVO (1968 wie 2013) können Nebenanlagen auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen zugelassen werden. Diese Privilegierung von Nebenanlagen – und damit auch, wie ausgeführt, Werbeanlagen an der Stätte der Leistung – bei der Überschreitung von Baugrenzen muss auch bei der Prüfung des Vorliegens einer Funktionslosigkeit der Festsetzung betreffend die überbaubaren Grundstücksflächen berücksichtigt werden. Baugrenzenüberschreitungen durch Nebenanlagen vermögen daher regelmäßig die Funktionslosigkeit der festgesetzten Baugrenze nicht zu begründen. Ob anderes dann gilt, wenn Quantität und Qualität von Baugrenzenüberschreitungen durch Nebenanlagen ein Ausmaß erreicht haben, dass sich die Frage der Steuerungsfunktion der festgesetzten Baugrenze ernsthaft stellt, braucht hier nicht entschieden zu werden. Über ein solches Gewicht verfügen die vorhandenen Anlagen außerhalb der Baugrenze, wie ausgeführt, im vorliegenden Fall nicht.
Gegen die Funktionslosigkeit der festgesetzten Baugrenze spricht demgegenüber, dass sich – anders als bei der von der Klägerin geplanten Werbeanlage – bislang keine der entlang der … Straße zwischen … Straße und … Straße bzw. … vorhandenen gewerblichen Hauptnutzungen vollständig vor der festgesetzten Baugrenze befinden. Diese gewerblichen Nutzungen sind zudem nach wie vor postalisch der, nicht der … Straße, zugeordnet. Die mit der Festsetzung der Baugrenze verfolgte Zielsetzung, die gewerblichen Nutzungen von der … Straße abzurücken und entlang der … anzusiedeln – die in deren Richtung festgesetzte Baugrenze befindet sich deutlich näher an der Straße – wurde erreicht und beansprucht nach wie vor Geltung.
Die beantragte Werbeanlage kann auch nicht im Wege der von der Klägerin beantragten Befreiung, § 31 Abs. 2 BauGB, zugelassen werden. Eine Befreiung würde die Grundsätze der Planung berühren und wäre zudem städtebaulich nicht vertretbar (§ 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB).
Mit den Grundzügen der Planung umschreibt das Gesetz in § 31 Abs. 2 BauGB die planerische Grundkonzeption, die den Festsetzungen eines Bebauungsplans zu Grunde liegt und in ihnen zum Ausdruck kommt. Hierzu gehören die Planungsüberlegungen, die für die Verwirklichung der Hauptziele der Planung sowie den mit den Festsetzungen insoweit verfolgten Interessenausgleich und damit für das Abwägungsergebnis maßgeblich sind. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Veränderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Weg der (Um-)Planung möglich ist. Ob eine Befreiung die Grundzüge der Planung berührt oder von minderem Gewicht ist, beurteilt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, nämlich dem im Bebauungsplan zum Ausdruck gebrachten planerischen Wollen (vgl. etwa BayVGH, U.v. 14.12.2016 – 2 B 16.1574 – juris Rn. 37 m.w.N.)
Gemessen an diesen Vorgaben würde eine Befreiung hier Grundzüge der Planung berühren. Eine Befreiung läge nicht mehr im Bereich dessen, was der Planer gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er die weitere Entwicklung einschließlich des Grundes für die Abweichung erkannt hätte (vgl. BayVGH, a.a.O. – juris Rn. 38). Die in Rede stehende Planung verfolgte das Ziel, die gewerblichen Nutzungen nicht entlang der … Straße anzusiedeln, sondern der parallel hierzu verlaufenden … zuzuordnen. So verläuft die Baugrenze von der … Straße deutlich weiter abgesetzt als in Richtung …. Nach der Begründung des Bebauungsplans (Nr. 10, Satz 4), sollte die verkehrsmäßige Erschließung des Gebiets über die Ulmer Straße erfolgen; ferner bestimmt § 7 der Bebauungsplansatzung, dass entlang der B19 (also der … Straße) und entlang der … und der … keine unmittelbaren Zufahrten und Zugänge zu den Grundstücken angelegt werden dürfen. Damit sollte sichergestellt werden, dass die Erschließung der in Rede stehenden Gewerbegrundstücke zwischen … und … Straße über die von der … Straße abzweigende Germanen Straße erfolgt. Die Bebauungsplankonzeption zielte mithin auf einer Abwendung der gewerblichen Nutzungen von der … Straße und deren Ausrichtung auf die Ü. Damit steht die von der Klägerin beantragte Werbeanlage, die sich de facto ausschließlich an die Nutzer der … Straße wendet, nicht in Einklang. Auch würde durch das Bauvorhaben ein – durch die vollständige Lage der Werbeanlage außerhalb der Baugrenze überdies herausgehobener – Bezugsfall geschaffen, der die künftige Durchsetzung der planerischen Vorgaben erheblich erschwert (vgl. dazu etwa BayVGH, B.v. 12.7.2010 – 15 ZB 09.3214 – juris Rn. 23).
Die Abweichung wäre auch nicht städtebaulich vertretbar, § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB. Städtebauliche Vertretbarkeit läge bei einer Vereinbarkeit mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung entsprechend § 1, insbesondere Abs. 6 und 7, BauGB, vor (vgl. Söfker, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2016, § 31 Rn. 79). Von einer geordneten städtebaulichen Entwicklung kann jedoch keine Rede sein, wenn – wie hier – erstmals eine eigenständige gewerbliche Hauptnutzung vollständig außerhalb der Baugrenze errichtet würde und damit die bisher bezweckte Ausrichtung der gewerblichen Nutzungen hin zur entgegengesetzten Straßenseite unterlaufen würde.
Da sich die streitgegenständliche Werbetafel damit schon wegen Überschreitung der festgesetzten und weiterhin zu beachtenden Baugrenze als nicht genehmigungsfähig erweist, kann offen bleiben, ob auch die in Form eines einfachen Bebauungsplans erlassene, bestehende Bebauungspläne ändernde Werbeanlagensatzung der Beigeladenen dem Vorhaben entgegensteht oder ob insbesondere die dort enthaltene Größenbeschränkung insbesondere angesichts dessen unwirksam ist, dass die Beigeladene selbst den fraglichen Bereich als „ohne Schutzwürdigkeit“ qualifiziert und somit ortsgestalterische Gründe i.S.d. Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BayBO gerade nicht anführen kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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