Baurecht

Zulässigkeit eines Beherbergungsbetriebes im Industriegebiet

Aktenzeichen  AN 9 K 20.01545

Datum:
9.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 17472
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauNVO § 9 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

Im Regelfall ist bei der gebotenen typisierenden Betrachtung davon auszugehen, dass ein Beherbergungsbetrieb der Zweckbestimmung eines Industriegebietes nicht entspricht. Dies kann im Einzelfall aber anders zu beurteilen sein, wenn der konkrete Betrieb Besonderheiten aufweist, die ihn vom „üblichen Beherbergungsbetrieb“ unterscheiden. (Rn. 67) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 2020 wird aufgehoben. 
2. Die Beklagte und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte. 
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. 
4. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

1. Streitgegenstand ist die dem Beigeladenen mit Bescheid vom 28. Juli 2020 erteilte Baugenehmigung.
2. Die Klage ist zulässig und begründet.
2.1 Die Klägerin wird durch die streitgegenständliche Baugenehmigung in ihrem Gebietserhaltungsanspruch verletzt.
Der aus § 15 Abs. 1 BauNVO abgeleitete Gebietserhaltungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet (§ 9 Satz 1 Nr. 1 BauGB, § 1 Abs. 3 BauNVO) das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung in diesem Gebiet nicht zulässige Vorhaben unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung zur Wehr zu setzen (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – juris Rn. 13; B.v. 27.8.2013 – 4 B 39/13 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 10.8.2016 – 9 ZB 16.944 – juris Rn. 11; B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 29; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 2020, § 15 BauNVO Rn. 37). Der identische Nachbarschutz besteht auch im unbeplanten Innenbereich, wenn die Eigenart der näheren Umgebung als faktisches Baugebiet i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94,151).
Der Anspruch wird allein durch die Zulassung eines mit dem (faktischen) Gebietscharakter unvereinbaren Vorhabens ausgelöst; eine tatsächlich spürbare und nachweisbare Beeinträchtigung des jeweiligen Nachbarn ist gerade nicht erforderlich. Dies ist damit zu begründen, dass die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Anwesen in demselben (faktischen) Baugebiet zu einer Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist. Im Hinblick auf diese wechselseitig wirkende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG hat jeder Eigentümer – unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung – das Recht, sich gegen eine „schleichende Umwandlung des Gebiets durch Zulassung einer gebietsfremden Nutzung zur Wehr zu setzen“ (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 29; B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris Rn. 6). Eine Verletzung des nachbarlichen Rechts auf Gebietserhaltung kann dabei nur vorliegen, wenn auch die Voraussetzungen der ausnahmsweisen Zulässigkeit des Vorhabens nicht gegeben sind (vgl. BayVGH, B.v. 30.4.2008 – 15 ZB 07.2914 – juris Rn. 10).
Das Grundstück der Klägerin sowie das Grundstück des Beigeladenen liegen in einem einheitlichen (faktischen) Plangebiet (siehe 2.1.1). Dieses entspricht als faktisches Industriegebiet auch einem der in der BauNVO aufgeführten Gebietstypen (siehe 2.1.2). Das streitgegenständliche Vorhaben ist nach der Art der genehmigten Nutzung in diesem Gebiet unzulässig (siehe 2.1.3).
2.1.1 Hinsichtlich der Bestimmung der näheren Umgebung ist der Bereich heranzuziehen, innerhalb dessen sich die Ausführung des Vorhabens auswirken kann und der seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder jedenfalls beeinflusst (BVerwG, U.v. 26.5.1978 – 4 C 9.77 – juris Rn. 33; B.v. 14.10.2019 – 4 B 27.19 – juris Rn. 7.) Bezüglich der Frage, ob sich das jeweilige Vorhaben einfügt, ist grundsätzlich auf die tatsächlich vorhandene Bebauung abzustellen (siehe BVerwG, B.v. 6.6.2019 – 4 C 10.18 – juris Rn. 15), dabei sind auch Immissionen einzubeziehen (vgl. hierzu z.B. BVerwG B.v. 19.7.2018 – 4 B 27/18 – juris Rn. 3; BVerwG B.v. 15.11.2017 – 4 B 2/18 – juris Rn. 5 f.)
Die Grenzen der näheren Umgebung sind nicht schematisch festzulegen, sondern nach der tatsächlich gegebenen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in welche das Baugrundstück eingebettet ist (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 2020, § 34 Rn. 36).
Grundsätzlich können Straßen oder Schienenstränge eine Abgrenzung der näheren Umgebung darstellen, wobei die Frage der trennenden oder verbindenden Wirkung jeweils unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch unter Betrachtung der auf der jeweiligen Seite der Straße oder des Schienenstranges vorhandenen Bebauung, festzustellen ist (vgl. vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 2020, § 34 Rn. 36)
In diesem Zusammenhang hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. August 2003 (Az. …*) ausgeführt, dass der Grenzverlauf der näheren Umgebung nicht davon abhängig sei, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennung (Straße, Schienenstrang, Gewässerverlauf, Geländekante, usw.) entkoppelt sei. Eine solche Linie habe bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur nicht stets eine trennende Funktion, es führe aber ihr Fehlen auch nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen seien und insgesamt die nähere Umgebung ausmachten. Die Grenze der maßgeblichen näheren Umgebung könne auch so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen sei, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedener Bau- und Nutzungsstruktur aneinanderstießen.
Vorliegend ist unter Heranziehung des Akteninhaltes, insbesondere der Lagepläne, sowie unter Berücksichtigung der beim Augenschein gewonnenen Erkenntnisse davon auszugehen, dass sowohl das streitgegenständliche Grundstück, als auch das klägerische Grundstück in einem einheitlichen faktischen Baugebiet liegen. Dieses wird im Süden durch die …, im Westen durch die …, im Osten durch den … und im Norden durch die ehemalige Gleistrasse begrenzt. Geht man im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zur Abgrenzung der näheren Umgebung zunächst vom streitgegenständlichen Grundstück aus, so vermag sich dieses aufgrund der dort befindlichen und auch der künftig beantragten, nicht wesentlich störenden gewerblichen Nutzung wohl nicht über den gesamten Bereich des maßgeblichen faktischen Baugebiets auszuwirken; der Wirkungsbereich auf die nähere Umgebung dürfte sich als wesentlich enger darstellen. Allerdings gilt es insoweit zu berücksichtigen, dass sich im maßgeblichen Gebiet Betriebe mit einem erheblichen Störpotential (6 IE-Anlagen sowie eine Bautischlerei und Schreinerei mit Sägewerk) befinden und dass schon vor diesem Hintergrund der Bereich der näheren Umgebung einen größeren Umfang aufweisen muss. Sowohl die baulichen Anlagen der Klägerin, als auch die der Federal Mogul treten optisch stark in Erscheinung, es handelt sich um massive industrielle Bebauung. Die vorhandenen industriellen Betriebe weisen somit schon aufgrund ihrer baulichen Dominanz, die von weitem erkennbar und sichtbar ist, eine prägende Wirkung auf, die sich über das gesamte maßgebliche Gebiet erstreckt und auch auf das streitgegenständliche Grundstück auswirkt. Der bodenrechtliche Charakter des streitgegenständlichen Grundstücks wird durch die industriellen Nutzungen im Umgriff mitgeprägt.
Die Grenzziehung durch …, … und … war bereits in den vorausgegangenen Verfahren mit den Aktenzeichen AN 9 K 16.00991 und AN 9 K 17.00173 stets zwischen den Parteien unstreitig; sie fällt schon bei Ansicht der Lagepläne ins Auge und wurde durch die beim Augenschein gewonnenen Erkenntnisse bestätigt. Sowohl die … als auch der … weisen schon aufgrund ihrer Frequentierung und des mehrspurigen Ausbaus eine trennende Wirkung auf, eine solche ist auch der … zuzugestehen, an die sich im Westen eine völlig anders geartete Bebauungsstruktur anschließt.
Als nördliche Begrenzung der maßgeblichen näheren Umgebung ist nach Einschätzung des Gerichtes unter Berücksichtigung der Lagepläne und der beim Augenschein gewonnenen Erkenntnisse die ehemalige … heranzuziehen. Diese stellt sich als optisch wahrnehmbare Zäsur dar, die die nähere Umgebung abzugrenzen vermag.
Der Entscheidung des BVerwG vom 28. August 2003 (Az. 4 B 74.03) ist gerade kein dahingehender Automatismus zu entnehmen, dass der Grenzverlauf der näheren Umgebung nicht an künstlichen oder natürlichen Trennlinien festgemacht werden kann. Es ist vielmehr im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse vor Ort festzustellen, ob sich entsprechende Linien finden lassen, ob diese im Falle ihres Vorhandenseins eine trennende Funktion haben oder nicht bzw., ob im Falle ihres Fehlens von einer Verzahnung der benachbarten Bebauungen auszugehen ist oder nicht.
Die ehemalige … erweist sich als geeignete Trennlinie zur Begrenzung der näheren Umgebung. Sie ist in den Lageplänen in ihrem Verlauf deutlich erkennbar (zur Einbeziehung von Lageplänen vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – juris Rn. 13). Auch im Rahmen des Augenscheins konnte sie als optische Zäsur klar wahrgenommen werden (zur Einordnung als optische Zäsur siehe bereits BayVGH, U.v. 9.9.2020 – 9 BV 17.2417 – juris Rn. 18). So sind Teile der Schienen nach wie vor vorhanden. Weiterhin nehmen die Gebäude entlang der ehemaligen … deren Rundung in ihren Verlauf auf und perpetuieren diese somit in die Dreidimensionalität.
Mit Ausnahme der Zufahrt auf das Grundstück Fl.Nr. …, Gemarkung …, gehen von der ehemaligen … keine Zugangsmöglichkeiten zu den nördlich und südlich anliegenden Grundstücken ab. Der Charakter eines abgeschlossenen Elementes bleibt somit erhalten und bestärkt die trennende Funktion.
Unterstützt wird dieser Eindruck auch durch die Nutzung, wie sie auch während des Augenscheintermins beobachtet werden konnte, als Zufahrt zu einem der klägerischen Grundstücke; ebendiese Nutzung ist nach dem vorgelegten Grundbuchauszug, dessen Gültigkeit durch die Beklagte nicht bestritten wurde, mittels eines Geh- und Fahrtrechts zugunsten der Klägerin am Grundstück der Beklagten abgesichert.
Auch ist nördlich und südlich der ehemaligen … eine unterschiedliche Siedlungsstruktur erkennbar. Störende Industriebetriebe sind nördlich der … nach den beim Augenschein gewonnenen Erkenntnissen nicht vorhanden, während sie südlich davon einen großen Umfang aufweisen. So führt auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 9. September 2020 – 9 BV 17.2417- juris aus, dass sich die Bebauung und Nutzung nördlich im Anschluss an die ehemalige … ohne industrielle Ausprägung bis hin zu einem Riegel Wohnbebauung südlich der … abstufe.
Eine Abgrenzung der näheren Umgebung, wie von der Beklagten vorgeschlagen, direkt an der Grenze zwischen klägerischem und Beigeladenengrundstück erscheint hingegen willkürlich. Dies gilt schon im Hinblick darauf, dass sich die ansässigen Industrieunternehmen in einem weiter anzusetzenden Bereich auswirken können und schon daher wohl eine Grenzziehung direkt an der Grundstücksgrenze ausscheidet. Das Baugrundstück wird jedenfalls durch die Industrienutzungen mitgeprägt, weshalb es auch mit diesen zu einer einheitlichen näheren Umgebung gehört (vgl. hierzu auch VG Ansbach, U.v. 16.2.2012 – AN 3 K 11.00947).
Es liegen insbesondere unter Auswertung der Lagepläne und Berücksichtigung der beim Augenschein gewonnenen Erkenntnisse auch keine einheitlich geprägten Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedener Bau- und Nutzungsstruktur vor. Die von der Beklagten angeführten Nutzungen, die nach deren Auffassung ein eigenes Gewerbegebiet bilden sollen, stellen keinen im Vergleich zur Struktur des von Klägerin und Beklagter eindeutig als Industriegebiet angesehenen grundsätzlich verschiedenen Bereich dar. Im gesamten faktischen Baugebiet finden sich neben den massiven industriellen Nutzungen, die insbesondere durch die Klägerin und die … ausgeübt werden, auch andere Nutzungen, wie etwa nicht störende Gewerbebetriebe. Diese Durchmischung betrifft gerade nicht nur den nordwestlichen Teil, sondern auch Teile der östlichen Seite der …, den südlichen Teil des Baugebietes, wo sich ein Reifenhändler mit Werkstatt sowie ein Imbisslokal finden, und Teile der östlichen Seite der … Ein Aneinanderstoßen verschiedener Bereiche, die jeweils für sich einheitliche Strukturen aufweisen, wie es dem Beschluss des OVG Münster vom 4. Juni 2003 (Az. 7 A 3557/02) zu entnehmen ist, der der Entscheidung des BVerwG vom 28. August 2003 (Az. 4 B 74.03) vorausging, ist damit gerade nicht gegeben.
Als maßgebliche nähere Umgebung ist somit der im Westen durch die …, im Süden durch die …, im Osten durch den … und im Norden durch die ehemalige … begrenzte Umgriff anzusehen.
Dies entspricht auch der Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 9. September 2020 (Az: 9 BV 17.2417).
2.1.2
Die maßgebliche nähere Umgebung ist als ein faktisches Industriegebiet gem. § 34 BauGB i.V.m. § 9 BauNVO einzustufen. Die vorhandenen industriellen Nutzungen prägen das Gebiet in erheblichem Ausmaß. So finden sich dort sechs Anlagen nach Art. 10 i.V.m. Anhang I der RL 2010/75/EU (Industrieemissions-Richtlinie), die als besonders störungsintensiv einzuordnen sind. Dem Lageplan ist zu entnehmen, dass diese Betriebe große Bereiche des maßgeblichen Gebietes einnehmen. Auch der Augenschein bestätigt eine massive Prägung des Gebiets durch die industriellen Nutzungen. Die industrielle Bauweise fällt sofort ins Auge und geht einher mit entsprechender Ausstattung durch große Lüftungs- und Kühlungsanlagen. Hinzu kommt eine Schreinerei mit einem Sägewerk; dieser ist ebenfalls ein hohes Störpotential zuzugestehen. Bei den weiteren im maßgeblichen Umgriff anzutreffenden gewerblichen Betrieben handelt es sich vornehmlich um nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe.
Dies führt das Gericht zur Annahme eines Industriegebietes. In einem Industriegebiet gem. § 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO sind Gewerbebetriebe aller Art zulässig. Einschränkungen ergeben sich im Hinblick auf den im Industriegebiet zulässigen Störgrad. Gem. § 9 Abs. 1 BauNVO sind im Industriegebiet vorwiegend solche Betriebe unterzubringen, die in anderen Baugebieten unzulässig sind. Der Störgrad überschreitet daher den in anderen Gebieten zulässigen Grad „nicht erheblich belästigend“ und kann somit für das Industriegebiet als „erheblich belästigend“ eingeordnet werden. Diese erheblich belästigenden Betriebe stellen die Hauptnutzung im Industriegebiet dar. Jedoch können im Industriegebiet grundsätzlich auch nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe zugelassen werden, sofern diese das Gebiet nicht vorwiegend oder überwiegend prägen. Somit können im Industriegebiet auch solche Gewerbebetriebe zulässig sein, die z.B., weil sie nicht erheblich belästigend sind, auch im Gewerbegebiet zulässig sind (vgl. zum Ganzen Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger,BauGB, Stand 2020, § 9 BauNVO Rn. 8a m.w.N.; BayVGH U.v. 9.9.2020 – 9 BV 17.2417 – juris).
Vorliegend ist angesichts der (auch flächenmäßigen) Dominanz und weitreichenden Sichtbarkeit der vorhandenen industriellen Nutzungen, die erheblich belästigend sind, eine überwiegende Prägung durch diese Nutzungen gegeben. Die nicht störenden gewerblichen Nutzungen erreichen im Vergleich dazu kein derartiges Gewicht, dass sie das Gebiet überwiegend prägen können. Eine vergleichbare Situierung der Nutzungen könnte sich auch in einem Plangebiet ergeben, wenn der Plangeber, insbesondere auch um dem Gebot der Konfliktbewältigung Rechnung zu tragen, am Rand des Industriegebietes die weniger störenden Nutzungen unterbringt, um so das Störpotential für die sich anschließenden Gebiete zu verringern.
Auch die vormals auf dem streitgegenständlichen Grundstück ausgeübte Nutzung führt zu keinem anderen Ergebnis; die Nutzung als Asylbewerberunterkunft war von vornherein befristet auf drei Jahre genehmigt und vermag schon dadurch keinerlei prägende Wirkung zu entfalten. Die mit Bescheid vom 11. Mai 2016 erteilte Baugenehmigung für die „Umnutzung des Bürogebäudes in Asylsuchendenunterkunft“ ist spätestens mit Wirkung zum 17. März 2020 erloschen. Zudem wurde eine mit Bescheid vom 11. Januar 2017 erteilte Baugenehmigung für die „Nutzungsänderung von Lager zur Unterkunft für Asylbewerber und zur Aufstockung zur Büronutzung“ aufgehoben (VG Ansbach, U.v. 23.10.2018 – AN 9 K 17.00173). Auch bei der derzeit ausgeübten Nutzung als Transportunternehmen handelt es sich um einen nicht störenden Gewerbebetrieb. Obige Ausführungen gelten somit auch diesbezüglich.
Hinsichtlich der im Rahmen des Augenscheins festgestellten Wohnnutzungen sind Verfahren bezüglich eines Anspruchs auf Erlass einer Nutzungsuntersagung anhängig. Von einem abschließenden Zustand der Duldung durch die Beklagte kann somit nicht ausgegangen werden, weshalb diese Nutzungen den Gebietscharakter gegenwärtig nicht mitprägen (vgl. hierzu Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 2020, § 34 Rn. 35).
Vor diesem Hintergrund verbleibt es bei der Einordnung als faktisches Industriegebiet.
2.1.3
Das streitgegenständliche Vorhaben ist von der Art der genehmigten Nutzung in diesem Gebiet unzulässig.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt zur Zulässigkeit von Vorhaben in einem faktischen Industriegebiet mit Urteil vom 9. September 2020 (Az. 9 BV 17.2417) zunächst aus:
„Industriegebiete dienen ausschließlich der Unterbringung von Gewerbebetrieben, und zwar vorwiegend solcher Betriebe, die in anderen Baugebieten unzulässig sind (§ 9 Abs. 1 BauNVO). Zulässig sind Gewerbebetriebe aller Art, Lagerhäuser, Lagerplätze und öffentliche Betriebe (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) sowie Tankstellen (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO).
Nach seinem Hauptzweck ist dem Industriegebiet die Unterbringung erheblich störender Gewerbebetriebe vorbehalten (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2010 – 4 C 10.09 – juris Rn. 20). Industriegebiete liegen typischerweise getrennt von Wohngebieten und sollen allenfalls den durch die Gewerbebetriebe ausgelösten Besucherverkehr bewältigen; für Erholung und Vergnügen sind sie nicht bestimmt (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 23.98 – juris Rn. 12). Demgegenüber ist es die Zweckbestimmung von Gewerbegebieten, solchen Betrieben einen Standort zu bieten, die im Hinblick auf ihre spezifischen Standortanforderungen und ihre Auswirkungen zu Unzuträglichkeiten in Gebieten führen würden, in denen auch oder sogar vorwiegend gewohnt werden soll (BVerwG, U.v. 25.11.1983 – 4 C 21.83 – juris Rn. 11). Industrie- und Gewerbegebiete unterscheiden sich darin, daß die Erheblichkeit der Nachteile und Belästigungen der Maßstab dafür ist, ob der Gewerbebetrieb noch im Gewerbegebiet oder nur im Industriegebiet zulässig ist (BVerwG, U.v. 25.11.1983 a.a.O. Rn. 12).“
Das streitgegenständliche Vorhaben stellt sich in seiner Ausgestaltung als Beherbergungsbetrieb als nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb dar, der generell in der Lage ist, sich in ein faktisches Industriegebiet einzufügen.
Jedoch richtet sich die Zulässigkeit eines Vorhabens innerhalb eines Baugebietes nicht allein nach der Einordnung des Vorhabens in eine bestimmte Nutzungs- oder Anlagenart, sondern auch nach der Zweckbestimmung des jeweiligen Gebiets (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 2.2.2012 – 4 C 14.10 – juris Rn. 16; U.v. 24.2.2000 – 4 C 23.98 – juris Rn. 12; BayVGH, U.v. 19.10.2015 – 1 B 15.886 – juris Rn. 23).
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt mit Entscheidung vom 19. Oktober 2015 (Az. 1 B 15.886) diesbezüglich aus:
„Die Prüfung der Gebietsverträglichkeit rechtfertigt sich aus dem typisierenden Ansatz der Baugebietsvorschriften der Baunutzungsverordnung, die durch die Zuordnung von Nutzungen zu den einzelnen Baugebieten die vielfältigen und oft gegenläufigen Ansprüche an die Bodennutzung zu einem schonenden Ausgleich im Sinn einer sachgerechten Städtebaupolitik bringen will. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die von der Baunutzungsverordnung dem jeweiligen Baugebiet zugewiesene allgemeine Zweckbestimmung den Charakter des Gebiets eingrenzend bestimmt (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.2012 – 4 C 14.10 – BayVBl 2012, 571). Dabei besteht zwischen der Zweckbestimmung des Baugebiets und den jeweils zugeordneten Nutzungsarten ein funktionaler Zusammenhang, der für die Auslegung und Anwendung jeder tatbestandlich normierten Nutzungsart maßgeblich ist (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2002 – 4 C 1.02 – BVerwGE 116, 155). Von entscheidender Bedeutung für die Frage, welche Vorhaben mit der allgemeinen Zweckbestimmung eines Baugebiets unverträglich sind, sind die Anforderungen des jeweiligen Vorhabens an ein Gebiet, die Auswirkungen des Vorhabens auf ein Gebiet sowie die Erfüllung eines spezifischen Gebietsbedarfs. Entscheidend ist, ob ein Vorhaben dieser Art generell geeignet ist, ein bodenrechtlich beachtliches Störpotential zu entfalten, das sich mit der Zweckbestimmung des Baugebiets nicht verträgt (vgl. BVerwG, U.v.2.2.2012 a.a.O.).“
Dieses bodenrechtlich beachtliche Störpotential, das sich mit der Zweckbestimmung des Baugebiets nicht verträgt, kann dabei nicht nur im Störgrad, sondern auch in der Störempfindlichkeit eines Vorhabens liegen (vgl. BVerwG U.2. 2.2.2012 – 4 C 14.10 – juris Rn. 17; BayVGH, U.v. 19.10.2015 – 1 B 15.886 – juris Rn. 26).
Es gilt insoweit zunächst zu berücksichtigen, dass das streitgegenständliche Vorhaben keinesfalls auf die Unterbringung in einem Industriegebiet angewiesen ist. Als Beherbergungsbetrieb ist jedenfalls eine grundsätzliche, ausdrücklich in der BauNVO geregelte Zulässigkeit in Gebieten gem. §§ 4a, 5, 6, 6a und 7 BauNVO gegeben, hinzu kommt eine ausnahmsweise Zulässigkeit im allgemeinen Wohngebiet. Der Beherbergungsbetrieb stellt insoweit eine eigene Nutzungskategorie mit eigenem Zulässigkeitsregime dar. Möglich erscheint zudem unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles eine Unterbringung als nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb in einem Gewerbegebiet. Abermals ist darauf hinzuweisen, dass der Hauptzweck des Industriegebietes die Unterbringung von erheblich störenden Gewerbebetrieben ist. Weiterhin weisen Beherbergungsbetriebe, zu deren essentiellen Zwecken es gehört, den Gästen eine Übernachtungsmöglichkeit anzubieten, eine besondere (Stör-)Empfindlichkeit gegenüber den industrietypischen Störungen (Lärm und sonstige Immissionen) auf.
Somit ist im Regelfall bei der gebotenen typisierenden Betrachtung davon auszugehen, dass ein Beherbergungsbetrieb der Zweckbestimmung eines Industriegebietes nicht entspricht; dies kann im Einzelfall aber anders zu beurteilen sein, wenn der konkrete Betrieb Besonderheiten aufweist, die ihn vom „üblichen Beherbergungsbetrieb“ unterscheiden (siehe hierzu auch VGH Mannheim, B.v. 30.7.2009 – 5 S 973/09 – juris Rn. 5; VG Hamburg, U.v. 24.6.2020 – 9 K 9673/17 – juris Rn. 54).
Zur Bestimmung dieser Besonderheiten kann grundsätzlich auf die Kriterien zurückgegriffen werden, die für die Frage der Zulässigkeit von Beherbergungsbetrieben in einem Gewerbegebiet herangezogen werden. Diesbezüglich werden als relevante Abgrenzungskriterien neben der Dauer des Aufenthaltes der Zweck der Unterkünfte, die Zielgruppe und die Ausstattung der Räume genannt (siehe hierzu BVerwG, U.v. 29.4.1991 – 4 C 43/89 – juris Rn. 20; VG München, U.v. 24.11.2020 – M 1 K 18.279 – juris Rn. 31). Allerdings gilt es im Rahmen der jeweiligen Einzelfallbetrachtung zu berücksichtigen, dass die im Industriegebiet primär ansässigen Betriebe im Vergleich zu den im Gewerbegebiet primär ansässigen Betrieben über einen höheren Störgrad verfügen. Die Störempfindlichkeit des Beherbergungsbetriebs muss daher im Vergleich zur Zulassung im Gewerbebetrieb in größeren Ausmaß vermindert sein, um der Zweckbestimmung des Industriegebietes entsprechen zu können.
Das streitgegenständliche Vorhaben weist keine derart verminderte Störempfindlichkeit auf.
In der ursprünglichen Betriebsbeschreibung vom 25. November 2019, ergänzt am 3. Februar 2020, war die Aufenthaltsdauer aufgrund der verwendeten Begrifflichkeiten nicht eindeutig bestimmt und deshalb auch ein längerer, wohnartiger Aufenthalt von Gästen möglich, was eine wohnähnliche Nutzung erlaubt hätte. Nach der durch zu Protokoll gegebenen Erklärung des Beigeladenenvertreters in der mündlichen Verhandlung am 9. Juni 2021 wird die Betriebsbeschreibung des streitgegenständlichen Vorhabens dahingehend geändert, dass die maximale Aufenthaltsdauer 2 Monate beträgt. Aber auch bei einer maximalen Aufenthaltsdauer von 2 Monaten ist von einer wohnähnlichen Nutzung auszugehen. Auch die Ausstattung der Räume, die nicht über Küchenzeilen verfügen, und die Tatsache, dass lediglich ein Frühstücksraum mit angeschlossener Teeküche für das Aufwärmen von Getränken und Speisen vorhanden ist, führt zu keiner anderen Einschätzung. So ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass auch wenn die konkrete Ausgestaltung der Räumlichkeiten für sich nicht den Begriff des Wohnens erfüllt, doch eine wohnähnliche Nutzung gegeben sein kann, die sich insbesondere mit der Dauer der Unterbringung begründen lässt (siehe hierzu BayVGH, U.v. 16.2.2015 – 1 B 13.648 – juris Rn. 26).
Ungeachtet dessen neigt das Gericht der Auffassung zu, dass ein nächtliches Ruhebedürfnis auch bei nur wenige Tage andauernden Aufenthalten zu bejahen ist. Aufgrund des im Vergleich zum Gewerbegebiet deutlich höheren Störgrades der im Industriegebiet primär ansässigen Betriebe kann die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zur Gebietsverträglichkeit eines Beherbergungsbetriebes im Gewerbegebiet gerade nicht ohne weiteres übertragen werden.
Die streitgegenständliche Nutzung erweist sich jedenfalls als gebietsunverträglich und der Zweckbestimmung des (faktischen) Industriegebietes zuwiderlaufend, weshalb der Klägerin, da auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahme nicht gegeben sind, ein Gebietserhaltungsanspruch zusteht.
2.2 Es kommt somit nicht darauf an, ob auch ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vorliegt. Ein solcher könnte sich daraus ergeben, dass anders als in den bislang mit Bescheid vom 11. Mai 2016 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 7. Juni 2016 und 6. Dezember 2016 und des Ergänzungsbescheids vom 1. August 2017 sowie Bescheid vom 11. Januar 2017 erteilten Baugenehmigungen für die Asylbewerberunterkünfte sich in der nunmehr streitgegenständlichen Genehmigung keine Auflagen zur Einhaltung von Lärmwerten und zur Einhaltung der Erschütterungsimmissionsschutzrichtwerte durch passive Schutzmaßnahmen des Bauherrn finden. Nach Angaben des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung wurde vom Erlass dieser Auflagen abgesehen, da es sich bei der Hotelnutzung nur um einen kurzfristigen Aufenthalt handele. Im Zusammenhang mit der Erklärung des Beigeladenenvertreters, dass die Betriebsbeschreibung dahingehend abgeändert werde, dass die maximale Aufenthaltsdauer 2 Monate betrage, erklärte der Beklagtenvertreter, dass ein Ergänzungsbescheid mit den entsprechenden Auflagen erlassen werde.
2.3 Weiterhin kann an dieser Stelle offenbleiben, ob die Baugenehmigung im Hinblick auf die Vorhabensbezeichnung dem Bestimmtheitserfordernis genügt. So wird im Bescheid die Vorhabensbezeichnung mit „Umbau und Nutzungsänderung einer bestehenden Asylunterkunft mit Büroetage in einen Beherbergungsbetrieb“ angegeben. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Baugenehmigung ist aber jedenfalls für einen Teil der Asylbewerberunterkunft die Baugenehmigung infolge der Rückgabe durch den Bauherrn bereits erloschen; hinsichtlich der Büroetage ist schon zweifelhaft, ob diese überhaupt genehmigt ist, da die diesbezüglich erteilte Baugenehmigung mit Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 23. Oktober 2018 (AN 9 K 17.00173) aufgehoben wurde und im zugehörigen Berufungsverfahren (9 BV 19.171) die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wurde.
3. Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt gem. 154 Abs. 1 VwGO. Da der Beigeladene einen eigenen Antrag gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, ihn an den Kosten des Verfahrens zu beteiligen (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt gem. § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
4. Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).


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