Baurecht

Zum Umfang des Schadensersatzanspruchs bei Mängeln am Bauwerk

Aktenzeichen  9 U 4712/16 Bau

Datum:
25.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NJW – 2018, 1407
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 249 Abs. 1, § 635, § 636, § 637 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Im Rahmen des Schadensersatzanspruchs nach §§ 634, 635 BGB kann der Geschädigte grundsätzlich nicht nur den unmittelbaren Mangelschaden, sondern alle Vermögensnachteile ersetzt verlangen, die infolge seiner Dispositionen sicher anfallen. Dabei muss aber gewährleistet sein, dass ihm kein Überschuss verbleibt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Kosten für die Räumung und Einlagerung von Möbeln im Rahmen der Mängelbeseitigung sind danach nur zu erstatten, wenn sie sicher anfallen. (redaktioneller Leitsatz)
3 Auch die Zubilligung eines fiktiven Schadensersatzanspruchs für etwaige Flächenverluste kommt bei wertender Schadensbetrachtung wegen der Unsicherheit der tatsächlichen Schadensentstehung und der sonst unter Umständen drohenden Überkompensation nicht in Betracht, solange der Besteller keine Dispositionen zur tatsächlichen Schadensbeseitigung getroffen hat. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

11 O 25452/10 2016-10-27 Schlussurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Schlussurteil des Landgerichts München I vom 27.10.2016, Az.: 11 O 25452/ 10 wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Streithelfer der Beklagten, namentlich der Fa. D. Bau GmbH, Fa. Ziegelwerk R. M. und K. GmbH & Co KG, Herrn De., Fa. H. G. Zimmerei & Holzbau GmbH & Co KG, Fa. K. – H. R. Architekten GmbH und Fa. W. & P. GmbH i.L..
3. Das in Ziff. 1 genannte Schlussurteil des Landgerichts München I sowie dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 76.500 € festgesetzt.

Gründe

Wie bereits im Hinweisbeschluss vom 17.07.2017 angekündigt, übt der Senat sein eingeschränktes Ermessen (“soll“) dahingehend aus, dass er die Berufung der Klägerin gegen das Schlussurteil des Landgerichts München I vom 27.10.2016 durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückweist.
I.
Die Beklagte hat als Bauträgerin die Wohnanlage der Klägerin errichtet. Bei dieser bestehen nach den von der Beklagten im Berufungsverfahren nicht angegriffenen Feststellungen des Erstgerichts Schallschutzmängel. Im Schlussurteil vom 27.10.2016 hat das Erstgericht der Klägerin insoweit einen Anspruch auf 132.530 € für die Mängelbeseitigung zugesprochen und darüber hinaus festgestellt, dass die Beklagte für den Fall der Beseitigung der festgestellten Schallmängel durch Einbau biegeweicher Vorsatzschalen zum Schadensersatz in Form der „Zahlung der mit der Beseitigung der festgestellten Schallmängel verbundenen eventuell anfallenden Folgekosten für eine Räumung, in Höhe von maximal bis zu 10.000 €“ sowie der „Zahlung eines Schadensersatzes für den eventuell anfallenden Flächenverlust durch die Mängelbeseitigung, in Höhe von maximal bis zu 75.000 €“ verpflichtet ist. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist einzig die Rüge der Klägerin, dass ihr anstelle der beantragten Zahlung von Schadensersatz in Höhe von insgesamt 85.000 € nur die Feststellung eines etwaigen Schadensersatzanspruchs in dieser Höhe zuerkannt wurde.
Bezüglich der Darstellung des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 27.10.2016 Bezug genommen. Änderungen oder Ergänzungen haben sich in der Berufungsinstanz nicht ergeben, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Die Klägerin beantragt im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 06.02.2017 (Bl. 571/ 576):
Unter Abänderung des am 27.10.2016 verkündeten Urteils des Landgerichts München I, Az.: 11 O 25452/ 10 wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin zu Händen der Hausverwaltung F. & M. GmbH & Co. KG (Anm. des Senats: insgesamt) einen Betrag in Höhe von € 217.530 nebst 5% (Ergänzung des Senats: Zinsen) über Basiszins seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 20.01.2017 (Bl. 582),
die Berufung zurückzuweisen.
Die Streithelfer De. (Bl. 557), Fa. W. & P. GmbH i.L. (Bl. 585), Fa. Ziegelwerk R. M. und K. GmbH & Co KG (Bl. 595) und Fa. D. Bau GmbH (Bl. 597) haben sich dem Antrag der Beklagten angeschlossen.
Im Übrigen wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die Berufung gegen das Schlussurteil des Landgerichts München I vom 27.10.2016, Az.: 11 O 25452/ 10, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
Wie bereits im vorausgegangenen Hinweisbeschluss des Senats vom 17.07.2017 (Bl. 615/ 623) ausgeführt, steht der Klägerin aus Rechtsgründen derzeit über die vom Erstgericht ausgesprochene Feststellung hinaus kein Zahlungsanspruch in Höhe von 85.000 € zu.
1.) Der Senat legt seiner Meinungsbildung folgende Grundsätze zugrunde:
Ist das Werk eines Unternehmers mangelhaft, steht dem Besteller unter den Voraussetzungen der §§ 634, 635 BGB ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Der Besteller hat Anspruch auf Ausgleich der durch den Mangel erlittenen Vermögensschäden. Ist der Mangel noch nicht beseitigt, jedoch dessen Beseitigung möglich, hat der Besteller Anspruch auf Ersatz der für die Mängelbeseitigung bzw. zur vertragsgemäßen Herstellung des Werks erforderlichen Aufwendungen. Der Mangel selbst ist der Schaden und abweichend von § 249 Abs. 1 BGB ist der Schadensersatzanspruch nicht auf Naturalrestitution, sondern auf Zahlung des für die Mängelbeseitigung erforderlichen Geldbetrages gerichtet. Dieser Anspruch besteht unabhängig davon, ob und in welchem Umfang der Besteller den Mangel tatsächlich beseitigen lässt (BGH NJW 2007, 2697).
Zu ersetzen sind Aufwendungen für solche Leistungen, auf die sich die Nachbesserungspflicht des Unternehmers nach § 637 Abs. 1 BGB bezieht, aber auch Aufwendungen für Maßnahmen, die notwendigerweise im Zuge der Mangelbeseitigung vorzunehmen sind, um den Mangel an der eigenen Leistung zu beheben. Der Besteller kann infolge dessen nicht nur den Betrag verlangen, mit dem der Mangelunwert am Bauwerk selbst abgedeckt wird, sondern auch diejenigen Aufwendungen, die die Mängelbeseitigungsmaßnahmen am Bauwerk unmittelbar erst ermöglichen. Der Schadensersatzanspruch nach § 635 BGB erfasst den gesamten Vermögensnachteil, den der Besteller durch den Mangel erlitten hat. Vor diesem Hintergrund hat der BGH durch Urteil vom 10.04.2003, Az.: VII ZR 251/ 02, auch Kosten einer Hotelunterbringung, die notwendig wird, um die Mängelbeseitigung durchzuführen, als grundsätzlich erstattungsfähig angesehen. Er führte dazu aus: „Es darf nur derjenige Betrag ausgeurteilt werden, der im Rahmen der vorzunehmenden Schätzung für die Mängelbeseitigung sicher anfällt. … Insoweit wird es häufig nicht möglich sein, sichere Kosten festzustellen. Denn in den meisten Fällen ist nicht klar, inwieweit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls Kosten für eine Hotelnutzung anfallen werden … Steht der zu erwartende, aber noch nicht bezifferbare Schaden nicht fest, bleibt dem Besteller die Möglichkeit der Feststellungsklage.“ Durch Urteil vom 22.07.2010, Az.: VII ZR 176/ 09, begrenzte der BGH – „im Lichte der Erwägungen, die den Gesetzgeber bei Schadensersatzansprüchen wegen Beschädigung einer Sache bewogen haben, die Umsatzsteuer aus der Berechnung des zur Herstellung erforderlichen Geldbetrages herauszunehmen, sofern sie nicht tatsächlich angefallen ist“ – den werkvertraglichen Schadensersatzanspruch dahingehend, dass auf voraussichtliche Mängelbeseitigungskosten entfallende Umsatzsteuer nicht mehr erstattungsfähig ist. Er stellte dabei auf eine wertende Schadensbetrachtung ab, bei der eine Überkompensation des Schadens durch Ersatz von rechnerischen Schadenspositionen, die nach dem von dem Geschädigten gewählten Weg zur Schadensbeseitigung gar nicht anfallen, vermieden werden müsse. Der Umfang des Schadensersatzes sei „stärker als bisher auch danach auszurichten, welche Dispositionen der Geschädigte tatsächlich zur Schadensbeseitigung trifft“. Diese Rechtsprechung wird von manchen Obergerichten auch auf sonstige Kosten, z.B. Hotel – und Einlagerungskosten von Möbeln übertragen und dem Geschädigten ein Zahlungsanspruch für noch nicht mit Sicherheit entstehende Folgekosten verwehrt (KG, Urteil vom 31.01.2014, Az.: 7 U 30/ 13; OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.04.2015, Az.: 21 U 162/ 14; zustimmend Kniffka, Bauvertragsrecht, § 636 BGB, Rn. 78 a. E.).
2.) Übertragen auf den streitgegenständlichen Sachverhalt ergibt sich unter Berücksichtigung der erhobenen Berufungsrügen folgende rechtliche Wertung:
a.) Der Geschädigte kann grundsätzlich und zweifelsohne nicht nur den unmittelbaren Mangelschaden, sondern alle Vermögensnachteile ersetzt verlangen, die infolge seiner Dispositionen sicher anfallen. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Schadensrechts muss dabei aber gewährleistet sein, dass ihm kein Überschuss verbleibt, denn darauf hat er keinen Anspruch.
b.) Für den von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsanspruch bezüglich der mit der Beseitigung der festgestellten Schallmängel verbundenen, eventuell anfallenden Folgekosten für eine Räumung in Höhe von 10.000 € folgt daraus, dass der Klägerin derzeit, wie vom Erstgericht zutreffend ausgeführt, kein Zahlungsanspruch zusteht, da schon nach den erstinstanzlichen Feststellungen, an die der Senat gebunden ist, nicht sicher ist, ob diese überhaupt anfallen. Der Sachverständige erachtet ausweislich S. 12 des Ersturteils eine Räumung und Einlagerung von Möbeln im Rahmen der Mängelbeseitigung für nicht bzw. allenfalls eine Teilräumung für erforderlich, zu der seitens der Klägerin nicht näher vorgetragen wurde. Mithin ist schon deshalb nicht sicher, ob Räumungskosten in Höhe von 10.000 € überhaupt anfallen, so dass die Klägerin auf den Feststellungs Weg zu verweisen war.
c.) Auch für die eventuell durch die Mangelbeseitigung anfallenden Flächenverluste steht der Klägerin kein Zahlungsanspruch in Höhe von 75.000 € zu. Auch insoweit steht nicht fest, dass dieser Schaden sicher entsteht, da die Klägerin noch keine Dispositionen zur tatsächlichen Schadensbeseitigung getroffen hat. Ausweislich S. 15 der Urteilsgründe kommt zur Mangelbeseitigung neben dem mit einem Flächenverlust einhergehenden Einbau biegeweicher Vorsatzschalen auch eine andere Form der Mangelbeseitigung in Betracht. Mithin ist die Schadensentstehung vor diesem Hintergrund aber auch deshalb nicht sicher, weil nicht feststeht, ob die Klägerin den Mangel überhaupt beseitigen lässt. Die Zubilligung eines fiktiven Schadensersatzanspruchs für etwaige Flächenverluste kommt bei wertender Schadensbetrachtung nach den oben dargestellten Grundsätzen wegen der Unsicherheit der tatsächlichen Schadensentstehung und der sonst unter Umständen drohenden Überkompensation derzeit nicht in Betracht. Den Interessen der Klägerin auf Ersatz des vollständigen, mangelbedingten Vermögensnachteils wird auf dem vom Erstgericht gewählten Weg der Feststellung der grundsätzlichen Erstattungsfähigkeit der Flächenverluste bis zu einem Betrag von 75.000 € hinreichend Rechnung getragen.
d.) Die schlüssig vorgetragenen Berufungsrügen vermögen daran nichts zu ändern.
Es ist nicht inkonsistent zwischen den reinen Kosten zur Beseitigung des Mangelunwerts und den Mangelfolgekosten zu differenzieren. Ein Anspruch auf geldwerten Ausgleich des reinen Mangelschadens hat der Besteller nach h.M. in Rechtsprechung und Lehre immer, unabhängig davon, ob er den Mangel beseitigen lässt, denn dieser Schaden ist entstanden. Darüber hinaus gehende, etwaige Mangelfolgeschäden kann er jedoch nur dann ersetzt verlangen, wenn diese Schäden am sonstigen Vermögen sicher anfallen. Der fiktiven Abrechnung steht nicht § 249 Abs. 2 S. 2 BGB entgegen, der bekanntlich auf den werkvertraglichen Schadensersatzanspruch nicht anzuwenden ist. Hier gelten die allgemeinen Grundsätze des Schadensrechts. Hinsichtlich der Anwendung von § 251 Abs. 1, 2. Alt. BGB nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts auf S. 15 unten der Urteilsgründe Bezug.
3.) Eine inhaltliche Stellungnahme zu den vom Senat erteilten Hinweisen ist seitens der Klägerin nicht erfolgt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils und dieses Beschlusses erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO (analog).
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung des § 3 ZPO und unter Berücksichtigung der berechtigten Einwände der Beklagten und einiger Streithelfer der Beklagten bezüglich des vom Senat zunächst im Rahmen des Hinweisbeschlusses vorgeschlagenen Streitwerts bestimmt. Das Erstgericht hat für die Feststellung etwaiger Schadensersatzansprüche der Klägerin auf S. 17 der Urteilsgründe im Abschnitt D. II. 4. einen Streitwert von 1/ 10 der eingeklagten Forderung von 85.000 €, mithin 8.500 € festgesetzt. Das gem. § 3 ZPO maßgebliche wirtschaftliche Interesse der Klägerin richtet sich auf eine Leistung von 85.000 € anstelle der bloßen Feststellung einer etwaigen Leistungspflicht der Beklagten. Mithin bestimmt sich der Streitwert anhand der Differenz von 85.000 € ./. 8.500 € und war folglich auf 76.500 € festzusetzen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben