Baurecht

Zur Erschließungsbeitragspflicht von Grundstücken im Außenbereich

Aktenzeichen  6 CS 21.2280

Datum:
10.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 36763
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BauGB § 34, § 35, § 131 Abs. 1 S. 1, § 133 Abs. 1

 

Leitsatz

Grundstücke im Außenbereich sind kein Bauland iSv § 133 Abs. 1 BauGB und deshalb selbst dann nicht erschließungsbeitragspflichtig, wenn sie tatsächlich und rechtmäßig bebaut sind. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 S 21.1051 2021-08-04 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. August 2021 – AU 2 S 21.1051 – die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen die Erschließungsbeitragsbescheide der Antragsgegnerin vom 19. März 2021 mit den Nummern 13/2021 und 138/2021 angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 445,- € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen zwei Bescheide der Antragsgegnerin vom 19. März 2021, mit denen er für die erstmalige endgültige Herstellung der Verkehrsanlage „Ölmühlhang“ als Eigentümer der aneinandergrenzenden Grundstücke FlNr. 2…3 und 2…3/2 zu einem (weiteren) Erschließungsbeitrag in Höhe von insgesamt 1.652,00 € (Nr. 13/2021) sowie als Eigentümer des 18 m² großen Grundstücks FlNr. 2…3/6 zu einem (erstmaligen) Erschließungsbeitrag in Höhe von 128,00 € (Nr. 138/2021) herangezogen wurde.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Widersprüche vom 8. April 2021 gegen die beiden Erschließungsbeitragsbescheide anzuordnen, mit Beschluss vom 4. August 2021 abgelehnt.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, auf deren Begründung Bezug genommen wird. Die Antragsgegnerin verteidigt die angegriffene Entscheidung.
Bereits mit Bescheid vom 6. November 2020 und Änderungsbescheid vom 7. Dezember 2020 hatte die Antragsgegnerin den Antragsteller für die Grundstücke FlNr. 2…3 und 2…3/2 zu Erschließungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 36.680,- € herangezogen. Mit Beschluss vom heutigen Tag (Az. 6 CS 21.887) hat der Senat die aufschiebende Wirkung des gegen diese Bescheide erhobenen Widerspruchs angeordnet und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, das Grundstück FlNr. 2…3/2 dürfe insgesamt dem bauplanungsrechtlichen Außenbereich im Sinn des § 35 BauGB zuzuordnen sein und daher nicht zum Kreis derjenigen Grundstücke gehören, die zu Erschließungsbeiträgen für die Herstellung der Straße „Ölmühlhang“ herangezogen werden dürften. Das westlich angrenzende Grundstück FlNr. 2…3 gehöre zwar dem Bebauungszusammenhang (noch) teilweise an und sei damit grundsätzlich beitragspflichtig, seine dem Innenbereich zuzurechnende und damit beitragspflichtige Fläche sei jedoch bei der Beitragsberechnung – wohl – zu groß angesetzt worden.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet.
1. An der Rechtmäßigkeit des Nacherhebungsbescheids vom 19. März 2021 Nr. 13/2021 für die Grundstücke FlNrn. 2…3 und 2…3/2 bestehen ernstliche Zweifel im Sinn von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO.
a) Wie der erkennende Senat mit Beschluss vom heutigen Tag (Az. 6 CS 21.887) im Einzelnen dargelegt hat, dürfte das 9.763 m² große Grundstück FlNr. 2…3/2 insgesamt nicht mehr dem (unbeplanten) Innenbereich (§ 34 BauGB), sondern bereits dem bauplanungsrechtlichen Außenbereich im Sinn des § 35 BauGB zuzuordnen sein und deshalb aus dem Kreis der nach § 131 Abs. 1 Satz 1, § 133 Abs. 1 BauGB erschlossenen und damit beitragspflichtigen Grundstücke vollständig herausfallen. Auf die Begründung dieses Beschlusses wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen. Fehlt es demnach (wohl) an der Erschließungsbeitragspflicht des Grundstücks, so ist für die durch Bescheid vom 19. März 2021 festgesetzte Nacherhebung ebenfalls kein Raum.
b) Das im Süden unstreitig in den Außenbereich übergehende, insgesamt 5.851 m² große Grundstück FlNr. 2…3 zählt demgegenüber zwar im Umgriff seiner mit dem Wohnhaus bebauten Fläche einschließlich eines wohnakzessorischen typischen Hausgartens nach Süden hin noch zum Abrechnungsgebiet. Die Antragsgegnerin hat jedoch, wie ebenfalls im Senatsbeschluss Az. 6 CS 21.887 dargelegt ist, die dem Innenbereich zuzurechnende Fläche mit 3.240 m² wohl deutlich zu groß bemessen, weshalb sie auch bei der Neuberechnung des Beitrags im Hinblick auf dieses Grundstück einen zu hohen Nacherhebungsbetrag angesetzt haben dürfte. Dies rechtfertigt es, auch die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Nacherhebungsbescheid vom 19. März 2021 für das Grundstück FlNr. 2…3 in vollem Umfang anzuordnen, weil im Beschwerdeverfahren die Einholung einer Vergleichsberechnung regelmäßig ausscheidet (BayVGH, B.v. 15.5.2001 – 6 CS 99.2783 – juris). Das vorläufige Verfahren ist seiner Natur nach für derartige Umrechnungen nicht geeignet. Es bleibt deshalb Aufgabe des Hauptsacheverfahrens, die Rechtmäßigkeit des Beitragsanspruchs im Hinblick auf das Grundstück FlNr. 2…3 nach Maßgabe einer neuen Berechnung im Einzelnen zu überprüfen.
2. Auch mit Blick auf den Beitragsbescheid vom 19. März 2021 Nr. 138/2021 für das 18 m² große Grundstück FlNr. 2…3/6 bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit.
Wie der Senat im Beschluss Az. 6 CS 21.887 ausgeführt hat, dürfte der durch die Bebauung am „Ölmühlhang“ gebildete Ortsteil im Osten auf beiden Seiten der Straße auf der Linie enden, die durch die östlichen Grenzen der mit Wohnhäusern bebauten Grundstücke FlNr. 2…3 (südlich der Straße) und 120/45 (nördlich der Straße) gebildet wird und das östlich an FlNr. 2…3 anschließende Grundstück FlNr. 2…3/2 bereits dem Außenbereich zuzuordnen sein. Die darauf befindliche Maschinenhalle ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, B.v. 5.4.2017 – 4 B 46.16 – juris Rn. 6) nicht geeignet, den Bebauungszusammenhang bis zu dem östlich angrenzenden, mit einem ehemaligen Austragshaus bebauten Grundstück FlNr. 2…3/4 fortzuführen. Mit einer Breite von ca. 45 m und einer Tiefe von bis zu ca. 150 m ist das Grundstück FlNr. 2…3/2 so groß, dass man auch nicht von einer den Bebauungszusammenhang nicht unterbrechenden „Baulücke“ ausgehen kann. Aus diesen Gründen sind sowohl das östlich an das Flurstück 2…3/2 angrenzende Grundstück FlNr. 2…3/4 als auch das daraus im Oktober 2021 herausgemessene Teilstück FlNr. 2…3/6 ebenfalls dem Außenbereich zuzuordnen mit der Folge, dass beide Grundstücke nicht dem Kreis der nach § 131 Abs. 1 Satz 1, § 133 Abs. 1 BauGB erschlossenen und damit beitragspflichtigen Grundstücke angehören (weshalb die übrigen erschlossenen Grundstücke entsprechend höher zu belasten sind).
Der Umstand, dass das Grundstück FlNr. 2…3/4 mit einem Wohngebäude bebaut ist, führt nicht zu einer Beitragspflicht. Denn Grundstücke im Außenbereich sind kein Bauland im Sinn von § 133 Abs. 1 BauGB und deshalb selbst dann nicht erschließungsbeitragspflichtig, wenn sie tatsächlich und rechtmäßig bebaut sind. Zum anderen grenzt das Grundstück nicht an eine beitragsfähige Erschließungsanlage, weil die Straße „Ölmühlhang“ auf seiner Höhe nicht mehr diese Eigenschaft aufweist; denn ein Straßenzug verliert seine Bestimmung zum Anbau im Sinn von § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB und damit zugleich seine Eigenschaft als Erschließungsanlage dort, wo er beidseitig endgültig in den Außenbereich oder einen durch planerische Festsetzungen der Bebauung entzogenen Bereich übergeht (BayVGH, B.v. 16.2.2021 – 6 CS 20. 3153 – juris Rn. 11).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG, wobei der Senat im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO in ständiger Rechtsprechung ein Viertel des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts ansetzt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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