Baurecht

Zurückstellung eines Baugesuchs im Anschluss an einen Beschluss zur Sanierungsvorbereitung

Aktenzeichen  15 AS 17.1006

Datum:
18.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 15 Abs. 1, § 136 Abs. 2, Abs. 3, § 141 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Der Beschluss über den Beginn vorbereitender Untersuchungen setzt noch keine Gewissheit über die Notwendigkeit einer Sanierungsmaßnahme voraus. Dementsprechend ist die definitive Feststellung städtebaulicher Missstände im Sinne des § 136 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB nicht Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Beschlusses nach § 141 Abs. 3 BauGB; es genügt ein „Sanierungsverdacht“.  (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei der Beschlussfassung zu einer vorbereitenden Untersuchung muss noch nicht feststehen, ob ihr Ergebnis ausreicht, um die Erforderlichkeit der Durchführung von Sanierungsmaßnahmen, die Durchführung der Sanierung im Allgemeinen und die zweckmäßige Abgrenzung des Sanierungsgebiets im Hinblick auf die spätere förmliche Festlegung beurteilen zu können; gegebenenfalls müssen weitere vorbereitende Untersuchungen beschlossen und durchgeführt werden, die dann in ihrer Gesamtheit so weit zu konkretisieren sind, dass diese Beurteilung erfolgen kann. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.975,40 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit Antrag vom 17. Dezember 2015, der unter dem 11. Februar 2016 korrigiert wurde, beantragte die Antragstellerin eine Baugenehmigung „Einbau einer Spielhalle in eine ehemalige Metzgerei“ für das bestehende Gebäude auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung O… (Baugrundstück).
Mit am 3. Juni 2016 bekannt gemachten Beschluss vom 2. Juni 2016 beauftragte der Stadtrat der Antragsgegnerin die Stadtverwaltung, für einen näher definierten Bereich „H… Straße“ (in dem auch das Baugrundstück liegt), ergänzende vorbereitende Untersuchungen im Sinne des § 141 BauGB einzuleiten und durchzuführen und hierfür die vorbereitenden Untersuchungen mit Integriertem Handlungskonzept für das bereits bestehende Sanierungsgebiet „O…“ zu erweitern und fortzuschreiben.
Im Anschluss stellte die Antragsgegnerin mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 8. Juni 2016 den Bauantrag der Antragstellerin befristet bis 6. Juni 2017 zurück.
Mit Urteil vom 23. Februar 2017 wies das Verwaltungsgericht Augsburg die Klage der Antragstellerin insoweit ab, als diese beantragt hatte, den Zurückstellungsbescheid vom 8. Juni 2016 aufzuheben, verpflichtete aber die Antragsgegnerin, der Antragstellerin die beantragte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung und Einrichtung einer Spielhalle zu erteilen. In den Entscheidungsgründen wird hinsichtlich des klageabweisenden Teils ausgeführt, die zulässige Anfechtungsklage gegen den Zurückstellungsbescheid sei unbegründet, weil die gesetzlichen Voraussetzungen gem. § 141 Abs. 4 Satz 1 i.V. mit § 15 BauGB vorlägen; die Zurückstellung des Bauantrags erweise sich damit als rechtmäßig und verletze die Antragstellerin nicht in ihren Rechten. Die als Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) zulässige Klage auf Verpflichtung der Baugenehmigung sei hingegen begründet, weil die Antragstellerin einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung habe. Der Zurückstellungsbescheid könne dem mangels Anordnung des Sofortvollzugs nicht entgegenstehen. Im Übrigen stünden dem gem. § 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtigen Vorhaben keine im einschlägigen Verfahren gem. Art. 59 BayBO zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegen.
Gegen das Urteil haben sowohl die Antragstellerin (soweit die Klage abgewiesen wurde) als auch die Antragsgegnerin (soweit der Klage stattgegeben wurde, die Antragsgegnerin also verpflichtet wurde, der Antragstellerin die beantragte Baugenehmigung zu erteilen) einen Antrag auf Zulassung der Berufung beim Verwaltungsgerichtshof gestellt.
Die Antragsgegnerin hat unter dem 12. April 2017 einen Ergänzungsbescheid erlassen, mit dem die sofortige Vollziehung des Zurückstellungsbescheids vom 8. Juni 2016 angeordnet wurde. Zur Begründung wurde im Ergänzungsbescheid ausgeführt, dass die nachträgliche Anordnung des Sofortvollzug im öffentlichen Interesse liege. Es sei bereits zu berücksichtigen, dass bei Zurückstellungsbescheiden im Regelfall der Sofortvollzug im öffentlichen Interesse anzuordnen sei, wenn – wie vorliegend – zugleich eine Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Baugenehmigung anhängig sei. Mit Blick auf die Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 23. Februar 2017 bedürfe der Zurückstellungsbescheid zur Entfaltung seiner Wirkung der sofortigen Vollziehung, da andernfalls die Zielsetzung des Bescheids (nämlich die Zurückstellung des Baugesuchs) durch die widrigenfalls zu erteilende Baugenehmigung nicht mehr zu gewährleisten wäre. Es bestehe auch zum jetzigen Zeitpunkt noch ein berechtigtes Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung, da nachträgliche Änderungen im Berufungszulassungsverfahren zu berücksichtigen seien. Es bestehe mithin auch kein Vertrauensschutz der Antragstellerin, da sie mangels Rechtskraft der Entscheidung des Verwaltungsgerichts jederzeit mit dem Erlass neuer bzw. ergänzender Verwaltungsakte zu rechnen gehabt habe. Zudem sei die Anordnung des Sofortvollzugs mit den bereits im Bescheid vom 8. Juni 2016 genannten Gründen zu begründen, da mit der Erteilung einer Baugenehmigung zum jetzigen Zeitpunkt die Ziele der Zurückstellung im Hinblick auf die Erweiterung des Sanierungsgebiets nicht mehr zu erreichen wären. Auf die Ausführungen des Bescheids vom 8. Juni 2016 werde Bezug genommen.
Mit ihrem am 26. April 2017 per Telefax beim Verwaltungsgericht Augsburg eingereichten Schriftsatz beantragte die Antragsgegnerin,
die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Zurückstellungsbescheid vom 8. Juni 2016 wiederherzustellen.
Das Verwaltungsgericht hat sich mit Beschluss vom 15. Mai 2017 für die Entscheidung der Streitsache als sachlich nicht zuständig erklärt und den (Eil-) Rechtsstreit an den Verwaltungsgerichtshof verwiesen. Aufgrund des eingelegten Antrags auf Zulassung der Berufung sei das Verwaltungsgericht nicht mehr das Gericht der Hauptsache. Die Entscheidungskompetenz sei auf den Verwaltungsgerichtshof übergegangen.
Mit Beschluss vom 24. Mai 2017 stimmte der Stadtrat der Antragsgegnerin im Anschluss an die Beteiligung und Mitwirkung der Betroffenen und der öffentlichen Aufgabenträger dem Ergebnis der Fortschreibung und Erweiterung der vorbereitenden Untersuchung und dem erarbeiteten Handlungskonzept „Integrierte Stadtteilentwicklung ‚O…- …‘ – S…“ (Stand 27. April 2017) für das Sanierungsgebiet Nr. … „O…- …“ zu. Hiernach werden für den betroffenen Bereich „H… Straße“ zwölf Maßnahmen vorgeschlagen (u.a. auch die Ausweisung eines Sanierungsgebietes sowie die Aufstellung eines qualifizierten Bebauungsplans zur Sicherung der Sanierungsziele). Ebenfalls am 24. Mai 2017 beschloss der Stadtrat die Änderung der (vormals am 8. März 2002 in Kraft getretenen) Satzung über die förmliche Festlegung des Sanierungsgebiets O… Nr. … „O…- …“. Die Änderungssatzung wurde am 31. Mai 2017 ausgefertigt und am 2. Juni 2017 öffentlich bekannt gemacht. In der diesbezüglichen Beschlussvorlage werden als Sanierungsziele speziell für den betroffenen Bereich der „H… Straße“ genannt:
„Der Bereich ‚H… Straße‘ soll eine städtebauliche Ordnung erfahren. Grundstücke mit ungünstigen Zuschnitten sollten neu geordnet werden, um eine Bebauungsstruktur zu ermöglichen, die die Wohn- und Lebensbedingungen verbessert. Hierzu sollen auch die Entsiegelung und die stärkere Begrünung von Flächen beitragen. Die öffentlichen Straßen und Freiräume sollen aufgewertet und ihre Nutzbarkeit verbessert werden. Der private Gebäudebestand soll saniert, Leerstände beseitigt und wertige kleinteilige Nutzungen aus Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistung entlang der D… Straße erhalten bzw. etabliert werden. Negativnutzungen wie z.B. Spielhallen oder Prostitution sollen ausgeschlossen werden.“
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 10. Juli 2017 sowohl im Verfahren 15 ZB 17.848 (nach erfolgter Abtrennung nunmehr 15 ZB 17.1813) als auch im vorliegenden Eilverfahren erklärt:
„Soweit beantragt ist, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg zuzulassen, wird der Rechtsstreit in der Hauptsache hiermit für erledigt erklärt.
Der streitgegenständliche Zurückstellungsbescheid weist eine Befristung bis zum 06.06.2017 auf. Mit Ablauf dieses Datums entfaltet dieser Bescheid keine Regelungswirkung mehr, worauf der Senat auch bereits hingewiesen hat. Dementsprechend hat sich dieser Rechtsstreit, Anfechtung des Zurückstellungsbescheids, mit Ablauf des 06.06.2017 erledigt.
Soweit die Klägerin darüber hinaus beantragt hat, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen diesen Zurückstellungsbescheid wiederherzustellen, hat sich auch dieser Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, da der zu Grunde liegende Bescheid aufgrund des Ablaufs der Befristung keine Regelungswirkung mehr entfaltet.“
Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 24. Juli 2017 der Erledigungserklärung zugestimmt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (auch der Verfahren 15 ZB 17.848 und 15 ZB 17.1813) sowie der beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
1. Durch die übereinstimmenden Erledigterklärungen ist das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beendet und in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Nach § 161 Abs. 2 VwGO hat der Verwaltungsgerichtshof nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Hierbei ist nur eine summarische Prüfung geboten (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 13.3.2012 – 22 AS 10.40042 – juris Rn. 2 m.w.N.).
Hiernach entspricht es billigem Ermessen, der Antragstellerin die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, weil ihr Eilantrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO voraussichtlich keinen Erfolg gehabt hätte.
Das Gericht lässt es dahinstehen, ob dem Eilantrag bereits von Anfang an das Rechtsschutzbedürfnis fehlte, weil bereits bei dessen Stellung beim Verwaltungsgericht Augsburg am 26. April 2017 absehbar war, dass der streitgegenständliche Zurückstellungsbescheid innerhalb kurzer Zeit mit der anstehenden förmlichen Festsetzung des Sanierungsgebiets bzw. aufgrund seiner Befristung mit Ablauf des 6. Juni 2017 seine Beschwer verlieren werde (vgl. das Hinweisschreiben des Gerichts vom 1. Juni 2017).
Jedenfalls sprechen die im Rahmen der Interessenabwägung bei einem Eilantrag zu berücksichtigenden Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache für die voraussichtliche Erfolglosigkeit des Antrags im vorliegenden Verfahren gem. § 80 Abs. 5 VwGO. Es wird insofern auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom heutigen Tag im Verfahren 15 ZB 17.1813 Bezug genommen. Hieraus ergibt sich, dass die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren (Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 8. Juni 2016) im Ergebnis voraussichtlich unterlegen gewesen wäre.
2. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.1.2.2 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57 ff.): 1/10 des Ausgangswerts 59.508,- Euro (99,18 m² gewerbliche Nutzfläche x 600 Euro/m²) = 5950,80 Euro (vgl. BayVGH, B.v. 18.9.2017 – 15 ZB 17.1813); da es sich vorliegend um ein Eiverfahren gem. § 80 Abs. 5 VwGO handelt, ist von diesem Wert die Hälfte anzusetzen.


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