Aktenzeichen 31 Wx 99/16
Leitsatz
1 Zweck des Abhilfeverfahrens – auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit – ist es, dass das Ausgangsgericht seine Entscheidung noch einmal überprüft und der Beschwerde gegebenfalls abhilft, bevor das Obergericht mit ihr befasst wird. (redaktioneller Leitsatz)
2 In jedem Falle hat sich das Ausgangsgericht mit dem Beschwerdevorbringen sachlich auseinander zu setzen, insbesondere um dem Beschwerdegericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob das Nachlassgericht seiner Verpflichtung zur Selbstkontrolle nachgekommen ist. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
Auf die Beschwerde wird die Sache unter Aufhebung des Vorlagebeschlusses des Amtsgerichts München – Nachlassgericht – vom 11.03.2016 an das Amtsgericht München – Nachlassgericht – zurückgegeben und dem zuständigen Nachlassrichter vorgelegt.
Gründe
I. Die Beschwerdeführerin beantragte am 12.02.2015 einen Teilerbschein zu 1/2 als Erbin aufgrund gesetzlicher Erbfolge nach der Erblasserin …… Bei Protokollierung dieses Antrages erklärte die Beschwerdeführerin, dass das Testament vom 10.01.2008 ungültig geworden sei.
Im weiteren Verlauf des Verfahrens ermittelte das Nachlassgericht weitere mögliche gesetzliche Erben und lehnte den Antrag der Beschwerdeführerin im Ergebnis mit der Begründung ab, diese sei gesetzliche Erbin nur zu 1/4, nicht zu 1/2.
In ihrer Beschwerde vom 03.01.2016 beruft sich die Beschwerdeführerin nunmehr darauf, dass sie Erbin zu 1/2 aufgrund des Testaments vom 10.01.2008 geworden sei.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit der Begründung, der Vortrag der Beschwerdeführerin sei widersprüchlich, nicht abgeholfen.
II. Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Nachlassgerichts vom 11.03.2016 hat in der Sache einen vorläufigen Erfolg.
Die Sache ist unter Aufhebung des Vorlagebeschlusses an das Nachlassgericht zurück zu geben, da das Abhilfeverfahren an einem schwerwiegenden Verfahrensmangel leidet.
1. Zweck des Abhilfeverfahrens – auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit – ist es, dass das Ausgangsgericht seine Entscheidung noch einmal überprüft und der Beschwerde gegebenfalls abhilft, bevor das Obergericht mit ihr befasst wird (Lipp in MüKo ZPO, 4. Auflage § 572 Rn. 5). Dabei ist das Ausgangsgericht grundsätzlich zwar nicht verpflichtet abzuwarten, ob die Beschwerde begründet wird, bevor es über sie entscheidet (Keidel/Sternal, FamFG 18. Auflage § 68 Rn. 11). Etwas anderes gilt dann, wenn eine Begründung der Beschwerde angekündigt wird (OLG Koblenz BeckRS 2007, 18250; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO 36. Auflage § 572 Rn. 3; Keidel/Sternal, a. a. O.).
In jedem Falle hat sich das Ausgangsgericht mit dem Beschwerdevorbringen sachlich auseinander zu setzen, insbesondere um dem Beschwerdegericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob das Nachlassgericht seiner Verpflichtung zur Selbstkontrolle nachgekommen ist (Horn in: NK/Nachfolgerecht, § 68 FamFG Rn. 5). Für die Begründungsintensität kommt es auch darauf an, ob sich das Ausgangsgericht in der Ausgangsentscheidung bereits mit den Argumenten des Beschwerdevorbringens auseinander gesetzt hat (Horn, a. a. O.).
2. Diesen Anforderungen wird die Abhilfeentscheidung des Nachlassgerichts nicht gerecht.
a) Die Beschwerdeführerin stützt ihre Beschwerde einerseits darauf, dass mehrere Erbprätendenten erbunwürdig seien, zum anderen aber auch darauf, dass das Testament der Erblasserin vom 10.01.2008, das teilweise im Original, vollständig nur in Kopie vorliegt, für die Erbrechtslage maßgeblich sei.
Mit diesem Vorbringen der Beschwerdeführerin, die bislang einen Erbschein nur aufgrund gesetzlicher Erbfolge beantragt hat, setzt sich die Abhilfeentscheidung nicht auseinander. Vielmehr erschöpft sie sich in der Aussage, das Beschwerdevorbringen enthalte zum Erbscheinsantrag widersprüchlichen Sachvortrag.
Dies genügt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Abhilfeentscheidung nicht.
b) Zwar ist es nicht zu beanstanden, dass sich das Nachlassgericht nicht mit der Frage der Erbunwürdigkeit auseinandersetzt, da diese Frage allein im streitigen Verfahren zu klären wäre.
Allerdings hätte sich das Nachlassgericht spätestens in seiner Abhilfeentscheidung mit der Frage auseinander setzen müssen, ob sich die Rechtslage nach dem Testament vom 10.01.2008 oder nach dem Gesetz richtet. Für die insoweit zu berücksichtigen Gründe wird Bezug genommen auf die Verfügung des Senats vom 21.03.2016 (Blatt 282/283 d. A.).
Zwar hat die Beschwerdeführerin einen Erbscheinsantrag aufgrund gesetzlicher Erbfolge gestellt, d. h. sie hielt das Testament vom 10.01.2008 zunächst selbst für unwirksam. Das hindert sie jedoch nicht daran, im weiteren Verfahren von dieser Ansicht abzurücken und nunmehr ein Erbrecht aufgrund gewillkürter Erbfolge in Anspruch zu nehmen. Da das Nachlassgericht verpflichtet ist, die wahre Rechtslage von Amts wegen aufzuklären, ist die Beschwerdeführerin mit einem derartigen Vorbringen auch nicht ausgeschlossen. Da es sich bei Nachlasssachen um Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt, kommt es auch grundsätzlich auch nicht darauf an, ob das Vorbringen sinnvoll, widersprüchlich oder rechtzeitig ist, vielmehr haben die Gerichte der freiwilligen Gerichtsbarkeit den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, § 26 FamFG, deswegen sind auch widersprüchliche Angaben der Beteiligten aufzuklären (Keidel/Sternal, a. a. O. § 26 Rn. 13). Dies gilt umso mehr, als die Beschwerdeführerin auch im Abhilfeverfahren ihren Erbscheinsantrag ändern kann (OLG Celle FGPrax 2011, 321) bzw. auch eine Antragstellung im Wege von Haupt- und Hilfsantrag möglich ist (J. Mayer: in MüKo BGB 6. Auflage § 2353 Rn. 72).
3. Die Abhilfeentscheidung war daher aufzuheben und die Sache an das Nachlassgericht zurückzugeben. Da zugleich die Voraussetzungen nach § 1 a Abs. 2 VO zur Änderung der VO zur Aufhebung von Richtervorbehalten im Betreuungsverfahren vom 30.7.2016 vorliegen, war das Verfahren mit der Rückgabe an das Nachlassgericht zugleich dem zuständigen Nachlassrichter vorzulegen.
aa) Grundsätzlich besteht in Nachlasssachen gemäß §§ 16, 19 RPflG die funktionelle Zuständigkeit des Rechtspflegers. Etwas anderes gilt, wenn in Angelegenheiten nach § 16 Abs. 1 Nr. 6 RpflG i. V. m. § 1 a Abs. 2 VO zur Änderung der VO zur Aufhebung von Richtervorbehalten im Betreuungsverfahren vom 30.7.2016 gegen den Erlass der beantragten Entscheidung Einwände vorgebracht werden; in diesen Fällen verbleibt es bei der Zuständigkeit des Nachlassrichters.
bb) Das ist vorliegend der Fall. Die Beschwerdeführerin, die selbst einen Teilerbschein zu 1/2 aufgrund gesetzlicher Erbfolge beantragt hat, beruft sich im Beschwerdeverfahren nur auf die gewillkürte Erbfolge, ebenfalls zu 1/2. Das mag, wie das Nachlassgericht anmerkt, widersprüchlich sein, nichtsdestotrotz handelt es sich um einen beachtlichen Einwand gegen die Ankündigung, den übrigen gesetzlichen Erben jeweils Teilerbscheine aufgrund gesetzlicher Erbfolge zu erteilen. Das hat zur Folge, dass vorliegend zu ermitteln ist, wer und ggf. warum das Testament vernichtet hat. Insoweit wird zu den Einzelheiten Bezug genommen auf die Eingangsverfügung des Senats vom 21.03.2016. Dass die Beschwerdeführerin im Rahmen des Termins vom 12.02.2015 vor dem Nachlassgericht erklärt hat, dass das Testament unwirksam sei, weil es in Widerrufsabsicht widerrufen worden sei, ist schon deswegen unbeachtlich, weil die Aufklärung gerade dieses Umstandes dem Nachlassgericht obliegt. Somit beruft sich ein Erbprätendent auf die gewillkürte Erbfolge, die übrigen auf die gesetzliche Erbfolge.
cc) Bei dieser Sachlage wäre der Rechtspfleger verpflichtet gewesen, die Sache dem zuständigen Nachlassrichter zur weiteren Bearbeitung vorzulegen, §§ 16 Abs. 1 Nr. 6, 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 RPflG i. V. m. § 1 a Abs. 2 VO zur Änderung der VO zur Aufhebung von Richtervorbehalten im Betreuungsverfahren vom 30.7.2016. Dies kann der Senat, da insoweit keine andere Entscheidung in Betracht kommt, selbst vornehmen.