Erbrecht

Gesonderte Feststellung des Verlusts

Aktenzeichen  11 K 954/16

Datum:
6.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ErbStB – 2018, 40
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 10 Buchst. d Abs. 4, § 15 Abs. 4 S. 1 und 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

1. Die zulässige Klage ist unbegründet. Ermessensfehler des FA bei Ablehnung der Billigkeitsmaßnahme sind nicht ersichtlich.
a. Die Kläger als Erben des Herrn E. begehren im Streitfall die Übertragung eines für den Erblasser E. festgestellten verbleibenden Verlustvortrages zum 31. Dezember 2009 im Rahmen einer Billigkeitsregelung nach § 163 AO und nach § 227 AO. Im Wege der rechtsschutzgewährenden Auslegung geht der Senat davon aus, dass die Kläger auf jeder möglichen rechtlichen Grundlage eine Billigkeitsregelung anstreben.
Sie beziehen sich auf die Entscheidung des GrS des BFH vom 17. Dezember 2007 (GrS 2/04, BStBl II 2008, 608), nach der auch künftig in seltenen und extrem gelagerten Konstellationen eine auf den entsprechenden Einzelfall bezogene abweichende Steuerfestsetzung (§ 163 AO) oder ein Steuererlass (§ 227 AO) in Betracht kommen kann. D.h. in seltenen und extrem gelagerten Konstellationen kann der Erbe im Rahmen von Billigkeitsmaßnahmen erreichen, dass er einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlustabzug nach § 10d EStG bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen kann. Danach können die vom Erben nicht ausgenutzten Verlustvorträge ggf. bei der eigenen Steuerfestsetzung (§ 163 AO) oder Steuererhebung (§ 227 AO) des Erben zum Tragen kommen. Die Übertragung der Verlustvorträge des Erblassers auf die Erben ist im Rahmen des jeweiligen Steuerfestsetzungsverfahrens bzw. Steuererhebungsverfahrens des einzelnen Erben geltend zu machen.
a. Die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163 AO ist nicht zu beanstanden.
aa. Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. § 163 AO soll sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalls, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrages insoweit Rechnung tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen.
bb. Gegenstand einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen im Sinne des § 163 AO ist die Erhebung einer konkreten Steuer im Festsetzungsverfahren. Die Vorschrift ist u.a. dann anwendbar, wenn Steuern festgesetzt oder Besteuerungsgrundlagen gesondert festgestellt werden. Mit einer Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO kann die niedrigere Festsetzung von Steuern (§ 163 Satz 1, 1. Alt. AO), die Nichtberücksichtigung einzelner steuererhöhender Besteuerungsgrundlagen (§ 163 Satz 1, 2. Alt.) oder die frühere oder spätere Berücksichtigung von Besteuerungsgrundlagen (§ 163 Satz 2 AO) als Rechtsfolge herbeigeführt werden. Die Übertragung von Verlustvorträgen nach § 10d EStG vom Erben auf den Erblasser wird vom Gesetzeswortlaut des § 163 AO nicht als Maßnahme der Billigkeit vorgesehen. Nach § 163 Satz 1, 2. Alt. AO können nämlich nur einzelne steuererhöhende Besteuerungsgrundlagen unberücksichtigt bleiben; hingegen darf das Vorhandensein steuermindernder Besteuerungsgrundlagen nicht unterstellt werden (Tipke/Kruse, Kommentar zu AO/FGO, § 163 AO Rz. 15).
cc. Die Entscheidung über eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur in den von § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden kann. Die gerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung über die Unbilligkeit der Erhebung der Steuer die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Nur ausnahmsweise kann das Gericht eine Verpflichtung zum Erlass des begehrten Verwaltungsakts aussprechen (§ 101 Satz 1 FGO), wenn der Ermessensspielraum derart eingeschränkt ist, dass nur eine einzige Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (Ermessensreduzierung auf Null).
dd. Eine Unbilligkeit i.S. von § 163 AO kann in der Sache liegen oder ihren Grund in der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen haben. Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (BFH-Urteil vom 23. Juli 2013 VIII R 17/10, BStBl II 2013, 820).
Nach dem in § 2 EStG verankerten Grundsatz der Abschnittsbesteuerung bemisst sich die Einkommensteuer nach dem innerhalb eines Kalenderjahres bezogenen Einkommen. In § 10d EStG hat der Gesetzgeber eine beschränkte Verrechnung von Verlusten eines Wirtschaftsjahrs mit dem Gewinn eines anderen Wirtschaftsjahres zugelassen, um die Verzerrungen und Zufälligkeiten zu mildern, die daraus entstehen können, dass der Unternehmer jeweils den Gewinn für ein Wirtschaftsjahr gesondert ausweisen und versteuern muss, obwohl das Wirtschaftsjahr kein organischer Abschnitt im Gesamtleben eines Unternehmens ist (BFH-Urteil vom 23. Juli 2013 VIII R 17/10, BStBl II 2013, 820). Der Verlustabzug nach § 10d EStG ist nach der geänderten Rechtsprechung des BFH höchstpersönlich und damit nicht rechtsnachfolgefähig (Beschluss des GrS des BFH vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04, BStBl II 2008, 608).
Ist eine Finanzbehörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 5 AO). Vorgesetzte Dienststellen können dazu ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften erlassen, die unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung und damit der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) von Bedeutung sein können; das gilt aber nur, wenn sich die in ihnen getroffenen Regelungen innerhalb der Grenzen halten, die das Grundgesetz und die Gesetze der Ausübung des Ermessens setzen. Dabei ist für die Auslegung einer ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift nicht maßgeblich, wie das Gericht eine solche Verwaltungsanweisung versteht, sondern wie die Verwaltung sie verstanden hat und verstanden wissen wollte. Das Gericht darf daher solche Verwaltungsanweisungen nicht selbst auslegen, sondern nur darauf überprüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist (BFH-Beschluss vom 27. Juli 2011 I R 44/10, BFH/NV 2011, 2005).
Die Finanzverwaltung hat in R 10d Abs. 9 (Einkommensteuer-Richtlinien – EStR -) Verwaltungsvorschriften erlassen, die die Übertragung eines Verlustes nach § 10d EStG betreffen. Zum Todeszeitpunkt nicht aufgezehrte Verluste des Erblassers können im Todesjahr nach R 10d Abs. 9 Satz 1 EStR nur in den Verlustausgleich nach § 2 Abs. 3 EStG bei der Veranlagung des Erblassers einfließen (Ausgleich mit positiven Einkünften des Erblassers). Sie können grundsätzlich nach R 10d Abs. 9 Satz 2 EStR nicht im Rahmen des Verlustausgleichs und -abzugs bei der Veranlagung des Erben berücksichtigt werden. Eine abweichende Festsetzung aus (sachlichen) Billigkeitsgründen, die von einer Anwendung der Mindestbesteuerung unter Hinweis auf § 163 AO absieht, ist nicht möglich. In den Fällen jedoch, in denen ein Betrieb, Mitunternehmeranteil oder Teilbetrieb nach § 6 Abs. 3 EStG auf den Erben übergeht, geht auch ein nach § 15 Abs. 4 Satz 1 und 2 EStG (Verluste aus gewerblicher Tierzucht oder gewerblicher Tierhaltung) festgestellter Verlust auf den Erben nach R 10d Abs. 9 Satz 11 EStR über.
Die im Streitfall vorgenommene Auslegung, dass eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO grundsätzlich nur dann in Frage kommt, wenn die Einkunftsquelle, die den Verlust verursacht hat, auf die Erben übergegangen ist, ist angesichts R 10d Abs. 9 EStR, insbesondere R 10d Abs. 9 Satz 11 EStR, möglich und daher im Streitfall nicht zu beanstanden.
b. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass das FA eine Übertragung der Verlustvorträge nicht auf § 227 AO gestützt hat.
aa. Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.
Zu Recht ist das FA zu dem Ergebnis gekommen, dass im Streitfall § 227 AO nicht zur Anwendung kommt. § 227 Abs. 1 AO sieht nämlich nur den Erlass von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis, die gegen den Steuerpflichtigen gerichtet sind, ganz oder zum Teil bei Vorliegen von Erlassgründen vor. Die Übertragung von Verlustvorträgen des Erblassers nach § 10d EStG auf Erben im Wege des Erlasses ist in § 227 Abs. 1 AO nicht vorgesehen. Die Kläger machen in ihrer Klage auch nicht geltend, dass konkrete persönliche Steuerschulden im Hinblick auf den Verlustvortrag des Erblassers zu erlassen seien. Bei der Beurteilung des Tatbestandsmerkmals „Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis“ kommt dem FA kein Ermessen zu.
Die Entscheidung des FA über den Erlass von Steuern, insbesondere über die Frage, ob die Einziehung derselben unbillig wäre, ist hingegen eine Ermessensentscheidung, so dass sich die gerichtliche Überprüfung dieser Frage gemäß § 102 FGO darauf zu beschränken hat, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Die Unbilligkeit kann in der Sache liegen (sachliche Billigkeitsgründe) oder ihren Grund in der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen (persönliche Billigkeitsgründe) haben. Anlass für einen Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen kann eine Übermaßbesteuerung sein (BFH-Urteil vom 23. Februar 2017 III R 35/14, DStR 2017, 1208).
Auch hier ist zu berücksichtigen, dass die Verwaltung ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften in Abschnitt R 10d Abs. 9 EStR erlassen hat. Die im Streitfall vorgenommene Auslegung, dass eine Billigkeitsmaßnahme nach § 227 AO grundsätzlich nur dann in Frage kommt, wenn die Einkunftsquelle, die den Verlust verursacht hat, auf die Erben übergegangen ist, ist angesichts R 10d Abs. 9 EStR, insbesondere R 10d Abs. 9 Satz 11 EStR, möglich.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
3. Die Revision wird zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO vorliegen.


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