Europarecht

9 A 7/19

Aktenzeichen  9 A 7/19

Datum:
3.11.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2020:031120U9A7.19.0
Spruchkörper:
9. Senat

Leitsatz

1. Die Klagebegründungsfrist nach § 18e Abs. 5 AEG ist mit Unionsrecht vereinbar.
2. Das Verbandsklagerecht umfasst grundsätzlich nicht die Befugnis, sich zum Sachwalter von Rechten zu machen, die – wie insbesondere gemeindliche Belange nach Art. 28 Abs. 2 GG – durch die Rechtsordnung bestimmten anderen Rechtsinhabern zur eigenverantwortlichen, ausschließlichen Wahrnehmung und Konkretisierung zugewiesen sind.
3. Im Rahmen eines grenzüberschreitenden Beteiligungsverfahrens gemäß der Espoo-Konvention bedarf es keiner vollständigen Übersetzung aller Planfeststellungsunterlagen.
4. Die Richtlinie 2004/54/EG fordert nicht die Befahrbarkeit der Verbindungen zwischen zwei Tunnelröhren (sog. Querschläge). An den hieran geäußerten Zweifeln (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 2016 – 9 A 9.15 – BVerwGE 155, 91 Rn. 67) hält der Senat nicht fest.
5. Das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen einer vermeintlich unzureichenden Ausweisung von Schutzgebieten und des Fehlens hinreichend konkreter gebietsspezifischer Erhaltungsziele (Nr. 2014/2262) führt für sich genommen nicht zur Rechtswidrigkeit eines Vorhabens, das ein Natura 2000-Gebiet betrifft.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Tatbestand

1
Der Kläger, ein mit Bescheid des Umweltbundesamtes vom 3. Juli 2014 – geändert durch Bescheid vom 1. April 2019 – anerkannter Verein nach § 3 UmwRG, wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten für den Neubau einer Festen Fehmarnbeltquerung von Puttgarden nach Rødby, deutscher Vorhabenabschnitt, vom 31. Januar 2019.
2
1. Gegenstand des Verfahrens ist der deutsche Teil der Festen Fehmarnbeltquerung (im Folgenden: FFBQ), ein von der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark gemeinsam geplanter kombinierter Straßen- und Eisenbahntunnel durch den Fehmarnbelt, der die Inseln Fehmarn und Lolland verbinden soll. Das planfestgestellte Vorhaben beinhaltet den Bau eines Absenktunnels in offener Grabenbauweise zwischen Puttgarden auf Fehmarn und der Grenze der deutschen und dänischen ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ). Es beginnt südlich von Puttgarden mit der Ausfädelung der Bahnstrecke Lübeck – Puttgarden und der Verschwenkung der B 207/E 47 (Heiligenhafen – Puttgarden). Sodann verläuft die Trasse östlich des Fährhafens Puttgarden und wird durch den Tunnel geradlinig in nordöstlicher Richtung durch die Ostsee – u.a. durch das FFH-Gebiet “Fehmarnbelt” – geführt.
3
Von dem insgesamt über 18 km langen Tunnelbauwerk liegen 9,5 km im Bereich des deutschen Küstenmeeres und der deutschen AWZ. Der Absenktunnel ist im Querschnitt bis zu 47 m breit und bis zu 13 m hoch. Er wird aus Fertigelementen zusammengesetzt, die in eine auf dem Meeresboden gegrabene Rinne abgesenkt werden; seitlich werden die Gräben mit Kies und Sand verfüllt, ehe der Tunnel mit einer Steinlage überschüttet wird. Er umfasst eine zweigleisige elektrifizierte Bahnlinie, für den Straßenverkehr in getrennten Tunnelröhren zwei Richtungsfahrbahnen mit je zwei Fahr- und einem Standstreifen sowie einen Korridor für Wartungsarbeiten und Evakuierungen. Darüber hinaus genehmigt der Planfeststellungsbeschluss u.a. die Anlage eines temporären Arbeitshafens sowie den Neubau einer Landgewinnungsfläche östlich des Fährhafens.
4
2. Bereits im Staatsvertrag mit Schweden zum Bau der festen Öresundquerung verpflichtete sich Dänemark, die Planung und den Bau einer FFBQ zu fördern. Das Königreich Dänemark und die Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten nach Durchführung zahlreicher Voruntersuchungen auf der Grundlage vorangegangener gemeinsamer Erklärungen sowie eines grenzüberschreitenden Umweltkonsultationsverfahrens am 3. September 2008 einen Staatsvertrag über eine Feste Fehmarnbeltquerung (im Folgenden: StV), dem der Bundestag mit Gesetz vom 17. Juli 2009 zustimmte (BGBl. II S. 799; im Folgenden: Zustimmungsgesetz). Darin vereinbaren die Parteien eine nutzerfinanzierte feste Querung über den Fehmarnbelt, die von Dänemark auf eigene Kosten geplant, errichtet, betrieben und unterhalten wird; soweit die Querung auf deutschem Hoheitsgebiet liegt, überträgt Deutschland Dänemark diese Aufgaben. Der Vertrag überlässt die technische Ausgestaltung der Querung – ebenso wie die genaue Linienführung – den nationalen Genehmigungsverfahren. Er sieht weiter vor, dass Dänemark eine Gesellschaft – die Beigeladene – gründet, welche die Planung, Einholung der Genehmigungen, Errichtung und den Betrieb der FFBQ übernimmt. Die Durchführung der erforderlichen Genehmigungsverfahren erfolgt für den auf deutschem Hoheitsgebiet befindlichen Teil der FFBQ nach deutschem, für den auf dänischem Gebiet befindlichen Teil nach dänischem Recht; im Bereich der AWZ findet das jeweilige nationale Recht im Rahmen der Vorgaben des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ) Anwendung, soweit der Staatsvertrag nichts Abweichendes regelt. Gebaut wird die FFBQ nach den geltenden dänischen technischen Normen und Vorschriften. Darüber hinaus verpflichten sich die Parteien zum Ausbau der jeweiligen Hinterlandanbindungen, der auf deutscher Seite u.a. den Ausbau der Straßenverbindung E 47 (B 207) zwischen Heiligenhafen (Ost) und Puttgarden zu einer vierstreifigen Bundesstraße, die Elektrifizierung der Schienenstrecke zwischen Lübeck und Puttgarden sowie den zweigleisigen Ausbau der Schienenstrecke zwischen Bad Schwartau und Puttgarden umfasst.
5
3. Vorhabenträger auf deutscher Seite sind für den Straßenteil der Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein (im Folgenden: LBV) und für die Schienenstrecke die Beigeladene. Unter dem 9. November 2009 schlossen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Land Schleswig-Holstein, und die Beigeladene einen Verwaltungshelfervertrag. Danach übernimmt die Beigeladene die Planung und den Entwurf, die Vorbereitung der Planfeststellung und den Grunderwerb auch für den Straßenabschnitt.
6
Am 18. Oktober 2013 beantragten die Vorhabenträger die Feststellung des Plans für den deutschen Teil der FFBQ. Dabei wurden zwar die Straßen- und die Schienenverbindung als selbständige Vorhabenteile behandelt, das Verfahren wurde jedoch unter Verweis auf § 78 VwVfG einheitlich nach den Vorschriften des Allgemeinen Eisenbahngesetzes geführt. Am 17. April 2014 verzichtete das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) auf ein förmliches Linienbestimmungsverfahren. Die Auslegung und die Erörterungstermine erfolgten zwischen Mai 2014 und November 2015. Nach Durchführung eines Planänderungsverfahrens mit erneuter umfassender Öffentlichkeitsbeteiligung in den Jahren 2016/2017 (1. Planänderung) reichten die Vorhabenträger weitere Deckblätter und Unterlagen bei der Planfeststellungsbehörde ein (2. Planänderung), welche diese im Januar 2018 Trägern öffentlicher Belange, der Klägerin zu 1 des Verfahrens BVerwG 9 A 12.19 sowie anerkannten Naturschutzvereinigungen zuleitete. Eine auf Bitte der Planfeststellungsbehörde erstellte gutachterliche Stellungnahme der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) zu den Themengebieten Hydrologie, Morphologie, Sedimentverdriftung und Sedimentation, hierzu eingegangene Erläuterungen und Ergänzungen der Vorhabenträger sowie weitere zahlreiche Deckblätter, die zwischen Februar und Oktober 2018 eingereicht wurden, leitete die Planfeststellungsbehörde Trägern öffentlicher Belange sowie anerkannten Naturschutzvereinigungen zur Stellungnahme zu. Für weitere, nach November 2018 eingereichte Deckblätter wurde keine erneute Beteiligung durchgeführt.
7
Am 31. Januar 2019 erging der angefochtene Planfeststellungsbeschluss (PFB). Die Auslegung erfolgte vom 26. März bis 8. April 2019.
8
4. Der Kläger rügt mit seiner am 26. April 2019 erhobenen Klage die formelle und materielle Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses. Die angefochtene Entscheidung sei auf der Grundlage mehrerer Verfahrensfehler, u.a. einer fehlenden Strategischen Umweltprüfung (SUP) und einer unzureichenden Öffentlichkeitsbeteiligung, ergangen. Das Planfeststellungsverfahren sei bewusst kompliziert und undurchsichtig gestaltet worden, um eine Nachvollziehbarkeit und Überprüfung zu verhindern. Der Staatsvertrag sei keine taugliche Planungsgrundlage. Insbesondere folge weder aus ihm noch aus weiteren Gesichtspunkten eine hinreichende Rechtfertigung des Plans, dessen Finanzierbarkeit zudem aufgrund der Beschränkungen des europäischen Beihilferechts ausgeschlossen sei. Die Anforderungen an die Schiffs- und an die Tunnelsicherheit würden nicht gewahrt. Das Vorhaben verstoße in vielfacher Weise gegen gebiets-, arten- und biotopschutzrechtliche Bestimmungen sowie gegen das Wasserrecht. Die Alternativenprüfung sei unzureichend, insbesondere hinsichtlich der Wahl eines Absenk- statt eines Bohrtunnels. Die Abschnittsbildung sei ebenfalls rechtswidrig.
9
Der Kläger beantragt,
1. den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 31. Januar 2019 für den Neubau einer Festen Fehmarnbeltquerung von Puttgarden nach Rødby, deutscher Vorhabenabschnitt, in der Fassung der in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 22. September bis 1. Oktober 2020 erklärten Änderungen und Ergänzungen aufzuheben,
2. hilfsweise, festzustellen, dass der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig und nicht vollziehbar ist.
10
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Klagen abzuweisen.
11
Sie verteidigen den Planfeststellungsbeschluss und treten dem Vorbringen des Klägers im Einzelnen entgegen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben