Europarecht

Abfallrecht, Entfernung und Entsorgung eines Fahrzeugs, Abstellen eines Fahrzeugs auf öffentlicher Straße mit nicht gestempeltem bzw. entstempeltem Kennzeichen, „Roter-Punkt“-Verfahren, Abfalleigenschaft, Unerlaubte Sondernutzung

Aktenzeichen  M 17 K 20.6361

Datum:
10.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 393
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayAbfG Art. 31 Abs. 2 a.F.
KrWG § 20 Abs. 3 bzw. Abs. 4
BayStrWG Art. 18b Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 4. November 2020 wird aufgehoben. 
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die nach übereinstimmender Erklärung der Beteiligten im schriftlichen Verfahren nach § 101 Abs. 2 VwGO entschieden werden konnte, hat Erfolg.
Der Kostenbescheid vom 4. November 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
I. Die Klage ist als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft. Der auf Feststellung gerichtete Klageantrags des anwaltlich nicht vertretenen Klägers ist gemäß § 88 VwGO dahin auszulegen, dass die Anfechtung des streitgegenständlichen Kostenbescheids und nicht nur die Feststellung von dessen Rechtswidrigkeit nach § 43 VwGO begehrt wird. Dafür spricht, dass ein bloßer Feststellungsantrag nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO unzulässig sein dürfte. Ferner wurde der Kläger mit gerichtlichem Schreiben vom 15. Dezember 2020 darauf hingewiesen, dass davon ausgegangen wird, dass die Aufhebung des Kostenbescheids vom 4.11.2020 begehrt wird. Eine Äußerung des Klägers hierzu erfolgte nicht.
II. Die Erhebung der Kosten für die Beseitigung und Entsorgung durch die Beklagte kann
– weder auf Art. 1 Kostengesetz (KG) i.V.m. Tarif-Nr. 8.I.0/30 der Anlage zur Verordnung über den Erlass des Kostenverzeichnisses zum Kostengesetz (Kostenverzeichnis – KVz) für eine Beseitigung und Verwertung auf Grundlage des Art. 31 Abs. 2 Satz 2 Gesetz zur Vermeidung, Verwertung und sonstige Bewirtschaftung von Abfällen in Bayern (Bayerisches Abfallwirtschaftsgesetz – BayAbfG) a.F.
– noch auf Art. 20 Abs. 1 Kostengesetz (KG) i.V.m. der Satzung über die Erhebung von Verwaltungskosten für Amtshandlungen im eigenen Wirkungskreis der Landeshauptstadt München (Kostensatzung) i.V.m. Tarif-Nr. 653 der Anlage zur Kostensatzung (Kommunales Kostenverzeichnis) für eine Beseitigung und Verwertung auf Grundlage des Art. 18b Abs. 1 Satz 2 Bayerisches Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG) gestützt werden.
Voraussetzung für beide Rechtsgrundlagen ist gemäß Art. 16 Abs. 5 KG, dass die zugrundeliegende Maßnahme rechtmäßig war. Dies ist nicht der Fall, da die Beseitigung und Entsorgung weder auf Art. 31 Abs. 2 Satz 2 BayAbfG a.F. (vgl. dazu Textziffer III.) noch auf Art. 18b Abs. 1 Satz 2 BayStrWG (vgl. dazu Textziffer IV.) gestützt werden kann.
III. Die Beseitigung und Entsorgung kann nicht auf Art. 31 Abs. 2 Satz 2 BayAbfG in der im Mai 2020 gültigen Fassung (BayAbfG in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. August 1996, GVBl. S. 396, 449, zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. Dezember 2019, GVBl. S. 686) i.V.m. § 3 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 20 Abs. 3 des Gesetzes zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen (Kreislaufwirtschaftsgesetz – KrWG) in der im Mai 2020 gültigen Fassung (KrWG vom 24. Februar 2012, BGBl. I S. 212, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Juli 2017, BGBl. I S. 2808) gestützt werden.
Nach Art. 31 Abs. 2 Satz 2 BayAbfG a.F. kann die zuständige Behörde in unzulässiger Weise gelagerte Abfälle auf Kosten des Pflichtigen beseitigen oder beseitigen lassen, wenn entsprechende Anordnungen nicht oder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand möglich oder nicht erfolgsversprechend sind. Diese Voraussetzungen lagen nicht vor.
1. Das klägerische Fahrzeug stellte schon keinen Abfall dar.
a) Die Abfalleigenschaft ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass die Beklagte das klägerische Fahrzeug mit einem „roten Punkt“ i.S.v. § 20 Abs. 3 KrWG a.F. versehen hat.
Nach § 20 Abs. 3 KrWG a.F. gelten die Entsorgungspflichten nach § 20 Abs. 1 KrWG auch für Kraftfahrzeuge ohne gültige amtliche Kennzeichen, wenn diese auf öffentlichen Flächen oder außerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile abgestellt sind, keine Anhaltspunkte für deren Entwendung oder bestimmungsgemäße Nutzung bestehen sowie sie nicht innerhalb eines Monats nach einer am Fahrzeug angebrachten, deutlich sichtbaren Aufforderung entfernt worden sind.
Aus dem Verstreichen der Monatsfrist – wobei an dieser Stelle dahinstehen kann, wer nachweispflichtig dafür ist, dass der „rote Punkt“ tatsächlich ein Monat an dem Fahrzeug klebte – folgt jedoch nicht die Qualifizierung als Abfall. Bei § 20 Abs. 3 KrWG a.F. handelt es sich – anders als die ursprüngliche Vorschrift in § 5 Abs. 2 AbfG – nicht um eine Fiktion. Die Abfalleigenschaft von Kraftfahrzeugen bemisst sich vielmehr allein nach den Vorgaben des § 3 Abs. 1-3 KrWG (Dippel in Giesberts/Reinhardt, Umweltrecht, Stand: 1.7.2021, § 20 KrWG, Rn. 35; Schoch in Jarass/Petersen, Kreislaufwirtschaftsgesetz, 1. Aufl. 2014, § 20 Rn. 97). Es ist davon auszugehen, dass es sich bei § 20 Abs. 3 KrWG in erster Linie um eine Interpretationshilfe hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzung des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KrWG handelt, indem § 20 Abs. 3 KrWG näher bestimmt, wann die ursprüngliche Zweckbestimmung eines Kraftfahrzeugs oder Anhängers entfällt, ohne dass ein neuer Zweck an dessen Stelle getreten ist (Dippel in Giesberts/Reinhardt, Umweltrecht, Stand: 1.7.2021, § 20 KrWG, Rn. 36; Schoch in Jarass/Petersen, Kreislaufwirtschaftsgesetz, 1. Aufl. 2014, § 20 Rn. 97).
b) Das klägerische Fahrzeug war weder im Zeitpunkt der Beseitigung (Abschleppen) noch im Zeitpunkt der Entsorgung (Verschrottung) Abfall i.S.v. § 3 KrWG.
Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 KrWG sind Abfälle alle Stoffe und Gegenstände, derer sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Abfälle zur Verwertung sind Abfälle, die verwertet werden; Abfälle, die nicht verwertet werden, sind Abfälle zur Beseitigung. Nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KrWG ist ein Wille zur Entledigung im Sinne von § 3 Abs. 1 KrWG hinsichtlich solcher Stoffe oder Gegenstände anzunehmen, deren ursprüngliche Zweckbestimmung entfällt oder aufgegeben wird, ohne dass ein neuer Verwendungszweck unmittelbar an deren Stelle tritt. Für die Beurteilung der Zweckbestimmung ist nach § 3 Abs. 3 Satz 2 KrWG die Auffassung des Erzeugers oder Besitzer unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung zugrunde zu legen. Als ursprüngliche Zweckbestimmung eines Fahrzeuges ist die Nutzung als Fortbewegungsmittel anzusehen, es kommt aber auch eine Verwahrung in Betracht. Im letzteren Fall ist allein aufgrund einer erheblichen Reparaturbedürftigkeit oder der Notwendigkeit einer umfassenden Instandsetzung noch nicht von der Abfalleigenschaft auszugehen, wenn ein einheitlicher, nie unterbrochener Wille des Besitzers vorliegt, wie mit der Sache verfahren werden soll (BayVGH, B. v. 13.3.2013 – 20 ZB 13.8 – juris Rn. 3, 5 ff.). Überdies besteht eine Entledigungspflicht gem. § 3 Abs. 4 KrWG für Stoffe und Gegenstände, wenn diese nicht mehr entsprechend ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung verwendet werden, aufgrund ihres konkreten Zustandes geeignet sind, gegenwärtig oder künftig das Wohl der Allgemeinheit, insbesondere die Umwelt, zu gefährden oder deren Gefährdungspotential nur durch eine ordnungsmäße und schadlose Verwertung oder gemeinwohlverträgliche Beseitigung ausgeschlossen werden kann.
Vorliegend ist nicht davon auszugehen, dass sich der Kläger seines Fahrzeugs entledigt hat oder entledigen wollte. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung. Der Zweck des Fahrzeugs bestand nach wie vor darin, es als Fortbewegungsmittel zu nutzen.
Zwar wurde das Kennzeichen des klägerischen Fahrzeugs ausweislich des vorliegenden Auszugs aus dem ZFZR am 3. März 2020 entstempelt. Damit war das Fahrzeug ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zum Verkehr zugelassen und durfte nicht mehr auf öffentlichen Straßen in Betrieb gesetzt werden, §§ 14 Abs. 1, 1 Abs. 1 Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverehr (Fahrzeug-Zulassungsverordnung – FZV).
Das allein führt jedoch nicht zum Wegfall des Zwecks als Fortbewegungsmittel. Vielmehr spricht hier schon der äußere Zustand des Fahrzeugs dafür, dass es weiterhin als Fortbewegungsmittel genutzt werden soll. Ausweislich der in der Behördenakte enthaltenen Bilder bezüglich des Zustands im Zeitpunkt der Beseitigung weist das Fahrzeug nicht äußerlich erkennbar darauf hin, dass sich der Eigentümer entledigen wollte. Im „Roten Punkt“-Vordruck wurde als Gesamteindruck „mittel“ unter Streichung der Angabe „schlecht“ und „gut“ sowie ein „Gebrauchswert“ unter Streichung der Angabe „Schrottwert“ vermerkt. Diese Einschätzung ist ausweislich der in den Akten befindlichen Lichtbildern nachvollziehbar. Weiterhin sprechen die Ausführungen des Klägers, dass sich das Fahrzeug während des streitigen Zeitraums zeitweise in Reparatur befunden habe und am 18. März 2020 Bilder für einen beabsichtigten Verkauf angefertigt worden seien, gegen den Wegfall des Zwecks. Auch ist zwischen Entstemplung des Kennzeichens und Beseitigung des Fahrzeugs kein langer Zeitraum vergangen. Gegen einen Entledigungswillen unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung spricht zudem, dass sich der Kläger am 19. Mai 2020 und damit alsbald nach Beseitigung des Fahrzeugs telefonisch an die Beklagte wandte und sich über den Verbleib seines Fahrzeugs informierte.
Eine Einstufung als Abfall ergibt sich auch nicht dadurch, dass ein Sachverständiger der mit dem Abschleppen beauftragten … … das Fahrzeug mit Schätzbereich vom 13. Mai 2020 als Schrott eingestuft hat. Der Schätzbericht enthält keine detaillierten Angaben zum Zustand des Fahrzeugs. Vielmehr werden mehrere Fahrzeugbestandteile abgehakt, was mit Blick auf die übrigen im Schätzbericht verwendeten Zeichen als „Abhaken“ im Sinne von „in Ordnung“ zu werten ist. Auch diejenigen Bestandteile, hinsichtlich derer ein Mangel festgestellt wird, wird lediglich das Feld „angerostet“ und nicht das ebenfalls im Vordruck enthaltene, gesteigerte „durchgerostet“ angekreuzt. Dass die Stoßstange eingeknickt und beide Längsrahmen des Fahrzeugrahmens angerostet gewesen seien, führt nicht zur Qualifizierung als Abfall. Eine erhebliche Reparaturbedürftigkeit oder die Notwendigkeit einer umfassenden Instandsetzung sind seitens der Beklagten nicht vorgebracht worden und im Übrigen nicht ersichtlich.
Ohne Relevanz für die Einstufung als Abfall ist, ob das Abstellen des Fahrzeugs auf der öffentlichen Straße mit entstempeltem bzw. nicht gestempeltem Kennzeichen eine Ordnungswidrigkeit darstellt.
Weiterhin ist nicht davon auszugehen, dass eine Entledigungspflicht nach § 3 Abs. 4 KrWG bestand. Feststellungen der Beklagten, die auf ein konkretes Gefährdungspotential hinweisen, sind in der Akte nicht enthalten.
2. Selbst für den – unterstellten – Fall des Vorliegens der Abfalleigenschaft wäre eine Beseitigung und Entsorgung nach Art. 31 Abs. 2 Satz 2 BayAbfG a.F. nicht zulässig, da Anordnungen nach Art. 31 Abs. 2 Satz 1 BayAbfG a.F. nicht „nicht oder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand möglich oder erfolgsversprechend“ wären.
Die einzelnen Alternativen werden im Wesentlichen danach unterschieden, ob der Pflichtige unbekannt ist und auch nicht ermittelt werden kann (erste Alternative), ob der Pflichtige nur unter großem Zeit- oder Kostenaufwand ermittelt werden kann (zweite Alternative) und ob der Pflichtige zwar bekannt ist oder mit angemessenem Aufwand ermittelt werden kann, aber nicht rechtzeitig erreichbar oder nicht in der Lage oder nicht bereit ist, den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen (dritte Alternative). Bei jeder der genannten Alternativen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren (BayVGH, U.v. 13.2.2001 – 20 B 00.1309 – juris Rn. 18 f.).
a) Der Erlass einer Beseitigungsanordnung gegenüber dem Kläger nach Art. 31 Abs. 2 Satz 1 BayAbfG wäre – jedenfalls unter verhältnismäßigem Aufwand – möglich gewesen.
Zwar war der Beklagten die Person des Klägers weder im Zeitpunkt der Beseitigung noch im Zeitpunkt der Entsorgung bekannt. Allerdings hätte der Kläger schon vor Beseitigung (Abschleppen) ohne unverhältnismäßigen Aufwand ermittelt werden können. Anhand des amtlichen Kennzeichens hätte die Beklagte eine Halterabfrage beim Zentralen Fahrzeugregister durchführen und gegenüber dem Kläger eine Anordnung nach Art. 31 Abs. 2 Satz 1 BayAbfG erlassen können. Dass eine solche Abfrage Erfolg gehabt hätte, zeigt der in der Behördenakte enthaltene Auszug aus dem Zentralen Fahrzeugregister, den die Beklagte schließlich vor Erlass des streitgegenständlichen Kostenbescheids beim Kraftfahrtbundesamt angefordert hat.
Der Vortrag des Beklagten, dass jedes Jahr ca. 6.000 Verfahren im Zusammenhang mit dem „Roten Punkt“ durchführt würden, die zu ca. 800 tatsächlichen Abschleppungen führten und ein weiteres Zuwarten und Anschreiben an die Halter schon aufgrund der Vielzahl solcher Fälle aus Gründen der Verwaltungsökonomie nicht praktikabel sei, führt im Rahmen des Art. 31 Abs. 2 Satz 2 BayAbfG a.F. zu keinem anderen Ergebnis. Aus diesem Vortrag geht nicht hervor, dass konkret bezüglich des klägerischen Fahrzeugs der Halter nur unter großen Zeit- und Kostenaufwand hätte ermittelt werden können.
Jedenfalls im Zeitpunkt der Entsorgung (Verschrottung) hatte die Beklagte zudem Kenntnis von der Fahrzeugidentifikationsnummer des klägerischen Fahrzeugs. Dieses war ihr nach Beseitigung durch die … … ausweislich der Behördenakte am 7. Mai 2020 mitgeteilt worden. Auch danach erfolgte bis zur Entsorgung am 13. Mai 2020 keine Anfrage beim Kraftfahrtbundesamt. Vielmehr erfolgte diese erst einen Tag nach der Entsorgung am 14. Mai 2020.
b) Auch ist nicht davon auszugehen, dass eine Beseitigungsanordnung gegenüber dem Kläger nach Art. 31 Abs. 2 Satz 1 BayAbfG a.F. nicht erfolgsversprechend gewesen wäre.
Eine Anordnung ist nicht erfolgsversprechend, wenn der von der Behörde angestrebte Erfolg binnen einer angemessenen Zeit nicht zu erreichen ist. Welche Zeitspanne als angemessen zu erachten ist, ergibt sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Notwendigkeit zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustands ist dabei umso größer und auch in zeitlicher Hinsicht umso dringender, je größer die von diesem ausgehenden Beeinträchtigungen oder Gefahren sind. Die Bestimmung hat grundsätzlich Ausnahmecharakter. Es muss folglich eine gesteigerte Form der Eilbedürftigkeit vorliegen. Dabei ist ein Vergleich mit dem Zeitaufwand für den Erlass und die Durchsetzung einer Anordnung anzustellen (BayVGH, B.v. 27.3.2017 – 20 CS 16.2404 – juris Rn. 25; U.v. 13.2.2001 – 20 B 00.1309 – juris Rn. 17 ff.).
Von dem klägerischen Fahrzeug ging ausweislich der Akte weder im Zeitpunkt der Beseitigung noch im Zeitpunkt der Entsorgung eine Gefahr aus. Die Notwendigkeit der Beseitigung des rechtswidrigen Zustands i.S.v. Art. 31 Abs. 1 BayAbfG a.F. ist dementsprechend – im abfallrechtlichen Kontext – in zeitkritischer Hinsicht als eher gering einzustufen. Auch das Verstreichen der Monatsfrist des „Rote-Punkt“-Verfahren zeigt hier nicht, dass der von der Behörde angestrebte Erfolg (Beseitigung und Entsorgung) binnen einer angemessenen Zeit nicht zu erreichen ist. Dafür spricht schon, dass die insofern darlegungs- und beweispflichtige Beklagte keinen Nachweis dafür erbringen konnte, dass der rote Punkt tatsächlich einen Monat auf dem klägerischen Fahrzeug klebte. Daher kommt es auf die Frage, ob ein Monat bei einem Fahrzeug, von dem keine Gefahr ausgeht, als angemessene Zeitspanne zu qualifizieren ist, nicht an.
IV. Die Beseitigung und Entsorgung kann auch nicht auf Art. 18b Abs. 1 Satz 2 BayStrWG gestützt werden. Nach Art. 18b Abs. 1 Satz 2 BayStrWG kann die Straßenbaubehörde rechtswidrige Zustände i.S.v. Art. 18b Abs. 1 Satz 1 BayStrWG auf Kosten des Pflichtigen beseitigen oder beseitigen lassen, wenn entsprechende Anordnungen nicht oder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand möglich oder nicht erfolgsversprechend sind. Ein rechtswidriger Zustand liegt nach Art. 18b Abs. 1 Satz 1 BayStrWG dann vor, wenn Autowracks oder andere Fahrzeuge verbotswidrig abgestellt oder sonst eine Straße ohne die erforderliche Erlaubnis genutzt werden.
a) Zwar war das klägerische Fahrzeug im Zeitpunkt der Beseitigung verbotswidrig abgestellt, da es nicht mehr für den Verkehr zugelassen war (vgl. oben).
Ein Fahrzeug ist verbotswidrig abgestellt, wenn es auf der Verkehrsfläche, aber nicht mehr im Rahmen des Gemeingebrauchs – vorwiegend zum Verkehr – abgestellt ist (Wiget in Zeitler/, BayStrWG, 30. EL März 2020, Art. 18b Rn. 11). Zwar setzt sich der ruhende Verkehr aus haltenden und parkenden Fahrzeugen zusammen. Da der ruhende Verkehr sich aber lediglich als eine vorübergehende Unterbrechung des fließenden Verkehrs darstellt, kann ein Fahrzeug ihm nur dann zugerechnet werden, wenn es jederzeit wieder am fließenden Verkehr teilnehmen kann. Das setzt voraus, dass das Fahrzeug nach dem Straßenverkehrsrecht am Verkehr teilnehmen darf, also zum Verkehr zugelassen ist, und außerdem tatsächlich auch zu diesem Zweck in Gang gesetzt werden kann, also betriebsbereit ist (BVerwG, U.v. 16.11.1973 – VII C 58.72 – juris Rn. 10).
b) Eine Anordnung nach Art. 18b Abs. 1 Satz 1 BayStrWG hätte allerdings keinen unverhältnismäßigen Aufwand verursacht.
Betroffene öffentliche Belange sind hierbei die Freihaltung der Verkehrswege und der Schutz des Anliegerverkehrs (BayVGH, B.v. 17.2.2017 – 8 ZB 15.2237 – juris Rn. 15).
Das klägerische Fahrzeug verfügte im Zeitpunkt der Beseitigung über ein amtliches, inländisches Kennzeichen, über das der Kläger als Halter hätte ermittelt werden können (s. oben). Dieser Fall ist daher nicht zu vergleichen mit einem solchen, in dem behördliche Ermittlungsmaßnahmen nur über die Fahrzeugidentifikationsnummer geführt werden können und bei dem eine vorherige Anordnung u.U. als unverhältnismäßig anzusehen ist (vgl. BayVGH, B.v. 17.2.2017 – 8 ZB 15.2237 – juris Rn. 16).
c) Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Anordnung nach Art. 18b Abs. 1 Satz 1 BayStrWG nicht erfolgversprechend gewesen wäre.
Eine Anordnung ist nicht erfolgversprechend, wenn Umstände darauf hindeuten, dass der rechtswidrige Zustand auch nach Erlass einer Beseitigungsanordnung gegen den Pflichtigen nicht behoben wird. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn der Pflichtige auf das Anbringen einer Plakette, sog. „Roter Punkt“, mit der er zur umgehenden Entfernung aufgefordert wird, erkennbar nicht reagiert. Dem Verfügungsberechtigten ist dabei eine angemessene Frist einzuräumen. Mit Hilfe des Aufklebers, der sogenannten „Rote Punkt“-Plakette wird aus straßenrechtlicher Sicht geklärt, ob eine an den Pflichtigen zu richtende Beseitigungsanordnung nach Art. 18b Abs. 1 Satz 1 BayStrWG Erfolg versprechend wäre. Etwas anderes kann – schon im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – dann gelten, wenn der Verfügungsberechtigte der Behörde bekannt ist oder sich unschwer ermitteln lässt (VG München, U.v. 7.9.2006 – M 2 K 05.2452 – juris Rn. 24 m.w.N.; U.v. 9.6.2015 – M 2 K 13.5122 – juris Rn. 57).
Zwar trägt die Beklagte hier vor, dass sie das klägerische Fahrzeug mit einem „Roten Punkt“ versehen habe und dieses sich auch ein Monat nach Anbringen der Plakette noch an derselben Stelle befunden habe. Allerdings war jedenfalls im Zeitpunkt der Beseitigung des Autos ausweislich der von der Beklagten angefertigten Bilder keine solche Plakette mehr vorhanden. Die Voraussetzungen des § 20 Abs. 3 KrWG lagen demnach nicht vor. Die Beklagte dringt mit dem Argument, dass das Fehlen des „Roten Punkts“ am Abschlepptag den Kläger nicht entlasten würde, nicht durch. Die Beklagte ist darlegungs- und beweispflichtig für den Umstand, dass sich die Plakette einen Monat am Fahrzeug befunden hat. Die vom Kläger im Klageverfahren vorgelegten Bilder deuten zusätzlich darauf hin, dass dem nicht so war.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit für die Frage, ob eine Anordnung i.S.v. Art. 18b Abs. 1 Satz 1 BayStrWG erfolgsversprechend gewesen wäre, ohne Belang.
V. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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