Europarecht

Abschiebung nach Italien

Aktenzeichen  M 25 S 16.51212

Datum:
1.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG AsylG § 25, § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1 S. 1, § 80, § 83b
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 S. 2, Art. 18 Abs. 1b, Art. 23 Abs. 1, Abs. 2
GRCh GRCh Art. 4

 

Leitsatz

1. In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung ist zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber iSv Art. 4 GRCh implizieren. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dublin-Rückkehrer erhalten in der Regel einen ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung ein geordnetes Aufnahmeverfahren mit den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse. Eine medizinische Versorgung ist gewährleistet. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung der Abschiebung nach Italien im Rahmen eines Dublin III-Verfahrens.
Die nach eigenen Angaben 22-jährige Antragstellerin ist nach ebenfalls eigenen Angaben nigerianische Staatsangehörige, reiste nach ihren Angaben erstmals im November 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein (Behördenakte, Blatt 20) und stellte am 29. Juni 2016 einen Asylantrag (Behördenakte, Blatt 3).
Am 24. August 2016 wurde die Antragstellerin unter dem Vorbehalt der Zuständigkeit Deutschlands für ihren Asylantrag gemäß § 25 AsylG angehört (Behördenakte, Blatt 34). Die Antragstellerin gab an, ihr Heimatland im Juni 2013 verlassen zu haben. Sie sei durch den Niger nach Libyen gegangen, wo sie zwei Jahre gewartet habe, bevor sie mit dem Schiff nach Italien gebracht worden sei. In Italien sei sie drei Monate gewesen. Dort habe sie Fingerabdrücke abgeben müssen und auch einen Asylantrag gestellt. Zur Verfolgungsgeschichte gab sie an, dass ihr Vater sie mit einem Mann in seinem Alter habe verheiraten wollte. Der Mann habe ihrem Vater Geld gegeben und sie im Jahr 2012 mit zu sich nach Hause genommen. Er habe sie dort vergewaltigt. Manchmal habe er sie auch in der Wohnung eingesperrt. Meistens hätten Leute ihr geholfen und mit dem Mann geredet. Er hätte aber immer gesagt, dass er nicht mehr wolle und sie zu ihren Eltern gehen solle. Eines Tages sei sie erstmals von mehreren Personen vergewaltigt worden. Sie sei zu dem Mann zurückgegangen und dieser habe gesagt, er könne niemanden heiraten, der vergewaltigt worden sei. Auf dem Rückweg zu ihren Eltern sei sie wieder vergewaltigt worden. Auf der Straße habe sie eine Frau getroffen, die ihr angeboten habe, sie nach Italien zu bringen. Diese Frau habe sie an einen Mann übergeben, der sie nach Libyen gebracht habe. Dort sei sie an einen arabischen Mann verkauft worden, für den sie als Sklavin auf einer Farm habe arbeiten müssen. Nach zwei Jahren habe er dieser Mann sie an die Küste gebracht. In Italien habe sie den alten Mann wieder gesehen. Sie sei von ihm schwanger gewesen, habe aber das Baby während der Zeit auf der Farm in Libyen verloren. Einige Zeit später habe sie auf dem Markt auch die Frau gesehen, die ihr in Nigeria Hilfe angeboten habe. Die Frau habe sie in ein Haus gelockt und gesagt, die Antragstellerin schulde ihr 50.000 €. Die Antragstellerin habe dafür als Prostituierte arbeiten müssen. Die Frau habe sie vor einer Flucht gewarnt und gesagt, sie würde die Antragstellerin töten, wenn sie wegrennen würde. Die Frau habe überall Männer, in Italien und in Nigeria. Eines Tages sei die Frau nicht dagewesen und einer der Männer habe ihr aus dem Haus geholfen. Eine italienische Frau habe ihr dann geholfen Tickets zu kaufen, mit denen die sie nach Deutschland gefahren sei.
Am 24. August 2016 fand auch das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens statt (Behördenakte, Blatt 40). Die Antragstellerin gab an, nicht nach Italien überstellt werden zu wollen, weil dort die Frau, die sie eingesperrt habe, sei. Diese Frau und deren Männer würden sie wieder schnappen und einsperren und die Antragstellerin müsse dann wieder als Prostituierte für diese Frau arbeiten.
Auf der Grundlage eines IT2-Eurodactreffers, wonach die Antragstellerin am 20. August 2015 internationalen Schutz oder die Anerkennung als Flüchtling in Italien beantragt hat (Behördenakte Blatt 46, 47), richtete die Antragstellerin am 29. August 2016 ein Wiederaufnahmegesuch an Italien (Behördenakte, Blatt 48).
In der Folge gelangte ein von der „…“ unterzeichneter Fachbericht vom … August 2016 der Frauenunterkunft zur Akte (Behördenakte, Blatt 66). Dort wurde mitgeteilt, dass die Antragstellerin sich seit Ende Februar 2016 in der Unterkunft für Flüchtlingsfrauen … befinde. Sie sei von Beginn an auffällig durch regelmäßige Bewusstseinsstörungen und dissoziative Anfälle, zum Teil auch mit Apnoephasen. Somatisch sei diesbezüglich durch mehrfache stationäre Aufenthalte alles ausgeschlossen, so das man davon ausgehen müsse, dass die Symptome Folgen erlebter Traumata seien. Nebendiagnosen somatischer Ursache gebe es jedoch schon. Den Verlauf mit entsprechenden Diagnosen und Empfehlungen der einzelnen Kliniken habe man zusammengefasst und die Arztbriefe in Form von Kopien beigelegt. Die Antragstellerin sei im Haus an die regelmäßige psychosoziale Sprechstunde angebunden, benötige jedoch eine zumindest ambulante Anbindung an eine Traumatherapie. Es sei bislang trotz aller Bemühungen leider nicht möglich gewesen, die Antragstellerin an eine entsprechende Stelle zu vermitteln.
Aus der beigelegten Übersicht über den Krankheitsverlauf der Antragstellerin und den Arztbriefen ergibt sich im April 2016 ein Verdacht der Klinik für Akut- und Internistische Intensivmedizin auf epileptische Anfälle, Differenzialdiagnose dissoziative Anfälle (Behördenakte, Blatt 75). Mit Arztbrief vom Mai 2016 diagnostiziert die Klinik für Neurologie des …-Klinikums einen generalisierten epileptischen Anfall am 2. und am 3. Mai 2016 (Behördenakte, Blatt 77). Der Antragstellerin wurde die ambulante neurologische Weiterbetreuung und die Steigerung der Medikation mit Lamotrigin um 25 mg alle zwei Wochen bzw. nach Rücksprache mit dem behandelnden ambulanten Neurologen empfohlen. Mit Arztbrief vom Juni 2016 der Klinik für Urologie des Klinikums … (Behördenakte, Blatt 82) wurde unter anderem berichtet, dass es während des stationären Aufenthalts am 8. Juni 2016 zu epileptischen Anfällen DD dissoziativen Anfällen gekommen sei, weshalb die Kollegen der Neurologie dazu gerufen worden seien. Nach Sichtung der Kollegen der Psychiatrie, Psychologie und Neurologie seien die Anfälle „a.e. dissoziativer Genese“. Die Antragstellerin werde in deren weitere Betreuung entlassen. Mit Arztbrief vom Juli 2016 der Klinik für Urologie des Klinikums … (Behördenakte, Blatt 86) wurde beschrieben, dass die Antragstellerin persistierend dissoziative Anfälle mit Apnoephasen gezeigt habe, weshalb sie bei den Kollegen der Neurologie vorgestellt worden sei. Dort sei keine weitere Indikation zur Übernahme und Therapie gestellt und erneut eine ambulante psychiatrische Vorstellung empfohlen worden. Als Vorschlag für die Weiterbehandlung wurde dringend die ambulante Anbindung an eine psychiatrisch psychologische Praxis empfohlen zur weiteren Therapie und Abklärung der dissoziativen Anfälle.
Mit Bescheid vom … November 2016 lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4) (Behördenakte, Blatt 90). Zur Begründung führte die Antragsgegnerin im Wesentlichen an, dass der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig sei, da Italien aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 18 Absatz 1b Dublin III– VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Der Antragstellerin drohe in Italien auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Die Antragstellerin habe in der Zweitbefragung vorgetragen, dass sie eine dissoziative Störung mit Apnoephasen habe, Medikamente momentan jedoch nicht erforderlich seien. Sie habe zuvor immer wieder verschiedenste Tabletten genommen. Aufgrund des eingereichten Fachberichts vom … August 2016 könne nicht von einer Reiseunfähigkeit ausgegangen werden. Auch das Vorbringen, in Italien sei eine Frau, die die Antragstellerin eingesperrt habe und die Antragstellerin befürchte, dass diese Frau und ihre Männer sie wieder schnappen und einsperren würden, sei nicht geeignet, zu einem anderen Ergebnis zu gelangen. Die Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Der Bescheid wurde der Antragstellerin am 5. Dezember 2016 gegen Postzustellungsurkunde zugestellt (Behördenakte, Blatt 125).
Am 6. Dezember 2016 gelangte eine „Fachliche Stellungnahme und Gefährdungseinschätzung für die Antragstellerin als Opfer aus dem Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“ von … e.V. (Behördenakte, Blatt 117, 119) zur Behördenakte. In dieser wird ausgeführt, die Antragstellerin sei vom Sozialdienst ihrer Unterkunft in die Fachberatungsstelle geschickt worden, nachdem sie ihren Bescheid bekommen habe, der im Zuge des Dublinverfahrens eine Rückführung nach Italien anordne. In einem längeren Gespräch habe die Antragstellerin glaubhaft machen können, dass sie in Italien Opfer aus dem Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung geworden sei. Da die Zeit wegen der Klagefrist dränge, könne im Moment keine ausführlichere Stellungnahme verfasst werden. Eine solche werde im Zuge des Asylverfahrens nachgereicht werden.
Gegen den Bescheid vom 17. November 2016 erhob die Antragstellerin persönlich mit Schreiben vom 7. Dezember 2016, bei Gericht am 9. Dezember 2016 eingegangen, Klage und stellte einen Eilantrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO. Zur Begründung trug sie unter anderem vor, dass in Italien systemische Mängel bestünden und sie eine sehr vulnerable Person sei. Eine Abschiebung nach Italien sei für sie unzumutbar. Seit kurzem sei sie bei … und habe eine Therapie begonnen. Sie legte eine fachärztliche Stellungnahme vom … Dezember 2016 von … von Frau Dr. …, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, vor. Auf der Grundlage des Erstgesprächs am 11. November 2016 wurde darin die „vorläufige Diagnose“ „hochgradiger Verdacht auf PTBS, Differenzialdiagnose: komplexe PTBS mit dissoziativer Störung“ gestellt und mitgeteilt, eine Abschiebung nach Italien würde die Gefahr einer Retraumatisierung beinhalten. Die Antragstellerin sei im Hinblick auf ihren psychischen Zustand dringend behandlungsbedürftig und solle unbedingt eine traumaspezifische Psychotherapie in sicherer Umgebung erhalten. Nach Ablauf der ersten fünf bis zehn Therapiestunden sei es möglich, einen ausführlichen Befundbericht zu erstellen. Körperliche Beschwerden lägen aktuell keine vor. Hinsichtlich der Vorbehandlungen lässt sich der fachärztlichen Stellungnahme entnehmen, dass keine Arztbriefe vorliegen. Die Antragstellerin nehme auch keine Medikamente. Im Auftrag der Antragstellerin nahm die Teamleitung der Asylsozialberatung ebenfalls Stellung und betonte u.a., dass die Antragstellerin einen hohen Schutzbedarf aufweise und eine sehr vulnerable Person sei. Es sei sehr wahrscheinlich, dass die Abschiebung die psychische und physische Verfassung der Antragstellerin extrem verschlechtern würde.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakte am 12. Dezember 2016 in elektronischer Form vor.
Mit Schreiben vom 31. Dezember 2016 teilte der Prozessbevollmächtigte mit, dass er die Antragstellerin vertrete und nahm auf den bisherigen Sachvortrag der Mandantin Bezug. Mit Schriftsatz vom 7. Januar 2017 trug der Prozessbevollmächtigte vor, die von der Antragsgegnerin im ablehnenden Bescheid umfänglich zitierte Entscheidung einer kleinen Kammer des EGMR vom 2. April 2013 sei längst überholt. Die Große Kammer des EGMR habe in ihrer Entscheidung vom 4. November 2014 festgestellt, dass eine erhebliche Diskrepanz zwischen den staatlicherseits für Asylbewerber – auch sogenannte Dublin-Rückkehrer – in Sprar und Cara zusammen zur Verfügung stehenden Unterbringungsplätzen und der tatsächlichen Zahl von Asylbewerbern bestehe. Die Antragstellerin gehöre aufgrund der vorgelegten ärztlichen Atteste zu den besonders vulnerablen Personen. Deshalb sei vor einer Rückverschiebung nach Italien eine konkrete Unterbringungsmöglichkeit zu fordern. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe habe in einer umfassenden Ausarbeitung vom August 2016 die desolaten Aufnahmebedingungen in Italien dargestellt. Im konkreten Fall seien insbesondere die Seiten 28-32 und 62-67 maßgeblich. Gegenwärtig gebe Italien keine individuellen Garantieerklärungen mehr ab.
Mit Schreiben vom 17. Januar 2017 legte die Antragsgegnerin die Behördenakte erneut elektronisch vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten, auch die des Hauptsacheverfahrens M 25 K 16.51211, sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
1. Die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zulasten der Antragstellerin aus. Es bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids.
1.1. Die Antragsgegnerin hat die Abschiebung nach Italien zutreffend gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG in Verbindung mit § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG angeordnet. Italien ist für die Prüfung des Asylantrags der Antragstellerin zuständig. Dem stehen auch nicht systemische Mängel des Asylverfahrens in Italien oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen.
1.1.1. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/13 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III – VO), für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG verweist auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG und verpflichtet das Bundesamt in einem solchen Fall, die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat anzuordnen, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Nach diesen Vorgaben ist Italien für die Prüfung des Asylantrags der Antragstellerin zuständig.
Die Antragstellerin hat Italien, gestützt auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO, innerhalb der Frist von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung gemäß Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO um Wiederaufnahme ersucht. Italien hat nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist gemäß Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO auf das Wiederaufnahmegesuch geantwortet und ist damit nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig geworden.
1.1.2. Die Antragsgegnerin ist auch nicht verpflichtet, den Asylantrag der Antragstellerin trotz der Zuständigkeit Italiens selbst inhaltlich zu prüfen.
Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 21.12.2011 C-411/10 und C-493/10) ist Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtecharta) dahin auszulegen, dass es den Mitgliedsstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedsstaat im Sinne der Dublin-VO zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden.
In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung (OVG NW, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14A; U.v. 24.04.2015 – 14 A 2356/12A; VGH BW, U.v. 16.04.2014 – A 11 S 1721/13; OVG Münster, U.v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A; OVG Koblenz, U.v. 21.2.2014 – 10 A 10656/13; OVG Lüneburg, B.v. 18.3.2014 – 13 LA 75/13; BayVGH U.v. 28.2.2014 – 13 a B 13.30295; OVG Magdeburg, B.v. 14.11.2013 – 4 L 44/13; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 17.10.2013 – OVG 3 S. 40.13) geht das Gericht zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht davon aus, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber i.S.v. Art. 4 EU –Grundrechtecharta implizieren.
Dublin-Rückkehrer erhalten in der Regel einen ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung ein geordnetes Aufnahmeverfahren mit den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse. Eine medizinische Versorgung ist gewährleistet. Soweit bei der Antragstellerin am 6. Dezember 2016 als „vorläufige Diagnose“ „hochgradiger Verdacht auf PTBS, Differenzialdiagnose: komplexe PTBS mit dissoziativer Störung“ geäußert wurde, kann diese – sofern sie sich bestätigen sollte – auch in Italien behandelt werden. In diesem Zusammenhang weist das Gericht darauf hin, dass es trotz vielfacher, umfangreicher, auch einschlägiger Untersuchungen der Antragstellerin seit Januar 2016 offenbar bislang noch nicht gelungen ist, diesbezüglich eine mehr als vorläufige Diagnose zu stellen.
Dublin-Rückkehrer werden im Allgemeinen in den früheren Stand ihres Asylverfahrens eingesetzt (vgl. BayVGH a.a.O.).
Diese Einschätzung wird auch durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR v. 4.11.2014 – 29217/12 – Tarakhel gegen Schweiz) bestätigt. Die Antragstellerin gehört nicht zu den in diesen Entscheidungen angeführten besonders schützenswerten Personen. Auch aus dem Vortrag der Antragstellerin, insbesondere zu Ihrem Verfolgungsschicksal und ihren Erlebnissen in Italien, ergibt sich vorliegend nichts anderes. Die Antragstellerin ist hierauf im angegriffenen Bescheid bereits zutreffend eingegangen.
Im Übrigen können besonders schutzbedürftige Personen nach Rücküberstellung in sogenannten SPRAR-Zentren untergebracht werden. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe konstatiert, dass Italien für besonders schutzbedürftige Personen spezielle Aufnahmeplätze zur Verfügung stellt, hier allerdings „teilweise“ die Nachfrage das Angebot übersteigt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien). Inwiefern diese teilweisen speziellen Aufnahmekapazitäten einer Rücküberstellung tatsächlich entgegenstehen würden, bedarf vorliegend keiner Vertiefung.
Denn das Gericht geht davon aus, dass die Antragstellerin nicht zu dem Kreis der besonders schutzbedürftigen Personen gehört.
In medizinischer Hinsicht liegt bereits keine Diagnose vor, die – sofern sie bestätigt werden sollte – nicht auch in Italien behandelt werden könnte. Auch unter Berücksichtigung der Aufzählung in Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), ergibt sich vorliegend nichts anderes. Denn das Gericht bezweifelt nach dem Vortrag der Antragstellerin, wie er sich aufgrund der Aktenlage darstellt, dass sie die vorgetragenen Vergewaltigungen tatsächlich so erlitten hat und Opfer des Menschenhandels geworden ist. Ihr diesbezüglicher Vortrag wirkt konstruiert und lebensfremd.
Der Umstand, dass sich die Situation der Antragstellerin in Italien schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 Mohamad Hussein u.a. gegen Niederlande und Italien).
Somit hat die Antragsgegnerin zu Recht Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Italien verneint.
1.2. Inlandsbezogene Abschiebungsverbote liegen nicht vor. Insbesondere ist die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit der Antragstellerin nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung widerlegt (§ 60 Absatz 2c Aufenthaltsgesetz).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
3. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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