Europarecht

Abschiebungsanordnung, Dublin-Verfahren, Zielstaat Ungarn, Systemische Mängel (ernsthafte Anhaltspunkte bejaht)

Aktenzeichen  M 10 S 22.50218

Datum:
18.7.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 17871
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a
AsylG § 34a Abs. 1 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5
VO (EU) 604/2013 (Dublin-III-VO) Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2

 

Leitsatz

Es bestehen nach wie vor ernsthafte Anhaltspunkte dafür, dass in Ungarn in zeitlicher Hinsicht auch nach den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 17. Dezember 2020 (EuGH, U.v. 17.12.2020 – C-808/18) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 31. Januar 2018 (BayVGH, U.v. 31.1.2018 – 9 B 17.50039 – juris) systemische Mängel im Asylsystem bestehen.

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 10. März 2022 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind afghanische Staatsangehörige tadschikischer Volkszugehörigkeit und wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsanordnung der Antragsgegnerin nach Ungarn im Rahmen des sog. „Dublin-Verfahrens“.
Der Antragsteller zu 1 arbeitete seit 2004 für verschiedene ausländische Einrichtungen (Niederlande, Ungarn und USA) sowie die NATO in Afghanistan und reiste Ende August 2021 im Zuge der Machtübernahme der Taliban zusammen mit den Antragstellern zu 2 bis 5 über den Flughafen Kabul mithilfe ungarischer Soldaten aus. Nach Zwischenaufenthalten in Usbekistan und Ungarn reisten die Antragsteller am 31. Oktober 2021 in das Bundesgebiet ein und äußerten Asylgesuche, von denen die Antragsgegnerin am gleichen Tag schriftlich Kenntnis erlangte. Der förmliche Asylantrag datiert vom 27. Januar 2022.
Am 30. Dezember 2021 richtete die Antragsgegnerin ein Übernahmeersuchen an die ungarischen Behörden. Diese erklärten mit Schreiben vom 9. und 10. Februar ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge gem. Art. 13 Abs. 1 VO (EU) 604/2013 (Dublin-III-VO).
Mit Bescheid vom 10. März 2022, der den Antragstellern am 4. April 2022 zugestellt wurde, lehnte die Antragsgegnerin die Anträge als unzulässig ab (Nr. 1), verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Nrn. 2 und 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gem. § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 11 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Mit Schriftsatz vom 11. April 2022, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, erhoben die Antragsteller gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. März 2022 Klage und beantragen dessen Aufhebung (M 10 K 22.50217). Zugleich wird beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen.
Zur Begründung wird insbesondere ausgeführt, dass in Ungarn systemische Mängel des Asylsystems bestehen würden. Dies hätten sowohl der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (unter Verweis auf BayVGH, U.v. 31.1.2018 – 9 B 17.50039 – juris; U.v. 29.1.2018 – 20 B 16.50000 – juris; U.v. 23.3.2017 – 13a B 16.30951 – juris) als auch die neuere verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung (unter Verweis auf VG Aachen, B.v. 24.3.2022 – 5 L 199/22.A – juris; VG Würzburg, B.v. 9.2.2022 – W 1 S 22.50035 – beck online) festgestellt. Es habe sich in der Zwischenzeit auch keine neue Erkenntnismittellage ergeben, aus der sich eine andere Bewertung als in den zitierten Gerichtsentscheidungen ergebe. Auch die zwischenzeitlichen Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union im Jahr 2020 hätten zu keiner grundlegenden Änderung der Rechtspraxis geführt. Die Europäische Kommission habe hinsichtlich der neuen Regelungen gegen Ungarn ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Ferner wird bezüglich der Antragstellerin zu 2 unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung und ärztlicher Atteste geltend gemacht, dass diese bereits in Afghanistan wegen eines Herzklappenfehlers operiert worden sei und seit dieser Operation eine ständige medikamentöse Behandlung benötige. Eine medizinische Versorgung der Antragstellerin zu 2 habe im ungarischen Lager (das nachts geschlossen gewesen sei) nicht stattgefunden. Zudem seien die Antragsteller mit insgesamt 13 Personen in einem Raum untergebracht gewesen, sodass ein Teil der Kinder auf dem Boden hätte schlafen müssen.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakte vor, äußerte sich aber nicht zur Sache und stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 10 K 22.50217 sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ist zulässig und begründet.
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere wurde er fristgerecht binnen der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1, § 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG gestellt.
2. Der Antrag ist auch begründet.
Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG) – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück.
Gemessen an diesen Maßstäben geht die Interessenabwägung im vorliegenden Fall zugunsten der Antragsteller aus. Nach summarischer Prüfung ist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) die Wahrscheinlichkeit des Obsiegens der Antragsteller im Hauptsacheverfahren höher einzuschätzen als deren Unterliegen.
a) Nach derzeitigem Erkenntnisstand bestehen ernstliche rechtliche Bedenken gegen die Ablehnung der Asylanträge der Antragsteller als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1
Nr. 1 Buchst. a AsylG. Damit lässt sich nicht hinreichend sicher prognostizieren, dass die nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ergangene Abschiebungsanordnung Bestand haben wird.
aa) Nach der Grundregel des Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin-III-VO ist derjenige Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz zuerst gestellt worden ist, außer es ergibt sich anhand der Kriterien der Art. 7 ff. Dublin-III-VO eine anderweitige Zuständigkeit.
Im vorliegenden Fall kommt aufgrund der Schilderungen des Antragstellers zu 1 im Anhörungsgespräch zwar die Zuständigkeit Ungarns nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO grundsätzlich in Betracht. Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO ist bei illegalem Grenzübertritt aus einem Drittstaat kommend über die Land-, See- oder Luftgrenze in das Staatsgebiet eines Mitgliedstaats Letzterer zuständig, wenn der illegale Grenzübertritt durch Beweismittel oder Indizien festgestellt werden kann. Die Tatsache, dass die Antragsteller von ungarischen Soldaten vom Flughafen Kabul über Usbekistan nach Ungarn evakuiert wurden, ändert nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) nichts an der Illegalität des Grenzübertritts i.S.v. Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO (EuGH, U.v. 26.7.2017 – C-646/16 – juris Rn. 89).
bb) Allerdings spricht vorliegend einiges dafür, dass die Überstellung nach Ungarn im Sinne von Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO unmöglich ist, sodass die Antragsgegnerin die Zuständigkeitsprüfung hätte fortsetzen müssen, um einen anderen zuständigen Mitgliedstaat zu bestimmen. Die Unmöglichkeit der Überstellung in den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat ergibt sich allerdings nur bei Vorliegen wesentlicher Gründe für die Annahme, dass es systemische Mängel im Asylverfahren dieses Mitgliedstaats, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta (GRCh) mit sich bringen, gibt.
(1.) Nach dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union darf jeder Mitgliedstaat vorbehaltlich außergewöhnlicher Umstände voraussetzen, dass in anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und die dort anerkannten Grundrechte beachtet werden (vgl. BVerwG U. v. 20.5.2020 – 1 C 34.19 – juris Rn. 16). Um diese Vermutung zu widerlegen, müssen Umstände substantiiert vorgetragen und ggf. belegt werden, die eine besondere Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Die Anforderungen hieran sind allerdings hoch. Im Hinblick auf das Ziel der Dublin-III-Verordnung, zügig und effektiv den für das Asylverfahren zuständigen Staat zu bestimmen, können geringfügige Verstöße hierfür nicht ausreichen. Das grundsätzlich gerechtfertigte gegenseitige Vertrauen ist erst entkräftet, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 9; EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417, Rn. 80; VGH Baden-Württemberg, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rn. 41).
Diese Grundsätze konkretisierend hat der EuGH in seiner „Jawo“-Entscheidung ausgeführt, dass Schwachstellen im Asylsystem nur dann als Verstoß gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK zu werten sind, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Diese wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit des betreffenden Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich aufgrund der Untätigkeit der Behörden eines Mitgliedsstaates unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen und die ihre Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 19; EuGH U.v. 19.3.2019 – C 297/17 u.a., Ibrahim u.a. – Rn. 89 ff. und C-163/17, Jawo – Rn. 91 ff.).
(2.) Gemessen hieran bestehen unverändert seit den Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aus den Jahren 2017 und 2018 (BayVGH, U.v. 31.1.2018 – 9 B 17.50039 – juris; U.v. 29.1.2018 – 20 B 16.50000 – juris; U.v. 23.3.2017 – 13a B 16.30951 – juris) ernstzunehmende Anhaltspunkte dafür, dass das ungarische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet. Das Gericht schließt sich zunächst der neueren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung an, die, soweit ersichtlich, das Vorliegen systemischer Mängel im ungarischen Asylsystem durchgehend bejaht bzw. wenigstens ernstzunehmende Anhaltspunkte hierfür annimmt (VG München, U.v. 31.3.2022 – M 28 K 18.30288 – Rn. 31 ff., n.v.; VG Aachen, B.v. 24.3.2022 – 5 L 199/22.A. – juris Rn. 40 ff.; VG Aachen, B.v. 22.2.2022 – 5 L 46/22.A – juris Rn. 38 ff.; VG Würzburg, B.v. 9.2.2022 – W 1 S 22.50035 – beck online Rn. 17 ff.). Aus der in den genannten Entscheidungen zugrunde gelegten Erkenntnismittellage geht hinreichend deutlich hervor, dass noch nicht einmal gesichert erscheint, dass die Antragsteller als Dublin-Rückkehrer in Ungarn Anträge auf Flüchtlingsschutz stellen können (AIDA, Country Report Hungary, Stand 15.4.2021, S. 45 f.; s. auch VG Würzburg, a.a.O., Rn. 19). Diese Tatsache wird auch von der Antragsgegnerin im verfahrensgegenständlichen Bescheid eingeräumt (S. 9). Soweit die Antragsgegnerin in diesem Zuge anmerkt, dass sie Überstellungen nach Ungarn nur durchführe, wenn die ungarischen Behörden im Einzelfall zusicherten, dass Dublin-Rückkehrende im Einklang mit der Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU) untergebracht und deren Asylverfahren gemäß der Asylverfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU) durchgeführt würden, liegt eine solche individuelle Zusicherung der ungarischen Behörden nach Aktenlage gerade nicht vor.
Unabhängig davon ist zu sehen, dass die in den Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aus 2017 und 2018 angesprochenen Missstände im ungarischen Asylsystem, deren Vorliegen der Gerichtshof der Europäischen Union bezüglich der Regeln und Verfahren in den Transitzonen an der serbisch-ungarischen Grenze nochmals bekräftigt hat (EuGH, U.v. 17.12.2020 – C-808/18), aktuell weiter vorliegen dürften. Auch wenn Ungarn angegeben hat, diese Transitzonen geschlossen zu haben, bestehen nach wie vor starke Bedenken, dass die Unterbringung von Asylsuchenden in Ungarn den unionsrechtlichen Mindeststandards genügt, gleiches gilt für den effektiven Zugang zu rechtsstaatlichen Asylverfahren. Nach Ansicht der Europäischen Kommission hat Ungarn insbesondere mehrere Aspekte der oben genannten Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht ausreichend umgesetzt und den Gerichtshof nunmehr ersucht, finanzielle Sanktionen gegen Ungarn in Form eines Pauschalbetrags und eines täglichen Zwangsgelds zu verhängen (s. Pressemitteilung vom 12. November 2021, abrufbar unter https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_21_5801).
Die oben dargestellten ernstzunehmenden Anhaltspunkte für das Bestehen systemischer Mängel im ungarischen Asylsystem decken sich mit den Schilderungen der Antragsteller in der Antragsschrift. Auch wenn im Eilverfahren nicht abschließend beurteilt werden kann, ob der Vortrag zur Überbelegung der Räumlichkeiten bzw. dass Kinder auf dem Boden schlafen mussten, der Wahrheit entspricht, erscheint dies im Hinblick auf die Tatsache, dass Ungarn die Praxis (wenigstens teilweise) geschlossener Unterbringungszentren offenbar fortführt und sich nicht zur Gewährleistung unionsrechtlich vorgegebener Mindeststandards bekennt, jedenfalls möglich. Aus der Online-Berichterstattung ist seit Jahren hinlänglich bekannt, dass die ungarische Regierung eine offen migrationsfeindliche Politik vertritt, die auf der einen Seite Abschreckungseffekte gegen (potentielle) Geflüchtete bezweckt und auf der anderen Seite gegen die Europäische Union bzw. ihre Institutionen sowie die rechtlichen Regelungsrahmen gerichtet ist (s. statt vieler nur ZEIT Online vom 8.9.2017, „Orbán will EuGH-Urteil nicht umsetzen“, abrufbar unter https://www.zeit.de/politik/ausland/2017-09/ungarn-viktor-orban-eugh-fluechtlinge-verteilung). Insgesamt liegt aus der Kombination der bekannten politischen Haltung der ungarischen Regierung zum Themenkomplex Migration sowie der öffentlichen Infragestellung der Autorität des Gerichtshofs der Europäischen Union die Annahme nahe, dass die Gewährleistung unionsrechtlicher Mindeststandards in Ungarn politisch nicht gewollt ist und insofern die Schilderungen der Antragsteller zu ihrem Aufenthalt in Ungarn jedenfalls schlüssig erscheinen.
Ebenso deckt sich der Vortrag der Antragsteller, während ihrer Zeit in Ungarn keinen Kontakt zu staatlichen Einrichtungen oder Institutionen gehabt zu haben und keinen Asylantrag gestellt zu haben, mit der aktuellen Erkenntnismittellage zum fehlenden Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren. Nach Aktenlage waren die Antragsteller für etwa zwei Monate in (wenigstens teilweise) geschlossenen Aufnahmezentren untergebracht, ohne dass sie in Kontakt mit der zuständigen Asylbehörde gekommen sind und die Möglichkeit gehabt hätten, ein rechtsstaatliches Asylverfahren anzustoßen.
Ob zugunsten der Antragstellerin zu 2 ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Ungarn festzustellen sein wird, kann im vorliegenden Eilverfahren offenbleiben, da aufgrund der ernstzunehmenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG der nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ergangenen Abschiebungsanordnung ohnehin die rechtliche Grundlage entzogen wäre.
Im Hinblick auf die möglicherweise betroffenen hochrangigen Rechtsgüter der Antragsteller aus Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK im Falle einer Überstellung nach Ungarn sind vor dem Hintergrund der dargestellten aktuellen Erkenntnismittellage die erhöhten verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine ablehnende Entscheidung im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren nicht erfüllt (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 – juris Rn. 15 f.; B.v. 21.4.2016 – 2 BvR 273/16 – juris Rn. 14). Um der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG Rechnung zu tragen, ist es daher nach der Erkenntnismittellage und unter Zugrundelegung der zitierten stattgebenden verwaltungsgerichtlichen Eilbeschlüsse geboten, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (BVerfG, B.v. 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 – juris Rn. 16; B.v. 21.4.2016 – 2 BvR 273/16 – juris Rn. 14), zumal nach den obigen Ausführungen ein Obsiegen der Antragsteller in der Hauptsache wahrscheinlicher erscheint als ein Unterliegen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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