Europarecht

Anerkennungsfähigkeit einer tschechischen Fahrerlaubnis – Wohnsitzerfordernis

Aktenzeichen  M 26 K 18.4091

Datum:
29.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 32292
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 7 Abs. 1 S. 2, § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, § 30
RL 2006/126/EG Art. 2 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 lit. e, Art. 12

 

Leitsatz

1 Angaben im Führerschein selbst und andere vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen können als Erkenntnisquellen gleichrangig herangezogen werden (Anschluss EuGH  BeckRS 2009, 71013). (redaktioneller Leitsatz)
2 Verneinen die Behörden des Ausstellerstaates persönliche Bindungen des Fahrerlaubnisinhabers, hat dieser drei gemeldete Wohnsitze in Tschechien, war aber während der gesamten Zeit mit Hauptwohnsitz im Inland gemeldet, ist von einem Wohnsitzverstoß auszugehen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 7. August 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Umschreibung seiner am … Juli 2008 erworbenen tschechischen Fahrerlaubnis in eine deutsche Fahrerlaubnis, da die tschechische Fahrerlaubnis ihn nicht zum Führen von Fahrzeugen im Bundesgebiet berechtigt hat. Die tschechische Fahrerlaubnis wurde unter Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis ausgestellt.
1. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Umschreibung ist § 30 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 13. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Januar 2018 (BGBl I S. 2). Voraussetzung ist, dass die umzuschreibende Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt oder berechtigt hat. Dies richtet sich wiederum im vorliegenden Fall nach der Vorschrift des § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV. Hiernach dürfen Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 FeV in der Bundesrepublik Deutschland haben – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV gilt die Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland jedoch nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten. Die Behörde kann einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen (§ 28 Abs. 4 Satz 2 FeV).
Ein ordentlicher Wohnsitz im Inland wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV angenommen, wenn der Betroffene wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – bei fehlenden beruflichen Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt. Ein Bewerber, dessen persönliche Bindungen im Inland liegen, der sich aber aus beruflichen Gründen in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten der EU (oder EWR) aufhält, hat seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt (§ 7 Abs. 1 Satz 3 FeV). Die Voraussetzung entfällt, wenn sich der Bewerber zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer in einem solchen Staat aufhält (§ 7 Abs. 1 Satz 4 FeV).
Diese Bestimmungen stehen mit Art. 2 Abs. 1, Art. 7 und Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (Neufassung, ABl EG Nr. L 403 S.18 – RL 2006/126/EG) in Einklang. Nach Art. 2 Abs. 1 RL 2006/126/EG werden die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt (und damit auch die zugrundeliegenden Fahrerlaubnisse, vgl. EuGH, U.v. 26.10.2017 – C-195/16 – ABl EU 2017, Nr. C 437, S. 8 – juris Rn. 48 f.). Allerdings darf ein Führerschein nur an Bewerber ausgestellt werden, die im Hoheitsgebiet des den Führerschein ausstellenden Mitgliedstaats ihren ordentlichen Wohnsitz haben oder nachweisen können, dass sie während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten dort studiert haben (Art. 7 Abs. 1 Buchst. e RL 2006/126/EG). Nach Art. 7 Abs. 5 Unterabsatz 2 RL 2006/126/EG achten die Mitgliedstaaten bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis sorgfältig darauf, dass eine Person die Anforderungen des Absatzes 1 – und somit auch die Wohnsitzvoraussetzung – erfüllt.
Die Prüfung, ob Informationen über den Wohnsitz des Fahrerlaubnisinhabers zum Zeitpunkt der Erteilung des Führerscheins als vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührend und unbestreitbar eingestuft werden können, obliegt den Behörden und Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 – Akyüz, C-467/10 – NJW 2012, 1341 Rn. 73 und 74). Dabei muss die Begründung eines Scheinwohnsitzes aufgrund der vom Ausstellungsmitgliedstaat stammenden Informationen nicht bereits abschließend erwiesen sein (vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2018 – 11 CS 17.1257 – juris Rn. 10; B.v. 23.1.2017 – 11 ZB 16.2458 – juris Rn. 12; OVG NW, B.v. 9.1.2018 -16 B 534/17 – juris Rn. 14 ff. m.w.N). Vielmehr reicht es aus, wenn diese Informationen darauf „hinweisen“, dass der Inhaber des Führerscheins im Gebiet des Ausstellungsmitgliedstaats einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck begründet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 a.a.O. Rn. 75). Dann können die Behörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats auch inländische Umstände zur Beurteilung der Frage, ob die Wohnsitzvoraussetzung eingehalten ist, heranziehen (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2018 a.a.O. Rn. 10; B.v. 23.1.2017 a.a.O. Rn. 12; OVG NW, B.v. 9.1.2018 a.a.O. Rn. 14 ff.; U.v. 20.3.2018 – 11 B 17.2236 – juris).
2. Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben ist festzustellen, dass die aus dem Ausstellungsmitgliedstaat Tschechien stammenden Informationen auf die Nichterfüllung der Wohnsitzvoraussetzung bei der Ausstellung des Führerscheins hinweisen und in Zusammenschau mit den übrigen bekannten Umständen auf einen Wohnsitzverstoß schließen lassen.
a) Die Fahrerlaubnisbehörde ist durch den Eintrag eines tschechischen Wohnsitzes im Führerschein des Klägers nicht gehindert, die über das Kraftfahrt-Bundesamt beigebrachten Erkenntnisse der tschechischen Behörden zu berücksichtigen. Vielmehr dürfen Angaben im Führerschein selbst und andere vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen als Erkenntnisquellen gleichrangig herangezogen werden (vgl. EuGH, B.v. 9.7.2009 – C-445/08, Wierer – NJW 2010, 217 Rn. 51). Solche Informationen können insbesondere Angaben einer Einwohnermeldebehörde des Ausstellungsmitgliedstaats sein (EuGH, B.v. 9.7.2009 a.a.O. Rn. 61).
Hinweise auf einen Wohnsitzverstoß ergeben sich aus den vom Kraftfahrt-Bundesamt übermittelten Unterlagen der tschechischen Behörden. So ergab erstens die von der Fahrerlaubnisbehörde angeforderte Auskunft des Gemeinsamen Zentrums der deutsch – tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit in C … vom … Dezember 2017 zwar, dass der Kläger vom … September 2007 bis … September 2008, also über ein Jahr, in Tschechien gemeldet war. Dass dies aber sukzessive unter drei verschiedenen Anschriften in D …, E … und F … der Fall war, deutet darauf hin, dass dort jeweils kein ordentlicher Wohnsitz begründet wurde.
Die Auskunft des tschechischen Verkehrsministeriums vom … April 2018 bestätigt auf dem Fragebogen, ausgefüllt durch die Stadtverwaltung A … am … März 2018, unter Ziffer 2) zwar, dass der Kläger gewöhnlich mindestens 185 Tage im Kalenderjahr in Tschechien gelebt und auch eine Unterkunft existiert habe. Die weiteren Fragen nach beruflichen und persönlichen Bindungen werden aber jeweils mit „no“ (und nicht mit „unknown“) beantwortet, was dafür spricht, dass solche in Tschechien auch tatsächlich nicht existiert haben.
Soweit der Kläger auf das Urteil des OVG Münster vom 9. Januar 2018, Az.m 16 B 534/17 hinweist, ist dieses insofern nicht einschlägig, als es im dort zu entscheidenden Fall um das Ausbleiben von Informationen aus dem Ausstellermitgliedstaat, insbesondere durch die Verwendung der Kategorie „unknown“ – „unbekannt“, ging (wie beispielsweise auch in einem vom OVG Lüneburg, B. v. 20.3.2018 – 12 ME 15/18 – RdNr. 16 f. – jurisentschiedenen Fall), hier aber die Antwort zu sonstigen Bindungen des Klägers in den Ausstellermitgliedstaat explizit „nein“ lautet.
Die Zusammenschau der Informationen der tschechischen Behörden ergibt im vorliegenden Fall, dass erhebliche Zweifel daran bestehen, ob der Wohnsitz des Klägers im Ausstellungsmitgliedstaat die Voraussetzungen des Art. 12 RL 2006/126/EG erfüllt hat, denn der Kläger hat sich im Verlauf eines Jahres an drei verschiedenen Adressen angemeldet. Persönliche oder berufliche Bindungen in Tschechien werden von den dortigen Behörden gleichwohl verneint. Diese Umstände deuten darauf hin, dass der Kläger damals die strengeren Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis in Deutschland umgehen wollte.
b) Unter Heranziehung der Informationen aus dem Ausstellungsmitgliedstaat und Berücksichtigung der inländischen Umstände steht im vorliegenden Fall zur Überzeugung des Gerichts ein Wohnsitzverstoß bei Erteilung der Fahrerlaubnis und Ausstellung des tschechischen Führerscheins fest. Soweit unbestreitbare Informationen des Ausstellungsmitgliedstaats vorliegen, aus denen sich die Möglichkeit ergibt oder die darauf hinweisen, dass die Wohnsitzvoraussetzung nicht gegeben war, sind zur endgültigen Beurteilung dieser Frage die Umstände des gesamten Falles heranzuziehen, also ergänzend auch die „inländischen Umstände“ (stRspr, vgl. zuletzt BayVGH, U.v. 20.3.2018 – 11 B 17.2236 – Rn. 29).
Hier spricht als gewichtiger inländischer Umstand für einen Scheinwohnsitz des Klägers in Tschechien lediglich zur Erlangung einer Fahrerlaubnis die Tatsache, dass er dauerhaft seit dem Jahre 1983, also auch im Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis, mit Hauptwohnsitz in Deutschland gemeldet war. Des Weiteren hat er kurz vor seinem behaupteten Aufenthalt in Tschechien vom … September 2007 bis … September 2008 in Deutschland ein Gewerbe angemeldet, nämlich am … August 2007 mit Betriebsbeginn am … September 2007. Damit steht fest, dass sich sein Lebensmittelpunkt damals in Deutschland und nicht in Tschechien befunden hat.
c) Aufgrund dieser durchgreifenden Zweifel an der Erfüllung der Wohnsitzvoraussetzung bei Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis hätte es dem Kläger oblegen, die Angaben zu seinem Aufenthalt in Tschechien weiter zu substantiieren. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Fahrerlaubnisinhaber substantiierte und verifizierbare Angaben zu Beginn und Ende seines Aufenthalts im Ausstellungsmitgliedstaat im Zusammenhang mit der Fahrerlaubniserteilung sowie zu den persönlichen und beruflichen Bindungen, die im maßgeblichen Zeitraum zu dem im Führerschein angegebenen Wohnort bestanden, machen muss, wenn er trotz der das Gegenteil ausweisenden Informationen aus dem Ausstellungsmitgliedstaat und der inländischen Umstände darauf beharrt, das Wohnsitzerfordernis eingehalten zu haben (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2015 – 3 B 48.14 – juris Rn. 6; B.v. 22.10.2014 – 3 B 21.14 – DAR 2015, 30 Rn. 3; U.v. 30.5.2013 – 3 C 18.12 – BVerwGE 146, 377 Rn. 30; BayVGH, B.v. 22.8.2016 – 11 CS 16.1230 – juris Rn. 20; B.v. 20.5.2015 – 11 CS 15.685 – juris Rn. 15; OVG NW, U.v. 16.5.2014 – 16 A 2255/10 – juris Rn. 30). Solche Angaben hat der Kläger weder im Verwaltungs- noch im gerichtlichen Verfahren gemacht.
Deshalb ist auch die Feststellung in Nr. 2 des angefochtenen Bescheids, dass die tschechische Fahrerlaubnis den Kläger nicht zum Führen fahrerlaubnispflichtiger Kraftfahrzeuge in Deutschland berechtige, die ihre Rechtsgrundlage in § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV hat, nicht zu beanstanden.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Abwendungsbefugnis hat seine Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung – ZPO.


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