Europarecht

Anforderungen an das Vorliegen einer unanfechtbaren Asylablehnung in einem anderen Mitgliedstaat

Aktenzeichen  M 9 K 17.46826

Datum:
17.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 23851
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a Abs. 1

 

Leitsatz

Für die Bejahung des Tatbestands des erfolglosen Abschlusses des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens, § 29 Abs. 1 Nr. 5 iVm § 71a Abs. 1 AsylG, ist Voraussetzung, dass der Asylantrag unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren endgültig, d.h. ohne Wiederaufnahmemöglichkeit, eingestellt worden ist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25. Juli 2017 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat Erfolg.
Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil sich die Beteiligten damit individuell einverstanden erklärt haben (die Klägerseite) bzw. ein entsprechendes generelles Einverständnis vorliegt (auf Beklagtenseite sowie von der Vertretung des öffentlichen Interesses), § 101 Abs. 2 VwGO.
Für das Gericht ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG).
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht erhoben, § 74 Abs. 1 Hs. 2 AsylG.
Die Klage ist auch begründet, da der Bescheid vom 25. Juli 2017 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG liegen nicht vor. Auf die entsprechenden Ausführungen im zwischen den hiesigen Beteiligten ergangenen Beschluss vom 14. November 2017 im Verfahren Az.: M 9 S 17.46827, Gründe II., Seiten 4 – 9, wird Bezug genommen.
Was die Beklagte seitdem noch vorgetragen hat, ist nicht geeignet, das damals gefundene Ergebnis in Frage zu stellen, vielmehr haben die entsprechenden Ausführungen im Beschluss immer noch und auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Ausführungen des Bundesamts Bestand.
Das mit Schreiben des Bundesamts vom 15. Juni 2018 vorgelegte Schreiben der italienischen Behörden ebenfalls vom 15. Juni 2018 bestätigt, entgegen der Auffassung der Beklagten, nicht hinreichend – gemessen an den hierzu in der Rechtsprechung entwickelten Maßgaben (vgl. hierzu im Einzelnen den B.v. 14.11.2017 im Verfahren Az. M 9 S 17.46827 auf Seite 5 unten und Seite 6 oben) -, dass der von der Klägerin beantragte internationale Schutz in Italien unanfechtbar abgelehnt worden ist.
In dem Schreiben der italienischen Behörden vom 15. Juni 2018 heißt es wörtlich zum Asylantrag der Klägerin: „He [!] applied for international protection but he [!] was denied it and granted a permit of stay for humanitarian reasons expired on 14/08/17.“
Abgesehen davon, dass, wie bereits im Beschluss vom 14. November 2017 bemängelt, auch hier wieder durchgehend von einer männlichen („he“) Person die Rede ist, obwohl es sich bei der Klägerin – von der Beklagten nicht bestritten – um eine Frau handelt, was Zweifel daran weckt, ob sich die italienische Auskunft wirklich auf die Person der Klägerin bezieht, ist der Inhalt dieses Schreibens aus zwei unabhängig voneinander geltenden Gründen nicht ausreichend, um ihm das beizulegen, was die Beklagte daraus als Schlussfolgerung zieht.
Erstens enthält das italienische Schreiben keine Aussage dazu, ob das Asylverfahren der Klägerin in Italien bestandskräftig beendet ist. Für die Bejahung des Tatbestands des erfolglosen Abschlusses des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens, § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG, ist aber nach der einhelligen Rechtsprechung Voraussetzung, dass der Asylantrag unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren endgültig, d.h. ohne Wiederaufnahmemöglichkeit, eingestellt worden ist. Konsequenterweise hat das Bundesamt in seiner Anfrage an die italienischen Behörden (vgl. die E-Mail vom 23.5.2018 an die italienische Dublin-Einheit in der Gerichtsakte) u.a. ausdrücklich nach der Bestandskraft gefragt (Frage 3: „Is the asylum procedure finally and legally closed?“), wie es im gerichtlichen Beschluss vom 14. November 2017 im Verfahren Az. M 9 S 17.46827, dort Seite 8 zweiter Absatz von unten, auch verlangt wurde. Allerdings hätte sich das Bundesamt nicht damit abfinden dürfen, dass die italienischen Behörden diese Frage nicht beantwortet haben; in der italienischen Antwort, deren sachlicher Inhalt oben abschließend wiedergegeben ist, fehlt nämlich jede Aussage zu dieser Fragestellung. Der Umstand, dass somit nicht feststeht, ob das Asylverfahren der Klägerin in Italien unanfechtbar abgelehnt worden ist, geht zu Lasten der Beklagten. Das Gericht hat keine bessere Möglichkeit der Aufklärung zur Verfügung, als sich an die Beklagte zu wenden, insbesondere ist das Gericht nicht befugt, sich selbst direkt an die italienischen Behörden zu wenden, zumindest müssten (und dürften) diese dem Gericht nicht antworten (vgl. Art. 35 Dublin III-VO, insbesondere Abs. 1 Sätze 1 und 2 und Abs. 2 Satz 1 i.V.m. der Liste der für die Erfüllung der Verpflichtungen aus der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zuständigen Behörden, ABl. C 55/5 v. 14.2.2015, in der für Deutschland lediglich das Bundesamt sowie das Bundespolizeipräsidium genannt sind; vgl. auch Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Art. 35 Anm. K1; dieser Umstand wird in der Rechtsprechung teilweise übersehen, vgl. BVerwG, U.v. 21.11.2017 – 1 C 39.16 – juris Rn. 29).
Zweitens und unabhängig davon begegnet der Inhalt des italienischen Schreibens vom 15. Juni 2018 hinsichtlich seiner Plausibilität durchgreifenden Bedenken. Denn in diesem Schreiben wird mitgeteilt, dass die Klägerin eine „permit of stay for humanitarian reasons expired on 14/08/2017“ erteilt bekommen habe. Demgegenüber haben die italienischen Behörden früher – mit Schreiben vom 20. Juni 2017 (Bl. 106 der Bundesamtsakte) – diesbezüglich noch mitgeteilt, dass die Klägerin „was issued a permit of stay for Reasons Umanitary expiring on 25.11.2017“. Die unterschiedlichen End-Daten sind miteinander nicht vereinbar, sofern man nicht davon ausgeht, dass die Klägerin zwei unterschiedliche Aufenthaltstitel auf derselben Rechtsgrundlage erhalten hat, wofür nichts spricht. Insbesondere ist nicht erklärlich, warum die Geltungsdauer der „permit of stay for humanitarian reasons“ der Klägerin nachträglich, d.h. im Juni 2018, plötzlich um mehr als drei Monate kürzer sein soll als noch im Juni 2017 mitgeteilt. Diese aus der aufgezeigten Widersprüchlichkeit der italienischen Auskünfte herrührenden und für das Gericht nicht auflösbaren Zweifel führen dazu, dass sich das Gericht nicht in der Lage sieht, die Überzeugung i.S.v. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu gewinnen, dass der Inhalt der italienischen Mitteilung vom 15. Juni 2018 den erfolglosen Abschluss des Asylverfahrens der Klägerin in Italien i.S.v. § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a Abs. 1 AsylG belegt.
Der streitgegenständliche Bescheid wird nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO aufgehoben. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


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