Europarecht

Anforderungen an die Gefahrenprognose bei Ausweisung

Aktenzeichen  M 24 K 19.1932

Datum:
7.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 42568
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 11 Abs. 5a, § 53, § 54 Abs. 1 Nr. 2, § 55 Abs. 1 Nr. 4, § 71 Abs. 1
AufenthV § 31
StGB § 89a

 

Leitsatz

1. Eine auf § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO gestützte Entscheidung ist nicht sachdienlich, wenn die Beklagte hinlänglich auf ihre begrenzten Ermittlungsmöglichkeiten hingewiesen und ausgeführt hat, sie habe alle ihr möglichen Ermittlungen durchgeführt. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG bedarf es stets der Feststellung, dass die vom Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (Anschluss an BVerwG BeckRS 2017, 107747 Rn. 26). (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)
3. Reine Vermutungen genügen als als Grundlage der Gefahrenprognose nicht. Vielmehr muss eine auf Tatsachen gestützte, nicht bloß entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts bestehen. Diese Anforderungen erfüllt auch eine Anscheinsgefahr (Anschluss an BVerwG NJW 1975, 2158).(Rn. 65) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 21. März 2019 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24. September 2019 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat im Hauptantrag Erfolg.
1. Die Klage ist als Anfechtungsklage mit hilfsweise erhobener Verpflichtungsklage auf Verkürzung der Sperrfrist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21. März 2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 24. September 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er war aufzuheben (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Eine auf § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO gestützte Entscheidung ergeht nicht. Zwar hätte nach Auffassung des Gerichts eine weitere erhebliche Sachaufklärung durch die Behörde – auch unter ggf. erforderlicher Inanspruchnahme von Amtshilfe – erfolgen können, jedoch ist die Aufhebung des Bescheides aus prozessualen Gründen unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten vorliegend nicht vorzugswürdig und damit nicht sachdienlich. Die Beklagte hat hinlänglich zu Protokoll in der mündlichen Verhandlung auf ihre begrenzten Ermittlungsmöglichkeiten hingewiesen und ausgeführt, sie habe alle ihr möglichen Ermittlungen durchgeführt. Damit hat die Beklagte zu erkennen gegeben, dass sie weiteren Sachaufklärungsbemühungen zurückhaltend gegenübersteht und / oder solchen keinen Erfolg beimisst. Bei dieser Sachlage ist es nicht sachdienlich, dem Kläger als Betroffenen der streitgefangenen Rechtssache eine Sachentscheidung vorzuenthalten und eine auf § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO gestützte prozessrechtliche Entscheidung zu treffen.
2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2007 -1 C 45/06 – juris Rn.12ff.; BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 18). Zur Anwendung kommt somit das Aufenthaltsgesetz in der ab 21. August 2019 geltenden Fassung, insbesondere das Ausweisungsrecht in der seit 1. Januar 2016 geltenden Neuregelung.
2.1. Der Bescheid vom 21. März 2019 in der Fassung vom 24. September 2019 ist formell rechtmäßig ergangen.
Die handelnde Ausländerbehörde der Beklagten war für den Erlass des Bescheides nach § 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 3 analog der Zuständigkeitsverordnung Ausländerrecht i.d.F.v. 27. August 2018 (ZustVAuslR) örtlich zuständig, da der Kläger sich derzeit in der Türkei aufhält, wo er bei der deutschen Botschaft im Visumsverfahren zum Ehegattennachzug den Zuzug zu seiner im Zuständigkeitsbereich der Beklagten wohnhaften Ehefrau beantragt und damit beabsichtigt, im Zuständigkeitsbereich der Beklagten seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen. Mithin ist damit die Ausländerbehörde der Beklagten unter Heranziehung dieses Anknüpfungspunktes örtlich zuständig. Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 71 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 1 Nr. 1, § 2 ZustVAuslR i.V.m. § 11 Abs. 5c AufenthG.
Dem Kläger wurde vor Erlass des Bescheides (in der Ausgangswie auch der Änderungsfassung) Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG).
2.2. Die Ausweisung in Nr. 1 des Bescheides vom 21. März 2019 in der Fassung vom 24. September 2019 ist materiell-rechtlich rechtswidrig.
2.2.1. Die von der Beklagten auf § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG gestützte Ausweisung zieht als besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse § 54 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 1 AufenthG und als besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG (familiäre Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen) heran. Die Beklagte stützt die Ausweisung als präventive Maßnahme auf die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, namentlich Individual- und Gemeinschaftsgüter, und die Gefährdung sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland, vorliegend die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Spezialpräventiv motiviert prognostiziert die Beklagte, dass durch die Anwesenheit des Klägers im Bundesgebiet mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die öffentliche Sicherheit und die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet werde. Generalpräventiv wird die Ausweisung als Gefahrenabwehrmaßnahme auf die zum Kläger mitgeteilten und demnach von ihm verwendeten Aliaspersonalien und der dahinterstehenden Intention bei der Verwendung der Aliaspersonalien gestützt. Die Beklagte geht davon aus, dass für die Verfügung einer Ausweisung das Bestehen einer Anscheinsgefahr neben der sich anschließend zu treffenden Abwägungsentscheidung ausreichend ist. Die Beklagte sieht auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse die Annahme gerechtfertigt, dass der Kläger Mitglied einer paramilitärischen irakischen Einheit sei, er Umgang mit Waffen und Sprengstoff gehabt habe, Spezialwissen über den Einsatz von Sprengstoff habe und sein Spezialwissen in der Bundesrepublik selbst nutzen oder anderen Personen zur Verfügung stellen könne, die terroristische Zwecke verfolgen. Der Kläger verschleiere seine wahre Identität. Er könne seine Kontakte und Erfahrungen im Zusammenhang mit Waffenhandel und Schwarzhandel mit Treibstoff für kriminelle Aktivitäten nutzen und weiter ausbauen. Der Kläger sei geeigneter Ansprechpartner und Helfer für Personen aus dem unterschiedlichen extremistischen Spektrum, weil der Kläger als Anführer einer auf Sprengfallen und projektilbildenden Sprengladungen spezialisierten Zelle und als Beteiligter am Waffen- und Schwarzhandel tiefgehende Verbindungen zur organisierten Kriminalität erworben habe. Obschon die Erkenntnisse schon mehrere Jahre zurücklägen, gehe vom Kläger weiterhin eine konkrete Gefahr für die vorgenannten Schutzgüter, hierbei für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, aus. Aus der Beteiligung des Klägers an der Herstellung mindestens einer Sprengvorrichtung folge, dass Kläger eine radikal ablehnende Einstellung gegenüber den USA und deren Verbündeten eingenommen habe und bereit gewesen sei, extreme Gewalt einzusetzen und hierbei auch die Verletzung und Tötung von Unbeteiligten in Kauf genommen habe. Wegen der vielfältigen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Bindungen zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland sei davon auszugehen, dass auch Deutschland als Verbündeter der USA und damit als Feind angesehen werde. Damit drohe die Gefahr, dass der Kläger in Deutschland versuche, seine politischen und religiösen Ziele mit Gewalt durchzusetzen oder andere hierbei zu unterstützen.
2.2.2. Nach der Grundsatznorm des § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung überwiegt.
Wenn ein Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG gegeben ist, ist die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG regelmäßig indiziert. Die Aufzählung der Ausweisungsinteressen in § 54 AufenthG konkretisiert den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 24). Bei Nichtvorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG ist das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 53 Abs. 1 AufenthG jedoch nicht ausgeschlossen (Hailbronner, Ausländerrecht, Kom. Stand 4/2019, Bd. 2, § 53 Rn. 23f.). Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbsatz 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Da ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG entbehrlich ist, bedarf es auch bei der Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die vom Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 26).
Die Tatbestandsmerkmale der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinn des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. auch BT-Drs. 18/4097 S. 49; BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 23). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die (weitere) Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten werde. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 23).
Der Begriff der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit umfasst hochrangige Individualrechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Vermögen, ebenso wie den Bestand und das Funktionieren des Staates und seiner Einrichtungen (vgl. Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, AuslR, 12.A. 2018, § 53 Rn. 19). Der Begriff der Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland als sonstiges erhebliches Interesse der Bundesrepublik ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts enger zu verstehen als der Begriff der öffentlichen Sicherheit des allgemeinem Polizeirechts. Sie umfasst die innere und äußere Sicherheit (vgl. Legaldefinition in § 92 Abs. 3 Nr. 2 StGB) und schützt nach innen den Bestand und die Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen (BVerwG, U.v. 15.3.2005 – 1 C 26/03 – juris Rn. 17).
Das Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG stellt sich als „Grundtatbestand (Halbsatz 1) und als in Halbsatz 2 angeführte Untertatbestände („hiervon ist auszugehen, wenn…“) dar. Der Grundtatbestand kann unabhängig von den Untertatbeständen in Halbsatz 2 erfüllt werden (Tanneberger in BeckOK, Ausländerrecht, Stand: 1.8.2019, § 54 Rn. 14f.).
In der Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung vom 22. Februar 2017, die explizit zum nunmehr als Untertatbestand erfassten („hiervon ist auszugehen, wenn…“) Unterstützen einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erging, wird ausgeführt, dass durch diese funktionale Verknüpfung in der Erfüllung des Untertatbestandes (dieses nach dem bisher eigenständigen Tatbestandes des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) eine Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland vorliegt und dadurch der Begriff der Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestands gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 34). Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon, ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind. Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2 1002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (Abl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (Abl. L 344 S. 93) gewonnen werden (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 30 unter Verweis auf BVerwG, U.v. 15.3.2005 – 1 C 26/03 – juris). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus ein deutlicher Anhaltspunkt dafür dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 30 mit Verweis auf EuGH, U.v. 24.6.2015 – C-373/13). Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen ist (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 30 m.w.d. Rspr.).
Das Schutzgut der inneren Sicherheit muss „gefährdet“ sein. Der Ausweisungsgrund bezieht sich auf alle Gefahren für die Sicherheit des Staates, die sich aus der Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ergeben. Daraus folgt, dass der Ausländer persönlich eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen muss (BVerwG, U.v. 31.5.1994 – 1 C 5/93 – juris Rn. 23; ebenso Tanneberger in BeckOK, Ausländerrecht, Stand 1.8.2019, § 54 Rn. 18 ff. mit Beispielen aus dem Bereich Hoch- und Landesverrat, Spionage zu Lasten der Bundesrepublik, Straftaten nach §§ 80 ff. StGB; BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 35, 33 unter dem Aspekt der Vorfeldunterstützung des Terrorismus, der individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens und dem „erkennbaren Abstandnehmen“ / Distanzieren als Endpunkt der Zurechnung eines in der Vergangenheit liegenden Unterstützerverhaltens).
Wenngleich die Gefahr des Schadens, also der Schadenseintrittswahrscheinlichkeit, umso geringer sein darf, je höher der mögliche Schaden ist, genügen reine Vermutungen als Grundlage der Gefahrenprognose nicht (vgl. BVerwG, U.v. 11.11.1980 – 1 C 46.74 – juris Rn. 13 zur „Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ unter Verweis auf BVerwG, U.v. 1.7.1975 – 1 C 35.70 – BVerwGE 49, 36 (42ff.) – juris Rn. 32: Bericht des Bundeskriminalamts als Tatsachenbasis der dortigen Anscheinsgefahr). Vielmehr muss eine auf Tatsachen gestützte, nicht bloß entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts bestehen. Diese Anforderungen erfüllt auch eine Anscheinsgefahr (BVerwG, U.v. 1.7.1975 – 1 C 35.70 – BVerwGE 49, 36 (42ff.) – juris Rn. 32).
2.2.3. Das Gericht sieht es nach den ihm vorliegenden Informationen als nicht hinreichend durch Tatsachen belegt an, dass der Kläger die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) oder eine konkrete Gefahr für hochrangige Individualrechtsgüter darstellt.
Es ist nicht hinreichend durch Tatsachen belegt, dass der Kläger Mitglied der schiitischen Miliz … … (oder einer Untergruppierung oder einer der anders oder umbenannten Fortführungsorganisationen der … …) ist oder war und / oder diese aktuell unterstützt oder unterstützt hat und / oder der Kläger in terroristischer und / oder anderweitig die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdenden Weise auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland agieren und hochrangige Individualrechtsgüter gefährden will.
2.2.3.1. Die dem Gericht vorliegenden Informationen weisen folgenden Tatsachengehalt auf:
Die Blue Notice vom 7. Oktober 2015 von Interpol Washington betreffend “… … … … … (im Folgenden „…l“) mit einer Vielzahl von aufgeführten Aliasnamen führt auch gerollte Fingerabdrücke aller zehn Finger und zwei Lichtbilder auf. Es handelt sich nicht um eine Red Notice, d.h. Interpol Washington hat die Person “… … … … …“ nicht zur Festnahme ausgeschrieben (vgl. www.wikipedia.org/ Interpol Notice und Notice types), sondern um Zusammenarbeit ersucht, da die gesuchte Person im Zusammenhang mit kriminalpolizeilichen Ermittlungen von Interesse sei, weswegen diese Person lokalisiert oder identifiziert werden soll bzw. Interpol Washington zu ihr Informationen erhalten will. In der Blue Notice und hierzu in Ergänzung wird vom FBI am 1. November 2018 mitgeteilt, dass im Jahr 2006 der amerikanische Kampfmittelräumdienst eine „Improvised Explosive Device (IED; Sprengfalle)“ in der irakischen Provinz al-Anbar erbeutete. Auf dieser IED wurden – zu einem späteren, ungenannten Zeitpunkt – von der Tedac zwei latente Fingerabdrücke gefunden und abgenommen, die im durchgeführten biometrischen Abgleich zu den bei den US-Behörden gespeicherten Fingerabdrücken des „…“ passten. Die zwei latenten Fingerabdrücke wurden an der klebenden und nicht klebenden Seite von durchsichtigem Verpackungsband einer unkonventionellen Sprengvorrichtung gesichert. Die bei den US-Behörden gespeicherten Fingerabdrücke des „…“ wurden in der Blue Notice den deutschen Behörden übermittelt und anschließend im AZR und im SIS gespeichert, bei begleitender SIS-Ausschreibung vom 23. Juni 2016 bis 22. Juni 2019. Die beim Kläger bei dessen Visumsantrag abgenommenen Fingerabdrücke, die mit den im AZR und im SIS gespeicherten Daten abgeglichen wurden, passten zu den in der Blue Notice übermittelten Fingerabdrücken des „…“. Unstreitig ist, dass die in der Blue Notice übermittelten Fingerabdrücke des „…“ mit denen bei der Visumsantragstellung beim Kläger abgenommenen und gespeicherten Fingerabdrücken übereinstimmen.
Nach Auffassung des Gerichts bestehen keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die auf der IED gesicherten zwei latenten Fingerabdrücke mit den bei den US-Behörden gespeicherten und in der Blue Notice den deutschen Behörden übermittelten Fingerabdrücken des „…“ identisch sind. Der seitens der Klagepartei vorgebrachte Zweifel, gestützt auf den Artikel von … … in Telepolis vom 19. Oktober 2017 zu einem Bericht, der von der AAAS in Auftrag gegeben worden sein soll, greift nicht durch. Nach den Ausführungen in diesem Artikel wird die Fingerabdruck-„Vergleichssicherheit“ kritisch gesehen, wenn der Fingerabdruck in einem automatisierten Fingerabdruck-Identifizierungs-System erfasst und verglichen wird [man denke etwa an elektronische Zugangs-Sicherungssysteme mit „Touch“-Fingerabdruck-Identifizierung]; hingegen seien Fingerabdruckvergleiche von gerollten oder gedrückten Fingerabdrücken – auch nach den Ausführungen in diesem Artikel – sehr genau. Zu sehen ist, dass die auf dem Klebeband beidseitig vorhandenen Fingerabdrücke dort „aufgedrückt“ waren, vom Personal der Tedac gesichert und anschließend mit den gespeicherten, gerollten Fingerabdrücken des „…“ verglichen wurden. Darüber hinaus hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung überzeugend auf die in Fachkreisen anerkennte Expertise der Tedac im Hinblick auf die fachkundige Sicherung und Auswertung von Fingerabdrücken hingewiesen.
Hiernach geht das Gericht davon aus, dass die zwei Fingerabdrücke auf der im Irak im Jahr 2006 vom US-Kampfmittelräumdienst eingesammelten IED, die einen „selbstgebastelten“, nämlich einen mit diesem Klebeband angeklebten, aus einem Mobiltelefon bestehenden Zündungsmechanismus hatte, der offensichtlich nicht funktionierte, vom Kläger stammen.
Unstreitig ist auch, dass die beiden Lichtbilder, die die US-Behörden zum Namen „…“ gespeichert haben, den Kläger abbilden. Insoweit gibt der Kläger an, dass die Lichtbilder in den Jahren 2005 und 2007 aufgenommen wurden, u.a. das eine erinnerlich in der … … … im Irak.
Den in der FBI-Auskunft vom 1. November 2018 enthaltenen Mitteilungen, wonach „…“ als Taxifahrer und Bauarbeiter tätig gewesen sein soll und Berichte vorlägen, in denen „…“ als Beteiligter am Waffenhandel für die Aufständischen in Hit, Provinz al-Anbar/Irak und als Beteiligter mit Onkel … … … am Schwarzhandel mit Treibstoff genannt sei, fehlt ohne Angabe der Erkenntnisquelle und Prüfbarkeit der Glaubhaftigkeit der Erkenntnisquelle die erforderliche nachvollziehbare Tatsachenbasierung. Insoweit ist auch zu sehen, dass es schon keine zeitliche Einordnung hierzu gibt und die Lage im Irak mit Beginn des USamerikanisch geführten Angriffskriegs und Einmarschs der US-Truppen zusammen mit dem alleinigen Verbündeten Großbritannien in den Irak im März 2003 und in der nach der irakischen Kapitulation bis 2011 andauernden Besetzung des irakischen Territoriums durch die USA und Großbritannien zum einen vom Widerstand und Gewalt gegen die Besatzungsmacht und auch dem Kampf gegen die 2003 unter dem Namen Al-Qaida im Irak gegründete und dann ab 2014 unter dem Namen Islamischer Staat im Irak und Großsyrien (ISIS, kurz IS) operierende extremistische Terrororganisation geprägt war. In dieser Zeit entstanden verschiedene kämpfende Milizengruppierungen, hierunter die im Juni 2003 vom schiitischen Religionsführer und Politiker Moqtada al-Sadr gegründete und aufgebaute schiitische Miliz Jaish al-Mahdi (benannt u.a. als Mahdi-Armee, JAM; vgl. zum Werdegang der Jaish al-Mahdi samt ihrer unterschiedlichen Namensgebung im Laufe der Zeit bis heute und ihrer Eingliederung in die irakischen Streitkräfte: www.e…net/Dokument # 1407552 Accord, Anfragebeantwortung zum Irak vom 28.7.2017: Aktivitäten der Jaish al-Mahdi; Spiegel-Online v. 3.7.2019, Schiitische Milizen im Irak, Teherans trojanisches Pferd von Ch. Sydow; www.s…edu, Mahdi Army vom 26.11.2017, Bl. 125ff BA; Bay Landesamt für Verfassungsschutz v. 4.1.2019, Bl. 118 BA; BND vom 10.1.2019, Bl. 119 ff. BA).
Aus den diversen Quellen ergibt sich in der Zusammenschau etwa folgendes Bild: Die Jaish al-Mahdi hat in der Periode von ca. 2004 bis 2007 gezielt die sunnitische Bevölkerung bedroht, verfolgt etc.; im Jahr 2008, im Zuge des seinerzeitigen Machtverlusts Sadrs kam es zum einen zu einer Zersplitterung der Jaish al-Mahdi wie auch zum Verlust der hierarchischen Führungsmacht Sadrs. Im Jahr 2008 erfolgte die offizielle Auflösung der Jaish al Mahdi und sogleich erfolgte eine „Umstrukturierung“ der Jaish al-Mahdi in eine social service-Versorgung (dann Mumahidoon benannt), aber die Splittergruppen blieben militant und gehorchten nicht Sadrs Führungsanspruch und Umstrukturierung; trotz Sadrs Bekundung seiner Abkehr von der Militanz im Zuge seiner politischen Ambitionen hat sich Sadr selbst trotz allem eine militante Elite-Einheit wiederaufgebaut (bzw. behalten) mit dem neuen Namen Promised Day Brigades (abgekürzt PDB; Brigade des Tags der Auferstehung, arab. Liwa al-Yaum al-Mau’du), die nicht die irakische Bevölkerung und auch nicht die irakische Armee attackierten, sondern die USArmy. Die Promised Day Brigades gründeten in 2014 die „Friedenskompanie“ – „Saraya asSalam“ als zusätzliche Miliz für die Volksmobilisierungseinheiten (abgekürzt PMU; arab. Al-Haschd Al-Scha’abi, einem vom irakischen Staat geförderten Dachverband mehrheitlich schiitischer Milizen). Stärkste Teilgruppierungen der Volksmobilisierungskräfte sind die Badr-Organistation, die Kata’ib Hizbullah, die Asa’ib al-Haqq und Saraya as-Salam. Die PMU besiegte den IS. Die PMU ist im Sommer 2019 der irakischen Armee angegliedert worden.
Insgesamt vermag das Gericht keine hinreichende Tatsachengrundlage für die Annahme zu erkennen, dass der Kläger ein Unterstützer oder Mitglied der Jaish al-Mahdi (incl. der JAMSG) gewesen sein soll. Die deutschen Behörden haben keine Erkenntnisse zum Kläger. Die US-Behörden haben als (einzige) nachvollziehbare Erkenntnis die beiden Fingerabdrücke auf der 2006 erbeuteten IED. Dies rechtfertigt unter Berücksichtigung aller Umstände jedoch nicht den hinreichend sicheren Schluss, dass der Kläger der Jaish al-Mahdi (incl. der JAMSG) angehörte oder diese unterstützte. Der BND bewertet in seiner Erklärung vom 20. März 2019 zur eidesstattlichen Versicherung des Klägers vom 22. Februar 2019 dessen Angabe, dass der Kläger als Sunnit sich nicht (freiwillig oder zwangsrekrutiert) der schiitischen Miliz Jaish al-Mahdi anschließen würde bzw. angeschlossen hat, als glaubwürdig. Hierbei ist auch zu sehen, dass es für einen irakischen Sunniten auch keinen Grund gab, sich einer schiitischen Miliz anzuschließen, zumal zeitabschnittsweise schiitische Milizen auch die sunnitische irakische Bevölkerung mindestens drangsalierten und eine Kluft zwischen den Glaubensrichtungen herrscht (vgl. www.w…de/politik/ausland, 20.6.2014, Warum Sunniten und Schiiten sich so hassen). Der BND weist in seiner Erklärung vom 20. März 2019 zur eidesstattlichen Versicherung des Klägers vom 22. Februar 2019 in der Fußnote 1 darauf hin und führt weiter aus, dass gerade in der Provinz al-Anbar die zahlreichen Operationen der USgeführten Streitkräfte und die damit verbundenen Gefahren, Einschränkungen und zahlreichen Opfer unter der Zivilbevölkerung bei der dortigen deutlich sunnitischen Bevölkerungsstruktur den Nährboden für den nationalen sunnitischen Widerstand in Irak schuf und den Zulauf zu den Widerstandsgruppen und für die Terrororganisation Al-Qaida nährte. In der Provinz al-Anbar wurden 2006 mehrere sunnitische Stämme unter Führung des Scheichs Abu Risha zu der Organisation der Sahawat (auch Sons of Iraq) vereint, um den Kampf gegen Terroristen und Aufständische zu führen. Das FBI selbst hat nur einen Verdacht der Mitgliedschaft des Klägers in den JAMSG (SG für Special Groups) mitgeteilt, ohne jedoch zu benennen, worauf sich der Verdacht der Mitgliedschaft gründet und zu welchem Zeitpunkt der Verdacht „festgestellt“ wurde, was angesichts des Werdegangs der Jaish al-Mahdi, insbesondere der „Eingliederung“ in die nationalen irakischen Kampfverbände von zusätzlicher Bedeutung wäre im Hinblick auf die völkerstrafrechtliche Einordnung der Ausübung von Kampfhandlungen irakischer Milizen auf irakischem Territorium gegenüber einer Besatzungsmacht, vorliegend den US-Truppen von 2003 bis 2011 im Irak (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2009 – 10 C 24/08 – juris). Hierbei ist auch zu sehen, dass das FBI den Kläger auch nicht zur Festnahme ausgeschrieben hat, sondern zur Informationsgewinnung bei einer kriminalpolizeilichen Ermittlung.
Die Jaish al-Mahdi (oder eine Untergliederung oder Nachfolgeorganisation) ist auch nicht in der vom Rat der Europäischen Union angenommenen Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus gelistet (vgl. aktueller Beschluss (GASP) 2019/1341 vom 8.8.2019, ABl. L 209 v. 9.8.2019 s. 15 mit der Liste im Anhang). Die deutschen Behörden haben auch keine Erkenntnisse mitgeteilt, dass die schiitische Miliz Jaish al-Mahdi (oder eine Untergliederung oder Nachfolgeorganistation) im Bundesgebiet operieren würde. Der Beklagten ist auch nicht in ihrer Vermutung zu folgen, dass der Kläger als vom FBI vermutetes Mitglied der Jaish al-Mahdi im Bundesgebiet die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden könnte, weil die USA und die Bundesrepublik Deutschland – neben weiteren 27 Staaten – Mitglied der NATO, einem politisch-militärischen Staatenbündnis, seien. Hierbei ist zu sehen, dass die Bundesrepublik Deutschland sich nicht der USamerikanischen Militäroperation in 2003 angeschlossen hat und niemals als Besatzungsmacht im Irak auftrat. Auch die NATO war als Staatenbündnis nicht an der USamerikanisch geführten Militäroperation im Irak in 2003 bis 2011 beteiligt. Vielmehr hat sich die Bundesrepublik Deutschland auch offen gegen die US-Invasion im Irak ausgesprochen.
Die in der FBI-Auskunft vom 1. November 2018 enthaltene Mitteilung, wonach „…“ am 18. September 2008 bei einer Razzia in Bagdad durch Koalitionsstreitkräfte festgenommen wurde und „…“ verdächtigt wurde, JAMSG-Mitglied zu sein, das eine Zelle für USBV und projektilbildende Ladung anführe und über Anti-Koalitionsstreitkräfte-Propaganda verfüge, sowie „…“ vom 18. September 2008 bis 12. Juni 2010 in Camp Remembrance II inhaftiert gewesen sei und am 12. Juni 2010 dem Staat Irak übergeben worden sei, findet keine tatsachenbasierte Grundlage dahingehend, dass diese Angaben dem Kläger zugeschrieben werden können. Demgegenüber hat der Kläger angeben, dass er tatsächlich im Irak im Sommer 2006 ein bis zwei Tage und anschließend von Mitte 2007 bis Anfang 2008, davon 5 Monate im Camp … bei B.… inhaftiert war, eine Häftlingsnummer als Identifikation in der Haftzeit hatte und ihm im Zuge dieser Internierungen durch die US-Streitkräfte auch seine Fingerabdrücke abgenommen und von ihm die beiden Lichtbilder gefertigt wurden. Der BND bewertet in seiner Erklärung vom 20. März 2019 zur eidesstattlichen Versicherung des Klägers vom 22. Februar 2019 dessen Angabe, im Camp …, in dem zumeist sunnitische Iraker interniert wurden, als Verdächtiger interniert gewesen zu sein, als glaubhaft und führt insoweit auch aus, dass in den Jahren 2005 bis 2007 durch Soldaten der Multinationalen Streitkräfte Irak Verhaftungen von Verdächtigten erfolgten zur Eindämmung von Aufstandsbewegungen und Vermeidung von Angriffen und Anschlägen. Der Kläger seinerseits hat in der mündlichen Verhandlung durch Kopien mit beglaubigten Übersetzungen von Seiten seines abgelaufenen Reisepasses, den der Klägerbevollmächtigten zur Einsichtnahme durch die Beklagte in der mündlichen Verhandlung bereitgehaltenen hatte, widerspruchsfrei zu seinen bisherigen Angaben dargelegt, dass er am 11. April 2009 aus dem Irak ausreiste und am 9. März 2010 wieder in den Irak einreiste, am 13. März 2010 bei der syrischen Botschaft in Bagdad ein in seinem Reisepass eingestempeltes Visum für Syrien erhielt und ausweislich des Stempels im Pass am 16. März 2010 in Syrien einreiste. Diese Belege des Klägers entkräften die nicht von den US-Behörden belegte Mitteilung, wonach der Kläger im Zeitraum vom 18. September 2008 bis 12. Juni 2010 im Camp R.… … inhaftiert gewesen sei.
2.2.3.2. Es ist im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt, ausgenommen der Fingerabdrücke des Klägers auf der im Jahr 2006 von den US-Streitkräften in der Provinz al-Anbar / Irak erbeuteten IED, keine hinreichende Tatsachengrundlage gegeben, woran die Ausweisung maßgeblich im Hinblick auf § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG anknüpft, vielmehr bestehen insoweit nur Annahmen und Verdachtsmomente und es fehlt jede weitere Sachaufklärung durch die Beklagte unter Einbeziehung der Angaben des Klägers insbesondere bei den US-Sicherheitsbehörden.
Allein die Fingerabdrücke des Klägers auf der im Jahr 2006 von den US-Streitkräften in der Provinz al-Anbar / Irak erbeuteten IED sind nach Auffassung des Gerichts tatsachenbelegt. Allein hierauf und unter Einbeziehung der Ausführungen unter 2.2.3. gründet sich kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Weiter ist zu sehen, dass der Zeitraum von 13 Jahren zwischen diesem einzigen belegten, im Irak stattgefundenen Ereignis und heute in Bezug auf eine Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland jedenfalls den im Wortlaut des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in Halbsatz 2 „..es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand“ enthaltenen Rechtsgedanken einer erkennbaren und glaubhaften Abkehr von früherem Handeln ausfüllt, erst Recht, wenn diesem damaligen Handeln nach Ort, Zeit und Umständen kein Sicherheitsgefährdungszusammenhang für die Bundesrepublik Deutschland zugeordnet werden kann. Insoweit finden sich auch für das Erfordernis, dass im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vom Ausländer, der ausgewiesen werden soll, eine konkrete Gefahr ausgehen muss für das Ausweisungsinteresse, auf das abgehoben wird, keine tatsächlichen Anhaltspunkte.
2.2.4. Das Gericht sieht es nach den ihm vorliegenden Informationen als nicht hinreichend durch Tatsachen belegt an, dass der Kläger Aliaspersonalien verwendete oder die Intension hat, seine Identitätsfeststellung durch die deutschen Behörden zu erschweren oder falsche Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels bei der Visumsantragstellung bei der deutschen Botschaft in Ankara gemacht hätte (vgl. § 54 Abs. 2 Nr. 8 lit. a) AufenthG) und dadurch ein Ausweisungsinteresse erfüllt, das die Beklagte zu einer generalpräventiv motivierten, d.h. auf die Abschreckung Dritter vor ähnlichem Handeln abzielende Ausweisung des Klägers heranziehen kann.
Festzuhalten ist, dass die im AZR und SIS gespeicherten verschiedenen 46 Personendatensätze zu der Person „…“ nach Aktenlage einzig und allein von den US-Behörden zu deren Blue Notice zu den – identischen Fingerabdrücken des „…“ mit denen des Klägers – „mitgeliefert“ wurden; keine dieser Personaldatensätze ist von einer deutschen Behörde originär erhoben worden.
Das FBI hat weder in der Blue Notice noch in der Mitteilung vom 1. November 2018 ausgeführt, wie die US-Behörden zur Erst-Erfassung und Speicherung der Personalie des „… und aller zu diesem Namen gespeicherten Daten gelangten und ob ggf. die US-Behörden bei der Erfassung und Speicherung eigengeneriert eine systematische Diversifikation als maximale Suchfunktion integrieren. Es ist nicht belegt, dass der Kläger sich dieser Namen und der hierzu gespeicherten Daten bediente. Vielmehr hat der Kläger in Bezug auf den Rechtsverkehr mit Behörden der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich den in seinem gültigen Reisepass angegebenen Namen und die dort angegebenen personenbezogenen Daten (Geburtsort, Geburtstag) verwendet. Der deutschen Botschaft in Ankara zufolge hat sich der Kläger im Visumsverfahren zweifellos mit echten Dokumenten und einem echten Nationalpass ausgewiesen.
Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand stellt es sich als reine Spekulation der Beklagten dar, dass der Kläger mit den angegebenen Personalien den deutschen Behörden seine „Vergangenheit“ und seine „Identität“ verschleiern wollte.
Da das von der Beklagten herangezogene Ausweisungsinteresse nicht hinreichend tatsachenbasiert ist, kann offen bleiben, ob ein solcher Sachverhalt überhaupt geeignet ist, hierauf eine generalpräventive Ausweisung zu stützen, zumal generalpräventiven Ausweisungen regelhaft inländische rechtskräftige Strafurteile als Anknüpfungspunkt zugrunde liegen (zur generalpräventiven Ausweisung: Tanneberger in BeckOK, Ausländerrecht, Stand 1.8.2019, § 53 Rn. 27 ff.).
2.3. Da die Ausweisung in Nr. 1 des Bescheides vom 21. März 2019 in der Fassung vom 24. September 2019 materiell-rechtlich rechtswidrig ist, war der Klage unter Aufhebung des in Nr. 2 angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbots mit einer Sperrfristdauer von 13 Jahren mit Fristbeginn ab 23. März 2019 im Hauptantrag stattzugeben. Infolge der Aufhebung der Ausweisung war die dadurch hinfällige Anordnung des Sofortvollzugs bezüglich des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids ebenfalls aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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